Der Stromkrieg – Kampf der Giganten

Der Stromkrieg – Kampf der Giganten, bevor sie welche wurden

Zum Thema

Die Geburtswehen der elektrischen Sonne waren zugleich die der mächtigsten Energiewirtschaft. Der Aufstieg der elektrotechnischen Industrie ist dem künstlichen Licht zu verdanken. Umgekehrt wäre dem künstlichen Licht möglicherweise ein Schattendasein trotz einer großen Bedeutung beschieden, hätte man es nicht geschafft, elektrischen Strom über große Strecken zu befördern. Daher stelle ich die Entwicklung der Stromnetze an den Anfang.

Das gemeinte wichtige Ereignis aus der Geschichte der Lichterzeugung trägt den Namen Stromkrieg, zutreffender noch „War of Currents“. Am Ende dieser bizarren Gegebenheit blieb ein arg ramponierter Ruf eines begnadeten Entwicklers und Unternehmers, den viele auch einen genialen Erfinder nennen, ein toter Elefant und eine Hinrichtungsmethode, die nur in den USA angewendet wurde. Und ein nicht zu unterschätzender Ballast, der Wechselstrom, den man heute in vielen Anwendungen nicht braucht. Bei der Beleuchtung mit LEDs stellt der Wechselstrom sogar ein ernst zu nehmendes Hindernis dar, bei der Computertechnik ein lästiges Erbe.

Der Stromkrieg war der Prototyp eines Formatkrieges, der erste und einer der größten überhaupt. Ein Formatkrieg ist eine wirtschaftliche Auseinandersetzung zwischen den Anbietern von verschiedenen, nicht ohne Weiteres kombinierbaren technischen Standardlösungen für ein gegebenes Sachproblem. Einer der jüngsten Formatkriege kann auch „Stromkrieg“ genannt werden, weil es sich dabei um Ladesysteme für Elektroautos handelt, die mit Gleichstrom oder Wechselstrom geladen werden können.1Die Energie wird im e-Auto nur als Gleichstrom gespeichert. Das Aufladen mit Wechselstrom und Gleichstrom unterscheidet sich technisch darin, ob die elektrische Energie innerhalb des Fahrzeugs oder außerhalb umgewandelt wird. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es zu einem Formatkrieg von Benzinautos gegen Elektroautos gekommen, den das Benzinauto gewonnen hatte. Das nächste Jahrhundert erlebt nun das exakte Gegenstück.

Es ist kein Zufall, dass die nahezu explosionsartige Änderung der Entwicklung in der Industrialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem elektrischen Licht zusammenhängt. Dieses war zum einen der Geburtshelfer der elektrischen Netzwerke, weil es Bedarf nach dem elektrischen Strom erzeugte. Zum anderen aber wurde eine der wichtigsten Fähigkeiten des Menschen, Gestalt wahrzunehmen, mit jeder Verbesserung der Beleuchtung stärker in Anspruch genommen und ausgenutzt. Dessen Fähigkeiten, Lasten zu tragen oder mechanische Kräfte zu entwickeln, waren seit jeher denen von Tieren unterlegen. In der Gestaltwahrnehmung ist der Mensch aber heute noch auch den besten Maschinen überlegen.2Zwar können Maschinen u.U. große Leistungen erbringen wie das Erkennen eines winzigen Punktes aus großen Bildern des Universums, in der allgemeinen Gestaltwahrnehmung ist der Mensch in vielerlei Hinsicht immer noch überlegen. Maschinenlernen bzw. maschinelles Lernen, wie es heute in großem Stil betrieben wird, um z.B. autonomes Fahren von Fahrzeugen zu ermöglichen, besteht u.a. in der Gestaltwahrnehmung. Maschinen versagen dabei auch bei simplen Aufgaben wie das Erkennen von Verkehrsschildern in eklatanter Weise. Um diesbezügliche Fähigkeiten überall, jederzeit und effizient zu nutzen, brauchte und braucht man Licht.

Bei dem Stromkrieg ging es, oberflächlich gesehen, um ein technisches Detail, auf das beim Betrieb einer Lampe nicht ankommt, so sie ihr Licht durch Glühen erzeugt. Dieses Detail war aber entscheidend für die Entwicklung der Stromnetze und somit der gesamten Industrialisierung. Die Protagonisten des Geschehens tragen Namen, die heute noch geläufig sind, wovon einer für fortschrittliche Autos steht – Tesla – aber nicht nur dafür.

