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Der Aufstieg - Idealisten danken ab – Bürokraten übernehmen
Leistung, Leistung über Alles! Eine kleine Geschichte aus Hawthorne Works
Den Weg der elektrischen Sonne von einem geliebten Objekt zu einem krank-machenden pflasterten Fachleute, deren Fach nicht gerade Lichttechnik war oder sein musste. Leute wie auf dem Jahrmarkt zu unterhalten z.B. wie bei der Pariser Weltausstellung, auf dem der Eiffelturm als Lichtmast herhielt und auf – aus unserer heutigen Sicht – Scheußlichkeiten herabblicken musste, wie auf den Menschenzoo „village nègre“) mit 400 Bewohnern aus französischen Kolonien, oder Buffalo Bills Wild West Show, die heute ebenfalls unter Menschenzoos rangiert, ist eine Sache. Eine andere Sache ist es, die Industrie davon zu überzeugen, dass sie das Licht braucht, um hohe Leistungen – sprich Profite – zu erzielen. Hierbei muss man zwischen den Zielen der Industrie fein säuberlich unterscheiden. Profite zu erzielen ist Ziel jeder wirtschaftlich motivierten Unternehmung. Selbst Muslime, die keine Zinsen für ihr Geld nehmen dürfen, haben nichts gegen Profite durch unternehmerische Tätigkeiten einzuwenden. Woran diese aber nicht denken wie viele andere Menschen auch, ist die Beherrschbarkeit von Herstellungsprozessen. Diese gehört zu den Grundpfeilern der Ingenieurskunst ebenso wie zur Unternehmenskultur.
Eng verbunden mit der Beherrschbarkeit sind zwei Faktoren, Fehlerfreiheit und eine garantierte, möglichst hohe, Leistung der Mitarbeiter. Was liegt da näher, als dass man nachweist, dass man beide garantiert steigert? Just diesen Nachweis wollte das Projekt Hawthorne erbringen. Und endete mit einer der traumatischsten Pleiten der Wissenschaftsgeschichte. Traumatisch deswegen, weil am Ende nachgewiesen wurde, dass auch ein methodisch einwandfreies Vorgehen nach bestem Wissen und Gewissen nicht die Zuverlässigkeit der Ergebnisse sicherstellen kann. Dies aber bildet die notwendige Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft.
Die Hawthorne-Experimente begannen 1924 mit einer Untersuchung, mit der das National Research Council (NRC) herausfinden wollte, welchen Einfluss die Lichtverhältnisse am Arbeitsplatz auf die Leistung der Mitarbeiter haben. NRC, das ist nicht irgendeine Organisation irgendeines Landes. Es organisiert den größten Teil der Forschungen, die im Namen der National Academy of Sciences und der National Academy of Engineering der USA durchgeführt werden. Seine Aufgaben sieht der NRC darin, die Politik zu beraten, den allgemeinen Bildungsstand zu erhöhen und die Forschung in den Bereichen der Naturwissenschaft, des Ingenieurwesens und des Gesundheitswesens zu fördern sowie deren Ergebnisse zu verbreiten.
Wer in den USA etwas untersucht, tut dies stets im Hinblick auf quantifizierbare Aspekte. Hierbei spielt die Leistung - oder auf Denglish performance - immer eine wichtige Rolle. Wenn man mit anderen Aspekten punkten will, kann man sogar völlig daneben liegen. So hatte ich einst den Auftrag einer amerikanischen Firma, nachzuweisen, ob eine bestimmte Computertastatur die Gesundheit fördert. Das Ergebnis – sie fördert die Gesundheit – wollte der Auftraggeber aber nicht hören. Denn es bedeutete, dass seine anderen Tastaturen gesundheitsschädlich wären. Derselbe Auftraggeber hat aber in einem anderen Fall sofort akzeptiert, dass seine Maus die Leistungsfähigkeit der Nutzer am Bildschirm hemmt und deswegen durch eine neue ersetzt werden müsse. Diese wurde umgehend bei uns in Auftrag gegeben.
Was US-amerikanische Studien von anderen fast immer unterscheidet, besteht in der Quantifizierung der Kosten, die unvermeidlich scheint. Denn am Ende soll jemand, der etwas kauft oder einführt, einen Gewinn dadurch erzielen. Eigentlich überhaupt keine schlechte Idee, denn Hersteller sind Wirtschaftsunternehmen, und müssen wirtschaftlich handeln. Soweit so gut! Wie weist man aber dies nach? Stellt man z.B. die Komponenten eines Autos „wirtschaftlich“ her, kann das aus diesen Komponenten zusammen gebaute Auto durchaus eine Katastrophe werden. So stieg z.B. José Ignacio López de Arriortúa, Manager der Firma General Motors bei deren Tochter Opel, später auch der Chefeinkäufer für General Motors Europa, zum Executive Vice President für den weltweiten Einkauf des Konzerns in Detroit auf. Seine Methode war methodisches Drücken der Preise. López zwang die Zuliefererindustrie zu bis dahin unbekannten Zugeständnissen. Seine kompromisslose Verhandlungsführung mit den Zulieferern in Kombination mit seinen Werksbesichtigungen führte in der Folge zu starken Qualitätseinbußen bei den gelieferten Komponenten – dem nach ihm benannten López-Effekt. Der Begriff López-Effekt ist nach Jahren immer noch als Synonym für billige und oft mangelhafte Bauteile bekannt. Welche Rolle dies bei der Insolvenz des einst weltgrößten Autobauers in 2009 gespielt hat, ist für unseren Fall nicht so sehr interessant. Diese Insolvenz hatte übrigens die Insolvenz der einstigen Autohauptstadt der Welt, Detroit, zur Folge, die dadurch zu einer Geisterstadt wurde. Was man daraus lernen kann, ist dass eine Kostensenkung ohne eine wirksame Qualitätskontrolle keine Wirtschaftlichkeit ist. Und dass eine Wirtschaftlichkeit im kleinen Maßstab einen Zusammenbruch im großen Maßstab zur Folge haben kann.
Es lohnt sich, die Hawthorne Geschichte näher zu studieren, weil diese nicht nur die Geschichte der Wissenschaft wesentlich beeinflusst hat, sondern in der Lichttechnik die Geschichte und das Handeln führender Leute bis heute bestimmt.
Das geistige Umfeld der Hawthorne Experimente
Die Hawthorne Experimente gehörten einst in den Bereich „Scientific Management“, aus dem die Ableger Ergonomie (Europa) und Human Factors (USA) hervorgegangen sind. Der Begriff bedeutet so viel wie „Wissenschaftliche Betriebsführung“. Es war ein Managementkonzept, das Frederick Winslow Taylor entwickelte und 1911 in seinem gleichnamigen Hauptwerk darlegte.1Taylor glaubte an wissenschaftliche Methoden, die nach seiner Vorstellung Management, Arbeit und Unternehmen mit einer rein wissenschaftlichen Herangehensweise optimieren könnten, um dadurch soziale Probleme zu lösen sowie „Wohlstand für alle“ zu erreichen. Taylor wollte jeden Arbeitsprozess bis ins Detail zerlegen, studieren und „optimieren“. Wobei Optimieren eher im monetären Sinne zu verstehen ist. Der Ansatz von Taylor ging davon aus, dass man den richtigen Arbeiter für eine Aufgabe bestimmen könne. Und dass die Arbeiter sich im „loafing“, also Faulenzen ergötzten. Die Frage war, wie man die Arbeiter zur vollständigen Erbringung der ihnen möglichen Arbeitsleistung bewegen könnte. Denn sie faulenzten nicht aus lauter Faulheit, sondern dass zwischen Arbeitern und Management ein Machtkampf herrsche und dass dieser Kampf von den Arbeitern gewonnen würde, solange nur sie die Arbeit kennen und beherrschen und dem Management nicht bekannt sei, was die tatsächlich erreichbare Arbeitsleistung ist. Zwischen Taylors Vorstellungen und dem „Taylorismus“ bestehen recht große Unterschiede. Beide sind heute noch Gegenstand heftiger Diskussionen. Der Name Taylor zieht sich wie ein Stern durch die Industriegeschichte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durch. Ein Stern, der unterschiedlich leuchtet
Eines der wichtigsten Prinzipien, die Taylor einführen wollte und auch eingeführt hat, war die Trennung von ausführender und planender Arbeit. Dies wird als die Zergliederung der Arbeit angesehen, in deren Folge ein Teil der Arbeitnehmer nur noch ausführen durfte, was andere vorgedacht haben. Wenige Privilegierte waren mit planerischen Arbeiten beschäftigt. Die Arbeitsbelastung sollte es dem Arbeiter ermöglichen, diese Leistung Tag für Tag über Jahre hinweg ohne Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erbringen. Aber er sollte ein großes tägliches Arbeitspensum erledigen. Dazu sollte die Arbeitsbelastung gleichmäßig sein und die Arbeitsbedingungen geregelt. Taylors fünfter Grundsatz hatte es in sich: Das tägliche Arbeitspensum sollte so hoch bemessen sein, dass es nur durch einen erstklassigen Arbeiter vollbracht werden kann“.
