Blendung – Was ich schon immer wusste und nie nachfragen wollte
Blind werden – Was sonst?
Ein Wort zieht sich durch alle Kapitel dieses Buchs durch, Blendung. Es wird aber nicht erklärt, und das aus gutem Grund. Denn man sollte das Wort und dessen Bedeutung entweder gut verstehen oder es sein lassen. Daher eine längere Abhandlung an getrennter Stelle.
Wem ist das Wort Blendung ein Begriff? Immer wenn sich eine solche Frage stellt, bietet Wikipedia eine Seite, auf der verschiedene Bedeutungen eines Wortes angeführt werden. Die betreffende Seite heißt auf Deutsch „Begriffsklärungsseite“, aber die englische Bezeichnung fällt deutlicher aus: disambiguation wie Auflösen von Mehrdeutigkeiten zur Unterscheidung mehrerer mit demselben Wort bezeichneter Begriffe. In der Schulzeit nannte man das Teekesselchen, ein Spiel. Hier ist es ernst. Bei manchen Worten imponiert die Wikipedia-Liste der Bedeutungen durch ihre Länge, bei Blendung insbesondere durch ihre Diversität. So kommt das Wort sowohl im Rechtswesen (Strafe) als auch im Militärjargon vor. Aber auch die Kryptographie benutzt das Wort ebenso wie die Kürschnerei.
Ist Blendung im Rechtswesen eine Strafe, die zur Erblindung führt, also zu einem permanenten Schaden, so spricht das Militär davon, dem Feind nur für eine begrenzte Zeit die Sicht zu nehmen. Die Kryptographie spricht von einem Blender, wenn es sich um ein Zeichen handelt, das keine Bedeutung hat, auf Englisch dummy oder null. Es soll dem unbefugten Entzifferer der Nachricht eine Bedeutung vortäuschen, damit sich dieser dem Blender widmet und so die nützliche Nachricht übersieht. Gelegentlich bestehen auch komplette Funksprüche vollständig nur aus Blendern. Dies geschieht, um dem Gegner Funkaktivität vorzutäuschen. Im Alltagsleben spielt ein Blender die Rolle einer Null. Mal ist dieser ein Vorstadtcasanova, mal ein Politiker, dessen Fähigkeiten man überschätzen soll.
Wenn man sich die gesamte Etymologie des Wortes und des dazugehörigen Verbs blenden anschaut, kommt man immer wieder auf die mittelalterliche Strafe zurück, die einem das Sehen unmöglich macht. In der Lichttechnik wird das Wort auch etwa in diesem Sinne gebraucht, so wenn die untergehende Sonne einem das Fahren erschwert oder dass nachts der Gegenverkehr einem die Sicht nimmt. Leider erfolgt das nicht immer und immer eindeutig. Die genannten Fälle sind bestens bekannt, und man hat Maßnahmen gegen diese ersonnen. Viel wichtiger aber sind die Fälle, wo man zwar noch vermeintlich gut sehen kann, aber Vieles doch übersieht. Dies wäre, um beim Beispiel des Blenders aus der Kryptographie zu bleiben, wenn Objekte unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und uns daher die wichtigen Dinge weniger gut auffallen, ein ganz aktuelles Problem: Wenn einem tagsüber ein Fahrrad entgegen kommt, das sein verstelltes Licht unnötigerweise eingeschaltet hat, kann man für kurze Zeit nichts hinter ihm erkennen.
Eine Erscheinung macht uns bei der Arbeit das Leben schwer, die wir nur im Extremfall bewusst wahrnehmen. Wenn man glänzende Schrift lesen muss, erkennt man manchmal nichts, manchmal nur schlecht. Erkennt man wirklich nichts, ändert man seine Haltung und kann wieder lesen. Im richtigen Leben wirkt sich ein kaum bemerkbarer Verlust an Kontrasten viel schlimmer aus. Die Ursache ist ein Lichtschleier, den man nicht bemerkt. Das wissen aber nur Fachleute. Deswegen heißt dieser Effekt nicht Blendung.
Aber ein ähnlicher Effekt, ein Lichtschleier über dem Sehobjekt, wird nur von manchen Blendung genannt, wenn er auf Bildschirmen entsteht. Andere nennen ihn störende Reflexionen, wie er sogar im Gesetzeswerk genannt wird. Diese nehmen einem auch die Sicht weg, indem sie an der Stelle erscheinen, wo man eher einen Buchstaben sehen möchte, oder einen ganzen Satz.
Ebenso wenig bezeichnet man die Situation Blendung, wenn sich die Erscheinung auf das Verfälschen von Farben bezieht. Das ist immer der Fall, wenn Beleuchtung, also weißes Licht, auf einen Bildschirm mit farbigem Inhalt trifft. Das Ergebnis bleibt zuweilen unbemerkt, z.B. auf einer Excel-Tabelle mit roten Zahlen einer Bilanz. Hingegen können Grafiker manchmal nur im Dunkeln arbeiten, weil sie Farbnuancen und große Kontraste erkennen müssen. Wieder ist das Sehen beeinträchtigt, wir werden im wahrsten Sinne des Wortes geblendet, aber niemand nennt es so.
Wer sich mit dem Sehen beschäftigt, kennt aber noch weitere Probleme, die in ihrer Natur zwar einer Blendung entsprechen, aber im Ergebnis alles andere als negativ zu sehen sind. Der wunderbare Anblick eines neuen Autos im Verkaufssalon oder das Funkeln von Diamanten beim Opernball sind nichts anderes als Reflexionen, die einem das Sehen erschweren. Unter einem Glanzpunkt sieht man nicht die Farbe des Autos, sondern nur weiß oder unbunt. Aber das ganze Auto sieht farbiger aus als unter einem Novemberhimmel. Diamanten, die funkeln, daher der Name Brillanten, erschweren die Sicht auf ihre Umgebung, die sie aber geradezu herausfordern. Und die Augen, die sich darauf richten, sehen auf Fotos tot aus, wenn sie nicht glänzen.
Das alles fällt unter die Erscheinung Glanz, deren Bedeutung je nach Situation und Ort, mal positiv, mal negativ ausfällt. Beim Make-up beträgt der Abstand zwischen Positiv (lip gloss) und Negativ (glänzende Nasenspitze) nur wenige Millimeter. Nur ein paar Zentimeter über den beiden (Lippe und Nase) setzt der Portrait-Fotograf Glanzpunkte auf die Augen, damit die abgebildete Person vital wirkt. Und niemand wird sich beschweren, weil man das abgebildete Auge nicht richtig sehen kann.
Summa summarum nennt man nur bestimmte Wirkungen, die zu einem gestörten Sehen führen, Blendung. Physikalisch ähnliche oder gar gleiche Erscheinungen können je nach Situation negativ gesehen werden oder positiv, wenn absichtlich herbeigeführt, um der Schönheit beizutragen. Daher lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dem Begriff Blendung, besser gesagt, mit Phänomenen, die man Blendung nennt.
Wo die Blendung ihren Namen voll verdient
Die wichtigste Beschäftigung mit der Blendung erfolgt dort, wo man die Beeinträchtigung des Sehens möglichst ausschließen will oder muss. Dies gelingt leider nur in Laborräumen, wo man Störlichter einfach eliminiert. Anders im üblichen Leben, wo man eine gewisse Störung in Kauf nehmen muss. So z.B. hier:
Das ist zweifellos eine angenehme Situation, bei der jeder der beiden Teilnehmer durch die Kerzen beleuchtet wird. Gleichzeitig aber muss man die andere Person am Tisch durch die Kerzen hindurch sehen und wird somit etwas am Sehen gehindert. Anders gesagt, man muss die erwünschte Wirkung um einen bestimmten Effekt mindern, man zieht von dem Nutzeffekt den Störeffekt ab.
Um eine solche Berechnung ausführen zu können, muss man erstens wissen, worin der Nutzeffekt besteht. Im Falle der Blendung ist es die Sehleistung, die die Beleuchtung auf den Sehobjekten bewirkt. Und zweitens muss man wissen, wie sich die Blendung auswirkt. Das ist theoretisch ein gewisser Lichtschleier, der sich auf das Sehobjekt legt, weil das störende Licht im Auge gebrochen und gestreut wird. Wie das geschieht, zeigt das Bild, das den Vorgang simuliert. Wenn man einen von dieser Laterne beleuchteten Baum erkennen will, wird der Effekt der Beleuchtung um den Schleier schlechter.
Die Lichtquellen rechts im Bild sind weniger hell und erscheinen daher nicht so stark gestreut. Da man den hier erläuterten Effekt im Auge, sogar auch in einem toten Auge, physikalisch messen kann, nennt man diese Art Blendung physiologisch.
Physiologische Blendung wird im Verkehrswesen, bei der Beleuchtung von Sportstätten und mittlerweile auch in der Innenraumbeleuchtung berücksichtigt, weil LEDs zu einer messbaren Minderung der Sehleistung führen können. Die Autoscheinwerfer werden schon seit Jahrzehnten vor einer Zulassung nach einem gesetzlich geregelten Verfahren gemessen, um die Blendung erträglich zu halten. In den 1970er Jahren hatte das Bundesministerium für Verkehr geplant, älteren Autofahrern den Führerschein zu entziehen, weil die Trübung der Augenmedien mit zunehmendem Alter eine merkliche Behinderung erzeugt. Dass es nicht dazu gekommen ist, liegt an der Bedeutung des Autos für das Leben. Die Behinderung des Sehens existiert dennoch.
Wo die Blendung auf die Nerven geht
Leider stellt die physiologische Blendung die einzige Art der Störung des Sehens durch Lichtquellen dar, die vergleichsweise leicht berechenbar ist. Wenn Lichtquellen zwar stören, aber niemand sagen kann, warum sie denn stören, nennt man die Blendung psychologisch. Seit mehreren Jahrzehnten versucht man zu erforschen, welche Faktoren dazu beitragen. Leider dreht man sich seit nahezu einem Jahrhundert im Kreis. Und das hat seine Gründe.
Man hatte bereits sehr früh ausgemacht, dass die Lage eines hellen Objekts im Gesichtsfeld eine große Rolle spielt. Allzu schwer muss die Entdeckung dieser Tatsache allerdings nicht gewesen sein. Die Abhilfe ist oft auch nicht schwer: Wenn etwas Helles einen stört, guckt man einfach weg, d.h. man bewegt das blendende Objekt an den Rand des Gesichtsfeldes. Leider ist dies aber nur möglich, wenn das betreffende Objekt keine Rolle spielt außer blenden. Wenn es aber Objekte beleuchten soll, die sich ganz in der Nähe des Menschen befinden, und auch noch viele andere Menschen in dessen Nähe, ist das Problem so trivial nicht. Denn anders als bei Beleuchtungsaufgaben wie bei der Bühnenbeleuchtung, bei denen sich der Betrachter außerhalb des beleuchteten Raums und fern von den Leuchten befindet, sitzt dieser bei einem Arbeitsraum mitten in der Beleuchtung. Wenn man das störende Objekt weg bewegt, stört man meistens auch dessen Wirkung. Aber gerade wegen der Wirkung wird eine Leuchte ja irgendwo im Raum angeordnet.
Und eine bestimmte Leuchte hat nicht etwa die Aufgabe, das Sehobjekt irgendwie zu beleuchten und nur dieses. Der gesamte Raum soll auch noch beleuchtet werden. Dabei ist es nicht gleichgültig, wo man die Leuchte anbringt. Zudem muss sie fast immer an der Decke angebracht werden, weil die Wände für andere Zwecke gebraucht werden oder gar nicht vorhanden sind. D.h. man bestimmt zwar die Wirkung des blendenden Objekts in Abhängigkeit vom Sehwinkel, kann diesen aber in der Praxis nicht frei wählen. Und dessen Beziehung zur Blendung ist wahrlich nicht trivial. Wie Guth 1949 ermittelt hat, sinkt die Blendung mit dem Quadrat des sog. Positionsindex p und dieser errechnet sich aus der folgenden Formel:
Was die einzelnen Größen bedeuten, habe ich in die Fußnote geschrieben, weil vermutlich sich kaum jemand mit der Formel weiter befassen wird.1α = Winkel in Grad zwischen der Vertikalen und der Ebene Auge – Lichtquelle – Sehachse, β = Winkel in Grad zwischen der Sehachse und der Verbindungslinie Auge – Lichtquelle Die Blendung errechnet sich aus einer komplizierten Formel, in die noch die vom Benutzer sichtbare Ausdehnung der blendenden Quelle sowie die Leuchtdichte des Hintergrundes eingeht. Danach muss man bestimmen, was sie bedeutet, so etwa „Blendindex X bedeutet, dass Y % der Benutzer mit der Situation zufrieden sind“. Beziehungsweise kann man aussagen „70% der Benutzer finden die Beleuchtung nicht störend, wenn der Blendindex unter X liegt.“. Um das zuverlässig sagen zu können, muss man sehr lange experimentieren.