Gleichstrom oder Wechselstrom – Das ist die Frage

Zu Beginn des elektrischen Lichts wurden die Lampen durch Batterien oder durch Generatoren betrieben, die vor Ort aufgestellt wurden. Die Lampe befindet sich dabei in einem Stromkreis aus Generator, Leitungen und Schaltern, die technisch gesehen alle Stromverbraucher sind. Wenn die Leitungen einen nennenswerten Anteil am Verbrauch im Stromnetz erreichen, wird der Nutzen, der zur Lichterzeugung benötigte Anteil der Energie, entsprechend geringer. Dies ist keineswegs ein nebensächliches Detail, sondern Teil der heutigen Energiepolitik. So wird berücksichtigt, dass die zur Stromerzeugung eingesetzte Primärenergie maximal zu zwei Dritteln in Strom umgesetzt werden kann (Carnot-Wirkungsgrad3Der Carnot-Wirkungsgrad bzw. Carnot-Faktor, benannt nach dem französischen Physiker Nicolas Léonard Sadi Carnot, ist der höchste theoretisch mögliche Wirkungsgrad bei der Umwandlung von thermischer Energie in mechanische Energie. Technisch werden je nach Kreisprozess nur maximale Wirkungsgrade von über zwei Drittel des Carnot-Wirkungsgrades erreicht.). Hiervon bleibt ein erheblicher Teil in den Überlandleitungen hängen. Der Verbraucher vor Ort erhält im Endergebnis nur ein Drittel der eingesetzten Primär-Energie.4Diese Berechnungsweise wurde in der deutschen EnEV durch den Primärenergiefaktor (PEF) berücksichtigt. Die Grundlage ist die Energiebedarfsrechnung nach Richtlinie 2002/91/EG (EPBD, Energieeffizienzrichtlinie) auf der Basis der CO2-Emissionen. So betrug  der PEF für elektrischen Strom ursprünglich 3,0. Durch die Berücksichtigung von erneuerbaren Energien u.ä. sank dieser Wert deutlich. Das GEG (Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden) gibt in der Anlage 4 einen Wert von 2,8 für Verdrängungsstrommix für KWK (Kraft-Wärme-Kopplung) an. Dieser verringert sich deutlich  auf 1,8 für netzbezogenen Strom. Gebäudenah erzeugter Strom (aus Photovoltaik oder Windkraft) geht mit 0,0 in die Berechnung ein. Das ist ein politischer Wert, denn weder die Anlagen zur Photovoltaik noch Windkraftanlagen können ohne einen Primärenergieeinsatz erstellt, gewartet oder betrieben werden.  Dazu müssen aber die Leitungen einen möglichst geringen „Verbrauch“ haben.

Der „Verbrauch“ der Leitungen ist direkt proportional zu dem darin fließenden Strom. Je höher die angelegte Spannung ist, desto geringer der benötigte Strom, um eine bestimmte Leistung zu übertragen. Deswegen werden Überlandleitungen mit einer möglichst hohen Spannung bis 1000 kV (Kilovolt) betrieben (z.B. 765 kV in den USA oder in Indien, 400 kV in Frankreich oder 380 kV in Deutschland). Elektrische Spannungen in dieser Größenordnung können nicht mit vernünftigem Aufwand in Produktionsstätten oder gar Haushalten eingesetzt werden. Die Spannung wird daher in der Nähe der Verbraucher heruntergesetzt (z.B. 230 V in Deutschland, 120 V in den USA).

Ein solches System von hohen und kleinen Spannungen setzt voraus, dass man die Spannungen mit möglichst geringem Aufwand und Verlust ineinander konvertieren kann. Dies war zur Zeit der Entstehung des elektrischen Lichts und der Stromnetzwerke nur mit Wechselstrom möglich. Die Umwandlung der Spannung erfolgt in diesem Fall über Transformatoren, also passive Bauelemente. Andere haben nicht existiert. Auch Transformatoren verbrauchen Energie, d.h. sie wandeln elektrische Energie teils in Wärme um. Und das sogar auch dann, wenn man sie gar nicht braucht.