Taylors Methoden und Lehre standen unter ständiger Kritik, was angesichts der Bedeutung der Arbeit für den Menschen nicht verwunderlich ist. Es kam zuerst in den staatlichen Waffenfabriken zu einzelnen Streiks gegen den Einsatz des Systems. Es wurden Eingaben bei beiden Häusern des Parlaments eingereicht und Taylor musste Scientific Management vor einem Untersuchungsausschuss des Kongresses rechtfertigen. Diese Anhörungen führten zu einer weitergehenden Untersuchung durch eine wissenschaftliche Kommission, deren Ergebnisse im so genannten Hoxie-Bericht (nach dem Leiter der Kommission, Robert Franklin Hoxie) publiziert wurden. 2S. Robert Franklin Hoxie: Scientific management and labor. Appleton, New York 1915. Der Ausschuss kritisierte die Methoden heftig und kritisierte vor allem: Die Ergebnisse der Zeitstudien seien von Einflussgrößen abhängig, welche nicht hinreichend kontrolliert würden.
- Das System entmachte den Arbeiter und mache ihn in bedenklichem Umfang disponibel.
- Die Methoden zur Ermüdungsmessung seien zu grob und oberflächlich.
- Das System vereinzele den Arbeiter, zerstöre die Solidarität und sei damit demokratiefeindlich.
In der Folge wurde der Einsatz von Stoppuhr und Akkordlohn für staatliche Fabriken in den USA 1916 verboten und blieb es bis 1949. So ganz erfolgreich fiel das Verbot nicht aus. Man entwickelte die Methode MTM, Methods Time Measurement, die ohne Stoppuhr auskam. 3s. Methods-Time Management @
Taylors System beruhte auf einem Bild vom Menschen und Arbeit, das eher einer Maschine angemessen wäre. Zudem beruhte es u.a. auf der Vorstellung, dass Menschen nur arbeiten, um Geld zu verdienen. Die notwendigen Arbeitsabläufe, um ein Produkt zu fertigen, bestünden aus einer bestimmten und objektiv festlegbaren Abfolge von Ausführungsfunktionen. Und anhand wissenschaftlicher Methoden wäre es immer möglich, die beste Art und Weise zur Ausführung eines Arbeitsschrittes zu ermitteln.
Man kann unschwer erraten, dass die „wissenschaftlichen“ Methoden bei Arbeiten, die umfangreiches Denken forderten, kaum etwas Vernünftiges ergeben konnten. Auch heute noch wendet man die weiter entwickelte Methode REFA4Die Abkürzung REFA geht auf den ursprünglichen Namen des Sachgebietes im Jahr 1924 zurück: Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung. Der REFA– Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e. V. ist die älteste Organisation für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung in Deutschland. REFA blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück, in der er unter der nationalsozialistischen Herrschaft für politische Zwecke missbraucht wurde. Umfangreiche Information z.B. hier und hier. Der REFA-Verband besteht aus einem Bundesverband und 9 Landesverbänden. weitgehend nur in der Produktion an. (REFA selbst ist ein Verband mit 10.000 Mitgliedern und vielfachen Aktivitäten.)
Zur Methode
Wenn man verstehen möchte, wie die Forschenden damals den Erfolg/Misserfolg von Licht messen wollten, hilft ein Blick auf die Methoden. Damit die Betrachtung sich nicht allzu museal anhört, habe ich zwei in der heutigen lichttechnischen Literatur kursierende Aufbereitungen als Beispiel genommen. Mit diesen soll derzeit die Wirkung von HCL (Human Centric Lighting) belegt werden. Das ist eine fiktive Art Beleuchtung, die die Physiologie des Menschen beeinflussen soll und damit die Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeitsleistung fördert.
Das erste Beispiel könnte 1 zu 1 dem damaligen Ansatz entsprechen. Man nimmt an, dass eine Erhöhung der Beleuchtungsstärke Leistung erhöht und Fehler reduziert. Wenn man hierfür nur in mehr Beleuchtung investieren muss und dafür eine höhere Leistung (Menge) und geringere Fehlerraten (Qualität) erntet, erzielt man eine positive Bilanz insgesamt.5Bitte nicht mit CO2 und ähnlichen Argumenten kommen. Im Jahre 1924 hatte man noch nicht gemerkt, dass der elektrische Strom nicht die sauberste Energieform ist. Die Rechnung, kurz zusammen gefasst, sieht wie folgt aus6Die Abbildung stammt aus einem Konzept von A.T. Kearney mit dem Titel „Light and Health“ , ausführlich hier erklärt. A.T. Kearney handelte als strategischer Berater von LightingEurope, der offiziellen Lobbyorganisation der europäischen Lichtindustrie. Von ihr stammen viele Positionspapiere zu Licht und Beleuchtung , z.B. auch diese. Die bis 2022 zuletzt veröffentlichten Darstellungen finden sich hier. Abgerufen 8.10.2022:
Die Fabrik Hawthorne Works von Western Electric in Hawthorne (jetzt Cicero) produzierte elektrische Produkte statt elektronische. Die Arbeit war aber hoch-repetitiv. Warum die Forschenden eine bestimmte Beleuchtung als förderlich annahmen, ist nicht überliefert. Dies ist auch unerheblich. Sie haben einem Teil der Belegschaft den Eindruck vermittelt, die Beleuchtung sei verbessert worden. In dem angeführten Beispiel ist es eine höhere Beleuchtungsstärke.
Da die Arbeit trivial war und jeder Handschlag berechenbar, konnte man die persönliche Leistung und die Reduzierung der Fehler unmittelbar berechnen und den Arbeitskosten gegenüber stellen. Warum eine verbesserte Beleuchtung die Leistung erhöht, wird z.B. mit der Aktivierung der Person und Erhöhung seiner Sehschärfe erklärt. Dass eine besser sehende Person weniger Fehler macht, dürfte niemanden wundern. Man wollte aber einen experimentellen Nachweis erbringen, der unwiderlegbar war (Beispiel 2).
Hätten die Forscher damals einen Ansatz wie in Beispiel 2 gewählt, könnte man das Scheitern des Experiments schon besser verstehen. Diesem Beispiel liegt die Feststellung zu Grunde, dass eine verbesserte Beleuchtung die Kinder einer Schulklasse ruhig stelle. Dieses Experiment ist erst im 21. Jahrhundert gelaufen.7Dieses Experiment wurde in Hamburg durchgeführt und sollte zeigen, dass eine „dynamische“ Beleuchtung die Aufmerksamkeit der Kinder erhöht und diese ruhiger macht. Noch Jahre nach dem Experiment, das durch unsere Intervention nicht umgesetzt wurde, gab es Pressemeldungen wie „Blaues Licht macht Schüler munter“ @ abgerufen 23.09.2022. Der Auftraggeber wollte sich nicht als solcher bezeichnen lassen und behauptete, er habe nur einen Forschungsassistenten bezahlt, der das Experiment ausgeführt hätte. Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg hat sich mehrfach mit dem Projekt befassen müssen (s. Drucksachen Nr. 19/3215, 19/3399, 19/3522, 19/3741, 19/3993 und 19/7852). Hier sollte nachgewiesen werden, dass eine geeignete Beleuchtung bares Geld spart, indem Kinder weniger häufig wegen ADHS-Störungen behandelt werden müssen. Man bekommt gesündere Lehrende oben drauf. Das Vorbild dieses Experiments hatte John Ott 1973 durchgeführt. Die Wirkgröße sollte das Vollspektrum sein.