Das hört sich ganz schön wissenschaftlich an. Aber wer weiß beim Entwurf einer Leuchte, wie der Hintergrund aussieht, vor dem das Objekt installiert wird? Wenn er schwarz ist, hat er immer eine kleine Leuchtdichte.2Schwarze Decken sind sehr ungewöhnlich. Sie entstehen meist durch Schalldämmmaterial um die Leuchte herum. Dunkle Decken kommen häufiger vor, z.B. wenn sie getäfelt sind oder als Klimadecke ausgebildet. Wenn er nicht schwarz ist, hängt die Leuchtdichte von seinem Reflexionsgrad ab sowie von dem Licht, das der Raum auf den Hintergrund reflektiert. Denn die meisten Leuchten geben Licht nur nach unten ab. Kurz gesagt, die Blendung, die eine Leuchte erzeugt, hängt wesentlich von zwei Bedingungen ab, die man vorab nicht kennt, auch der Entwickler der Leuchte nicht.
Der dritte Faktor, der für die Blendung wichtig ist, ist die Helligkeit des Objektes selbst, also dessen Leuchtdichte. Auch diese Beziehung war nicht schwer zu erraten. Man nannte unangenehm hell wirkende Objekte schon immer grell. Allerdings musste man die Stärke der Abhängigkeit ermitteln, was sich doch recht schwierig gestaltete. Und da steckt der Teufel nicht nur im Detail. Denn die Blendung steigt mit dem Quadrat der Leuchtdichte an. Und diese physikalisch zu messen, wie sie der Benutzer von seiner Position aus sehen wird, ist alles andere als trivial. In der Regel wird die Leuchtdichte gar nicht gemessen, sondern errechnet. Dabei fallen die Unterschiede der Helligkeit in der Leuchte unter den Tisch. Aber gerade diese gehen mit dem Quadrat in die Berechnung ein.3Für Leuchten wird traditionell die Verteilung der Lichtstärken um die Leuchte herum ermittelt. Diese charakterisieren die Leuchte und werden für die Lichtplanung benötigt. Die Leuchtdichte fällt aber in jeder Richtung möglicherweise unterschiedlich aus. Daher nimmt man die Lichtstärke, errechnet die sichtbare Ausdehnung der leuchtenden Fläche und daraus die Leuchtdichte. Dabei sind die etwa vorhandenen Unterschiede der Leuchtdichten nicht messbar und werden daher nicht berücksichtigt. Dennoch existiert keine Planungssoftware für die Beleuchtung, die den Blendindex einbezieht.
Da das Verfahren ganz schön kompliziert ist und niemandem zugemutet werden kann, der eine Beleuchtung plant, entwickelte die deutsche Leuchtenindustrie ein Tabellenverfahren, in der man jedem Produkt einen Blendwert zuordnet. Da man zu diesem Zweck die gebräuchlichen Verfahren zusammengerechnet hatte, heißt dieser Wert RUG und das Verfahren UGR (= Unified Glare Rating). Praktiker haben nicht die geringste Chance zu prüfen, ob der einer Leuchte zugeordnete Wert stimmt. Ob dieser den Benutzern eines Raums etwas sagt, können sie erst feststellen, wenn der Raum und die Beleuchtung existieren. Dann braucht man aber nicht mehr zu planen.
Was sagt dieser so mühsam errechnete Wert? Zunächst eigene Ergebnisse aus den 1990er Jahren, die auf 15 Jahren Studien mit ca. 4.500 Probanden beruhen: Es gibt keine Beziehung zwischen der Blendbewertung von Leuchten [nach dem Söllner-Verfahren] und der Empfindung der Benutzer. 4Çakir, A., Çakir, G. Licht und Gesundheit - Eine Untersuchung zum Stand der Beleuchtungstechnik in deutschen Büros, ERGONOMIC, Berlin, 1998, 3. Ausgabe. Deutsche Bürobeleuchtung wurde immer mit Leuchten geplant, die nach dem Söllner-Verfahren gekennzeichnet waren. Das UGR-Verfahren wurde erst im Jahr 2002 eingeführt. Wann dies zum Tragen gekommen ist, kann man nicht genau sagen. Das ist so überraschend nicht, denn das Verfahren, das die deutsche Industrie benutzte, wurde in den 1960er Jahren in einem Labor erarbeitet. Die Probanden haben das Erscheinungsbild eines in einem Guckkasten simulierten Raums beurteilt, während sie in der Realität unter der Beleuchtung sitzen. Zudem haben sich die Leuchten seitdem grundsätzlich geändert.5Das in Deutschland gebräuchliche Blendungsbewertungssystem ist Produkt eines Laborversuchs der Firma Philips. Seinerzeit dominierten Leuchten mit Trübglasabdeckung, die das Licht gut streuten. Die gesehenen Leuchtdichten waren relative gleichmäßig und relativ klein. Später wurden Rasterleuchten zum Standard, deren Leuchtdichten stark von der Sehgeometrie abhängen. Sie sind nach unten offen, damit eine möglichst große Beleuchtungsstärke auf der Arbeitsfläche erzeugt wird. Diese wurden nach der Einführung der Bildschirmarbeit durch Spiegelrasterleuchten ersetzt, deren Leuchtdichten sehr ungleichmäßig verteilt sind. Luckiesh und Guth hatten angegeben, ihr Verfahren wäre für Leuchten mit gleichmäßiger Helligkeitsverteilung geeignet. Wenn dies nicht stimme, müsste jedes sichtbare Flächenstück getrennt bewertet werden.
Das UGR-Verfahren war eine Verheiratung dieses Verfahrens mit der Methode von Luckiesh und Guth aus einem anderen Labor. Und wegen der Kompliziertheit des Ganzen wurde in den 1990er Jahren auf dem Papier eine Zusammenfassung beider erarbeitet. Eine Überprüfung des Verfahrens ergab das folgende niederschmetternde Ergebnis: „Blendungsmodelle wurden nach fehlenden Untersuchungsbedingungen und Inkonsistenzen geprüft. Es wurden Mehrdeutigkeiten gefunden wie die Einbeziehung von kleinen und großen Blendquellen und was überhaupt eine Blendquelle in komplexen Situationen mit mehreren Leuchten ist. … The Blendungsmodelle wurden umgerechnet um mit den Vorhersagen von 1949 von Luckiesh und Guth verglichen zu werden. Die Modelle zeigten eine geringe Aussagekraft. Wenn man Blendung in komplexeren Situationen [mehrere Leuchten, d. Autor] bewerten will, müssen die Modelle grundsätzlich neu formuliert werden.“6Clear, R. D. Discomfort glare: What do we actually know?, Lighting Research and Technology, 2012, doi: 10.1177/1477153512444527
Noch etwas schärfer fiel die Kritik einer Studie aus, die die Anwendbarkeit der Verfahren auf LED-Beleuchtungen prüfte: „Existierende Blendindizes entsprechen nicht hinreichend den subjektiven Bewertungen.“7Geerdinck, L.: Glare perception in terms of acceptance and comfort, Diplomarbeit, Universität Eindhoven, 2012 Ich denke, es wäre ein Wunder, wenn man das Gegenteil feststellen würde. Denn die wichtigste Größe für die Blendung ist die Leuchtdichte, und diese geht, wie oben angegeben, mit dem Quadrat in die Berechnung ein. Als die Untersuchungen von Luckiesh und Guth stattfanden, hatten die Leuchten gleichmäßige Leuchtdichten um 2.000 cd/m2. Dafür gilt die Formel von Guth. LED-Module erreichen aber stellenweise Leuchtdichten, die in der gleichen Größenordnung liegen wie die der Sonne.8Die Mittagssonne hat eine Leuchtdichte von ca. 1,5*109 cd/m2, am Horizont immer noch 5.000.000 cd/m2 . Die Angaben für Leuchtdichten bei LEDs sind nicht einfach zu bekommen. Ein Unternehmen (CREE) gab im Jahr 2018 284.000.000 cd/m2 für ihre Extreme-Density-Reihe Produkte an. Wie weit diese in praktischen Leuchten herabgesetzt wird, weiß man nicht. Man weiß nicht einmal, wie man sie messen soll.9Ein Bild von den Schwierigkeiten, die Leuchtdichte von LED-Leuchten zu bestimmen und zu berechnen, zeigt die Arbeit von Carsten Funke: Blendungsbewertung von LED-Leuchten in Innenräumen, Dissertation TU Ilmenau, 2017, ISBN 978-3-86360-163-8 (Druckausgabe). Der Autor musste das UGR-Verfahren erweitern und ein bereits für Leuchtstofflampen entwickeltes Verfahren zur Ermittlung der leuchtenden Teile erweitern: „Das zweite Modell, das erweiterte UGR-Verfahren, basiert auf den Untersuchungen von WOLF zur Detektion der leuchtenden Bereiche für Leuchtstoff- lampenleuchten. Dieses Verfahren wurde im Rahmen der Arbeit für LED- Leuchten erweitert, indem das Leuchtdichtebild entsprechend der physiologischen Eigenschaften des Auges geglättet wird und im Anschluss die blendenden Bereiche detektiert werden.” Seine Experimentalleuchte wies Leuchtdichten von 800 cd/m2 bis 400.000 cd/m2 auf, die gemittelt 8.000 cd/m2 ergaben. Die letzten Entladungslampen hatten jedenfalls Leuchtdichten bis 40.000 cd/m2, die LED-Leuchten liegen in der Praxis erheblich darüber. Aber sie können auch sehr gleichmäßige und relativ geringe Leuchtdichten von 4.000 cd/m2 und geringer aufweisen. LED-Videoleinwände für den Außenbereich können bei einer Größe einer Hauswand 7.500 cd/m2 erreichen.
Wie sinnig ist es, moderne Leuchtmittel des 21. Jahrhunderts mit Methoden aus der ersten Hälfte des 20. zu bewerten? Zumal noch nie versucht wurde, die früher entwickelten Verfahren zu validieren. Ich habe hier drei Quellen angeführt, die zeigen, dass eine Validierung nicht erfolgen kann. Dass man diese Aussage auch ohne eine Studie treffen kann, kann man daraus ableiten, dass Lichtplanungssoftware wie Relux oder DIALux mit photometrischen Daten arbeiten, die es nicht erlauben, ungleichmäßige Leuchtdichten von Leuchten zu berechnen, weil die Daten nicht vorliegen können.
Wenn man sich vor die Augen hält, dass Edison vor der Entwicklung der Glühlampe sich vorgenommen hatte, eine Lichtquelle zu erfinden, die nicht blenden wird, kann man sich nur wundern.
Psychologische Blendung ist extrem bedeutsame Eigenschaft der künstlichen Beleuchtung, aber ein schlecht verstandener Begriff. Die in der Praxis eingesetzten Verfahren sind veraltet und nachweislich nicht valide.
Warum sich die Forschung auf der Stelle dreht
Lichtforschung tritt auf der Stelle, weil …
Forschen ist ein unermüdliches Suchen nach Erkenntnis … So könnte man die Aufgabe der Wissenschaft umschreiben, die den Menschen schon bewusst war, bevor sie das Wort Wissenschaft erfunden hatten. „Felix, qui potuit rerum cognoscere causas“ (Glücklich, wem es gelang, den Grund der Dinge zu erkennen) stand in der Georgica von Vergil, bevor unsere Zeitrechnung begonnen hatte. Vor dem Erkennen des Grunds der Dinge muss die Wissenschaft aber den Dingen auf den Grund gehen. Rerum cognoscere causas ist daher der Leitspruch vieler, die diesem Ziel verfolgen, so auch von unserem Institut.
Den Grund der Dinge zu erkennen bleibt aber denen versagt, wenn sie die falsche Methode wählen oder gar mit der Absicht handeln, nur Passendes zu ermitteln. Das letztere habe ich ausführlich in dem Kapitel “Die Methode Wissenschaft, mit der man Wissenschaft verhindert“ dargestellt, das sich nicht nur auf die Wissenschaft um Licht bezieht. Hier sollen die Gründe erläutert werden, die die Lichtforschung davon abhalten, tiefere Einsichten in Sachen Blendung zu gewinnen. Zu nennen ist u.a.
