Erbschaft der 1920er Jahre

Erbschaft der 1920er Jahre – Wo Sie heutiges Wissen bestimmt

Wovon reden wir überhaupt?

Wer die Entwicklung der Technik und Wissenschaft als ein sich ständig beschleunigendes Phänomen auffasst, wird überrascht sein, was alles aus den Jahren, die etwa ein Jahrhundert zurückliegen, in der heutigen Welt bestand hat und heutiges lichttechnisches Denken bestimmt. Das fängt etwa bei unserem Verständnis von Licht an, das genau 1924 definiert wurde. Niemand fragt, wieso man etwas, was jeder kennt und fast ständig erlebt, überhaupt definieren darf. Alles, was Licht heißt, muss nach dieser Vorstellung messbar sein. Und die Messung erfolgt nach einer fiktiven Kurve, die die Empfindlichkeit des menschlichen Auges nachbilden soll. Diese gilt 2023 unverändert, obwohl sie längst obsolet ist. Ihre Fehler sind längst analysiert.1Die V(λ)-Kurve definiert, was Licht sein soll. Auf ihr basieren alle lichttechnischen „Grundgrößen“. Doch ihre Bedeutung geht weit darüber hinaus. Denn der Handel mit Lichtprodukten weltweit beruht nicht etwa auf der SI-Einheit Lichtstärke in Candela gemessen, sondern auf der Größe Lichtstrom. Während es eine präzise Messmethode zum Messen der Lichtstärke gab und gibt, lässt sich der Lichtstrom recht mühsam messen. Messverfahren zu ihrer Bestimmung sind mit größeren Fehlern behaftet.

Das System der SI Einheiten und Größen wurde 2019 grundlegend revidiert. Die CIE versuchte, den Lichtstrom als neue SI-Größe zu etablieren. Dies wurde aber abgelehnt.

Alle auf der V(λ)-Kurve basierenden Größen beziehen sich auf die Bewertung der optischen Strahlung durch das menschliche Auge. Augen von Tieren weichen graduell oder gar erheblich davon. So können Tiere Teile von UV oder IR sehen. Bei den Pflanzen ist die Abweichung sogar grundsätzlich. Die Bewertungskurve von Pflanzen ist eine „umgekehrte“ V(λ)-Kurve. Das menschliche Auge ist dort am empfindlichsten, wo Pflanzen fast „blind“ sind, im Grün-Gelben Bereich. Allerdings gilt dies nur für den Prozess, der Leben auf der Erde überhaupt möglich macht, für die Photosynthese. Pflanzen werten auch andere Teile des Spektrums als nur den Bereich aus, der für die Photosynthese relevant ist. Sie können sogar die Zunahme der Tageslänge empfinden und so ihre Lebensvorgänge regeln. Allerdings bedeutet obsolet nicht unbedingt, dass die Kurve falsch sei. Sie ist für den fraglichen Bereich, Sehen durch das menschliche Auge, zwar ungenau aber immer noch relevant. Zum Messen des Lichts als Wirkgröße für den Menschen ist sie allerdings tatsächlich obsolet.2Die seit spätestens der 1940er Jahre bekannten Wirkungen des Licht auf die menschliche Physiologie wurde seit dem Jahr 2002 verstärkt thematisiert. In diesem Jahr wurde im menschlichen Auge ein unbekannter Sensor identifiziert, der Wirkungen auslöst, die mit dem Sehen schlecht erklärt werden können.

Der Sensor, retinale Ganglienzellen., wurde iPRGC (intrinsic photosensitive Retinal Ganglion Cells) genannt. Im Jahre 2018 veröffentlichte die CIE einen globalen Standard (CIE S 026), der die Wirkung dieser Zellen mit der von früher bekannten Fotorezeptoren in Verbindung bringt und auf dieser Basis neue „photometrische“ Größen berechnet. Allerdings weichen die neuen Größen von den bisherigen insofern ab, weil sie u.a. vom Spektrum abhängen. D.h. dass eine Beleuchtung, die eine Beleuchtungsstärke von N lx erzeugt, wird je nach Spektrum anders bewertet. Die neue  „Beleuchtungsstärke“ wird melanopisch (abgekürzt mel) genannt. Sie hängt zudem auch vom Alter des Empfängers ab.