An dieser Darstellung kann man die Natur und die Schwachstellen typischer US-amerikanischer Studien erkennen. Man greift einen bestimmten Faktor aus einem komplexen Umfeld auf (ADHS von Schulkindern als eine Ursache von unruhigem Verhalten). Zeigt eine der möglichen Wirkungen auf (durch ADHS gestörte Kinder, gestresste Lehrer) und stellt die hierdurch entstehenden Kosten auf. Hiergegen fühlen sich die Kosten für die Beleuchtung gering an. Was zu beweisen war …
Das Hawthorne Experiment fing zunächst mit einem einfachen Ansatz nach dem Beispiel 1 an. Zu Beginn war es auch keine sozialwissenschaftliche Studie. Üblicherweise kann man solche Experimente je nach Forschungsbudget in ein paar Monaten durchziehen. Doktorarbeiten mit ähnlichen Ansätzen dauern zwar länger, aber bestimmt keine acht Jahre. Sie werden allerdings nicht so berühmt, dass sie gleich mehrere Wissenschaften nachhaltig ändern.
Die Hawthorne-Studien haben sich gelohnt und wichtige Erkenntnisse für die Wissenschaft geliefert. Leider nicht im Sinne der Protagonisten der Förderer der elektrischen Sonne.
Ablauf der Experimente
Wie schon angeführt, gingen die Forschenden an das Experiment, den Zusammenhang zwischen der Beleuchtung am Arbeitsplatz und Arbeitsleistung zu untersuchen. Da der Auftrag als sehr bedeutsam eingeschätzt wurde, hat man (s. Blindstudie bzw. Doppelblindstudie8Die heute in weiten Kreisen übliche Doppelblindstudie dient der Verhinderung einer Verzerrung der Studienergebnisse durch die Ausschaltung von Rosenthal- und Hawthorne-Effekt. Als Doppelblindstudie bezeichnet man eine randomisierte kontrollierte Studie, bei der weder der Versuchsleiter (bei klinischen Studien der Arzt) noch die Studienteilnehmer Kenntnis über die jeweilige Gruppenzugehörigkeit (Kontrollgruppe, Experimentalgruppe) haben. So wissen bei Placebo kontrollierten klinischen Studien zur Wirksamkeit eines Medikamentes weder Arzt noch Patient, wer das Arzneimittel und wer das Placebo erhält. Die Teilnehmer erhalten nur die Information, die aus ethischen Gründen gegeben werden muss.) eine hinreichend große Experimentiergruppe und Kontrollgruppe gewählt. Die Beleuchtungsbedingungen für die letztere blieb unverändert, während die Experimentiergruppe mit einer „verbesserten“ Beleuchtung versehen wurde. Diese wird in der Literatur als „stärker“ oder ähnlich bezeichnet. Vermutlich wurde die Beleuchtungsstärke erhöht.9Man erhöht die Beleuchtungsstärke in der Praxis, indem mehr Leuchten in den gleichen Raum installiert werden. Während die Beleuchtungsstärke eine fiktive Größe ist, ändert sich hierbei die Größe der leuchtenden Fläche an der Decke. Diese ist in Gegensatz zur Beleuchtungsstärke direkt sichtbar und zumindest psychisch wirksam. Diese Änderung wird bei kaum einem Experiment berücksichtigt. Wenn mehr Leuchten auf die gleiche Fläche installiert werden, ändert sich möglicherweise die Gleichmäßigkeit der Ausleuchtung. Diese hat mit Sicherheit einen größeren Einfluss z.B. auf das Unfallgeschehen als eine höhere Beleuchtungsstärke, indem dunkle Stellen jetzt besser beleuchtet werden. Dieser Faktor wird bei den meisten Studien nicht berücksichtigt. Er verfälscht aber die Ergebnisse sehr wirksam.
Sowohl die Geschäftsleitung als auch die Forschenden haben im Jahr 1927 verblüfft festgestellt, dass die Leistung bei beiden Gruppen angestiegen war. Dies wurde seinerzeit, und von vielen Autoren bis heute, dahingehend gedeutet, dass die Beleuchtungsbedingungen keine Rolle spielten.10Eine andere Sichtweise auf die bei beiden Gruppen gleichermaßen gestiegene Leistung besteht darin, dass man anführt, dass die Arbeitsbelastung unterschiedlich angestiegen war. Die Kontrollgruppe, die unter gleichen physikalischen Bedingungen mehr leistete, hätte später gestreikt. Den Beteiligten wurde klar, dass ein anderer Faktor entscheidend für das Ergebnis der Studie gewesen sein musste. Die Firmenleitung sah Anlass genug, auf eigene Kosten weiter nach diesem Faktor zu suchen. Sie veranstaltete ein kleineres Experiment mit nur sechs Teilnehmerinnen. Diese wurden über die Vorgehensweise und Ziele des Projekts informiert. Eine bessere Bezahlung, eine Einführung von Pausen unterschiedlicher Länge, verkürzte Arbeitstage, sowie veränderte Sitzordnung unter den Arbeiterinnen waren einige wichtige Veränderungen, die in Abstimmung mit ihnen eingeführt wurden.
Was weiter folgte, beschreibt Sarah von Leiden wie folgt:“ Wie erwartet ging die Produktivität signifikant in die Höhe, erhöhte sich in den ersten beiden Jahren um 32 %, um beim Abschluss der Studie eine Erhöhung von fantastischen 46 % zum anfänglichen Leistungsdurchschnitt aufzuweisen. Wie nicht anders zu erwarten also, haben sich diese Faktoren positiv auf die Leistung der Frauen ausgewirkt. In der letzten Testphase wurden dann alle Veränderungen wieder rückgängig gemacht, die Frauen arbeiteten also unter anfänglichen, schlechteren Bedingungen. Daraufhin kletterte der Output auf ein Maximum.”11SARAH VON LEIDEN Der Einfluss der Hawthorne-Experimente auf den Human-Relations-Ansatz, 2008 @ abgerufen 24.09.2022
Die absichtlich herbeigeführten Veränderungen der Arbeitsverhältnisse in dieser Teilstudie waren gravierend. Ein Teil der Angehörigen der Experimentalgruppe wurden in einem separaten Arbeitsraum untergebracht, bekamen günstigere Arbeitszeiten, mehr Lohn. Die Führungskräfte wie auch die Forschenden pflegten ihnen gegenüber einen verständnisorientierten Führungsstil, was seinerzeit nicht üblich war. Daraufhin stieg die Produktivität dieser Gruppe. Man führte hitzige Debatten darüber, ob dieser Anstieg eher auf ein günstigeres Lohngefüge oder den „menschlicheren“, nämlich nicht-direktiven Umgang der Führungskräfte zurückzuführen sei. Das eigentliche Ziel der Studie, die Wirkung von Licht auf die Arbeitsleistung zu bestimmen, geriet in den Hintergrund.
Die Hawthorne Studien wurden z.B. von Elton Mayo als Begleitforscher weiter geführt. Seinem Einfluss ist zu verdanken, dass die Erkenntnisse auf die sozialen Beziehungen zwischen informellen Gruppen zurückgeführt werden. Während die lichttechnische Literatur die Hawthorne Experimente nicht offen kommentiert, sind alle Aspekte dieser Studien bis zum heutigen Tage Gegenstand teils hitziger Debatten bei den Sozialpartnern, der Soziologie, Betriebspsychologie und Organisationslehre. Ein Blick auf die Literatur zeigt, bei welcher Disziplin der Schwerpunkt liegt.12Fritz Jules Roethlisberger, William J. Dickson, Harold A. Wright (Designer): Management and the Worker. An Account of a Research Program Conducted by the Western Electric Company. Hawthorne Works, Chicago (1939). 14. Auflage: Harvard University Press, Cambridge, MA 1966, ISBN 0-674-54676-8.