- Konzeptionelle Mängel grundsätzlicher Art;
- Fehlen eines übergeordneten Ziels, weil Vermeiden von Blendung zu wenig bedeutet;
- Vielzahl von Erscheinungen mit demselben Effekt, die unberücksichtigt bleiben;
- Unzureichendes Ziel der Sehleistung, das das Farberkennen ignoriert;
- Gefährden statt nützen, wenn unsinnige Anforderungen gestellt werden;
- Etablieren eines Gütemerkmals, das seinem eigenen Ziel widerspricht.
Es wurde zwar anerkannt, dass man nach 100 Jahren Forschung über Blendung weit davon entfernt ist, ein schlüssiges Konzept gefunden zu haben.10Stephan Völker: Blendung – Ein Rückblick über 100 Jahre Forschung. Licht 2012 Gemeinschaftstagung Statt neue Konzepte zu suchen, wird aber in der Lichtforschung immer wieder auf die alte Blendskala zurückgegriffen, damit neue Ergebnisse mit alten verglichen werden können. Dabei steckt das Problem in dieser Skala.
Grundsätzliche Mängel im Konzept
Wenn man eine bestimmte Erscheinung empirisch, also durch Versuche unter Beteiligung von Menschen, erforschen möchte, muss man diese so benennen, dass die Probanden genau verstehen, was man meint. Das klingt plausibel, gestaltet sich aber so einfach nicht. So kann man beispielsweise beim Erforschen der unangenehmen Wirkung von Luftzug am Arbeitsplatz Schiffbruch erleiden, weil Menschen einen Luftzug auch dort verspüren können, wo sich kein Lüftchen bewegt. Viel schlimmer fällt eine Beurteilung der Temperaturen von Objekten in einem Arbeitsraum aus. Man wird dabei immer wieder feststellen, dass Flächen mit der gleichen Temperatur sehr unterschiedlich bewertet werden. Den Grund kennen im Prinzip viele. Wenn man sie richtig befragt, nennen sie ihn auch, Holz fühlt sich wärmer an als Metall, Wolle wärmer als Seide. Wenn sich alle vier Materialien im selben Raum befinden, haben sie aber stets die gleiche Temperatur. Sie fühlen sich halt anders warm an... Aber warm bedeutet nur vermeintlich Temperatur.
Was tun? Deklarieren etwa, dass Menschen Temperaturen nicht richtig empfinden können? Das hier angerissene Problem beschäftigt die Klimatechniker schon über ein halbes Jahrhundert. Aber die Sache mit der Blendung ist viel älter. Bei dieser kann man aber die Ursachen dafür, dass man nicht weiter kommt, methodisch ganz gut analysieren. Manche davon sind unter den Fachleuten bekannt, andere allerdings kaum. Denn unsere Gesellschaft kümmert sich kaum um Licht, schon gar nicht um Dinge wie Blendung. Die kennt man doch!
Das einzige mir bekannte größere öffentlich geförderte Forschungsprojekt über Blendung durfte ich vor über 50 Jahren selbst ausführen. Es wurde aber nicht aus lauter Liebe zur Wissenschaft bewilligt, sondern weil eine Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland anstand und befürchtet wurde, die Beleuchtung, die das Fernsehen forderte, würde die Zuschauer blenden und so aus den Stadien treiben. Selbst massive Beschwerden über Kfz-Scheinwerfer, „Dränglerlicht“, bewegte aber bis heute den Staat nicht dazu, das Blendungsproblem gründlich untersuchen zu lassen, obwohl das Problem nicht geringeres als die Verkehrssicherheit beeinträchtigen soll.
Auch heute geht man davon aus, wie einst Edison auch, dass Blendung etwas Negatives bedeutet. Zweifellos kann man grellen Scheinwerfern vom Gegenverkehr nachts kaum etwas Positives abgewinnen. Woher weiß ich aber bei einem Laborversuch, dass meine Probanden auch dasselbe meinen? Vor allem ist es wichtig zu wissen, aus welchem Grund diese etwas negativ finden. Denn eine Blendungsuntersuchung ist keine Meinungsforschung, auch wenn die Mittel die gleichen sind. Man will Probleme finden, die die Benutzer für wichtig halten, und diese auch bei der Gestaltung der Beleuchtung vermeiden, und nicht, was der Forschende als Problem postuliert hat.
Blendung wird seit mehreren Jahrzehnten mit der sog. de Boer-Skala11Die Skala wird nach dem Lichttechnikprofessor J.B. de Boer benannt. Sie wurde in ähnlicher Weise von anderen Forschenden auch benutzt. Die hier abgebildete Version musste gegenüber der Originalversion von de Boer umgedreht werden, weil die Probanden sie nur schwer verstehen konnten. Ursprünglich hieß es „1= unerträglich“ bis „9 = keine Blendung“. Insbesondere bei der Mitte der Skala gab es große Verständigungsprobleme. Eine Skala, die links mit dem höchsten Wert anfängt, um rechts mit Nichts zu enden, verstehen Menschen trotz Erklärung und Instruktion nicht. untersucht, die unten abgebildet ist. Sie hat neun Stufen, von denen fünf eingetragen sind. Diese wurde in ähnlicher Form aber mit weniger Schritten bei vielen Studien verwendet. Sie weisen aber allesamt die gleichen zwei Mängel auf.
Mangel 1: Die Skala beginnt mit „unmerklich“ und setzt sich ins Negative fort. Das setzt voraus, dass die Probanden unter Blendung dasselbe verstehen, was der Untersucher denkt. Dazu müsste das Ergebnis validiert werden. Beurteilt der Proband wirklich nur, was sich negativ auf ihn wirkt? Und was wirkt sich negativ auf den Probanden ein?
Mangel 2: Die Stufen werden nach dem Wunsch der Untersucher benannt, dass in der Mitte der Skala mit „gerade zulässig“ genau das Gewünschte steht. Man sucht nämlich die „negativ“ wirkenden Eigenschaften, die gerade zulässig sein sollen. Dieser Punkt heißt im Englischen „BCD“, was so viel bedeutet wie „between comfort and discomfort“. Man müsste aber auch dies validieren. Was bedeutet die Phrase „gerade zulässig“ für die Probanden im Straßenverkehr oder im Büro, was bedeutet das Ergebnis für Menschen, die unter einer Beleuchtung arbeiten müssen, deren Störung „man“ als gerade zulässig erachtet, aber viel lieber los werden würde?
„Man“ hierbei kann verschiedene Bedeutungen haben. So haben die Forschenden Luckiesh und Guth postuliert, 70% der Betroffenen bzw. mehr müssten diesem Urteil zustimmen.12Luckiesh and Guth sprechen von VCP = visual comfort probability”, was die Wahrscheinlichkeit von Urteilen mit BCD bedeutet, also between comfort and discomfort. Forscher im deutschsprachigen Raum haben das Wort comfort als „Komfort“ übersetzt. Dieses Wort ist ein typischer falscher Freund. Was deren Bewertung in RUG bedeutet, kann man aber nicht präzise sagen. Die einzige durch drei Professoren akzeptierte Zahl besagt, dass die auch in Deutschland gültige Norm DIN EN 12464-1 für Büros einen Wert von 19 vorgibt, der einem VCP von 65% entspricht. D.h. 65% der Probanden erachten eine Beleuchtung für „gerade zulässig“. Man kann auch behaupten, die fänden sie noch nicht störend.13Diss Funke, S. 19, zitiert aus Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Das UGR-Verfahren zur Bewertung der Direktblendung der künstlichen Beleuchtung in Innenräumen, LiTG-Publikation Nr. 20:2003, LiTG: Berlin, 2003. Eine Wahrscheinlichkeit von 65%, dass Probanden gerade nicht gestört werden, scheint gering. Wenn aber die Zahl 65% bedeutet, dass dieser Prozentsatz an Menschen eine Beleuchtung angenehm findet, ist der Befund recht gut. Deswegen kommt es auf die Bedeutung der Begriffe auf der Skala an.
Nach dem EU-Recht ist eine solche Festlegung nicht einmal gerade noch zulässig, sondern illegal.14Auch ein Forschungsprojekt der BAuA, das sich mit Blendung befasst, kommt zu dem Schluss, dass diese eine Störung des physischen bzw. mentalen Zustandes im Sinne der Gesundheitsdefinition der WHO, Weltgesundheitsorganisation, darstellt. Reidenbach, H.-D. u.a. Blendung durch optische Strahlungsquellen, Forschungsprojekt F 2185, Dortmund/Berlin/Dresden 2008, S. 14 Denn Blendung stellt nach allgemeiner Auffassung in der Lichttechnik eine psychische Belastung dar, daher auch der Name. Und wie viel Belastung man Arbeitnehmern in der EU zumuten darf, dürfen nur die Staaten bestimmen. Daher lautet das nationale Vorwort in DIN EN 12464-1: „Sicherheit und Gesundheitsschutz - Grundsätzliche Anforderungen an die Beleuchtung hinsichtlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit werden in Deutschland nicht in dieser Norm, sondern in der Arbeitsstätten- verordnung (ArbStättV) geregelt. Die allgemeinen Anforderungen der ArbStättV hinsichtlich Beleuchtung werden in der Arbeitsstättenregel ASR A3.4 „Beleuchtung“ weiter konkretisiert.…“ In ASR A3.4 ist aber weder etwas von UGR noch RUG bekannt.
Der genannte Fakt stellt keine Formalie dar, denn alle Blendungsuntersuchungen stammen aus Laborstudien ohne eine echte Arbeitsbelastung und Sehaufgabe.15Bild aus Carsten Funke Blendungsbewertung von LED-Leuchten in Innenräumen, Dissertation, Schriften der Ilmenauer Lichttechnik, Band 21, 2017. Mehr und Download hier Und dieser Mangel ist in der Branche sehr lange bekannt. 16 Das Gremium, das die LiTG-Publikation 20 zu der UGR-Methode schrieb, hat detailliert dargestellt, unter welchen Bedingungen die Blendungsbewertung überhaupt gilt. Hierbei wird nicht nur darauf hingewiesen, dass wichtige Arbeitsfaktoren wie Ermüdung oder Motivation nicht erfasst sind, sondern dass man sie auch in der Zukunft überhaupt nicht berücksichtigen kann: „…Andere Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden am Arbeitsplatz wie zum Beispiel Ermüdung oder Motivation gehen deshalb nicht in den UGR-Wert ein. Bei der großen Streuung der Blendurteile, die in allen Untersuchungen zur psychologischen Blendung auftreten, wird es auch in Zukunft schwierig sein, das Gewicht der in diesem Abschnitt aufgeführten Einflußgrößen zu quantifizieren.“ LiTG Das UGR – Verfahren zur Bewertung der Direktblendung der künstlichen Beleuchtung in Innenräumen, Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e.V., Publikation 20: 2003, S. 59 Was die Branche nicht kennt, aber jeder arbeitende Mensch, ist dass Dinge, die man unter günstigen Umständen spielend erträgt, bei einer hohen Arbeitsbelastung zum echten Stress werden können.
Dennoch wird heute noch versucht, mit Laborversuchen dem Phänomen psychologische Blendung näherzukommen. In den Versuchen wird aus technischen Gründen die Haltung fixiert. Man versucht sogar, Augenbewegungen zu unterdrücken, was nie gelingen kann. Ob ein Proband bei der gezeigten Situation wirklich das bewertet, was die echten Benutzer in ihrem Arbeitsraum stören oder nicht stören wird?
Wie wenig sich in der Methodik geändert hat, zeigt ein Vergleich der Versuchsräume von Funke (2010) und Luckiesh und Guth (ca. 1947). 17Bild links Versuchanordnung von Luckiesh und Guth, veröffentlicht 1949 hier. Bild rechts Dissertation Funke. Auf dem linken Bild sieht man eine Probandin mit einer Umwelt, die eine innen beleuchtete weiße Kugel bildet. Die Bildlegende (hier weggelassen) gibt an, ihre Augen wären exakt in der Mitte der Kugel platziert. Über 60 Jahre später ist der Versuchsraum etwas realitätsnaher, die Fixierung der Arbeitshaltung jedoch gleich. Kann man annehmen, dass Menschen bei dieser Haltung und in diesem Setting „comfort“ beurteilen können?
In solchen Versuchen wird aus versuchstechnischen Gründen die Haltung fixiert. Man versucht sogar, Augenbewegungen zu unterdrücken, was nie gelingen kann. Ob ein Proband bei der gezeigten Situation wirklich das bewertet, was die echten Benutzer in ihrem Arbeitsraum stören oder nicht stören wird?