Zwar war für die Glühlampe die Art des Stroms unwichtig – ein Widerstand wird immer warm, wenn Strom durch ihn fließt - , aber nicht für andere Verbraucher ihrer Zeit, z.B. Akkumulatoren. Noch fährt die S-Bahn Berlin mit Gleichstrom, während ihr Betreiber, die Bahn AG, mit Wechselstrom arbeitet wie einst ihr Vorgänger, die Deutsche Reichsbahn, seit 1912. Gründe für eine Präferenz lagen und liegen eher im technischen Bereich.5Die Energieversorgung zum Betrieb der Bahnen wie viele andere technische Eigenschaften der Geräte, wie z.B. die Spurweite) wurde nicht nach technischen Gesichtspunkten ausgesucht, sondern eher nach politischen. Früher bildete die Eisenbahn das Rückgrat des Transportsystems zu Lande, und manche Waffen wie Eisenbahngeschütze konnten nur auf Schienen transportiert und eingesetzt werden. Historisch entwickelten sich in den verschiedenen Ländern oder bei unterschiedlichen Bahngesellschaften verschiedene Stromsysteme, die oft unabhängig vom öffentlichen Stromnetz eines Landes sind. Eine politische Bewegung zur Erhöhung der Bedeutung des Bahnverkehrs in Europa, Europäisches Jahr der Schiene 2021, geriet zur Farce, als der  Sonderzug Connecting Europe Express auf Europa Reise geschickt wurde. Nach der Meinung einer der Initiatoren war bereits „Die Konnektivität zwischen den drei europäischen Städten Straßburg, Luxemburg und Brüssel eine Schande.“ Gefahren sind am Ende drei Züge wegen unterschiedlicher Spurweiten. Die größten Probleme hatten die Planer der Fahrt aber mit den unterschiedlichen Stromnetzen. Mehr zu Bahnstromsystemen hier @.   Bei dem Stromkrieg gab eher die Persönlichkeit der Kontrahenten den Ton an. Auf der einen Seite stand ein Industrieller, der sich ein Vermögen und einen Namen mit einer Erfindung gemacht hatte, die nichts mit Licht zu tun hatte, George Westinghouse. Auf der anderen Seite sah die Geschichte Thomas A. Edison, der als größter Erfinder der Geschichte gilt. Edison bevorzugte Gleichstrom.

War of Currents

Der Stromkrieg entwickelte sich um das Jahr 1890, als man begonnen hatte, elektrisches Licht nicht nur zu Schauzwecken auf Weltausstellungen oder Markplätzen zu nutzen. Edison hatte in 1890 die Firma Edison General Electric gegründet, die damals als General Electric firmierte. Der Name spricht dem Anspruch des Unternehmens. Edison favorisierte Gleichstrom, der aber nicht transformierbar war und daher nur in lokal begrenzten Netzwerken sinnvoll funktionierte.

Die Nutzung des Wechselstroms und dessen Transport über große Entfernungen wurde durch den etwa gleichzeitig mit der Glühlampe (1881) erfundenen Transformator6Der Transformator ist eine besondere Form des Konverters, der bestimmte Eigenschaften der elektrischen Energie zielgerichtet ändert, so z.B. die Spannung. Ein Konverter kann auch die Frequenz ändern, wie es bei der Erzeugung des „Bahnstroms“ in Deutschland geschieht. Dabei wird Wechselstrom mit einer Frequenz von 16 2/3 Hz benutzt. möglich. Elektrische Energie in größeren Mengen war durch die Anwendung des dynamoelektrischen Prinzips, eine Werner Siemens zugeschriebene Entwicklung, verfügbar geworden. Transformatoren erhöhen die Spannung in der Nähe des Erzeugers (Kraftwerk), wodurch in den Leitungen kleinere Ströme fließen und somit der Verlust geringer wird. In der Nähe der Verbraucher muss die Spannung wieder herunter „transformiert“ werden. Beim Bahnstrom ist das immer noch 15 kV, bei üblichen Verbrauchern aber 230 V bzw. 120 V (USA). Ausschlaggebend ist der Aufwand, den man beim Verbraucher zum Isolieren treiben muss, um Gefahren möglichst auszuschließen. Obwohl eine Wechselspannung bei Erwachsenen 50 Volt nicht übersteigen sollte, wird 230 V als zulässig angesehen, wenn die Leitungen gut geschützt sind.

Die Meilensteine der Elektrifizierung, wie sie sich heute präsentiert, waren die Erfindung des Wechselstroms (Zweiphasen-Wechselstrom) durch Nikola Tesla (1887) und durch Michail von Dolivo-Dobrowolsky (Dreiphasen-Wechselstrom) im Jahre 1888. Der letztere erfand auch den Asynchronmotor, den heute am meisten verwendeten Elektromotor. Dadurch waren alle Zutaten für die Elektrifizierung von heute (Generator, Wechselstrom, Drehstrom, Transformator) im Jahr 1889 verfügbar. Und der Krieg konnte beginnen. Die spannenden Geschichten um dieses Ereignis wurden in zwei Spielfilmen verarbeitet.7Timur Bekmambetov, Basil Iwanyk, (2017) & Alfonso Gomez-Rejon. The Current War (Edison – Ein Leben voller Licht,) United States, IMDb @

Eigentlich hätte man das Thema auch in einem Kongress oder gar Workshop abhandeln können oder gar das Publikum abstimmen lassen, was es will: Ein Kraftwerk an jedem Ort, an dem man Licht erzeugen möchte, oder ein Stromverteilnetz über Länder oder gar Kontinente. War of Currents spielte in den USA, einem der flächenmäßig größten Staaten der Welt. Gemäß Edisons Konzept müssten Tausende lokaler Kraftwerke betrieben und versorgt werden. Zu unseren Zeiten bieten dezentrale Blockheizkraftwerke die hierzu benötigten Techniken. Allerdings funktionieren sie ohne ein Verbundnetzwerk nur bedingt, denn im Sommer braucht man zwar Strom, aber weniger oder keine Wärme.