Emil Walter-Busch: Das Auge der Firma. Mayos Hawthorne-Experimente und die Harvard Business School, 1900–1960. Enke, Stuttgart 1989
Heinz Schuler: Lehrbuch der Personalpsychologie. 2. Auflage. Hogrefe, Göttingen/Bern/Wien /Toronto/ Seattle 2005, ISBN 978-3-8017-1934-0
Erich Kirchler: Arbeits- und Organisationspsychologie. 2. Auflage. Facultas, Wien 2008, ISBN 978-3-8252-2659-6
Rice: The Hawthorne defect: Persistence of a flawed theory.In: Psychology Today.Band 16, Nummer 2, 1982, S. 70–74
Ryan Olson, Jessica Verley, Lindsey Santos, Coresta Salas: What we teach students about the Hawthorne studies: A review of content within a sample of introductory I-O and OB textbooks. In: The Industrial-Organizational Psychologist. Band 41, Nr. 3, 2004, S. 23–39.
Hawthorne war ein Lichtblick für alle, die an „human relations“ glaubten. Aus den Ergebnissen der Hawthorne-Studien resultierte schließlich der Human-Relations-Ansatz, der davon ausgeht, dass Arbeitern viel mehr an der Veränderung von sozialen und emotionalen Faktoren ihrer Arbeitsbedingungen – insbesondere des Führungsstils – gelegen sei als an Lohnsteigerungen. Die physikalischen Faktoren waren für viele nicht einmal mehr eine Erwähnung wert. Dies können Menschen, die durch besseres Licht (bzw. bessere Luft) eine positive Veränderung für die Arbeitenden erzielen wollen, bis heute nicht verstehen.13Zum Verständnis: Die Hawthorne Experimente haben gezeigt, dass andere Faktoren als physikalische in einer realen Arbeitswelt wirksam sein können, Und zwar so wirksam, dass man den Einfluss der physikalischen Faktoren nicht einmal experimentell ermitteln konnte. Daran gibt es nichts zu deuteln. Was man aber trotzdem klären muss, ob dies generalisiert werden kann. Denn das Experiment wurde in einer Fabrik in den 1920ern veranstaltet. Hawthorne (jetzt Cicero) war damals nicht der Himmel auf Erden, sondern der Rückzugsort der kriminellen Bande von Al Capone, dem die Polizei von Chicago auf den Pelz gerückt war. Und die Probanden gehörten nicht zum Führungspersonal der Firma, sondern zu den niedrigsten Rängen. Später relativierten Forschende wie Maslow die Befunde. Nach Maslow existiert eine fünfstufige Bedürfnispyramide für Menschen. In dieser steht die Selbstverwirklichung an oberster Stelle, während physiologische Bedürfnisse den Boden der Pyramide bilden. Allerdings wird Maslow nachgesagt, dass er kurz vor der Verfassung seines Werkes mehrere Wochen bei den Schwarzfuß-indigenen verbracht hätte. Deren Leben soll ihn sehr beeinflusst haben. Ob die Motivationslage eines praktisch vernichteten Volkes, dessen Reste in einem Reservat lebte, für die Bestimmung der Bedürfnisse von Menschen in Industriegesellschaften geeignet ist, sei dahin gestellt. Nochmals ppäter hat Frederick Hertzberg eine Theorie zur Arbeitsmotivation aufgestellt, Zwei-Faktoren-Theorie (auch Motivator-Hygiene-Theorie). Danach besitzen sogenannte. Motivatoren (z.B. Erfolgerlebnis, Anerkennung) eine größere Bedeutung als Hygienefaktoren, wozu die physikalischen Arbeitsbedingungen wie Beleuchtung gehören. Diese können die Arbeitsmotivation negativ beeinflussen, wenn sie ungünstig sind. Sie erhöhen aber die Arbeitsmotivation nicht, wenn sie gut gestaltet sind. Beispielsweise wird schlechte Luft im Büro negativ aufgefasst, aber niemand freut sich unbedingt, wenn sich die Luft so anfühlt wie sonst.
Das Nicht-Verstehen-Können der Erkenntnisse der Hawthorne Experimente sollte der Lichttechnik eine für eine solide Ingenieurwissenschaft recht ungewöhnliche Entwicklung bescheren. Diese thematisiere ich unter „Legendenbildung und Märchenerzählung – Ungewöhnliche Aktivitäten für Ingenieure“. Meine Beschreibung basiert auf einem denkwürdigen Vortrag eines der international bekanntesten Lichttechniker.
Lichttechnik allein auf weiter Flur …
Die Lichttechnik hat auf eine sehr eigentümliche Weise auf Hawthorne reagiert. Der einzige Autor, der ein Buch zu Licht und Human Factors veröffentlicht hat, Peter Boyce, erwähnt die Geschichte nur so nebenbei.14Boyce, P.: Human Factors in Lighting CRC Press, 2014 978-1-4398-7489-9 (ISBN) Boyce behauptete, die Organisationspsychologie aus der Zeit der Hawthorne Studies hätte den glücklichen Arbeiter als den produktivsten Arbeiter eingeführt.15Boyce, P., Hunter, C. and Howlett, O: The Benefits of Daylight through Windows, Rensselaer Polytechnic Institute, New York, Troy, 2003
In der deutschen Literatur zu Lichtanwendungen kommt der Begriff nur selten vor. Allerdings will das nicht etwa heißen, es habe keine Reaktion gegeben. Denn seinerzeit stand die Produktivität der Produktionsprozesse soweit auf der Tagesordnung, dass die Methoden eines Taylor ziemlich zeitgleich in Deutschland auf hiesige Verhältnisse übertragen wurden, so etwa durch die Gründung von REFA in 1924. Bemerkenswert ist, dass weder das Scientific Management noch dessen Nachfolger sich mit der Beleuchtung beschäftigt haben.
Deutschland hat aber durch eine sehr eigenwillige Art auf die Beleuchtungsstudien reagiert: Es wurde ein Reichsamt „Schönheit der Arbeit“ gegründet, dessen Hauptaugenmerk auf Beleuchtung und Arbeitsleistung lag. Das Amt „Schönheit der Arbeit“ war eine Organisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und damit eine Gliederung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Das Amt wurde im November 1933 gegründet, und gleich in die NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude einbezogen. Es wechselte sein Motto jährlich. In 1935 hieß es „Kampf dem Betriebslärm“, in 1936 „Gutes Licht, gute Arbeit“. Mit Kriegsbeginn drängte das Motiv der Steigerung der Produktivität andere Bemühungen vollends in den Hintergrund: Eine bessere Ausleuchtung von Arbeitsplätzen diente der Senkung von Ausschuss! So folgte das Amt für Schönheit der Arbeit letztlich dem gleichen Ziel, das 15 Jahre zuvor in Hawthorne Works erprobt worden war. Der Leiter des Amtes war kein geringerer als Albert Speer, ein Architekt. Er sollte später sogar Rüstungsminister werden.
Die erste deutsche Norm zu „Licht“ trug auch die Handschrift eines Architekten. Und folgte mit ihren Grundsätzen der Linie, die in dieser Arbeit aufgezeigt wird: Licht dient der Gesundheit! So wird in DIN 5035 vom Jahre 1935 die Ziele der (künstlichen) Beleuchtung dargelegt16Das Bild ist Faximile des Entwurfs von DIN 5035.: „Die künstliche Beleuchtung … muß den Forderungen der Gesundheit und Schönheit entsprechen …“ Hinter dieser Deklaration stecken die drei Vitruvschen Prinzipien der Architektur, Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit).
Im Laufe der Jahrzehnte werden in Deutschland, wie übrigens in vielen Ländern, die Ingenieure das Schicksal von Licht in die Hand nehmen. Sie werden die Attribute „zweckmäßig“ und „wirtschaftlich“ in den Vordergrund stellen und so der elektrischen Sonne einerseits beim Aufstieg helfen, aber andererseits dafür sorgen, dass heute deutsche Manager davon träumen, einen Arbeitsplatz ohne künstliches Licht zu bekommen. Die Daten stammen von einer Studie des Netzwerk Linkedin.17Die Studie von Linkedin wird u.a. hier kommentiert: @ oder hier: „Irgendetwas scheint gewaltig schiefzulaufen in der deutschen Arbeitswelt. Zumindest könnte man das glauben, wenn man sich die Ergebnisse der neuesten Umfrage des Netzwerks Linkedin zu den mehr oder minder heimlichen Wunschvorstellungen deutscher Fach- und Führungskräfte bezüglich ihres Arbeitsplatzes ansieht. Demnach ist das ideale Büro ein möglichst ruhiger, lichtdurchfluteter Raum ohne künstliche Lichtquellen.”