Dass es dem so nicht sein kann, hätte man den Gutachten entnehmen können, die in den 1960ern und 1970ern von der LiTG in Auftrag gegeben wurden, um Beschwerden über Leuchtstofflampen abzuwehren.18Die LiTG wehrte sich gegen die Kritik an Leuchtstofflampen mit Hilfe von Gutachten von Sehphysiologen und Arbeitsmedizinern. Im Tenor lassen diese sich auf die folgende Aussage reduzieren: „die Ursachen der Beschwerden beruhen nicht auf den Eigenschaften der Lampen und dem Konzept der künstlichen Beleuchtung. Sie lassen sich vielmehr auf eine unzweckmäßige Installation der Beleuchtungsanlage, auf eine mangelhafte Korrektur der Augen und auf Sehanforderungen zurückführen, denen der Mitarbeiter auch bei bester Korrektur nicht gerecht werden kann.“ (Hartmann und Müller-Limmroth, 1981). Hartmann, E.; Müller-Limmroth, W.: Stellungnahme zur Frage der Verträglichkeit des Leuchtstofflampenlichtes. LiTG, Karlsruhe, 1981 So haben beispielsweise der Sehphysiologe Hartmann und der Arbeitsmediziner Müller-Limmroth eindeutig ausgesagt, die Beschwerden stünden in Verbindung von unsachgemäßer Ausführung der Beleuchtung und mit ungenügender Korrektur der Augen. Insbesondere betonte Hartmann, dass Menschen mit Sehaufgaben beschäftigt würden, die ihre Sehfähigkeit überforderten. Daher könne man das Licht der Leuchtstofflampen nicht als solches für die Beschwerden verantwortlich machen.
Man muss solche Aussagen nicht glauben, aber man darf sie auch nicht als unberechtigte Beschwichtigung abtun. Umfangreiche Arbeitsstudien in der Praxis, die im Rahmen des Projekts Licht und Gesundheit durchgeführt wurden, haben die Argumente bestätigt.19Das Projekt Licht und Gesundheit bestand aus vielen Betriebsprojekten mit insgesamt 2000 Probanden, in denen die Wirkung von Beleuchtung unter realen Arbeitsbedingungen ermittelt wurde. Dass alle festgestellten negativen Wirkungen mit dem Leuchtstofflampenlicht zusammen hängen, verwundert nicht, weil praktisch alle Arbeitsplätze damit beleuchtet waren. Daraus zu postulieren, dass die Leuchtstofflampe schuld an den Sehbeschwerden wäre, war zwar naheliegend, aber dennoch unsinnig. Solche Fehler aus statistischen Betrachtungen kommen häufiger vor als gedacht. In manchen Statistikbüchern wird als Beispiel hierfür die Abnahme von Geburten um Bremen als Folge der Abnahme der dort nistenden Störche angeführt. Um eine solche Annahme zu prüfen, Leuchtstofflampenlicht für zu Sehbeschwerden, muss man alle Faktoren prüfen, die mit wirksam sein können. So wurden z.B. die Argumente von Hartmann und Müller-Limmroth geprüft, die schlecht geplante Beleuchtungen, schlecht angepasste Augen und unzuträgliche Sehaufgaben für die Beschwerden verantwortlich gemacht hatten. Zu diesem Zweck wurden das Sehvermögen der Teilnehmer geprüft, die Beleuchtung optimiert und die Sehaufgaben kontrolliert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Betrug die Akzeptanz der Beleuchtung im negativsten Fall nur 20%, konnte man dies bis 90% steigern. Und dies unter schwierigen Einsatzbedingungen. Das Ergebnis wurde nicht nur in einem besonders günstigen Fall erzielt, sondern in einer Reihe von Betriebsprojekten. Hierfür wurden noch einmal 1500 Arbeitsplätze untersucht. Im Übrigen, die Überprüfung der Augen, die mit diesem Projekt begonnen hatte, wurde von den deutschen Berufsgenossenschaften als „Vorsorgeuntersuchung G37 für die Bildschirmarbeit“ übernommen. Für alle Beschäftigten muss der Arbeitgeber eine sogenannte Angebotsvorsorge anbieten, eine arbeitsmedizinische Vorsorge, die der Arbeitgeber Ihnen bei bestimmten gefährdenden Tätigkeiten anbieten muss. Wenn ein Unternehmen Mitarbeiter hat, die im Büro mit einem Bildschirm arbeiten, muss ihnen eine solche Untersuchung auch unbedingt angeboten werden (§5 ArbMedVV).
Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine negative Bewertung einer Lichtsituation ohne Sehaufgabe und Arbeitsbelastung nicht aussagefähig sein kann. Aber das versuchen die Blendungsstudien ja zu ermitteln. Dabei wissen nicht nur Arbeitswissenschaftler, sondern auch Laien, dass sich mehrere Faktoren, die jeder für sich erträglich sind, sich insgesamt zu einer unerträglichen Gesamtbelastung steigern können. Eine in den 1970ern durchgeführte Studie zum Zusammenhang von Blendung und Lärm zeigte, dass jede Belastung höher bewertet wird, wenn in einer Situation die andere ebenfalls vorhanden ist. Der schwedisch Psychologe Östberg hat durch Experimente gezeigt, dass eine Erhöhung der Blendung bei konstant gehaltener Qualität der Sehaufgabe sich in einer subjektiv höher eingeschätzten Schwierigkeit der Sehaufgabe niederschlägt. Im umgekehrten Versuch führte die Erhöhung der Schwierigkeit der Sehaufgabe bei konstant gehaltener Blendung zu einer subjektiv höheren Einschätzung der Blendung.20Östberg, 0.: Towards Standards and Threshold Limit Values for Visual Work. In B. Tengroth & D. Epstein, Current Concepts in Ergophtalmology, Stockholm, 1979 Im Grunde genommen, benötigt man weder Sachverstand noch Psychologie, um sich vorzustellen, was das heißt.
Der zweite Mangel, den ich erwähnte, ist noch grundsätzlicher. Hierbei geht es darum, ob die Probanden wirklich Blendung i.S. des Versuchs bewerten, also eine negative Wirkung von leuchtenden Flächen im Gesichtsfeld, die mit ihrer Größe und Position variiert. Diese Frage habe ich versucht zu klären, indem ich die physikalischen Verhältnisse eines real existierenden Fußballstadions in ein Modell übertrug. Die Ergebnisse stimmten vollständig mit den Erwartungen überein, die man aufgrund der Blendungsformel von Guth aufstellte. Um die Erkenntnisse zu validieren, wiederholte ich dann den Versuch in dem realen Stadion mit echten Zuschauern. Die Ergebnisse des Modellversuchs wurden in dieser Studie bestätigt. Üblicherweise hört man an diesem Punkt auf.
Mir gefiel aber die Sache nicht, weil das Ergebnis zu gut passte. Man hätte unterstellen können, dass diesen etwas nachgeholfen worden wäre. So wurde später der Versuch an der gleichen Stelle im gleichen Stadion wiederholt, diesmal während eines echten Fußballspiels. Da zeigte sich, dass die Menschen in diesem Fall die (messbare21Die wichtigste lichttechnische Größe, die das Verfolgen von kleinen, schnellen Objekten (Ball) beschreiben hilft, ist der Kontrast zum Hintergrund. Dieser variiert auf einem Fußballfeld, weil man die Scheinwerfer nicht immer präzise ausrichten kann. Die subjektive Bewertung der Zuschauer wurde zu der Höhe und der Schwankung der Kontraste gegenüber gestellt.) Güte der Sehbedingungen beurteilen. Zudem hat ein negatives Urteil hat kaum etwas mit der Position der Scheinwerfer zu tun, sondern mit solchen Sehbedingungen, die das Verfolgen des Spiels erschweren.
In allen Fällen hatte ich einen Fragebogen benutzt, der zum einen die Blendung mit der oben gezeigten Skala abfragte, und zum anderen Aspekte wie gutes Sehen, Annehmlichkeit der Architektur des Stadions und Funktionalität der Beleuchtung bewerten half. Die „Blendung“, gemessen mit der de Boer-Skala, entsprach im Laborversuch tendenziell mit der Bewertung „angenehm – nicht angenehm“ überein. In der Realität mit vorhandener, bewertbarer Sehaufgabe hatte sie nichts damit gemein.
Die empirische Blendungsbewertung trägt schwer an den grundsätzlichen Problemen der lichttechnischen Forschungsmethodik. Man versucht, physikalische Größen auf ihre Wirkung auf Menschen zu untersuchen und lässt dabei die Bedeutung des Gesehenen stets völlig außen vor. So hantiert man mit Helligkeiten (Leuchtdichten), aber nicht mit Farben, obwohl Helligkeiten und Farben oft miteinander korreliert sind. Mit weißem Licht wird man eine rote Fläche nie so hell bekommen wie eine weiße. Aber eine rote Wand in einer Wohnung wird immer auffälliger sein als eine weiße. Ob sie stört, ist bestimmt keine Frage ihrer Helligkeit. Weiße Wände stören die meisten Menschen nicht, weil sie sich solche wünschen. Hingegen würden Räume mit nur roten Wänden fast alle stören, aber nicht wegen ihrer Helligkeit.
Die Bedeutung von Farben, die somit außen vor gelassen wird, ist allerdings bei verschiedenen Kulturen derart unterschiedlich, dass selbst innerhalb der europäischen Kultur so große Diskrepanzen herrschen, dass die Beleuchtungsnorm EN 12464-1 davon absieht, Lichtfarben anzugeben: „Die Wahl der Lichtfarbe ist eine Frage der Psychologie, der Ästhetik und dem, was als natürlich angesehen wird. Die Auswahl hängt von der Beleuchtungsstärke, den Farben des Raums und der Möbel, dem Umgebungsklima und der Anwendung ab. In warmen Klimazonen wird im Allgemeinen eine kühlere Lichtfarbe bevorzugt, wohingegen in kaltem Klima eine wärmere Lichtfarbe bevorzugt wird.“ Wie man bei dieser Sachlage von psychologischer Blendung sprechen kann, ist nicht nur mir ein Rätsel. Weder können Menschen die Wirkung von Helligkeiten von der von Farben extrahieren, noch kann irgend ein Fachmann erklären, warum die denn das tun sollen.
Die Blendungsbewertung, wie sie in der Lichttechnik seit ihrer Entstehung praktiziert wird, ist mindestens zweideutig. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Ergebnisse eine irgendwie geartete Aussagefähigkeit besitzen, geht gegen Null. Die experimentelle Methode, nach der sie ermittelt wurde, kann nachweislich nicht funktioniert haben. Wie Versuche zur Validierung gezeigt haben, hat sie auch nicht funktioniert. Sie liefert aber das einzige Kriterium zur Akzeptanz einer Beleuchtung.
So nimmt es nicht Wunder, dass Planer ihre eigene Meinung zu Blendung haben. Leider werden sie sehr selten bei Beleuchtungsprojekten herangezogen.
Ist Vermeiden von Blendung genug?
Die Blendungsbewertung wurde einst ausgedacht, um eine neue Lichtquelle, die Leuchtstofflampe, so einzuführen, dass sie sich in der Arbeitswelt nicht unangenehm auswirkte. Das ist zweifellos ein wichtiger Anspruch. Diesen bezeichnet der englische Name der Erscheinung besser als der deutsche. Die „psychologische“ Blendung heißt auf Englisch nämlich „discomfort glare“. Discomfort ist das Gegenteil von „Comfort“. Wer aber sagt, dass diese beiden Empfindungen echte Gegensätze sind? In der Ergonomie, z.B. bei der Bewertung von Klima oder Luftfeuchte, wird nicht eine Empfindung erfasst. Man erfasst die Zufriedenen und die Unzufriedenen gleichzeitig. Um „comfort“ zu erreichen, müssen die Zufriedenen einen hohen Prozentsatz erreichen. Gleichzeitig muss die Zahl der Unzufriedenen unter einem Wert bleiben, damit „discomfort“ vermieden wird.
Das erfolgt, weil es nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Umweltbedingung zwar stört, aber trotzdem recht angenehm wirkt? Wenn wir uns an die Kerzen beim candle light dinner erinnern, können wir diese Vorstellung gut verstehen. Sie beleuchten, blenden aber dabei, aber die Beleuchtung passt zum Anlass, und keiner merkt großartig, dass es da eine Störung gibt.
