Meiner lieben Frau und meinen Lehrern Manfred Richter, H. J. Helwig und Jürgen Krochmann gewidmet.
Çakir, Ahmet E.. Genesis 2.0 - Schöpfung der elektrischen Sonne
Einführung
Für kleine Jungen gibt es kein größeres Faszinosum als das Feuer. Früher konkurrierte bestenfalls die Dampflok mit ihm. Vielleicht lag das daran, dass ihre Funktion auf dem Feuer beruhte. Deswegen wollten viele Jungen Feuerwehrmann oder Lokführer werden. Mich interessierte aber die Geschichte des Feuers als Diebesgut, das ein gewisser Prometheus den Göttern gestohlen haben soll. Wie in Goethes Gedicht zu erfahren, verachtet dieser nicht nur die Bewohner des Olymp. Er erschafft den Menschen, dem er das Feuer schenkt, auf dass dieser die Wärme und das Licht genieße. Meine Motivation, mich mit Licht zu beschäftigen, entsprang einer prosaischeren Quelle: Ich wollte Ingenieur werden, aber mich nicht mit einer kalten Technik beschäftigen. Sie sollte Menschen eine Freude bereiten. So landete ich bei dem vermutlich einzigen Institut einer technischen Universität, bei dem man sich sowohl mit reinster Technik als auch mit der Akzeptanz dieser durch die Menschen und deren Gesellschaften beschäftigt. Die Lichttechnik hat sich mit Menschen befasst, lange bevor sie überhaupt einen Namen hatte.
Meine Professoren waren zwar exzellente Fachleute ihres Metiers, aber sie lehrten uns auch, dass keine Technik perfekt sein kann. So lernte ich neben Lichtmachen auch etablierte Systeme zu prüfen, ob sie wirklich so gut sind, wie sie scheinen. Als Elektronikingenieur habe ich im Prüffeld Sender geprüft. Später sollten größere Systeme wie Bildschirmtext folgen. Meine erste große “Prüfung” in Sachen Licht und Mensch, meine Dissertation über die empfindungsgemäße Beurteilung einer Beleuchtung, fiel sehr positiv für Licht aus. Da meine Arbeit auf der Befürchtung aufbaute, dass die betreffende Beleuchtung die Menschen eher vertreiben könnte denn anzuziehen, war ich sehr glücklich damit. Daher erwartete ich, dass mein nächstes Projekt eine fast perfekte Akzeptanz der Beleuchtung ergeben würde, die der Büros.
Bei meiner Dissertation hatte ich das gleißende Licht von Fußballstadien untersucht. Hingegen schien die Beleuchtung von Büros nahezu perfekt, zumal meine ersten Untersuchungsobjekte die besten je gebauten sein sollten. Waren aber nicht. Kaum jemand mochte das Licht an seinem Arbeitsplatz. Glauben wollte ich das nicht. Geht es überhaupt an, wenn man schon 1935 Beleuchtung genormt hatte, um der Gesundheit und der Schönheit zu dienen? Für mich war es nicht fassbar, dass das Licht ein Stressfaktor sein sollte, wo doch bereits die Lehrer meiner Lehrer sich damit befasst hatten, wie man Licht angenehm gestalten könne. Um die Diskrepanz verstehen zu können, bin ich zur Ergonomie gewechselt, die sich mit der Arbeit des Menschen befasst. So kann ich das Thema als außenstehender Insider angehen.
Der Aufbau und der Inhalt dieses Buches beruhen auf dieser Erfahrung. Man kann den Text linear lesen, so einem alles plausibel scheint, aber auch praktisch bei jeder bedeutsamen Aussage innehalten und recherchieren. Hierzu dienen primär die Endnoten, die nicht nur aus kurzen Fußnoten bestehen, sondern auch aus kleinen Artikeln wenn nötig. In denen sind auch Links zur Außenwelt enthalten, damit man die Aussagen selber in dem Umfang nachprüfen kann, den man für erforderlich hält. Da so etwas nur mit einem eBook möglich ist, war der Aufbau praktisch vorgegeben.