Hätte man tatsächlich das Ziel verfolgt, den Unternehmen eine aus der Betriebssicht zweckmäßige Beleuchtung zu verschreiben, wären die Führungskräfte mit dem Ergebnis nicht so unglücklich geworden. Man wollte aber mehr, denn das Lichtmarketing hatte bereits in den 1930ern den Arbeitsschutz als Vehikel ausgemacht. So sollten die Träume eines Luckiesh vom gesunden Licht, erzeugt im Innenraum, weiterhin verfolgt werden, jetzt sogar im Schutze des Staats. Gutes Licht war endlich eine staatliche Aufgabe geworden.
Die Jahre, in denen die Lichttechnik „staatstragend“ war, bedeuteten u.a. dass die Gesellschaft, die Licht fördern sollte, heute die Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e.V., von politischen Interessen beherrscht wurde. Dieser Verein entstand im Jahre 1933 kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus den bis dahin unabhängigen Lichttechnischen Vereine in Berlin, Karlsruhe und Essen.18Festschrift der Deutschen Lichttechnischen Gesellschaft e.V. zum 100-jährigen Bestehen im Jahr 2012, S. 53 Die neue Gesellschaft erhielt einen „Führer und Reichsvorsitzenden“, der zugleich Leiter des „Führerrates“ war. Die ehemaligen Vereine bekamen Gauleiter vorgesetzt. Zum weiteren Leben dieses Vereins gehört die Gründung des Reichsamts „Schönheit der Arbeit“, die Unterstützung der Propaganda des NS-Regimes „für mehr Arbeitsleistung durch bessere Beleuchtung“, sowie der Einsatz für das Gegenteil von Beleuchtung, für die Verdunkelung.
Um das Geschehen dieser Jahre in Sachen Licht nicht mit den restlichen Entwicklungen um die elektrische Sonne zu vermischen, müssten diese in einem getrennten Kapitel behandelt werden. Denn die direkte Einmischung eines Staats in eine Technik zur Unterstützung seiner – damals nicht öffentlich deklarierten – Ziele (Kriegsvorbereitung) und die Beeinflussung einer Wissenschaft eben im Sinne solcher Staatsziele gehören nicht zu den üblichen Vorgängen in der Historie einer weltweit wirksamen Technik. Ich verzichte gerne auf eine Analyse solcher Vorgänge, weil ich nicht wenige Protagonisten dieser Zeit persönlich gekannt habe. Zudem möchten die damals betroffenen Institutionen ungern an ihr Leben unter politischer Kontrolle erinnert werden.
Das besondere Interesse des NS-Regimes an Licht wurde nicht nur durch die Hoffnung genährt, mit besserem Licht die Leistung der Arbeiter zu erhöhen. Das Symbol dieses Regimes, die Swastika, ist eines der ältesten menschlichen Symbole, die sogar vor 12.000 Jahren existiert hat, und zwar auf allen Kontinenten mit Ausnahme Australiens.19Eine ausführliche Erläuterung der Swastika mit ca. 250 Literaturangaben findet sich in Wikipedia @ 29.09.2022 Sogar der recht friedvolle Buddha erscheint in historischen Darstellungen mit dem Symbol (hier Buddhas Fußabdrücke aus dem 2. Jahrhundert).20Footprints of the Buddha (2nd century, Yale University Art Gallery) aus Wikimedia. org @ abgerufen 29.09.2022 Die Swastika war ein Sonnensymbol, etwa i. S. der Glück bringenden Sonne.
Die Hinterlassenschaft der zwölf Jahre zwischen 1933 und 1945 für Deutschland war eine enge Verflechtung der Organisationen, die sich mit Licht beschäftigten, und dem Staat bzw. seinen Organen. Dies wirkte sehr lange nach, so dass später z.B. die für den Arbeitsschutz zuständigen Berufsgenossenschaften die Schriften von FGL, einer Absatzförderorganisation der elektrotechnischen Industrie, fast unverändert übernahmen oder das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung diese Quelle in den Kommentaren zur Arbeitsstättenverordnung benutzte.21Das Standardwerk für die Kommentierung der Arbeitsstättenverordnung, Regeln für Arbeitsstätten und Arbeitsstätten-Richtlinien mit ausführlicher Kommentierung, sonstige für Arbeitsstätten wichtige Vorschriften, Regeln, Rechtsprechung Opfermann/Streit Arbeitsstätten, ecomed Sicherheit. ISBN 978-3-609-21208-1. Die Aussage gilt für die Ausgaben bis zum Jahr 1995. Das Werk ist ein Loseblattwerk, derzeit gilt die 169. Aktualisierung, 2022. Doch auch anderswo lassen sich die Spuren der Zeit entdecken. So bekam z.B. ein gewisser H. Richard Blackwell für seine Verdienste für die US-amerikanischen Streitkräfte in 1947 eine Medaille (Army-Navy Certificate of Appreciation).22Biographie des H. Richard Blackwell @ 30.09.2022 Zu seinen Forschungsobjekten gehörte u.a. die Brenndauer von Phosphorbomben, die bei Luftangriffen für Beleuchtung sorgten. Blackwell forschte noch bis 1955 für das Militär und fast 30 weitere Jahre an der Universität.
Der Aufstieg der elektrischen Sonne wurde nicht nur von glücklichen Umständen und Ereignissen begleitet. Mehrere Protagonisten der unglücklichen Zeit durfte ich sogar später persönlich kennenlernen. Der eine war der hier genannte Prof. Blackwell. Der zweite, Walter Köhler, hatte mir einige Erlebnisse aus der Zeit im persönlichen Gespräch erzählt. Bei zwei weiteren Personen, Dr. H.J. Helwig und Dr. Manfred Richter, beide später Professoren an der Technischen Universität Berlin, habe ich studiert. Wenn man die DDR auch zum unglücklichen Erbe des NS-Regimes zählen darf, hat die deutsche Lichttechnik bis 1990 unter der Isolation der beiden deutschen Staaten gelitten. So konnten wir führende Köpfe der DDR-Lichttechnik nur über Tagungen im bulgarischen Varna kennen lernen.
Gleiches Licht für Alle – Ein unglückliches Erbe der 1930er Jahre
Das Scientific Management, von Taylor auf die Produktion angewandt, warf seinen Schatten immer wieder auf das Büro, der Wirkungsstätte der Angestellten. Die Büros funktionierten damals nicht wie heute als eigenständige produktive Einheiten. Vielmehr bildeten die Angestellten die „Privatbeamten“ des Unternehmers, die die Arbeit der Produktiven organisierten und überwachten. D.h. sie waren die Verwaltung im wahrsten Sinne des Wortes, ein Anhängsel der Firma, auch wenn unverzichtbar. Die ausführenden Angestellten von Versicherungen bildeten aber schon im 19. Jahrhundert deren produktive Kraft. In diesen Firmen spielten die Organisationsabteilungen die Rolle der Verwaltung. Zu Beginn des 20 Jahrhunderts machten diese aber bestenfalls nur etwa 10% der gesamten Belegschaft aus. Fast 90% der Angestellten einer Versicherung führten aus, was die oberen 10% organisierten. Dieses Verhältnis änderte sich im Laufe des Jahrhunderts mächtig. Die Hierarchien wurden verflacht und der Anteil der „Indianer“ im Vergleich zu den „Chiefs“ hat sich stark reduziert. Bei anderen Firmen wie z.B. Microsoft bildet heute eher die Produktion das Anhängsel.