Eine solche Situation stellt keineswegs einen Einzelfall dar. So sind z.B. die Bremslichter von Autos dafür gedacht, dass sie einen blenden und damit stören. Jedem gestörten Autofahrer ist aber bewusst, dass der Verkehr ohne diese Störung nicht funktionieren kann. Somit regt man sich als Autofahrer zwar über falsch eingestellte Scheinwerfer auf, aber nicht über Bremslichter. Blenden tun aber beide. Fast ähnlich haben die Probanden in meinem Modellversuch mit dem Fußballstadion reagiert. Sie fühlten sich mehr oder weniger stark nicht geblendet, statt geblendet zu werden. Denn das Fußballfeld des Modells war sichtbar schöner beleuchtet, als sie vom eigenen Stadion kannten. Die Blendungsbewertung, die ich erfasst hatte, war in Wirklichkeit eine versuchte Einschätzung der Sichtverhältnisse. Diese konnten meine Probanden aber nicht richtig einschätzen, weil nichts zu sehen war außer einem wunderbar gleichmäßig beleuchteten schönen Kunstrasen und leeren Tribünenattrappen.
Man kann daraus zwei Lehren ziehen:
- Man darf nicht postulieren, dass eine Blendungsbewertung nur Negatives erbringen soll. Man muss Positives wie Negatives abfragen, und das Urteil dem Probanden überlassen.
- Die Menschen beurteilen das Licht in ihrem Arbeitsumfeld nicht nach einem einzigen Kriterium, sondern sie wägen fühlbare Vorteile gegen empfundene Nachteile ab.
Die Lehre, dass man unter Blendung nicht nur Negatives postulieren soll, wird sogar durch physiologische Untersuchungen bestätigt, die zeigen, dass ein gewisser Grad an Blendung die Aktivierung erhöht. Dass das Vermeiden von Negativem allein nicht zu einer angenehmen Umgebung führt, versteht sich von selbst. Zudem wird Blendung ja nicht vermieden, sondern begrenzt. Wie weit diese Begrenzung reicht, dürfen nicht Hersteller von Leuchten festlegen. Präziser gesagt, dürften sie nicht einmal die Methode festlegen, mit der man die Störung misst, denn das Ergebnis wird zu einem erheblichen Teil durch die Methode selbst im Voraus festgelegt.
Was nicht als Blendung zählt, aber dennoch belastet
Eine Wirkung des der Beleuchtung, die als Blendung zählen müsste, aber eher theoretisch abgehandelt wird, ist die Reduzierung des Kontrastes auf dem Sehgut. Wird bei die physiologischen Blendung der gesehene Kontrast durch einen Schleier im Auge gemindert und dadurch das Sehen erschwert, so wird der vorhandene Kontrast auf Sehobjekten durch die Beleuchtung mit einem Schleier gemindert. Diesen kann man in bestimmten Fällen deutlich sehen. Aber i.d.R. ist dieser nicht auffällig genug.
Zunächst zum Problem selbst: Jede Oberfläche, auf die Licht fällt, reflektiert Licht entsprechend ihren Eigenschaften innerhalb bestimmter Einfallswinkel. Dieses Verhalten ist physikalisch berechenbar. Allerdings gilt dies nur bei oberflächlicher Betrachtung und genau genommen nur, wenn die Oberfläche matt ist. Diese Bedingung ist aber selten ideal erfüllt. So ist z.B. das Papier nur in der im Büro üblichen Form weitgehend matt. Die Daten, die auf dem Papier gelesen werden sollen, werden mit technischen Mitteln (Tinte, Druckfarbe) aufgebracht, die allesamt mehr oder weniger glänzen, auch der einst dominierende Bleistiftstrich. Die Wirkung zeigt das nachfolgende Bild:
Bei einem gegebenen Sehobjekt, etwa einen Text oder eine Tabelle auf dem Papier, bestimmen die Eigenschaften vom Träger (Papier) und Druckfarbe den maximalmöglichen Kontrast. Unter idealen Beleuchtungsbedingungen steht dieser dem Leser voll zur Verfügung und bestimmt, wie gut er lesen kann. Denn der Kontrast ist die wichtigste Größe für die Lesbarkeit. Dieser kann aber nicht nur verschwinden wie im obigen Bild, der kann sich sogar umkehren. Weißes Papier erscheint schwarz und schwarze Druckfarbe dafür weiß. Zwischen dem normalen Erscheinungsbild und dem verkehrten liegen verschiedene Stufen. So kann eine Vorlage, die bei geeigneter Beleuchtung wie links ausschaut, ihre Erscheinung bis zur Unkenntlichkeit ändern (rechts).22Bild vergrößert aus Kaufmann, C. (Hrsg.), IES Lighting Handbook, Illuminating Engineering Society, Baltimore, 1972
Dieser Effekt war spätestens zum Zeitpunkt der Drucklegung der Quelle des Bildes in 1972 bekannt. In Wirklichkeit gab es schon damals nicht nur eine Methode, ihn ganz oder teilweise zu vermeiden, indem die Beleuchtung zweckmäßig gestaltet wird. Für den Fall, dass dies aus welchen Gründen immer nicht möglich ist, kann man die „Güte“ einer vorliegenden Beleuchtung rechnerisch ermitteln.
Sehr dumm, dass man auf diese Weise auch feststellen kann, wie wirksam eine Beleuchtung die Sehleistung wirklich fördert. Da wäre es vorbei mit der Vorstellung, dass 200 lx doppelt so viel sind wie 100 lx. In Wirklichkeit nimmt die Sehleistung bei einer geringen Beleuchtungsstärke mit jeder Steigerung spürbar zu, bei höheren Beleuchtungsstärken aber immer weniger. Wenn man zu diesem Zweck auch noch die technischen Eigenschaften der Beleuchtung ungünstig ändern muss, kann es sein, dass mehr Licht = weniger Sehleistung bedeutet. Allgemein gilt, dass die Sehleistung bei ungünstigen Verhältnissen (wenig Licht, zu kleiner Kontrast, zu kleine Zeichen) praktisch nicht vorhanden ist. Dies ändert sich mit günstigeren Verhältnissen zunächst sehr stark, bis ein gewisses Maximum erreicht ist. Die Sehleistung lässt sich aber nicht beliebig steigern. Irgendwann wird sie wieder geringer. So kann man bei 5 lx auf dem Papier viel besser lesen als bei 1 lx, bei 50 lx noch besser. Ab 10.000 lx blendet das Papier, bei vollem Sonnenschein liest sich wieder ähnlich so schlecht wie bei 5 lx. Die allgemeingültige Beziehung zwischen der Sehleistung und wichtigen Einflussfaktoren zeigt das Bild.
Die rechnerische Ermittlung der Wirksamkeit der Beleuchtung beruht auf der Erkenntnis, dass ein gleichmäßiger Lichteinfall aus allen Richtungen den höchsten Kontrast liefert, wobei der Kontrast anerkannterweise der wirksamste Faktor ist. Der Lichteinfall entspricht einer idealen leuchtenden (Halb)Kugel um das Sehobjekt herum. Nun vergleicht man die zu realisierende Beleuchtung hinsichtlich des erreichten Kontrasts (=entspricht der Sehleistung) mit der idealen und errechnet daraus, welcher Beleuchtungsstärke die so erreichte Sehleistung unter idealen Bedingungen entsprechen würde. Diese Größe heißt dann ESI bzw. Equivalent Sphere Illuminance. Auf Deutsch Kugelbeleuchtungsstärke.
Das Vorgehen ist unbestritten richtig, nur das Ergebnis fällt zuweilen verheerend aus. So hatte ich in einem Fall einer Werbeagentur berechnet, dass für die Betrachtung der dort wichtigsten Sehobjekte, Fotos auf Glanzpapier, eine Erhöhung der Beleuchtungsstärke von 300 lx auf 1000 lx etwa so gut wie eine Zunahme um 3 lx unter idealen Bedingungen wirken würde. Ein Forschungsbericht der BAuA, hat sogar noch enttäuschendere Zahlen ergeben.23Schmidt-Clausen, H.-J.; Hartge, J.E., Einflüsse gerichteter und diffuser Arbeitsplatzbeleuchtung auf die Erkennbarkeit, Bundesanstalt für Arbeitsschutz, Dortmund, 1986. Die Autoren haben u.a. gezeigt, dass ein geeigneter Lichteinfall mehr zum Erkennen beiträgt als mehrere Tausend Lux Beleuchtungsstärke.
Im normalem Leben sieht die Sache nicht so krass aus wie bei den oben genannten Fällen, aber auch nicht viel vorteilhafter für Leute, die Licht verkaufen wollen. Zudem rüttelt man damit an einer Gleichbehandlung von Tageslicht und Kunstlicht. Denn üblicherweise nimmt man an, 1 lx Tageslicht sei 1 lx Kunstlicht. Und nicht zuletzt rüttelt man auch an einer Sage aus den 1930ern, die man immer wieder auch in der aktuellen Literatur lesen kann. Diese sagt aus, dass eine Indirektbeleuchtung unwirtschaftlich sei. Und außerdem sehr eintönig.
Als Unwirtschaftlichkeit wird einem vorgerechnet, dass man mit der gleichen Lampe eine nur viel geringere Beleuchtungsstärke auf der Arbeitsfläche erzeugen kann. Rein physikalisch ist dies in Ordnung, wenn die Aufgabe der Beleuchtung nur darin bestünde, möglichst viel Licht auf eine fiktive horizontale Fläche zu bringen. Doch dies ist nicht einmal die halbe Miete. Erstens will bzw. muss man alle Raumflächen beleuchten und nicht nur den Schreibtisch. Zweitens fördert nicht alles Licht, das auf den Schreibtisch fällt, das Sehen.
Als ein Maß für die Sehleistung wird die von der Beleuchtung erzeugte Helligkeit genommen, also die Leuchtdichte. Deren Beziehung zur Sehleistung ist bekannt. Erfolgt das Sehen ohne eine Störung, gilt die eingezeichnete Kurve.
Wird die Sehleistung durch einen Kontrastverlust verringert, kann man die Beleuchtungsstärke ermitteln, die fiktiv dieser entsprechende Leuchtdichte erzeugen würde. Diese Größe wird die „äquivalente“ Beleuchtungsstärke genannt. Im Falle des eingezeichneten Beispiels beträgt sie weniger als die Hälfte des physikalisch messbaren Wertes.
Ähnlich wie hier kann man berechnen, was einer Beleuchtungsstärke von 500 lx von einer Direktbeleuchtung entspricht, wenn man sie durch eine Indirektbeleuchtung ersetzen würde. Auch mit Tageslicht kann man so verfahren, das ebenfalls ähnlich wie eine Indirektbeleuchtung wirkt. Eine solche Berechnung hat Petry in seiner Dissertation aufgestellt, um den Bedarf von Tageslicht bei einer gegebenen Sehaufgabe zu ermitteln.24Petry; K.: Zur Bewertung der Mindestbeleuchtungsstärke und der Nutzungszeit von tageslichtorientierten Arbeitsplätzen mit Hilfe des Kontrastwiedergabefaktors und der äquivalenten Kugelbeleuchtungsstärke, 1983, Dissertation, TH Darmstadt Das ist bei der Hälfte der künstlichen Beleuchtungsstärke der Fall. Soll man für eine Sehaufgabe 500 lx bei Direktbeleuchtung benötigen, sieht man bei der Indirektbeleuchtung mit 250 lx etwa gleich gut.
Zur Berechnung zieht man den sog. Kontrastwiedergabefaktor heran. Dieser gibt Auskunft über die Kontrastminderung bei einer gegebenen Beleuchtung im Verhältnis zu einer Beleuchtung aus einer Halbkugel. Man kann diesen Effekt für alle Punkte eines Arbeitsraums berechnen. Warum tut man das aber nicht? Am Unwissen kann es jedenfalls nicht liegen. Der Autor Petry ist ein bekannter Gutachter für Beleuchtung und seine Arbeit wurde vor exakt 40 Jahren veröffentlicht. Das ESI-Verfahren ist noch älter und wurde von der größten lichttechnischen Gesellschaft der Welt entwickelt. Ein anderer bekannter Lichttechniker, Helmut Range, hat vor 33 Jahren den Kontrastwiedergabefaktor als ein Gütemerkmal für die Innenraumbeleuchtung beschrieben.25Range, H.D., Der Kontrastwiedergabefaktor CRF - ein Gütemerkmal der Innenraumbeleuchtung, Staff GmbH, Lemgo, 1990 Last not least, die LiTG hat kurz danach eine ihrer wenigen Veröffentlichungen gerade zu diesem Thema herausgegeben.26LiTG - Fachausschuss "Innenbeleuchtung" (Hrsg.), Der Kontrastwiedergabefaktor CRF - ein Gütemerkmal der Innenraumbeleuchtung, Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e.V., Berlin, 1991, Autoren Breitfuß, Egger, Kramer, Kupsch, Prodell, Range, Roddewig, Schmits, Seifert, Stockmar, Thiekötter, Zieseniß
Das Ergebnis für den arbeitenden Menschen: Fast ein halbes Jahrhundert nach Kenntnis und Beschreibung eines Problems samt Lösungsmöglichkeit lebt man dauerhaft in einer Situation, die ähnlich wie Blendung das Sehen behindert, die man aber nicht bewusst wahrnehmen kann. Wohlgemerkt, die Fachleute, die das Problem kennen und die Lösung beschrieben haben, gehören zu denen, die lichttechnische Normen erarbeiten.