Da man die vorhandenen Größen nicht gleich ablösen wollte bzw. nicht konnte, werden die vorhandenen Größen wie Beleuchtungsstärke (= E) mit dem Index "v" wie visuell verbunden (Ev). Das hat aber einige unangenehme Nebenwirkungen wie eine Verwechselung mit Ev= Vertikalbeleuchtungsstärke, die ausgerechnet die wirksame Größe für eine Beleuchtung ist. Zudem kann man die vor 2018 entstandene Literatur nicht nachträglich mit neuen Indices versehen. International wurde bereits ein anderes „Maß“ eingeführt, dessen Geschichte ich unter Geheimnisse in Blau“ beschriebe. Die Bedeutung anderer Farben bleibt indes immer noch unterbelichtet. Diese spielt in allen Kulturen eine wichtige Rolle, allerdings nicht in der Lichtwissenschaft. In der gilt nur, was man mit einem physikalischen Gerät messen kann. Das kann zuu kuriosen Folgerungen führen. So kann man z.B. die Farbe Grün farbmetrisch festlegen und auch messen. Man kann ebenso die Leuchtdichte grüner Objekte messen. Deren höhere Leuchtdichte gegenüber roten Schlussleuchten für Autos brachte den größten Autobauer in den 1960ern auf die Idee, diese grün zu bauen. Aber die semantische Bedeutung von Grün im Verkehr widerspricht der Funktion von Schlussleuchten diametral. Deswegen ist es bei dem Versuch geblieben.

Von wegen Ermüdung …

Hat man bei einer Arbeit die richtige Beleuchtung gewählt? Wenn das nicht der Fall ist, soll das Auge leicht ermüden. Oder man erlebt Beschwerden. Das Vermeiden der sog. vorzeitigen Ermüdung ist überhaupt neben dem Unfallgeschehen der Aufhänger für Regelungen im Arbeitsschutz und sogar in den Gesetzen. Bei Leffingwell hieß es, es wäre sehr schwierig, Augenermüdung und überhaupt Ermüdung zu messen. Und 2023? Man braucht an der einstigen Aussage keinen Buchstaben ändern. Man könnte bestenfalls ergänzen und aussagen, dass eine Definition des Begriffs Ermüdung auch heute nicht existiert. Ermüdung ist ein Phänomen, das jedem Menschen bekannt ist. Insofern überrascht eine Feststellung, dass sie nicht definiert sei. Wenn man in der Literatur sucht, stößt man bereits bei Wikipedia auf diverse Bedeutungen, wie z.B.:

  • Ermüdung (Physiologie), Folgen körperlicher Anstrengung
  • Müdigkeit, gefühltes Bedürfnis nach Schlaf (Defatigatio)
  • Materialermüdung, Alterung eines Werkstoffs
  • verschiedene Symptome aus dem Symptomkomplex ICD-10 R53, Unwohlsein und Ermüdung3Anm. ICD = International Code of Diseases, die Klassifikation der Krankheiten. ICD-10 ist die derzeit gültige Version, R53 steht für Allgemeiner körperlicher Abbau, Asthenie o.n.A., Lethargie, Müdigkeit, Schwäche: chronisch, Schwäche: o.n.A. @ abgerufen 12.10.2022.Allein der erste Begriff führt zu einer langen Abhandlung (@ abgerufen 12.10.2022), die einige Dutzend Links enthält. Darin sind diverse Abhandlungen aus dem Bereich der Sozialpartner nicht enthalten, die nicht nur umfangreich sind, sondern auch erheblich relevant für das Arbeitsleben. Ein völlig anderes Kapitel bilden Publikationen aus dem Bereich Sport. Fehlt nur noch Psychologie, die teils eigenständig teils in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren (u.a. Ergonomie, Sport, Arbeitsrecht, Medizin) das Phänomen bearbeitet.

 

Wie haben die Autoren der oben abgebildeten Kurven eine Beziehung zwischen der Beleuchtungsstärke und Ermüdung ermittelt? (s. Ein experimenteller Nachweis: Mehr Licht steigert Arbeitsleistung)  Kann man überhaupt eine Beziehung zwischen einer eher fragwürdig beschriebenen physikalischen Größe und einer undefinierten menschlichen Reaktion finden?4Dies heißt allerdings nicht, dass es keine Beziehung zwischen Beleuchtung und Ermüdung gibt. Diese gibt es sicherlich. Aber der Nachweis mit empirischen Methoden fällt schwer bzw. er ist unmöglich.

Wer will wissen, wie viel Licht ein Mensch wofür braucht?