Dieses Buch ist im Original als E-Book erschienen. E-Books haben nicht nur Vorteile. Auf einen Glossar habe ich leider verzichten müssen, weil mein Tool die Erstellung mehrerer verlinkter Verzeichnisse nicht erlaubt. Nur ein Verzeichnis kann so funktionieren, dass man hin und zurück schalten kann, ohne verloren zu gehen. Dafür habe ich die wichtigsten Begriffe z.T. ausführlich ausgearbeitet, insbesondere bei denen, die ich selber sehr lange gebraucht hatte zu verstehen. Leider ist es auch nicht möglich, den Haupttext mit internen Links zu versehen. Daher sind die Verweise auf andere Kapitel zwar erkennbar (kursiv gesetzt), aber nicht verlinkt. In der Online-Version habe ich die Links setzen können. Die Fussnoten werden an der Stelle sichtbar, wo man sich im Text befindet. Das geht mit externen Links leider nicht. Deswegen habe ich, wenn möglich, Wikipedia-Artikel verlinkt. Dabei ist die Rückkehr zum Browser einfacher.
Das Buch beschreibt, wie eng das Streben der Menschen nach Licht mit sozialen Ereignissen verwoben war. Daher sehe ich das künstliche Licht als den wichtigsten Autor der Industriegeschichte an, Autor der Genesis unserer Industriegesellschaft, die nicht schläft.
Der Weg der Lichtquellen von einer Göttergabe zu einem Baumarktartikel für paar Euro umfasst mehr als die geschriebene Geschichte der Menschheit. Diese kann man unterschiedlich zusammenordnen. Ich habe ihn nach der Art der Lichterzeugung in vier Epochen geteilt, deren Anfang man in etwa bestimmen kann, aber nicht deren Ende, weil der Mensch zwar immer neuere Methoden der Lichterzeugung gefunden hat, aber keine vergessen.
Das Nicht-Vergessen trifft auch für die nahezu sakrale Bedeutung des Lichts zu, das die Schöpfer des elektrischen Lichts als unerlässlich für ein gesundes Leben erachteten und deswegen zu kopieren trachteten. Die Bemühungen hierzu vergleiche ich mit dem Schöpfungsakt der Erde, mit der das Alte Testament beginnt, daher der Titel Genesis 2.0 … Die Lichttechniker wollten die Sonne nicht etwa nachbauen, sondern übertrumpfen. Dass zu dem Tag der Natur auch die Nacht gehört, stand zwar in der Bibel, aber nicht in der Lampenspezifikation von Edison. Der vom künstlichen Licht geformten modernen Arbeitswelt ist die Nacht abhanden gekommen. Sie ist bestenfalls lästig - wie der siebte Tag auch, an dem sich der Schöpfer laut Bibel geruht haben soll.
Bevor ich den Tag der elektrischen Sonne beschreibe, muss ich deren Geburtsjahre kommentieren. Sie prägen das missionarische Selbstverständnis der Lichtmacher bis heute. Diese Jahre umfassen das Lange 19. Jahrhundert – etwa von der Französischen Revolution bis zum 1. Weltkrieg. Licht war einst Sache der Sozialreformer und Städtebauer, weil die Industrialisierung nicht nur überlange Arbeitszeiten in den Fabriken bedingte, sondern auch noch die Lebensumwelt mit Rauch und Ruß füllte. Das künstliche Licht rauchte und rußte zwar immer weniger. Ein Segen war es indes nicht.
Die Finsternis der Großstädte wurde begleitet durch viele Krankheiten, die die Medizin, die Hygiene und auch die Technik bekämpfen wollten. Die Dämmerung der elektrischen Sonne repräsentiert niemand sonst als Matthew Luckiesh, ein Direktor von General Electric. Sein vor fast 100 Jahren veröffentlichtes Buch zu Licht und Gesundheit pries das Licht der Sonne, aber nicht um sie hochzuloben, sondern seine Technik darüber zu stellen. Kaum konnte man mit Licht etwas professionell umgehen, wollte man Wohn- und Arbeitsstätten von außen isolieren, um darin den ewigen milden Sommertag künstlich zu betreiben. Ob dieser Traum eher von den Klimatechnikern gekommen war, kann ich nicht sagen. Beide zusammen planten ein Leben ohne einen Bezug zum natürlichen Tag. Das künstliche Licht als Befreiung von der Sonne, die ihr Licht nach eigenen Regeln abgab. Rund 80 Jahre danach waren es wieder Mediziner, die feststellen mussten, dass der künstliche Sonnentag der Natur des Menschen widerspricht. Nach ihrer Meinung ist Licht außerhalb der Zeiten, in denen es das natürliche gibt, der Gesundheit abträglich und daher nur in minimalen Dosen verträglich.