Wenn nur ein Bruchteil des Arbeitsraums benutzbar ist
Dass die lichttechnische Industrie kein Interesse an dem ESI-Verfahren und dem Kontrastwiedergabefaktor als ein Gütemerkmal verspürt, liegt nicht an einer Nachlässigkeit bzw. am Ignorieren einer Nebensächlichkeit. Würde man den Kontrastwiedergabefaktor für die gesamte Fläche eines Arbeitsraums berechnen, würde sich herausstellen, dass die Beleuchtung für den größten Teil der Fläche nicht besser funktioniert als eine Beleuchtung mit ein paar Lux unter idealen Bedingungen. Das ist nicht etwa eine theoretische Überlegung, sondern sogar mit Normen belegbar, die die lichttechnische Industrie selbst erarbeitet.27Deutsche Normen werden von Gremien erarbeitet, in denen die interessierten/betroffenen Kreise hinreichend vertreten sein sollten. Dies wird in jeder Sitzung nachgeprüft. Für den Fachnormenausschuss Lichttechnik ergab diese Überprüfung im Jahr 2022 folgende Zahlen: 4% Arbeitsschutz, 5% Anwender, 7% Öffentliche Hand, 71% Industrie, 12% Wissenschaft und Forschung. @ abgerufen 22.02.2023
Für Arbeitsstätten wurde, wie bereits erläutert, empfohlen, in der Regel eine Allgemeinbeleuchtung vorzusehen, d.h. eine gleichmäßige Beleuchtung, die an allen Stellen des Arbeitsraumes etwa gleiche Sehbedingungen schafft. Die in den Normen gegebenen Informationen und eingezeichneten Arbeitsräume sprachen aber eine andere Sprache. So sollten nach DIN 5035-7 die Arbeitsplätze angeordnet werden:
Der rechte Raum wurde aus dem Normenentwurf entfernt, als wir beanstandeten, dass es solche Räume in deutschen Büros nicht gibt. So blieb der linke Raum in der endgültigen Fassung der Norm. Ihre Größe lässt sich in etwa aus den Abmessungen der Tische (ein Schreibtisch ist 1600 mm breit) bzw. dem üblichen Abstand der Leuchtenreihen (ca. 2500 mm) abschätzen.
Etwa ein Drittel des Raums wird für Schreibtische reserviert, weil das Tageslicht die Bildschirme stören würde. Man kann diese zwar entspiegeln, aber dann braucht man diese Norm nicht. Alle Arbeitsplätze müssen zwischen den Leuchtenreihen platziert werden, damit die Leuchten den Kontrast nicht mindern. Dass dann nicht viel Platz übrig bleibt, hatten wir den Normern vorgerechnet. Das Ergebnis sah so aus:
Wenn das die störenden Elemente aus dem Bild links entfernt, sieht man deutlich den Anteil der Raumfläche, der besiedelbar wäre, wenn man eine Allgemeinbeleuchtung realisiert. Das ist aber keine Allgemeinbeleuchtung, wie eine Studie der Universität Karlsruhe auch festgestellt hat. Danach lässt sich eine Allgemeinbeleuchtung nur mit einer Indirektbeleuchtung realisieren.
Kein Unternehmen kann sich leisten, einen solchen Unsinn umzusetzen. Sollte es doch eine Firma geben, die die Kosten tragen will, wird die Belegschaft nicht mitspielen. Was passiert, wenn die Beleuchtung verspricht, etwas Bestimmtes zu sein, ohne tatsächlich die dazu notwendigen Eigenschaften aufzuweisen, wurde von verschiedenen Forschenden in vielen Ländern untersucht. Ein typisches Verhalten im Falle von nicht beeinflussbaren Beleuchtungen war das Entfernen von Lampen, notfalls mit einem Besenstiel. Alan Hedge, Autor von vielen großen Studien zu sick building syndrome, hat in Betriebsstudien folgende Verhaltensweisen ermittelt28Hedge, A.: The Cornell University Study, Cornell University, Ithaca, NY, 1990, Daten aus Çakir, A., Çakir, G., Licht und Gesundheit - Eine Untersuchung zum Stand der Beleuchtungstechnik in deutschen Büros, Ergonomic, Berlin, 1998:
Von den Benutzern getroffene Maßnahmen zur Verbesserung der visuellen Umgebungsbedingungen | Indirekt- beleuchtung | Direkt-beleuchtung |
Lampen entfernt, um weniger Licht zu erhalten | 15% | 66% |
Lampen entfernt, um Reflexblendung auf Bildschirmen zu reduzieren | 12% | 55% |
Computer umgestellt, um Reflexblendung auf Bildschirmen zu reduzieren | 34% | 72% |
Arbeitstisch umgestellt, um weniger Licht zu erhalten | 10% | 24% |
Beleuchtung meistens abgeschaltet, um Reflexblendung auf Bildschirmen zu reduzieren | 10% | 39% |
Solche Verhaltensweisen lassen sich praktisch in jedem Land feststellen. Hinweise dafür, dass sich die Lichttechnik ernsthaft damit beschäftigt hätte, muss man lange suchen. Dabei war es eine lichttechnische Gesellschaft, die sehr früh auf diesbezügliche Vorteile der Indirektbeleuchtung verwies und hierfür eine Sondertagung in 1981 (!) in Wien veranstaltete.29LTG, die Lichttechnische Gesellschaft Österreichs, veranstaltete im Jahr 1981 eine Sondertagung zum Thema Indirektbeleuchtung in Wien, die ich leiten durfte. Hierbei wurden die heute bekannten Vorteile dieser Beleuchtung diskutiert. Obwohl dabei auch thematisiert wurde, dass dies nicht die einzig denkbare Lösung wäre, wurde in Deutschland eine gegenüber den üblichen Beleuchtungen noch ungünstigere Direkt-Beleuchtung mit tiefstrahlenden Leuchten genormt und in den Markt gepresst. Hierzu wurde auch der Arbeitsschutz instrumentralisiert.
Falsche Farben – Ungesunde Umgebung
Was ich hier meine, kann man in vielen Betrieben sehen, wo Menschen Farben am Bildschirm nicht nur grob unterscheiden, sondern richtig und schnell erkennen müssen. Das ist z.B. der Fall bei Konstrukteuren, die an CAD-Systemen arbeiten. Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Arbeit bei graphischen Betrieben. Bei Bearbeiten von farbigen Bildern müssen nicht nur Details erkannt werden, sondern eine harte Aufgabe gelöst: am Bildschirm erkennen, was später gedruckt wird. Sehr hart, weil Farben am Bildschirm anders entstehen als auf dem Papier. Der unten abgebildete Bildschirm30Bild Internet @ abgerufen 22.02.2023 macht einige Probleme deutlich, die einer Blendung entsprechen, aber nicht als solche behandelt werden:
Man muss nicht nur farbige Details gut erkennen können, sondern sehr kleine farbige Flächen präzise zuordnen. Die Monitore arbeiten mit hohen Auflösungen, um ein gutes Bild zu gewährleisten, dadurch werden aber die vom Betriebssystem generierten Teile des Bildes kleiner. Nicht zuletzt muss man häufig oder immer mit negativen Bildern arbeiten, weil Farben von Strichen und kleinen Flächen dann besser erkennbar sind. Solche Bildschirme reflektieren Fremdlicht stärker auffällig. Daher stört das Umgebungslicht ebenso stärker. Es nimmt einem die Sicht - wie eine Blendung auch.
Die Probleme der Grafiker lassen sich leider nicht so einfach optisch darstellen. Könnte man sie gut erkennbar auf dem Papier oder einem üblichen Bildschirm darstellen, bräuchten diese Arbeitnehmer keine teuren, hochauflösenden Bildschirme mit hoher Farbtiefe und hohem Kontrastumfang. Daher hier nur eine Umschreibung der resultierenden Probleme. Man kann hochauflösende Bilder mit großer Farbtiefe praktisch nur ohne Fremdlicht bearbeiten. Da sich eine solche Umgebung sehr belastend auf die Menschen auswirkt, hat man die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder arbeitet man im Hellen und muss irgendwie die verlorene Information kompensieren, oder man arbeitet in ziemlicher Dunkelheit, was der Gesundheit nicht gut tut.
Jegliches weißes Licht, das auf den Monitor fällt, verfälscht die Farben, was bei üblichen Büroarbeiten nicht allzu stark auffällt. Je größer die Bedeutung der Farbe bei den Aufgaben, desto störender das Fremdlicht. Diesem Umstand trägt die Lichttechnik auf eine unglaubliche Art und Weise Rechnung. DIN 5035-7:1988 hatte hierfür eine niedrige Beleuchtungsstärke von 200 lx vorgesehen. Aufgrund der Besonderheiten dieser Norm konnte am Arbeitsplatz bis 60% davon, also 120 lx herrschen. Die Beleuchtungsstärke dient nur zur Aufhellung des Raumes, die auf das geringstmögliche beschränkt bleiben sollte.
Die Norm DIN 5035-7 wurde 2002 von DIN EN 12464-1 abgelöst. Diese Norm legt anders als früher Mindestwerte fest, die nie unterschritten werden dürfen. Darin wurde für CAD-Arbeitsplätze ein Minimum von 500 lx festgesetzt. Die neueste Ausgabe dieser Norm in 2021 empfiehlt ebenfalls 500 lx im Normalfall, aber 1000 lx, wenn eine dieser Bedingungen zutrifft:
- Die Sehaufgabe ist kritisch für den Arbeitsablauf.
- Fehler können nur unter hohen Kosten behoben werden.
- Genauigkeit, höhere Produktivität oder erhöhte Konzentration sind von großer Bedeutung.
- Aufgabendetails sind ungewöhnlich klein oder weisen ungewöhnlich geringen Kontrast auf.
- Die Aufgabe wird ungewöhnlich lange ausgeführt.
- Der Bereich der Sehaufgabe oder Tätigkeit verfügt über wenig Tageslicht.
- Die Sehfähigkeit des Arbeitnehmers liegt unter dem üblichen Sehvermögen
Da praktisch alle Bedingungen bis auf die Sehfähigkeit des Arbeitsnehmers zutreffen, muss ein Betrieb, der diese Norm realisieren will, CAD-Arbeitsplätze mit mindestens 1000 lx künstlich beleuchten.
Noch viel härter trifft es Arbeitnehmer, die Bilder retuschieren, eine Aufgabe, die an Schwierigkeit kaum zu übertreffen ist. Hierfür muss man auch ohne Sonderbedingungen mindestens 1000 lx vorsehen. Falls eine der obigen Bedingungen zutrifft, dann beträgt der nie zu unterschreitende Mindestwert 1500 lx. Eine derzeit in Vorbereitung befindliche internationale Norm für die Betrachtung von HDR-Bildern31HDR = high dynamic range image Unter High Dynamic Range Image (HDRI, HDR-Bild, „Bild mit hohem Dynamikumfang“) oder Hochkontrastbild versteht man verschiedene Techniken zur Aufnahme und Wiedergabe von Bildern mit großen Helligkeitsunterschieden ab etwa 1:1000. Wikipedia @ abgerufen 22.03.2023 sieht als Umgebung hingegen praktisch völlige Dunkelheit vor.
Die Diskrepanz zwischen den Anforderungen der besprochenen Beleuchtungsnorm und denen der Nutzer in dem gegebenen Fall existiert bereits so lange, wie eine Bildretusche am Bildschirm üblich ist. Und das ist länger als 40 Jahre her. Noch viel länger existiert eine ähnliche Diskrepanz im Bereich der Fernsehanstalten, die aus rechtlichen Gründen gezwungen waren, eine Beleuchtung in Regie- und Studioräumen einzuführen, die dort nur störte. Dort wo eine wirksame Abhilfe möglich war, z.B. bei Videoeditierarbeitsplätzen, hat man eine tragbare Lösung gefunden, bei der das Licht nicht von der Beleuchtungsanlage erzeugt wird, sondern hinter den Monitoren. Es wird auch nicht als Lichtsoße über den ganzen Raum verteilt, sondern gezielt auf den Benutzer gerichtet, so dass die Störung des Bildes und die Blendung möglichst unmerklich bleibt.