Dennoch hat sich das Bild der Büroangestellten bis heute relativ wenig verändert: große operative Einheiten, die Vorgänge bearbeiten, einst in (papiernen) Akten zusammen gefasst, heute allerdings in elektronischen Akten. Den sprichwörtlichen Dreikampf des Büromenschen, Lochen, Bumsen, Abheften, gibt es schon lange nicht mehr. Praktisch alle Bürotechniken wurden aber mit diesem Bild des Versicherungsangestellten im Hinterkopf erfunden oder entwickelt, so auch deren Beleuchtung, bis der PC erfunden wurde. Dieser ist das erste Bürogerät, das nicht für den Gebrauch bei Versicherungen entwickelt wurde. Die Versicherungen waren fast immer die größten Arbeitgeber für Angestellte und damit auch die größten Abnehmer der Bürotechnik. Kein Wunder, dass sich die Rationalisierer sich auf deren Arbeit stürzten. Naturgemäß hieß deren Methode „Scientific Office Management“, so nach dem Titel eines Buches von William H. Leffingwell.23Leffingwell, W.H.: Scientific Office Management, A.W. Shaw Company, 1917
Leffingwell ließ bei späteren Ausgaben seines Buches das Wort scientific weg und so wurde der Begriff „Office Management“ geboren. Dieser sollte später für fast zwei Jahrzehnte den Titel einer deutschen Zeitschrift zu dem Thema Büro bilden. Wie bereits zum Thema scientific management ausgeführt, müssen US-amerikanische Forschende ihre Ergebnisse quantifizieren und, vor allem, den monetären Vorteil einer Lösung ziemlich auf Heller und Pfennig berechnen. Und im Zeitalter Leffingwells Scientific Office Management besorgten dies sog. efficiency experts. Diese drehten buchstäblich jedes Blatt drei Mal um, um einen berechenbaren Vorteil herauszuarbeiten. Es wurde sogar untersucht, ob man den Bleistift zum Spitzen mit der rechten Hand halten soll oder mit der linken, damit man Zeit und Geld spart. Die Autoren Osborn und Ramsey haben sogar die Kosten der Klimatisierung einer Bankkasse gegen die Arbeitsleistung des Kassierers beim Zählen von Banknoten aufgerechnet.24Osborn, Alex F. and Robert E. Ramsay: The Optimism Book For Offices. How To Standardize And Systemalize To Meet War-created Business Problems. Art Metal Construction Company, Inc., Jamestown, 1918 Bei diesen Arbeiten wurde u.a. eine wichtige Errungenschaft des 21. Jahrhunderts, der Steh-Sitz-Arbeitsplatz erfunden, aber verworfen. Zu teuer!
Immerhin hat sich Leffingwell auch mit der Beleuchtung beschäftigt, was sich spätere Nachfolger Ergonomen und Arbeitswissenschaftler erspart haben. Er stellte fest, dass sowohl weiße Tische als auch zu dunkle blendeten. Und zog daraus die kluge Entscheidung, man müsse die Farbe ändern statt die Beleuchtung. Ein Beleuchtungsexperte hätte vermutlich anders entschieden.25Dass ein Beleuchtungsexperte häufig nicht ganzheitlich denkt, und bei dem angeführten Beispiel von blendenden Tische eher die Beleuchtung ändert statt die Ursache, zu helle Tische, ist nicht etwa ein übertriebener Einzelfall sondern System. So weiß man z.B. seit den 1950er Jahren, dass sich Sekretärinnen durch ihre Tastatur geblendet fühlten. Man wunderte sich, woher die Vorstellung kam, weil die Betroffenen angeblich „blind“ tippen. Tatsächlich lernen diese, blind zu tippen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie nie auf ihre Tastaturen „gucken“. Sie müssen nur nicht die Tasten anstieren, um die richtigen auszumachen. Die Tastatur und ihre Hände sehen sie im peripheren Gesichtsfeld. Und dort blenden die wechselnden Reflexe, die durch die Augen- und Kopfbewegungen sichtbar werden. Das Sehen im peripheren Gesichtsfeld wird in der Lichttechnik häufig ausgeklammert. Man fokussiert auf das scharfe Sehen. Die allgemeine Lösung, die die Beleuchtungstechnik vorgibt, besteht darin, die Leuchten seitlich vom Schreibtisch anzuordnen. Das wird seit Jahrzehnten auch tatsächlich gelehrt und praktiziert. Das bedeutet aber, dass große Teile von Büros „unbewohnbar“ sind, weil heute praktisch alle mit Tastaturen arbeiten. Die beste, weil auch billigste, Lösung ist, eine matte Tastatur zu benutzen. Dies zu empfehlen, gehört nicht zu den Aufgaben des Lichtplaners. Und die Lösung ist nicht praktikabel, wenn man bestimmte Tastaturen benutzen muss.
Irgendwann mal in diesen Jahren kamen die Effizienz-Experten zu dem verhängnisvollen Schluss, der sich bis in die 1970er Jahre sinngemäß so anhörte: Die Allgemeinbeleuchtung erhöht die Produktivität der Arbeit. Wann dies erfolgte, lässt sich nicht mehr zuverlässig feststellen, denn auf dem Gebiet der Beleuchtung fehlen Instrumente, die in der Wissenschaft sonst für Ordnung sorgen. Das ist zum einen das prinzipielle Gebot, eine Erkenntnis nur ein einziges Mal zu veröffentlichen. Niemand darf eine wissenschaftliche Erkenntnis ein zweites Mal publizieren, selbst deren Autor nicht. Auch dieser muss, wenn er eine Erkenntnis in einem wissenschaftlichen Papier verwenden will, sich in dritter Person zitieren. Nennt er die Quelle nicht, kann die Arbeit als Plagiat abgelehnt werden. In diesem Falle als Selbstplagiat. Das zweite Instrument ist nicht so scharf wie das erste, aber sehr wirksam, Prüfung von Manuskripten durch sog. peers, das sind gleichrangige Personen, die eine Arbeit fast immer anonym prüfen. Daher der Name „peer review“. Die Autoren der begutachteten Arbeit müssen dabei etwaige Kritik ernst nehmen und entdeckte Fehler korrigieren oder darlegen, weshalb die Kommentare der Gutachter unzutreffend sind, bevor die Studie publiziert werden kann.
Bei der technischen Literatur wird dieses Verfahren seltener angewendet. Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen. So wird beispielsweise jemand, der eine intelligente technische Lösung für ein Problem gefunden hat, bestimmt nicht wollen, dass sich unbekannte Personen viel Zeit nehmen können, um die Sache nachzubauen, während er selbst gutgläubig wie ungeduldig auf die Veröffentlichung wartet. Zudem muss ein Autor eines wissenschaftlichen Papiers darlegen, dass die gleiche Erkenntnis noch nirgendwo veröffentlicht worden ist. Bei fast 20.000 Zeitschriften und etwa vier Millionen Artikeln jährlich ist das ein schönes Unterfangen. Bis ein Techniker so etwas bewerkstelligt, könnte unliebsame die Konkurrenz schon zwei weitere Entwicklungsschritte enteilt sein. Dafür kann es passieren, dass man etwas „erfindet“, was schon längst auf dem Markt ist, zuweilen sogar wieder von Markt verschwunden.
Aus den genannten Gründen unterscheiden sich technische Publikationen und wissenschaftliche bereits äußerlich erkennbar voneinander. Die Literatur auf dem Gebiet der Beleuchtung ist weitgehend technisch. Daher kann man allenfalls mutmaßen, wie die Vorstellung entstanden sein kann, dass die Allgemeinbeleuchtung die Produktivität fördere. Dokumentiert ist sie nirgendwo. Ungeachtet dessen verlangten alle Ausgaben der deutschen Norm DIN 5035 nach 1972 bevorzugt die Allgemeinbeleuchtung. Diese wurde von den Gewerbeaufsichtämtern auch geprüft, bevor ein Büro in Betrieb genommen werden konnte. Interessanterweise gibt es aber zwei verschiedene Vorstellungen davon, was eine Allgemeinbeleuchtung ist. Die eine besagt, sie sei „eine gleichmäßige Beleuchtung, die an allen Stellen des Arbeitsraumes etwa gleiche Sehbedingungen schafft.“ Diese Interpretation entspricht den Aussagen des damaligen Obmanns des Normenausschusses Lichttechnik in seinem Fachbuch.26Die Aussage, dass die Allgemeinbeleuchtung „eine gleichmäßige Beleuchtung, die an allen Stellen des Arbeitsraumes etwa gleiche Sehbedingungen schafft.“ ist findet sich in dem Buch Hentschel, H.-J.: Licht und Beleuchtung, Siemens Berlin München 1972 Die andere Darstellung wird von anderen Mitgliedern des Ausschusses benutzt und besagt schlicht, eine Allgemeinbeleuchtung sei eine, die an allen Stellen die gleiche Beleuchtungsstärke erzeugt. Damit wird die Qualität der Beleuchtung auf die Beleuchtungsstärke reduziert.