Da die hehren Ideale der Sozialreformer oder die Vorstellungen der Lichtanbeter die Arbeitgeber kaum interessieren würden, wurde fast gleichzeitig mit der Quantifizierung des Lichts im Jahre 1924 begonnen, die eine Steigerung der Arbeitsleistung durch Licht zu propagieren. Das Projekt dazu wurde immerhin vom NRC der USA, National Research Council, initiiert. Das Experiment lief in einer Fabrik namens Hawthorne Works und endete mit einem der größten Traumata der Wissenschaft. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass eine höhere Beleuchtung die Arbeitsleistung steigert. Die bis heute feststellbaren Wirkungen dieses Projekts führten dazu, dass in der Lichttechnik manche Legende als Fakt weiterlebt. Dazu gehört auch der (Irr)Glaube, dass eine gleichmäßige und immer gleichbleibende Beleuchtung die Leistungsfähigkeit erhöhe. Erhöht hat sie bestenfalls die Abneigung der Architektur gegenüber der Lichttechnik. Hat die erste Beleuchtungsnorm von 1935 der Gesundheit und der Ästhetik dienen wollen, will deren letzte Nachfahre, die europäische Beleuchtungsnorm von 2021, für Sehleistung sorgen.
Diese, die Sehleistung, wird aber schon lange nicht mehr benötigt, weil die Mehrzahl der Arbeitsplätze mit Monitoren bestückt sind, die kein Licht mehr brauchen. Ganz im Gegenteil – die Beleuchtung steht der Sehleistung eher im Wege. Mit dem Aufstieg der Computer in der Arbeitswelt hat der Abstieg der elektrischen Sonne begonnen. Ihre Geschichte seit der Dämmerung um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert, ihr Aufstieg, ihr Weg zum Zenit sowie die Begleitumstände werden in dem Buch nachvollzogen. Und was unser heutiges Wissen noch alles Wichtige aus den 1920er Jahren mitschleppt.
Das Ziel, mit Licht Gesundheit zu erzielen, gewann eine besondere Bedeutung, als es Forschenden im Jahre 2002 gelang, einen neuen Sensor im Auge zu entdecken, der nicht dem Sehen dient. Dieser hilft dem Gehirn, die Hormone des Menschen zu steuern - und das im Takt der Sonne. Dessen Wirkung auf das Hormon Melatonin soll unsere Vorstellung von Lichtwirkungen nicht nur theoretisch revolutionieren. Alle Größen, mit denen die Lichttechnik operiert, beziehen sich mittlerweile auch auf diese Wirkung und heißen melanopische Wirkungen. Zu diesem Zweck wurde nichts Geringeres als das Ziel der Beleuchtung geändert, das seit der Eiszeit besteht und 1938 schriftlich definiert worden war – Licht Erzeugen, damit man Objekte in seiner Umgebung und diese selbst erkennen kann. Es gilt nicht mehr. Beleuchten heißt nur noch Licht Erzeugen - wozu auch immer.
Mit der Beschreibung dieser Vorstellungen endet der Haupttext. Danach habe ich vier Bonuskapitel zugefügt, die Kniffliges wie Unvollendetes erklären. Dazu gehört die Blendung, über die man länger als 100 Jahre forscht, sich aber eher am Anfang fühlt. Sie zu beseitigen, gehörte zum Konzept von Edison bei der Erfindung der Glühlampe – das neue Licht sollte so billig sein, dass sich nur Reiche eine Kerze anzünden wollten, und es solle nicht blenden. Ein Ziel ist erreicht, das andere leider nicht. Wann es erreicht werden kann, steht nicht in dem Text. Niemand kann es vorhersagen.
Nicht ganz abgeschlossen ist die Geschichte des Phoebus- Kartells. Diese ist zudem eng verbunden mit der Frage der Lebensdauer von Lampen, zu der es technische Antworten ebenso gibt wie wabernde Gerüchte, Legenden und gar Märchen.