Wenn man wissen will, wie viel Licht für eine Sehaufgabe benötigt wird, kann man das Luckiesh-Moss visibility meter einsetzen, heißt es bei Leffingwell. Dieses vergleicht eine Sehaufgabe mit der anderen. So kann man die Beleuchtungsstärke ermitteln, die der Mensch braucht. Leffingwell führt die Empfehlungen von General Electric Company in einer Tabelle an. So wie heute in EN 12464-1 auf 41 Seiten mit 61 Tabellen mit 9 Spalten Anforderungen. Damals enthielt die Tabelle ganze 12 Angaben. Auch DIN 5035 kam 1970 mit 12 Angaben aus. Sie galten aber jeweils für mehrere Typen von Arbeitsplätzen.

Man darf Fachleute nicht fragen, wie denn die Beleuchtungsstärketafeln entstanden sind. Dazu führt Leffingwell aus: „Es ist wissenschaftlich schwierig, das Problem der Bestimmung der Beleuchtungsstärke zu lösen, weil das Auge scheint für sehr unterschiedliche Intensitäten adaptierbar zu sein. Man kann bei 0,05 foot candle [0,5 lx] ebenso lesen wie bei 2,000 foot candle [etwa 20.000 lx].“ Was sagten die Autoren der heutigen Tabellen dazu? Am besten lasse ich den damaligen Obmann des Normenausschusses das selber sagen. Die heutigen Tabellen wurden in etwa der gleichen Art 1972 für DIN 5035-1 entworfen.

Damals ging es ebenso um eine wissenschaftliche Bestimmung der Lichtmenge, die ein Mensch für eine Sehaufgabe braucht. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Leffingwell (1971) schreibt einer, der es wissen muss, dass das nicht gehen kann. Rund 20 Jahre später schreibt ein anderer, der es sogar noch besser wissen könnte, Peter Boyce, die Suche nach so einer Methode sei zum Versagen verurteilt, weil eine Beziehung nicht aufgezeigt werden kann. Wieder 30 Jahre später, in 2021, verfasst man eine Europäische Norm die auf dies abzielt: „Dieses Dokument legt Beleuchtungsanforderungen für Menschen an Arbeitsplätzen in Innenräumen fest, die den Anforderungen an den Sehkomfort und die Sehleistung von Personen … entsprechen.“ Und Tausende Anforderungen für alle denkbaren Arbeitsplätze enthält …

Wir wissen heute nicht mehr als Leffingwell vor fast einem Jahrhundert. Und tun so, als hätte sich das Wissen fast grenzenlos gemehrt. Gemehrt hat sich die Länge der Tabellen mit Daten.

Was für eine Lichtverteilung brauchen wir denn?

Nach Leffingwell gab es in den 1920ern drei Arten der Allgemeinbeleuchtung:

  • Direktbeleuchtung
  • Direkt-/Indirektbeleuchtung und
  • Indirektbeleuchtung

 

Nicht nur damit kennt er etwa so viel wie wir 2025. Leffingwell schreibt, dass die Direktbeleuchtung nicht nur den geringsten Stromverbrauch hätte, sondern von allen auch die höchste Beleuchtungsstärke bei geringstem Stromverbrauch. Sie würde aber Blendung und Reflexionen verursachen. In Sachen Blendung wissen wir zwar heute scheinbar mehr. Aber dass die Direktbeleuchtung von allen verfügbaren Lichtverteilungen trotz Entblendung der Leuchten am stärksten blendet, musste erst nachgewiesen werden.5Quelle: Çakir,A., Çakir, G.: Licht und Gesundheit … Dies reichte aber nicht aus, um diese Art der Beleuchtung als bevorzugtes Konzept vom Thron zu stoßen. Man musste juristisch penibel nachweisen, dass sie dem Arbeitsschutz widerspricht. 6Çakir, A.: Direktbeleuchtung am Bildschirmarbeitsplatz widerspricht Anforderungen des Arbeitsschutzes - Eine Studie auf der Basis neuer Arbeitsschutzbestimmungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse. ERGONOMIC, Berlin 1997, @ abgerufen 22.02.2022 

Hätte man Leffingwell gehört, wären uns zwei Jahrzehnte mit „bildschirmgerechter“ Beleuchtung erspart geblieben.