Wer heute CAD-Arbeitsplätze nach der gültigen Norm DIN EN 12464-1 beleuchtet, realisiert eine Beleuchtung, die niemand will oder braucht. Dies geschieht i.S. der Sehleistung, stört aber das Sehen gewaltig.
Nicht nur unnütz – Gefährlich obendrein
Manche Anforderung der Beleuchtungstechnik gefährdet nicht nur die Benutzer, sondern sogar die Sicherheit des Betriebs. Das ist z.B. der Fall in Schaltwarten. Deren Technik bestand einst aus konventionellen Elementen wie Schalthebel, Schalter, Knöpfen etc., die häufig mit Signallichtern gekoppelt waren, die den Zustand anzeigten. Diese waren kleine Lampen oder LEDs mit einer geringen Helligkeit. In modernen Warten, die vollkommen neu bestückt sind, existieren nur noch Bildschirme, für die die oben geschilderten Probleme in abgemilderten Form vorkommen. Das Fremdlicht führt im Prinzip immer zu Kontrastverlust. Dies kann u.U. das Erkennen bestimmter Teile der Information erschweren.
Problematischer sind Warten, in denen die konventionelle Technik bleiben muss, aber Computer mit Farbbildschirmen eingesetzt werden. Das ist der Fall in Warten von Kernkraftwerken. Das Bestreben, mit der Beleuchtung eine höhere Sehleistung durch die Beleuchtung zu erzielen, führt dazu, dass alle Bildschirme und aktive Anzeigen mit Lampen schlechter zu sehen sind. Da man aber eine Beleuchtung für den Raum braucht, wurden geringere Anforderungen gegenüber Büroräumen gestellt. So wurde einst in DIN 5035-2 für Schaltwarten eine Beleuchtungsstärke (Nennwert32Der Nennwert der Beleuchtungsstärke war ein „zeitlich-örtlicher“ Mittelwert. Dieser durfte in der Praxis um 40% unterschritten werden. Die Planung erfolgte auf 125% des Nennwertes. So konnte man ohne Wartung eine lange Zeit auskommen. In neuen Normen wird ein Mindestwert verlangt, der nie unterschritten werden darf.) von 300 lx gefordert. Dies konnte im Mindestfall 240 lx sein. Im Jahre 2002 wurde der „Nennwert“ auf „Wartungswert“ umgestellt, aber die geforderte Zahl an Lux blieb gleich. Die Umbenennung führte somit ohne Grund zu etwa 25% mehr Licht. Im Falle der Schaltwarten wurde zudem 500 lx statt 300 lx gefordert. Das entspricht einer Verdoppelung. In dem gleichen Zeitraum verschwanden aus Schaltwarten die Papierunterlagen, zu deren Lesen das Licht nützlich wäre, fast vollständig und wurden durch Bildschirme ersetzt. Mehr Licht bedeutet nicht mehr, sondern weniger Sehleistung, weil wichtige Informationen nur noch auf den Bildschirmen zu sehen sind.
Im Jahre 2021 wurde der Wert noch einmal verdoppelt. Die oben genannten Bedingungen hierfür gelten auch für Schaltwarten. Oder erst recht:
- Die Sehaufgabe ist kritisch für den Arbeitsablauf.
- Fehler können nur unter hohen Kosten behoben werden.
- Genauigkeit, höhere Produktivität oder erhöhte Konzentration sind von großer Bedeutung.
- Die Aufgabe wird ungewöhnlich lange ausgeführt.
- Der Bereich der Sehaufgabe oder Tätigkeit verfügt über wenig Tageslicht.
Jemand, der in einer Schaltwarte einen Fehler baut, kann viel mehr Schaden anrichten als ein Bild falsch zu retuschieren.
Wie hat die Lichttechnik die Tatsache berücksichtigt, dass praktisch alle Arbeit in einer Schaltwarte über Bildschirme läuft? Es werden 8 Anforderungen an die Beleuchtung gestellt. Dazu kommt als 9. die Bemerkung „Bildschirmarbeit, siehe 4.9“ , wo man dann lesen kann: „EN ISO 9241-307 enthält Anforderungen an die visuellen Eigenschaften von Displays bezüglich Reflexionen.“ Diese Norm ist aber eine Messnorm und enthält keine Anforderungen. Außerdem kann ein Lichtplaner mit einer solchen Information nichts anfangen, selbst wenn sie an genannter Stelle zu finden wäre. Die vorherrschende Sehaufgabe in einer Bemerkung nebenbei zu erwähnen, nachdem man hiervon unabhängig acht Anforderungen formuliert hat, lässt sich an Absurdität nicht überbieten.
Heute werden von den Klimaanlagen von Büros bis hin zu landesweiten Verkehrsnetzen alles in Warten und Leitständen geregelt oder gesteuert. Fehler, die bei einer solchen Arbeit entstehen, können verheerende Folgen haben. Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage steht eine Vervierfachung der geforderten Beleuchtungsstärke für solche Bereiche?
In dem angezeigten Wartenraum kann man die Beleuchtungsstärke verdoppeln, indem man entweder doppelt so viele Leuchten an der Decke anbringt oder die Leuchtdichte der Leuchten verdoppelt. Wenn sie vervierfacht werden soll, strahlt die Decke nur noch voller Leuchten. Selbst wenn sich das Wartenpersonal nur die untersten Monitore anguckt, lastet ein Lichtdruck auf ihnen. Will man die oberen Monitore beobachten, wird man direkt geblendet.
Nutzloses Gütemerkmal – Blenden statt beleuchten
Das mit DIN 5035-7 eingeführte neue Gütemerkmal „Vermeiden von Reflexionen auf Bildschirmen“ wäre ein würdiger Kandidat für die „Goldene Himbeere“, wenn es Schmähpreise für technischen Unsinn gäbe. Zwar folgte dieses Gütemerkmal den früheren ins Jenseits, die durch die Schusseligkeit eines DIN-Mitarbeiters verloren gingen.33Die Gütemerkmale für Beleuchtung wurden mit DIN 5035 im Jahre 1935 eingeführt. Im Jahre 2002 sollte die europäische Norm EN 12464-1 diese Norm ersetzen. Üblich ist, dass diejenigen Teile einer Norm, die die neue Version nicht behandelt, in einer Restnorm beibehalten werden. Somit wäre DIN 5035-1 weitgehend erhalten geblieben. Der zuständige DIN-Sekretär hat aber kurzerhand die Norm komplett für zurückgezogen gemeldet. Aber seine Wirkungen sind nicht verschwunden. Dort wo Bildschirme eingesetzt werden, sollen „entblendete“ Leuchten zum Einsatz kommen. Das wäre im Zweifelsfall überall, denn nicht einmal Müllwagen der Stadtreinigung fahren ohne Bildschirm. Was mit einem Büroraum passiert, wenn man diesem Gütemerkmal folgen würde, habe ich bereits unter „Wenn nur ein Bruchteil des Arbeitsraums benutzbar ist“ ausgeführt.
Die Sache wäre noch diskutabel gewesen, wenn nicht noch etwas da wäre, was man hätte mit bedenken müssen. Das ist die Platzierung von Arbeitsplätzen zwischen den Leuchtenreihen. Diese war vor etwa 60 Jahren eingeführt worden, damit man nicht von Reflexionen gestört wurde. Damit war etwas eingeführt worden, was nicht der Intuition der Menschen entspricht, die Licht immer an der Stelle anordnen würden, wo man sehen will. Auch im Design gibt es den Grundsatz, dass Licht dorthin gehört, wo gesehen werden soll. Den Grund für die Platzierung der Arbeitsplätze werden nur wenige Menschen kennen.
Um Reflexblendung zu vermeiden entwickelte man Leuchten, die ihr Licht seitlich abstrahlen. Ansonsten wäre unter den Leuchten nur ein Teppich beleuchtet worden bzw. Linoleum in älteren Büros. Das bedeutet aber, dass die aus der seitlichen Richtung gesehene Leuchtdichte höher werden muss. Will man aber gerade diese „entblenden“, schickt die Leuchte das Licht dorthin, wo sich keine Arbeitsplätze befinden sollen. Das folgende Bild zeigt die Wandlung der Lichtverteilung einer Leuchte, die seitlich am Arbeitsplatz angeordnet werden, aber möglichst viel Licht auf den Arbeitsplatz richten soll. Rechts davon sieht man die Lichtverteilung einer „entblendeten“ Leuchte.
Diese theoretisch erklärbare Änderung verändert die Beleuchtungssituation dramatisch, leider nicht zum Besseren. Jetzt fällt mehr Licht rechts und links auf den Arbeitstisch als auf die Stelle, wo man lesen soll. Eigentlich liest man dort ohnehin nicht mehr. Wenn man aber lesen wollte oder muss, fällt mehr als doppelt so viel Licht auf beide Enden des Schreibtisches als in den Schreib-/Lesebereich. Was dieses Licht bedeutet, erkläre ich weiter unten. Aber vorher eine Lichtverteilung aus der Realität:
Diese recht unsinnige Verteilung stammt aus einer real existierenden Beleuchtung, die Gegenstand eines öffentlichen Vortrags von mir war. Ein anwesender Experte, der Leuchtenentwickler eines großen Herstellers, beanstandete, dass ein Sonderfall dazu herangezogen würde, um Beleuchtung allgemein zu kritisieren. Zufällig stammte die untersuchte Leuchte aber aus seiner Hand, und die Planung von seiner Firma. Auch Produkte einer beliebigen anderen Firma hätten keine andere Verteilung der Beleuchtungsstärke ergeben können, wenn die verwendete Leuchte darauf getrimmt ist, ihr Licht direkt nach unten zu richten. Deswegen besteht die unten diskutierte Lichtverteilung in Millionen deutscher Büroräumen. Der Arbeitsplatz immer steht an der Stelle mit der geringsten Beleuchtungsstärke.
In einem üblichen Büroraum hängen die Leuchtenreihen etwa 80 cm bis 1 m vom Fenster und weitere 2,5 m innen. Optimal soll sich der Arbeitsplatz (Schreib-/Lesebereich) bei dieser Anordnung nach lichttechnischer Vorstellung ca. 2 m vom Fenster befinden. Gemessen wurde die hier angezeigte Lichtverteilung. Eine ziemliche Verschwendung von Licht. Das ist aber nicht alles. Denn für etwa 30 Jahre wurden Arbeitsplätze im Büro etwa wie unten gezeigt möbliert:
Somit beleuchtet die erste Leuchtenreihe den Fußboden, die zweite die Bildschirme. Dafür ist der Raum in der Mitte des Schreibtisches am dunkelsten. Wenn der Benutzer dort arbeitet, dient der größte Teil des in diesem Raum erzeugten Lichts nicht der Sehleistung. Vielmehr wird die Sehleistung gemindert durch die sog. Umfeldblendung. Wenn er vor dem Bildschirm sitzt, wird seine Sehleistung durch diverse Effekte, aber insbesondere durch die Reflexblendung gemindert. Hier wirkt die Beleuchtung fast nur als Störung.
Das sind gleich zwei neue Arten der Blendung, von denen man nicht weiß, ob sie physiologische oder psychologische Blendung sind. Da man in beiden Fällen den Mechanismus der Entstehung kennt, müsste man sie als physiologische Blendung ansehen. Eine Umfeldblendung entsteht dadurch, dass das Licht aus der Umgebung im Auge gebrochen wird und so das Sehen stört. Dieser Effekt lässt sich sogar mit einfachen Mitteln wie ein Papprohr demonstrieren.34Für eine Demonstration der Umfeldblendung kann man sich ein dunkles Papprohr vor das Auge halten, wenn man eine Szene betrachtet. Man sieht sofort, dass das Bild schärfer wird. Der Effekt wird durch das Streulicht aus der Umgebung bewirkt. Er ist umso größer, je heller das Umfeld ist. Dieses Problem wurde in den 1970er Jahren durch den Augenarzt Höfling als eine wichtige Ursache von Kopfschmerzen in einem Buch thematisiert.35Höfling, G. Kopfschmerzen durch Leuchtstofflampen, Schilling-Verlag, Herne, (1973) Es zählt aber nicht als Blendung, weil sich Lichttechniker nur für Leuchten interessieren.