Im letzten Kapitel berichte ich von einem Projekt, das das Ende einer Lichterzeugung besiegelt hat, die seit 1801 existiert und in der Form der Leuchtstofflampe das Arbeitsleben revolutioniert hat – der Titel: PLACAR - Die letzte Plasmalampe. Das Licht im Universum wird hauptsächlich durch die Plasmaentladung erzeugt. Wir aber benutzen nur noch LED, also einen Halbleiter, den es in der Natur nicht gibt. Zum Lichterzeugen braucht es die Natur nicht mehr.
VORWORT
Bücher schreibt man in der Hoffnung, ein Thema zu beleuchten, also um Licht ins Dunkel zu bringen. Beim Thema Licht mangelt es nicht an wertvollen Arbeiten, die dessen technische Seiten beleuchten. Man zitiert auch gerne J. W. von Goethe, der angesichts des Todes "Mehr Licht" gesagt haben soll, auch wenn er sich sonst der Farbenlehre verschrieben hatte. Dass Licht im Städtebau eine Hauptrolle gespielt hat, ist nicht nur seit dem Erscheinen des Buchs "Mehr Licht, mehr Luft" von Marianne Rodenstein bekannt. Mein Freund Heinrich Kramer, ein begnadeter Lichtplaner, hat zusammen mit Walter von Lom in deren Buch "Licht - Bauen mit Licht" nicht nur gezeigt, dass Hippodamos von Milet diese Rolle des Lichts schon fünf Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung in eine reale Stadt umgesetzt hatte. Er hat auch eindrucksvoll demonstriert, dass das Beherrschen von Licht die menschliche Geschichte in ihrer Entwicklung beherrscht hat wie kaum eine andere Kunst.
Mein Interesse liegt in der Beeinflussung menschlicher Arbeit durch Licht, die einen wichtigen Teil des Arbeitserlebnisses des Menschen bildet, ohne dass dies etwa in der Ergonomie zur Geltung gekommen wäre. Man kann eher unbestraft behaupten, die Ergonomie interessiere sich nicht für Licht. Ohne Strafe bleibt dieses Desinteresse allerdings nicht. Die Arbeitenden müssen sie begleichen.
Kein Wunder, dass in den letzten 25 Jahren mehr Forschung zu Licht im Sinne seiner nicht-visuellen Wirkungen erschienen ist als in den 75 Jahren zuvor. Die führenden Forschenden aus Medizin haben nämlich festgestellt, dass der derzeitige Zustand der Beleuchtungstechnik als abträglich für die Gesundheit bezeichnet werden kann.
Diese Zeitrechnung ergibt nicht zufällig 100 Jahre. Denn vor genau 100 Jahren wurde der entscheidende Schritt getan, die Wirkung des Lichts zu quantifizieren, man veröffentlichte die sog. V(λ)-Kurve, die die Empfindlichkeit des menschlichen Auges für Licht darstellen soll. Heute erleben wir das Bestreben, die diese Kurve ersetzen will durch die Wirkungsfunktion auf Melatonin, allgemein bekannt als Schlafhormon. Weniger bekannt ist indes, dass Melatonin Milliarden Jahre alt ist und das Leben schon bestimmte, als es noch im Wasser der Ozeane vor der Strahlung der Sonne geschützt werden musste.
Wir stehen also vor einem gewaltigen Sprung in dem Verständnis von Lichtwirkungen. Um diesen zu bestehen, kommen wir nicht umhin, die technische wie die soziale Geschichte künstlichen Lichts verstehen. Ich habe versucht, diese Aufgabe zu erleichtern, indem ich zunächst die Geschichte des Lichtmachens in vier Epochen darstelle, Licht 1.0 bis Licht 4.0. Keiner dieser Zeitabschnitte ist indes abgeschlossen, man kann selbst der vermutlich ersten Lichtquelle, der Öllampe, im Alltag begegnen - runde 17.000 Jahre nach ihrer Erfindung. Danach kommen die Geburtsjahre der elektrischen Sonne an die Reihe. Die Realisierung des künstlichen Sonnentages folgt, der unser Leben heute weitgehend bestimmt, erläutert mit dem wichtigsten Protagonisten seiner Zeit, Matthew Luckiesh, dessen Hauptwerk „Light and Health“ demnächst 100 Jahre alt sein wird.