Die Direkt-/Indirektbeleuchtung findet bei Leffingwell den besten Anklang. Wenn sie gut geplant und ausgeführt ist, entsteht eine ausgewogene Beleuchtung und mit weichen Schatten. Die Direkt-/Indirektbeleuchtung kann laut Leffingwell sehr dekorativ eingesetzt werden. Wir hingegen haben etwa ein Jahrzehnt gebraucht, eine solche Beleuchtung als „Standard“ durchzusetzen – gegen die Stimmen der Lichtexperten. Hätte man auf Leffingwell gehört, …!

Komplett indirekte Beleuchtung zeichnet sich laut Leffingwell durch eine Blendfreiheit aus. Das Licht wird gut gestreut und entspricht in dieser Hinsicht Tageslicht. Diese Vorstellung wurde vermutlich absichtlich torpediert, weil eine Indirektbeleuchtung scheinbar ineffizient ist. Scheinbar deswegen, weil die Beleuchtungsstärke in der Arbeitsebene bei gleichem Energieaufwand geringer ist als bei der Direktbeleuchtung. Diese Vorstellung gilt nur dann, wenn die Beleuchtung der Arbeitsebene das Ziel einer Beleuchtung ist. Dies ist aber nur selten der Fall.

Wenn man aber die Sehwirkung richtig bewertet und nicht eine fiktive physikalische Größe, kann man zu dem Schluss kommen, dass eine Indirektbeleuchtung bei einer wesentlich geringerer Beleuchtungsstärke ein besseres Sehen ermöglicht.7Die Direktbeleuchtung bewirkt auf einem Sehobjekt einen Kontrastverlust, wenn dieses oder das Papier glänzen. Bei Hochglanz- und Glanzpapier ist der Effekt unmittelbar erkennbar. Bei üblichen Papiersorten und Druckfarben wirkt sich der Kontrastverlust erst bei längerem Lesen aus. Der Effekt ist seit mehreren Jahrzehnten bekannt und harrt ebenso lange einer Berücksichtigung in Normen. S.: Der Kontrastwiedergabefaktor CRF – ein Gütemerkmal der Innenraumbeleuchtung – LiTG • LTAG • SLG 2012, (LiTG- Publikation Nr. 13 ISBN-Nr.: 978-3-927787- 12-4)

Das Thema wurde in der Dissertation von K. Petry "Zur Bewertung der Mindestbeleuchtungsstärke und der Nutzungszeit von tageslichtorientierten Arbeitsplätzen mit Hilfe des Kontrastwiedergabefaktors und der äquivalenten Kugelbeleuchtungsstärke" behandelt. Es wurde Jahrzehnte später in einer Studie mit Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung aufgegriffen: „Tageslichtnutzung in Wohn- und Arbeitsräumen zur Verbesserung der visuellen Behaglichkeit und der Aufenthaltsqualität". Warum das so ist, kann man berechnen, wie es K. Petry getan hat. Auch die Studie "Tageslichtnutzung in Wohn- und Arbeitsräumen zur Verbesserung der visuellen Behaglichkeit und der Aufenthaltsqualität" der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.

Trotz alledem kann man auch heute in vielen Publikationen lesen: Indirekte Beleuchtung wirkt eintönig, weil … Diese oder ähnliche Aussagen haben sich über Jahrzehnte bis ins lexikale Wissen vom Baunetz herumgesprochen: „… Ein möglicher Nachteil liegt in der verminderte Schattenbildung, die zu einer verunklärten Raumwahrnehmung führen kann.“8Baunetz_Wissen bereitet alle Informationen über das Bauwesen in lexikalischer Form auf. @ (Baunetz Wissen ist eine kostenlose Informationsplattform, erstellt vom Architekturmagazin BauNetz.) Eine Vorstellung, die ihren Ursprung in den 1930er Jahren hatte, vererbt sich über Generationen bis heute. Zu Beginn der 1950er Jahre hieß es noch: „Die Beleuchtungsstimmung ist gedämpft, es wird eine ruhige Raumwirkung ohne Blendung erzielt, die allerdings, weil eben ruhig, einschläfernd wirken kann.“9Köhler, W., Lichttechnik - Lichtbewertung Lichterzeugung Lichtanwendung, Helios Verlag, Berlin, 1952