Warum soll eine Beleuchtung an allen Stellen des Arbeitsraumes gleiche Sehbedingungen schaffen? Wenn man sich die Räume der Versicherungen aus den 1920er und 1930er Jahren27Bild aus dem Film The Crowd (Deutsch Die Menge und Ein Mensch in der Masse.) von 1928 anschaut, kann man die Logik dahinter sofort erkennen. Alle Angestellten, die einen Raum teilen, teilen auch die gleiche Aufgabe, die gleichen Arbeitsstunden etc. Wenn ein Lichtplaner die Beleuchtung für einen Arbeitsplatz einrichtete, gab es daher keinen Grund, für die weiteren Plätze etwas anderes einzuplanen. Ganz im Gegenteil, wenn ähnliche Personen etwa die gleiche Arbeit verrichten, muss man allen die gleichen Sehbedingungen bieten, damit sie effizient arbeiten können, so die Effizienz der Arbeit von der Beleuchtung abhängt.
Als die explizite Forderung nach der Allgemeinbeleuchtung in die deutsche Beleuchtungsnorm zu Beginn der 1970er Jahre eingeführt wurde, herrschte in der Architektur die Vorstellung, dass man in der Zukunft nur noch Großraumbüros bauen würde. Diese unterschieden sich zwar von ihren US-amerikanischen Vorgängern erheblich. Aber es gab auch hierzulande keinen Grund, anders zu handeln, weil die Arbeit für viele gleich war. Wo sie nicht gleich war, hat man gefordert, dass ein Raum immer nach dem Arbeitsplatz zu beleuchten sei, der die höchsten Anforderungen an die Sehaufgabe stellt. Leider erschöpfte sich dies darin, dass man die Beleuchtungsstärke erhöhte. Noch klüger war die Anforderung, höhere Beleuchtungsstärken (meist > 50%) einzuplanen, damit man die spätere Belegung des Raumes berücksichtigen kann. Sie findet sich noch in der letzten Ausgabe von EN 12464-1. Kann jemand ausschließen, dass ein Arbeitsraum mal anders benutzt werden kann?
Auf diesen verschlungenen Wegen kam ein Konzept, das viel früher von staatlichen Stellen missbraucht worden war „Gleiches Licht für alle Volksgenossen“28Der Spruch „Gleiches Licht für alle Volksgenossen“ wird der Deutschen Arbeitsfront zugeschrieben, die die Beleuchtung in deutschen Betrieben verbessern wollte. F. Blaha: Trends der Bildschirmarbeit - Ein Handbuch über Recht, Gesundheit und Ergonomie in der Praxis, Springer Vienna, https://doi.org/10.1007/978-3-7091-6747-2 zu der Ehre, die bevorzugte Beleuchtungsart zu werden, sobald sich die Lichttechnik in der Lage fühlte, große Flächen gleichmäßig auszuleuchten. Das erfolgte, wie gesagt, in den 1970er Jahren. Und die elektrische Sonne schien aber auf eine andere Bürolandschaft als gedacht. Nur 5% deutscher Büros wurden zu Großraumbüros. Dafür musste der große Rest unter einer Beleuchtung leben und arbeiten, die einem falschen Bild folgte.
Die Entwicklung der Beleuchtungskonzepte parallel zur Entwicklung der Normen zur Beleuchtung wird in Çakir und Çakir29Çakir, A., Çakir, G.: Licht und Gesundheit - Eine Untersuchung zum Stand der Beleuchtungstechnik in deutschen Büros, Ergonomic, Berlin, 3. Auflage, 1998, Kap. 9. beschrieben. Darin sind alle Entwicklungen zwischen 1935 (DIN 5035) und der letzten Ausgabe einer deutschen Beleuchtungsnorm für die künstliche Beleuchtung (DIN 5035-1) enthalten.
Die Architektur zog die Bremse schneller als die Lichttechnik. Zwar konnten diverse Gewerke, darunter auch die Lichtleute, die Ablehnung der weitgehend vom Tageslicht abgeschnittenen Arbeitsraum mit einer fehlenden Eingewöhnung der Menschen erklären, denen nicht selten sogar Hysterie vorgeworfen wurde. Um ein Gefühl von dem Tageslicht zu bekommen, das in solche Räume eindringen konnte, ist das Bild eines solchen großen Raums ungemein hilfreich. Das Bild zeigt ein Berliner Mittelstufenzentrum im Bau. Hier soll nur gezeigt werden, was an Tageslicht durch die Fenster eintreten kann. Wie der fertige Raum in etwa aussah, zeigen Fotos, die mir ein Architekt zugeschickt hat, der damit nachweisen wollte, dass die Umgebung wunderbar ausgesehen hatte.30Quelle der Bilder: Prof. Hahn, Architektenkammer Stuttgart, persönliche Mitteilung
Die Bilder lassen in etwa vermuten, wie unvollkommen die elektrische Sonne über 50 Jahre nach Luckiesh ausgesehen haben muss. Naturgemäß geben graue Bilder eine seinerzeit mit Absicht bunt gestaltete Umwelt nicht gut wieder. Allerdings sehen die damals mit der Absicht attraktiv auszusehen erstellten Bilder auch nicht gerade einladend aus. Die Simulation einer lebendigen Umgebung, wie sie Weber vorgeschwebt hat, also mit viel Licht zum Sehen, Luftbewegungen durch die Klimaanlage und Geräusche durch Maschinen, wollte nicht gelingen. Anstatt dem Wohlbefinden der Angestellten und der Leistungsfähigkeit der Organisation zu dienen, verdienten solche Umgebungen ein Prädikat: nicht humanisierbar!31Das vernichtende Urteil „nicht humanisierbar“ für das Großraumbüro allgemein wurde vom TÜV Rheinland als Ergebnis einer Studie gefällt, das Wege zu deren Humanisierung aufzeigen sollte. Die Studie, bei der ich mit Prof. Albert Armbruster als Gutachter tätig war, hatte zunächst in nur einem Gebäude stattgefunden. Die Gutachter verlangten, dass die Forscher mehr Gebäude untersuchen sollten, um ihre Befunde generalisieren zu dürfen. Diesem Wunsch wurde entsprochen. Das Ergebnis nach weiteren untersuchten 6 Gebäuden war aber kaum unterschiedlich. In der Folge stellte die Staatsekretärin Anke Fuchs vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Studie in einer Pressekonferenz vor. Das Echo konnte schlimmer nicht sein. So schrieb der Spiegel am 13.12.1981: „Großraumbüros müßten, weil krank machend und inhuman, abgeschafft werden, forderte Staatssekretärin Anke Fuchs. Doch die Untersuchung, auf die sich die Politikerin stützt, ist von zweifelhaftem Wert.“ Und dieser Zweifel wurde wie hier begründet: „Die Untersuchung, angefertigt von Wissenschaftlern des TÜV Rheinland e.V., habe erwiesen, daß Arbeit in Großraumbüros krank mache, so Anke Fuchs auf einer Pressekonferenz Anfang Dezember. Angestellte in solchen Büros litten häufiger unter Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Verdauungsbeschwerden. Besonders nachteilig sei, der Untersuchung zufolge, der »Mangel an Privatheit« in Großraumbüros sowie das Unvermögen, an den Arbeitsbedingungen wie Klima, Akustik oder Beleuchtung etwas ändern zu können.” Nicht nur der Spiegel erging sich in TÜV-Bashing. Z.B. hieß es: „Sämtliche Erhebungen über Gesundheitsschädigungen und psychisches Unbehagen beruhen allein auf subjektiven Aussagen.“ Dummerweise kann man auch heute nicht psychisches Unbehagen mit objektiven Methoden messen. Und Gesundheitsschädigungen hatten die Forscher nicht objektiv festgestellt, sondern angegeben, mit einem Gesundheitsfragebogen gearbeitet zu haben. So ähnlich werden Forschende auch im Jahre 2025 verfahren. Die Firma Quickborner Team, die Erfinder des Großraumbüros, formierte ihre Kunden, die solche gebaut hatten, zum Protest. Dennoch – der Spiegel-Artikel las sich, trotz der harten Kritik an der Methodik der Studie, wie ein Menetekel an. Die heftig kritisierte Studie führte mit zum Untergang der Vorstellung, mit dem Großraumbüro ein humanes Konzept gefunden zu haben.