Allerdings wirkt sich ein lichtloses Umfeld auch negativ aus, weil das Auge zum Orientieren und Suchen Licht benötigt. In der Lichttechnik wird dieser Fakt dadurch berücksichtigt, dass der Bereich der Sehaufgabe am hellsten gestaltet wird, deren unmittelbare Umgebung etwas dunkler (Verhältnis der Leuchtdichten 1:3), und die weitere Umgebung noch dunkler (Verhältnis der Leuchtsichten 1:10). Diese Regel 1:3:10 ist mindestens seit den 1940er Jahren bekannt. Aber auch Leffingwell hatte diese berücksichtigt, weil er festgestellt hatte, dass weiße Tische besonders blenden. Die Erkenntnis über die Umfeldblendung ist also mindestens seit 100 Jahren bekannt. Sie kommt im Internationalen Wörterbuch der Beleuchtungstechnik aber auch im Jahre 2023 nicht vor. Das hält allerdings keine Beleuchtung davon ab, Umfeldblendung zu erzeugen.
Als Reflexblendung wurde die Glanzbildung auf Sehobjekten betrachtet. Die Bemühungen um deren Vermeidung haben die heute bekannte Anordnung der Leuchten in Arbeitsräumen überhaupt bewirkt. Der Effekt gehört mindestens seit 1970 zum Allgemeinwissen in der Lichttechnik. Der Sehphysiologe Hartmann hat das Problem bereits in den 1960er Jahren thematisiert.
Wie kommt es dann, dass man eine Beleuchtungsart einführt, die allseits bekannte visuelle Probleme verstärken oder sogar überhaupt erzeugen kann? Dazu gibt es einige verstörende Antworten, wovon die schlimmste, weil grundsätzliche, kaum bekannt ist. Bis etwa 1990 oder etwas später wurden Normen im Bauwesen und Architektur nicht mit solchen aus der Lichttechnik koordiniert entwickelt. Sie existierten nebeneinander her, obwohl es praktisch keine Bauten ohne künstliche Beleuchtung gibt. Schlimmer noch, die Normen für die Beleuchtung wurden für Tageslicht und Kunstlicht immer getrennt entwickelt und behandelt. Wenn es denn bei den Normen geblieben wär! Für das Tageslicht waren die Länder zuständig, weil die Bauordnung Ländersache ist, während für die künstliche Beleuchtung die Berufsgenossenschaften und der Bundesminister für Arbeit und Soziales zuständig waren. Alle Beteiligten sind zwar der Meinung, dass Licht und Beleuchtung so wichtig sind, dass man sie bis hin zu staatlichen Vorschriften regulieren muss. Dass voneinander getrennte Versuche einer Regelung gewöhnlich in einer Kakophonie enden, wollen sie nicht anerkennen, auch wenn diese bereits seit Jahrzehnten unübersehbar herrscht.
Wenn Regelwerke wie Gesetze und Normen Sinn machen sollen, müssen alle, die für Licht und Sehen wichtig sind, koordiniert entwickelt werden. Wäre dies eine notwendige Voraussetzung für einen Erfolg, gehört zur hinreichenden Voraussetzung, dass diejenigen, die Arbeitsstätten realisieren, also Architekten und Arbeitsorganisatoren mit den Lichtplanern ein geregeltes Rollenverhältnis pflegen. Das ist leider nicht der Fall. Es gibt nicht einmal ein Berufsbild von einem Lichtplaner.
Für mich ebenso verstörend war die Tatsache, dass praktisch alle Probleme, die in diesem Abschnitt behandelt werden, vor der Einführung dieser Beleuchtung in angemessener Form thematisiert worden sind.36Hentschel, H.-J.; Roll, K.-F.; Leibig, J. et al: Anforderungen an eine zeitgerechte Beleuchtung, Licht, 6/1984 und 7/1984 , S. 462-467 und 494-497 Die Autoren haben eine Reihe von Veröffentlichungen zu diesem Thema verfasst. Außerhalb der Lichttechnik reagierte praktisch niemand darauf. Zumindest aus der Architektur hätten Stimmen laut werden müssen, weil eine tiefstrahlende Beleuchtung das Erscheinungsbild von Räumen sehr erheblich verändert. Aber auch aus der Lichttechnik hätte man Reaktionen erwarten dürfen, denn es war mindestens einem Professor für Lichttechnik lange zuvor bekannt, dass diese Art Beleuchtung zu spürbaren Problemen geführt hatte.37Die Leuchten, die mit der Bezeichnung Bildschirmarbeitsplatzleuchte in den Markt gebracht wurden, hießen Ende der 1960er Jahre „Dark Light“ Leuchten. Sie wurden damals in einem modernen Gebäude der Bundesversicherungsanstalt BfA in Berlin verbaut, in dem die erste große Anwendung von Computern im öffentlichen Dienst betrieben wurde. Die Beleuchtung hatte zu Behaglichkeitsproblemen bei der Belegschaft geführt, was die BfA dazu veranlasste, ein Gutachten beim Institut für Lichttechnik der TU Berlin in Auftrag zu geben (Prof. Stolzenberg). Einige Jahre später hat ein anderes Institut der gleichen Universität, Institut für Arbeitswissenschaft, die gleiche Beleuchtung untersucht. Da es dort andere Räume gab, in denen die gleiche Arbeit unter anderer Beleuchtung verrichtet wurde, konnte man eine Vergleichsuntersuchung durchführen. Diese zeigte, dass die Entblendung der Leuchten zu einem höhlenartigen Raumeindruck führt. Es sollte rund ein Vierteljahrhundert dauern, dass dieses Ergebnis in der Lichttechnik akzeptiert wurde. Dennoch wurde zum 90. Geburtstag des „Erfinders“ der „Dark Light“ Leuchten diese Technik als eine Errungenschaft der Lichtforschung gefeiert: „‘Ich habe die Wahrnehmungspsychologie in die angewandte Lichtforschung eingebunden‘, schildert Bartenbach. Seit 1964 widmete er sich dann ausschließlich dieser Lichtforschung. So entwickelte er die Dark-Light-Technik, die erste blendungsfreie Beleuchtung.“ aus der Tiroler Tageszeitung, Donnerstag, 14.05.2020 @ abgerufen am 22.03.2023
Bitte nicht bewegen, sonst …
Selbst eine Art Blendung, die als solche identifiziert und untersucht wurde, hat es nicht in die Klasse geschafft: die dynamische Blendung. Das ist nicht etwa eine Blendung, die sich dynamisch ändert, sondern eine direkte Folge der unsinnigen Lichtverteilung der vorgeblich blendfreien tiefstrahlenden Leuchten, von denen hier die Rede ist. Sie wurde von den LiTG-Experten, die die heute benutzte UGR-Bewertung entwickelt und kommentiert haben, als eine Einflussgröße erkannt, die das Verfahren nicht berücksichtigt: „Dynamische Blendung“ bei tiefstrahlenden Leuchten - Bei bewegtem Beobachter unter Leuchten mit hohem Lichtstärkegradienten können Einflüsse auftreten, die mit dem Begriff „Dynamische Blendung“ gekennzeichnet werden. Sitzt eine Person in dem entsprechenden Ausstrahlungsbereich einer Leuchte, so kann durch Kopfbewegungen eine Leuchte mal als dunkel und mal als hell erlebt werden.“38LiTG Das UGR – Verfahren zur Bewertung der Direktblendung der künstlichen Beleuchtung in Innenräumen, Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e.V., Publikation 20: 2003, S. 58
Der Effekt tritt allerdings nicht nur bei „bewegtem“ Beobachter auf. Auch verspiegelte Decken, die eine Art Indirektbeleuchtung realisieren sollen, rufen ähnliche Effekte hervor, die die Betroffenen als unerträglich empfanden.39Die hier gemeinte Beleuchtung wurde mindestens einmal in der Versicherungs-Zentrale in Köln realisiert. Die gesamte Decke war verspiegelt, damit sie das Licht von Stehleuchten reflektieren konnte. Sie rief heftige Reaktionen hervor, weil jeder jederzeit jede Bewegung im Raum irgendwie störend wahrnehmen konnte. Die Beleuchtung existiert vermutlich schon lange nicht mehr. Der Erfinder von beiden, Christian Bartenbach, wurde anlässlich seine 90. Geburtstages als Entwickler der ersten blendfreien Beleuchtung in den 1960er Jahren gefeiert, der diese Errungenschaft seiner Widmung der Wahrnehmungspsychologie zurechnet: „Ich habe die Wahrnehmungspsychologie in die angewandte Lichtforschung eingebunden.“40Tiroler Tageszeitung, Donnerstag, 14.05.2020 @ abgerufen am 22.03.2023
Die „dynamische“ Blendung, wie sie in einer lichttechnischen Studie bezeichnet wurde, ist so dynamisch nicht.41Hesse J.: Untersuchungen zur dynamischen Blendung von Reflektorleuchten. Diplomarbeit, TU Berlin 1996 Sie entsteht aufgrund der Augen- und Kopfbewegungen, die Menschen immer ausführen, selbst wenn sie nicht dazu gezwungen werden. Bei jeder Arbeit besteht aber oft der Zwang zu solchen Bewegungen, um bestimmte Sehobjekte zu erkennen. Das Auge ist in der Lage, zu einem bestimmten Grad die damit verbundenen Änderungen des Erscheinungsbildes der Umwelt zu kompensieren und zu ignorieren. Beispielsweise sieht man die übliche Umwelt gleich, selbst wenn man den Kopf zwischen Stehen und Liegen ändert. Beleuchtungsquellen, die sich bei den Kopf- und Augenbewegungen nicht allzu stark ändern, bleiben daher unbemerkt. Nicht so tiefstrahlende Leuchten mit ungleichmäßiger Helligkeitsverteilung. Daher die Bezeichnung „dynamische“ Blendung: „Sitzt eine Person in dem entsprechenden Ausstrahlungsbereich einer Leuchte, so kann durch Kopfbewegungen eine Leuchte mal als dunkel und mal als hell erlebt werden.“
Heutige LED-Leuchten, die in der Innenraumbeleuchtung verwendet werden, leuchten gleichmäßig, und ihr Erscheinungsbild ändert sich kaum merklich, wenn sich der Beobachter bewegt. Daher gibt es bei ihnen keine „dynamische“ Blendung, wenn sie sachgerecht gestaltet sind. Sie können bei Augen- und Kopfbewegungen eine Flimmerempfindung hervorrufen. Diese zählt aber nicht als dynamische Blendung.
Eigentlich unvorstellbar, dass das Lichterleben nur bei unbewegtem Kopf und unbewegten Augen beurteilt wird, was nicht einmal bei Laborversuchen realisiert werden kann, bei denen der Kopf zwangsweise auf einer Kinnstütze platziert und fixiert wird. Die Augen kann man aber auch so nicht still halten. Das ist mit ein Grund, warum die Blendbewertungen nicht validiert werden können. Übrigens, die Blendung der Autoscheinwerfer wird ebenso statisch bewertet wie Büroleuchten, auch wenn sie dort auch Lebensgefahr bedeuten kann.
Wenn Licht aufs Gemüt drückt
Ein bestimmtes Gefühl von Unwohlsein, das mit dem Licht zusammen hängt, hat es noch nicht in die wissenschaftliche Literatur geschafft, der Lichtdruck. Damit ist nicht der physikalische Effekt gemeint, den Lichtteilchen auf Materie ausüben, indem es weggedrückt wird. Vielmehr handelt es sich um ein Gefühl, dass ein Übermaß an Licht einen Druck ausübt. Zwar kennt jeder den Zustand, dass eine trübe düstere Umgebung einem auf der Seele lastet, aber den Lichtdruck verspürt man in einer eher zu hell empfundenen Umgebung.
Das Gefühl hat nicht viel mit der Helligkeit zu tun, denn man spürt ihn nicht unter der grellen tropischen Sonne am Mittag, sondern in Arbeitsräumen, deren Beleuchtung einem zu hell vorkommt. Es ist zu wenig erforscht, weil man seine physikalischen Ursachen nur vermuten kann.
Der Lichtdruck wurde nur einmal in Bezug auf Blendung erwähnt.42Die LiTG Publikation „Das UGR – Verfahren zur Bewertung der Direktblendung der künstlichen Beleuchtung in Innenräumen“ erwähnt Lichtdruck als eine der vom UGR-Verfahren nicht erfasste Größe. Er gehört demnach zu Einflussgrößen, die das Lichterleben beeinflussen, aber nicht als Blendung erfasst sind: „Es ist bekannt, dass auch Lichtquellen, die sich außerhalb des Gesichtsfeldes direkt über dem Beobachter befinden, ein Unwohlsein auslösen können. Dieser Effekt, meist mit dem Begriff „Lichtdruck“ umschrieben, wird beim UGR-Verfahren nicht berücksichtigt.“