All dies führte dazu, dass wir anno 2025 weniger über Indirektbeleuchtung nachdenken, als es Leffingwell Jahrzehnte zuvor getan hat. Die Schattenarmut dieser Art Beleuchtung wird immer wieder hervorgehoben, obwohl diese nicht sein kann.10In der Beleuchtungstechnik für übliche Umgebungen wird von einer starken Schattenwirkung ebenso abgeraten wie von einer Schattenarmut. Dies wird durch eine mittlere „Schattigkeit“ beschrieben, die man in einer Höhe von 1,20 m (etwa Augenhöhe im Sitzen) als Verhältnis der an dem jeweiligen Messpunkt herrschenden Beleuchtungsstärke (horizontal) zur sog. „zylindrischen“ Beleuchtungsstärke misst. Die letztere gewinnt man, indem man alle einfallenden Beleuchtungsstärken (vertikal) mittelt. Nach neueren Regelwerken wird auch in 1,60 m Höhe gemessen, weil man heute viel häufiger im Stehen arbeitet.

Mit dieser Größe will man das Modelling von Gesichtern optimieren. Das ist vermutlich verlorene Liebesmühe, weil man die gemessene Größe über den ganzen Raum mittelt. Da sich diese sehr stark von Punkt zu Punkt unterscheidet, ist bereits eine Mittelwertbildung fragwürdig. Noch viel problematischer ist allerdings die reale Lichteinfallsrichtung an den Messpunkten. Sie unterscheidet sich sehr stark in Abhängigkeit von der Position der Leuchten. Das Modellieren von Gesichtern ist aber in erster Linie eine Funktion der Lichteinfallsrichtung.

Nicht zuletzt sei die in realen Umgebungen erreichbare Gleichmäßigkeit erwähnt. Diese soll ≥ 0,10 sein. Das heißt, dass der minimale Messwert 10% des mittleren betragen soll. Da der Maximalwert nicht begrenzt ist, könnte zwischen den Maxima und Minima ein Verhältnis von 20:1 oder gar mehr bestehen. In Klartext – man kann sich die Vorgabe schenken.

Die immer wieder hervorgehobene Schattenarmut bis Schattenfreiheit kann in realen Umgebungen nicht vorkommen, weil Licht fast immer aus der Richtung Decke kommt. Zudem ist eine senkrechte Seite meist eine Fensterfront. Und Regalwände sind selten total weiß. Dafür wird die Blendfreiheit nicht einmal erwähnt. Man berechnet oder misst mühsam die „Blendungsbegrenzung“ nach noch mühsamer zusammengestoppelten Bewertungsverfahren (Hopkinson, Guth aus den 1940ern, Söllner aus den 1960ern, rechnerisch zusammengerechnet UGR in den 1990ern), klassifiziert Leuchten nach einem Verfahren, das kein Laie kennt und kaum ein Fachmann versteht, und bemerkt auf Anfrage, dass das Verfahren auf Indirektbeleuchtung nicht anwendbar sei. Der Grund wird aber verschwiegen. Der UGR-Wert für Indirektbeleuchtung ist häufig 0.11UGR = Unified glare rating stellt eine Weiterentwicklung des CIE Glare Index dar. Das Verfahren vermengt das Verfahren nach Luckiesh und Guth (1949) mit dem früher in Deutschland üblichen Söllner-Verfahren, die sich eigentlich nicht gut vertragen. Keines der Verfahren wurde je validiert. Die Zusammenfassung (UGR) hat gar eine nur geringe Korrelation zur empfundenen Blendung (siehe Clear, Robert D.: Discomfort glare: What do we actually know? In: Lighting Research and Technology. April 2013 vol. 45 no. 2 141-158 doi:10.1177/1477153512444527 . Das ist nicht verwunderlich, denn was Blendung ist, weiß man nach mehr als 120 Jahren Forschung immer noch nicht.

Was ist mit unserem Wissen über Blendung?

Die ungelöste Frage der Blendung ist älter als alles, was hier besprochen wird. Edison hatte postuliert, dass sein elektrisches Licht billiger würde als jedes Kerzenlicht und nicht blenden würde. Daher haben viele Forschende im Auftrag der lichttechnischen Industrie (z.B. Luckiesh, Guth, Söllner) versucht, dem Phänomen Blendung beizukommen. Die einen nannten es "discomfort glare", die anderen "psychologische Blendung". Psychologen waren bei den Bemühungen nicht beteiligt.