Das Urteil sollte sich für das Büro, das hauptsächlich von der elektrischen Sonne beschienen werden sollte, vorerst tödlich auswirken. Ein Blick auf dieses Bild verrät die wichtigsten Gründe außer Akustik. Anstelle einer großen weiten Welt wird man zwischen Stellwände gezwängt. Das Licht, das eigentlich Arbeitsplätze anderer beleuchtet, kommt bei mir allenfalls als Blendung an. Wenn man am Standort der Kamera sitzt, weiß man nicht genau, ob es draußen Tag oder Nacht ist. Der Raum sieht nicht gerade nach dem Traum von einst aus, der durch Licht heilsame Wirkungen auslösen wollte. So haben sich die Progressiven des 19. Jahrhunderts bestimmt das Endergebnis ihrer Bemühungen vorgestellt.
An dem Bild kann man aber deutlich erkennen, welcher Faktor der eigentlich verantwortliche sein kann, wenn die Beleuchtung versagt. Der gezeigte Raum weist nur noch die halbe Höhe der funktionsgleichen Räume wie vor 100 Jahren auf. Wenn Menschen hier stehend arbeiten, befindet sich der Kopf weniger als 100 cm unter den Leuchten. Wenn diese direkt nach unten strahlen, fühlt man bereits die Wärme, aber auch Blendung. Wenn genau die gleiche Decke in vier Meter Höhe angebracht würde, veränderte sich die Situation schlagartig. Dies haben wir bei vielen Studien festgestellt: Wenn die gleichen Leuchten in wesentlich höheren Räumen installiert werden, ist die entstehende Beleuchtung viel angenehmer.
Der Großraum hat maßgeblich zu den Problemen der Menschen mit der künstlichen Beleuchtung beigetragen, obwohl die Unternehmen der Arbeitgeber sich zuweilen größte Mühe gegeben haben, um eine (vermeintlich) bessere Technik zu realisieren. So installierte man im Großraum wesentlich höhere Beleuchtungsstärken von 1000 lx und mehr als in kleinen. Ein Staatsunternehmen hatte gar „super-entblendete“ Leuchten installieren lassen, die etwa das Fünffache einer üblichen Beleuchtung kosteten. Ein weiteres Unternehmen ließ sich mehrere Jahre lang von einem renommierten Psychologen beraten, der u.a. sogar eine spezifische Leuchte für dessen Büro hat entwickeln lassen. Ich selbst hatte die seltene Gelegenheit, in demselben Bürohaus eine Untersuchung mit einem Abstand von 25 Jahren machen zu dürfen. Obwohl mittlerweile die gesamte Belegschaft neu hinzu gekommen war und die Arbeit mächtig verändert, hatte sich an den Empfindungen der Menschen hinsichtlich Beleuchtung nichts geändert.
Den Hauptteil des Ärgers bekamen die Klimatechniker zu spüren, die schlechte Technik geliefert haben sollten. Das behaupteten zum einen die Bewohner der Büros praktisch in allen Studien – übrigens auch heute noch – und zum anderen der Verband der Hersteller von Klimatechnik. Der letztere hat, um sich gegen die Vorwürfe zu wehren, die Behauptung aufgestellt, dass in den studierten Büros Klimaanlagen von Billigheimern werkelten.
Nicht besser stand es um die Akustiker. Auch heute noch ist „Bürolärm“ für die meisten Büromenschen ein großer Ärger. Das Problem war bereits in den 1930ern erkannt worden. Aber auch im 21. Jahrhundert bildet der „Bürolärm“ die Beschwerdequelle Nummer 1 im Büro. Der Bau von Großraumbüros kam Mitte der 1980er Jahre zum Erliegen. Erst rund 20 Jahre später wurden in Deutschland Büros für eine größere Zahl von Menschen gebaut, die sich einen Raum teilen. Die heißen aber, nicht zuletzt wegen des Debakels mit den Großraumbüros, jetzt anders.
Da es mir nicht einleuchten wollte, dass überall „schlechte“ Technik installiert worden sein soll, habe ich sehr umfangreiche Studien erstellt, die über 200 Gebäude umfassten. Manches Ergebnis scheint allen akzeptabel, so z.B. die Feststellung, dass etwa die Hälfte der Beschwerden mit Klimaanlagen auf eine Überbelegung von Räumen bei einem mangelhaften Betrieb der Technik zurückzuführen war. Manche Erkenntnis brauchten die Betroffenen erst gar nicht zu diskutieren, sie kannten sie schon. So sind die akustischen Probleme im Büro nicht etwa Ergebnis schlechter akustischer Lösungen. Ganz im Gegenteil. Je erfolgreicher Akustiker gearbeitet haben, leisere Geräte, leisere Räume, desto höher die Beschwerden.
Hat das Ganze mit der elektrischen Sonne etwas zu tun? Sehr viel sogar, denn sie hat es ermöglicht, dass Arbeitsräume sehr flach im Verhältnis zu ihrer Ausdehnung sind. Da ihr Licht als gleichwertig, wenn nicht als besser, angesehen wurde, dachte man, man könne auf Fenster ganz verzichten. Selbst wenn diese vorhanden waren, befanden sie sich irgendwo in der Ferne. Man hatte den mittleren Sommertag, von dem Luckiesh einst nur träumen konnte, mehr oder weniger perfekt realisiert. Und somit Verhältnisse geschaffen, die mehr oder weniger gleich bleiben. Die weniger „perfekte“ natürliche Sonne hingegen sorgt für Änderung, und diese war Ingenieuren stets ein Dorn im Auge.
Etwa um 1980 hatte die elektrische Sonne ihren Zenit überschritten. Zuvor geschahen aber andere wichtige Dinge, die ihren Weg vom Horizont zum Zenit begleiteten. Bevor diese erläutert werden, ein kurzes Resümee der 80 Jahre seit Luckiesh, das in etwa die Ansichten des deutschen Arbeitsschutzes wiedergibt. Die Stelle, die diese offizielle Verlautbarung im Jahr 2004 verschickte, hatte noch nicht wahrgenommen, dass Forschende einen Sensor im Auge entdeckt hatten, der die Körperrhythmen des Menschen steuert, und so seine Gesundheit. Dieser sollte nicht nur die Welt der Lichttechnik erschüttern. Immerhin gab es für die Entdeckung der Wirkmechanismen einen Nobelpreis für Medizin.32Der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie 2017 ging an Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young für die Entdeckung der molekularen Mechanismen, die den circadianen Rhythmus regeln, vulgo „Innere Uhr“.
Wir, die Berufsgenossenschaften, haben in Kooperation mit den staatlichen Stellen, dem Deutschen Institut für Normung e.V. (DIN) sowie der Deutschen Lichttechnischen Gesellschaft e.V. (LiTG) hinsichtlich der Bürobeleuchtung in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Heute ist es anerkannter Stand von Wissenschaft und Technik, dass an Bildschirm- und Büroarbeitsplätze Beleuchtungsstärken von 500 Lux bis zu 1000 Lux in Großraumbüros einzuplanen sind. Werden diese Beleuchtungsstärken eingehalten – auch bei teilweise und gänzlich fehlendem Tageslicht – und die weiteren lichttechnischen Gütemerkmale der Beleuchtung umgesetzt, werden sowohl Unfälle als auch Fehlbeanspruchungen und Ermüdungen bei den Beschäftigten vermieden. Diesen erreichten Stand für die Bürobeleuchtung gilt es zu bewahren und immer wieder in der Praxis anzuwenden.33Der Text stammt aus einer offiziellen Verlautbarung von einer Berufsgenossenschaft, die ihren Standpunkt darlegt und dabei alle staatlichen Stellen sowie DIN und die Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e.V. mit einbezieht. Er ist am 16. Februar 2004 versandt worden und ist im Original vorhanden. Vermutlich vorgetragen: BGZ Fachkolloqium „Beleuchtung, Licht und Farbe, Sankt Augustin, 18. Juli 2002
Nach 80 Jahren soll die elektrische Sonne eine Höhe erklommen haben, wo sie 500 Lux bis 1000 Lux erzeugt und das Licht der Sonne überflüssig gemacht haben soll? Unfälle, Fehlbeanspruchungen und Ermüdungen passe', wenn man 500 lx bzw. 1000 lx künstliche Beleuchtung einplant. So einfach kann Arbeitsschutz sein!