Zum Jubiläum der LiTG zum 100-jährigen Bestehen gab Prof. Völker einen Überblick mit dem bezeichnenden Titel „Blendung – Ein Rückblick über 100 Jahre Forschung“, der mit einem recht optimistischen Ausblick endete: „Der vorliegende Beitrag zeigt, dass es möglich scheint, die vorhandenen Blendungsbewertungsmodelle auf ein Modell zurückzuführen. Zurzeit fehlen noch einige Einflussgrößen, …” 12Völker, S. Blendung – Ein Rückblick über 100 Jahre Forschung, Tagungsband Light 2012, 20. Gemeinschaftstagung LiTG, NSV, LtG, SLG, 11. Bis 14. September 2012, Berlin Nach 100 Jahren Forschung fehlen noch einige Einflussgrößen?

Damit wissen wir heute möglicherweise über Blendung weniger als vor 100 Jahren. Im 19. Jahrhundert hatte Edison von Blendung gesprochen. Zwischenzeitlich wurde die Blendung auf eine physiologische und psychologische aufgeteilt. Diese Aufteilung ist zwar immer noch gültig, wurde aber in dem Beitrag von Völker in Frage gestellt.

Und die unsäglichen Tischleuchten …

Im allgemeinen Sprachgebrauch heißen die hier besprochenen Objekte Tischlampen und sind auch solche. Anders als Kerzen oder Gaslaternen, mussten sie im „modernen“ Büro von Leffingwell verkabelt werden. Aber nicht nur das gefiel dem Protagonisten von Scientific Management nicht. Er schreibt: „Tischlampen gehören zur selben Kategorie wie abgehängte Lampen, mit dem Zusatz, dass sie auch teuer sind. Zudem örtliche Beleuchtung konzentriert sich auf einen kleinen Fleck auf dem Tisch, der mit 25 foot-candle [ca. 250 lx] beleuchtet wird, während der Rest des Raums nur 3 oder 4 foot-candle [30 lx oder 40 lx] erhält. Das verursacht eine übertriebene und störende Blendung und stört die Sehschärfe …“ Jahrzehnte später wird die deutsche Beleuchtungsnorm DIN 5035 diese Leuchten praktisch verbannen, indem sie unerfüllbare Anforderungen an sie stellt: „Einzelplatzbeleuchtung ist Beleuchtung einzelner Arbeitsplätze zusätzlich zu einer Allgemeinbeleuchtung. Sie muss über die gesamte Tischbreite eine Gleichmäßigkeit besser als 1:6 aufweisen.“

Der deutsche Arbeitsschutz sprang den Gegnern der Individualbeleuchtung hilfreich bei und postulierte in einer Sicherheitsregel: „Einzelplatzbeleuchtung (Verwendung von Tischleuchten) an Bildschirm-Arbeitsplätzen ist im allgemeinen zu vermeiden.“

Bemerkenswertweise unterscheidet sich die Begründung des deutschen Arbeitsschutzes sich nur im Wortlaut von den Ausführungen von Leffingwell, aber in keiner Weise in der Schlussfolgerung: „Einzelplatzbeleuchtung führt durch den damit verbundenen ständigen Wechsel zwischen Hell- und Dunkel-Adaptation, durch unausgewogene Leuchtdichteverteilung im Arbeitsbereich und gegebenenfalls größere Wärmebelastung am Arbeitsplatz zu erhöhten Belastungen der Beschäftigten.“ 13Berufsgenossenschaftliche Vorschrift für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, ZH1/618 Sicherheitsregeln für Bildschirm-Arbeitsplätze im Bürobereich, VBG, Hamburg Oktober 1980 (zitiert die Ausgabe BGFE Feinmechanik und Elektrotechnik)

Dies fasste die lichttechnische Industrie umgehend als ein Verbot von Tischleuchten auf. Eine erstaunliche Konstanz der Vorstellungen über fast ein Jahrhundert, die der Erfahrung der Menschen widerspricht. Die Benutzer liebten Tischleuchten, sogar schlechte. Daher die Phrase „im allgemeinen zu vermeiden.“

Warum sich die Industrie so sehr für ein Verbot von einem technischen Produkt erwärmen konnte, kann niemand verstehen, ich auch nicht. Denn Hersteller achten penibel darauf, dass niemand ihnen in ihre Produkte hinein regiert. Sie können zwar nicht vermeiden, dass gefährliche oder gar schädliche Produkte gebannt werden. Aber sie wehren sich gegen Eingriffe von außen so gut es geht. Und das ist gut so. Warum aber ein Verbot von Tischleuchten befürworten oder gar herbei reden? Das habe ich verstanden, als ich ein Buch zum 75. Jubiläum einer der größten der Branche bekam und las. Diese hatte sich bereits vor langer Zeit zur Politik gemacht, nur Langfeldleuchten zu bauen. Das sind Produkte, in denen Lampen verbaut sind, die einen Meter und noch länger sind. Solche Objekte an Arbeitsplätze zu bringen, und dazu noch beweglich, artet in einem Stunt aus. Tatsächlich endete der Versuch den Branchenführers von damals, mit Langfeldleuchten Einzelarbeitsplätze zu beleuchten, in einem Fiasko.14Die sog. 2K-Beleuchtung (Zwei-Komponenten-Beleuchtung), mit der sich die Firma Waldmann Lichttechnik lange Zeit identifiziert hat, sollte einst ein Markenname für die Firma Siemens Lichttechnik werden. Beabsichtigt war eine fixe Anordnung einer Leuchte und dem Schreib-/Lesebereich auf dem Arbeitstisch. In üblichen Räumen bleibt die Anordnung der Leuchten bestehen, man ordnet die Schreibtische aber öfter um. Hierdurch kann Papier oder die Schrift darauf glänzen.

Basierend auf der Dissertation ihres Mitarbeiters Johann Reitmaier, schuf Siemens eine Kombination einer Beleuchtung mit Deckenleuchten mit einer am Arbeitstisch angebrachten Leuchte, die das Glanzproblem ein für allemal lösen sollte. Da seinerzeit eine Mischung von verschiedenen Lichtfarben als Zwielicht angesehen wurde, musste auch die Leuchte am Schreibtisch mit einer Leuchtstofflampe bestückt werden. Wurde also eine Langfeldleuchte. Dadurch wurde das Glanzproblem auf dem Papier zwar theoretisch gelöst. Dadurch entstand ein größeres Problem, weil Menschen mittlerweile Computer benutzten. Und deren Tastaturen glänzen egal aus welcher Richtung das Licht einfällt. Helfen tut nur eine matte Tastatur. Siehe dazu auch Reitmaier, J., Untersuchungen über Glanz und Lichtreflexe, Fakultät für Elektrotechnik an der Universität Fridericiana , Karlsruhe, 1977 und  Reitmaier, J. (1979) Some effects of veiling reflections in papers, Lighting Res. Technol., 11, 204–209.

Die unausgewogene Leuchtdichteverteilung oder wie eine Technik ihre Reputation verlor

Die nicht erst von Leffingwell angedachte ungleichmäßige Verteilung von Helligkeiten war eine Geißel ungenügender Ausleuchtung, die früher unvermeidlich war. Eine Kerze, die man nicht etwa als Dekoration für ein Candlelight-Dinner aufstellt, beleuchtet ihre Umgebung, blendet dabei den Benutzer und macht es unmöglich, dass man die Dinge dahinter sieht. Wenn die Umgebung mit ähnlichen Helligkeiten versehen ist, muss sich das Auge nicht ständig umstellen. So weit, so gut. Wenn man das aber zum Prinzip erklärt, kommen Dinge zusammen, auf die man sonst nie käme. So forderte z.B. eine einstige LiTG-Schrift zur Sportbeleuchtung15Siehe Çakir, A., Sehen beim Sport, Internationaler Arbeitskreis Sport- und  Freizeiteinrichtungen e.V., Köln, 1979, man müsse Tribünen von Sportstadien so beleuchten wie das Spielfeld, weil ansonsten die Augen der Spieler ermüdeten. Das wollte aber kein einziger Spieler.16Wenn alle Teile eines Stadions gleich hell beleuchtet werden, sehen die Tribünen aus wie Patchwork. Fliegt der Ball eine Tribüne entlang, kann man ihm kaum folgen. Am schlimmsten trifft es den Torwart. Er sieht den Ball vor dem Hintergrund einer beleuchteten Tribüne nicht mehr. S. Çakir, A.: Untersuchungen über die empfindungsgemäße Beurteilung von farbfernsehgerechten Flutlichtanlagen, Diss, TU Berlin, 1975 Während man sich nicht unbedingt mit den Problemen von Spielern befassen muss, die die Beleuchtung nur wenige Stunden in der Woche ertragen müssen, leiden Büromenschen darunter, dass ihre gesamte Umgebung mit einer Lichtsoße überzogen wird. Kein Architekt und kein Innenarchitekt wird je auf die Idee kommen, die gesamte Umgebung eines Arbeitsplatzes mit der gleichen Helligkeit zu überziehen. Ein bekannter Architekt, Meinhard von Gerkan, der viel von einer Kooperation mit Lichttechniker gehalten hatte, gab am Ende enttäuscht auf: „Für sie [Licht-Ingenieure, zumeist Elektrotechniker] gab und gibt es überwiegend nur zwei Kriterien: Die Ausbeute der Lichtmenge gemessen in Lichtstärke und den Aufwand im Verbrauch gemessen in elektrischer Energie. Wir hatten sehr schnell gelernt, dass die Beschränkung auf diese beiden Parameter für die Gestaltung der Architektur und die Erzeugung von Raumstimmung die kurzsichtigsten, um nicht zu sagen unsinnigsten Messgrößen darstellen.“17Meinhard von Gerkan: „Die Gestaltkraft des Lichts in der Architektur“, in: Flagge, I. (Hrsg.): Jahrbuch Licht und Architektur 2000, Müller, Köln, 2000

Lange vor Gerkan hatte einer der profiliertesten Autoren der lichttechnischen Literatur, der Augenarzt Weston, im Jahr 1954 in einem viel beqacheten Artikel geschrieben: „Unterschiedliche Helligkeitsverteilungen, unterschiedliche Helligkeitsniveaus gelten als ermüdend und einschläfernd. Um dies zu vermeiden, unterdrückt man visuell stimulierende Veränderungen in der Umgebung. Aber Veränderung ist sogar mehr als die Würze des Lebens, sie ist die unverzichtbare Bedingung bewussten Lebens.” Diesem Statement folgte ein Urteil, das hätte kaum härter ausfallen können: „Es gibt eine inhärente Eigenschaft  der modernen künstlichen Beleuchtung, die nicht anstrebenswert ist. Das ist ihre Konstanz - eine  viel gelobte Eigenschaft, von der behauptet wird, sie  begründe die Überlegenheit der künstlichen Beleuchtung  gegenüber der wechselhaften natürlichen Beleuchtung.  Jedoch, auch wenn Konstanthaltung von  Bedingungen für einige kritische Sehaufgaben anstrebenswert  ist, Konstanz ist eine nervtötende und abstumpfende  Eigenschaft der künstlichen Beleuchtung.“  

Das Urteil wirkte aber nicht etwa fatal, sondern praktisch folgenlos. Schlimmer noch, in der deutschen Arbeitsstättenverordnung von 1975 fehlte das Tageslicht vollkommen. Dies wurde von dem Zuständigen aus dem Arbeitsministerium so begründet: „Da eine gleichmäßige und stets gleichbleibende Beleuchtung der Arbeitsplätze, Arbeitsbereiche und Verkehrswege über den gesamten Tag nur durch künstliche Beleuchtung zu erreichen ist, wird in der Arbeitsstättenverordnung die allgemeine Forderung des § 120 a Abs. 2 GewO nach genügendem Licht nur für die Beleuchtung mit künstlichem Licht im einzelnen präzisiert.18Opfermann, R.; Streit, W.: Arbeitsstätten - Arbeitsstättenverordnung und Arbeitsstätten- Richtlinien mit ausführlicher Kommentierung, Loseblattsammlung, Forkel Verlag, 1999 Schlimmer kann man Wissenschaft kaum ignorieren: Einer der bekanntesten Augenmediziner geißelt eine Eigenschaft der künstlichen Beleuchtung als nervtötend und abstumpfend, ein Arbeitsschutzgesetz schreibt 20 Jahre danach vor "eine gleichmäßige und stets gleichbleibende Beleuchtung der Arbeitsplätze, …" Weston hatte genau angegeben, wann eine solche Beleuchtung von Nutzen wäre, für einige kritische Sehaufgaben. Die Beleuchtung von Arbeitsstätten wurde aber genormt, als wenn wenige kritische Sehaufgaben immer und ständig erledigt werden müssten.

Ein wahrlich schwerwiegendes Erbe früherer Jahrhunderte, wo die Menschheit nach Licht lechzte. Jetzt steht eine uniforme, über alle Räume und Tage und Jahreszeiten gleichbleibende Helligkeit als Antwort. Der künstliche Sonnentag mit der elektrischen Sonne, auf deren Erscheinen man nicht warten muss, endlich gesetzlich vorgeschrieben!