Doch die Zeiten waren nicht so. Denn so klar sieht man die Alternativen erst nach einem Jahrhundert. Und dass Industrielle nicht nur mit lauteren Mitteln für ihr Konzept werben, gehört immer noch nicht zur Geschichte. Sie mussten einst zuweilen zu echten Showelementen greifen, um das Publikum von ihrer Technik zu überzeugen. So hat Elisha Graves Otis, der Pionier der Aufzugstechnik, die von ihm erfundene  Sicherheitsbremse auf der Weltausstellung in New York von 1853 mit einer wahren Showeinlage vor Publikum demonstriert.8Das Bild zeigt Otis bei seinem berühmten Experiment zum Nachweis der Sicherheit seiner automatischen Bremse. Die nunmehr auch für Menschen benutzten Aufzüge ermöglichten zum einen den Bau von Hochhäusern. Und zum anderen änderten sie die Wohnkultur erheblich. Haben die wohlhabenden Schichten zuvor die unteren Etagen der Häuser bevorzugt und die oberen gerne den ärmeren Familien überlassen, zogen sie jetzt in die oberen Stockwerke. Ohne den Aufzug wären die teuren Penthäuser von New York nie entstanden.  Elisha OTIS 1854.jpg Wikimedia Commons Er stellte sich auf eine Plattform, die durch ein einziges Seil gehalten wurde und ließ das Seil durch einen Mann mit einer Axt kappen. Die Plattform fiel nur wenige Zentimeter. Somit konnte man die Aufzüge, die zuvor nur für den Warentransport benutzt wurden, jetzt auch für den Menschen benutzen. Und der Weg zum Bau von Hochhäusern war frei. Auch Tesla glänzte nicht selten mit Showeinlagen.

Weit weniger lustig indes zeigte sich Edison in der Auseinandersetzung. Er hatte schon ab 1882 angefangen, Kraftwerke zu errichten. Zusätzlich zu seinen Patenten für die Glühlampe (z.B. für den Schraubsockel E27) hatte er viele weitere Patente zu Gleichspannungstechniken, u.a. auch zu einem Stromzähler. Ihm war der Nachteil der 110/220 V Gleichstromübertragung bekannt.9Die Spannung von 110 V wurde gegen den neutralen Leiter gemessen. Edison bot ein „Dreileitersystem“ mit einer positiven und negativen 110 V-Leitung an. Deren Differenz betrug somit 220  V. Deswegen plante Edison eine Vielzahl lokaler Stromerzeuger, die ihre Umgebung bis zu einer Meile versorgen sollten bzw. konnten.

Westinghouse, der sich mit der nach ihm benannten Bremse für die Eisenbahnen ein Vermögen gemacht hatte, bevorzugte hingegen Wechselstrom. Er hatte sich die Mitarbeit und Patente von Tesla gesichert. Ihm fehlten allerdings die Patente für die Glühlampe.  Die Hersteller der Glühlampen, insbesondere die Unternehmen von Edison, beschränkten damals häufig das Benutzungsrecht verkaufter Glühlampen auf lizenzierte Stromnetze. Somit konnte Westinghouse seinen Kunden kein komplettes System bieten. Sogar Hotels oder Betreiber von Büros mit eigenen Generatoren wurden mit gerichtlichen Verfügungen überzogen, wenn sie patentierte Glühlampen damit „illegal“  betrieben.

Dieses Vorgehen behinderte die technische Entwicklung der Leuchtmittel, so nach vorherrschender Meinung. Aber auch die gegensätzliche Meinung, eine Verstärkung der Weiterentwicklung insbesondere durch die Bemühungen zur Umgehung des Patents U.S. 223,898, war und ist auch im 21. Jahrhundert zu lesen.10on D. Katznelson und John Howells, Inventing-around Edison’s incandescent lamp patent: evidence of patents’ role in stimulating downstream development, @ abgerufen 22.01.2022 In August 2021 erschien der Nachfolgeartikel der Autoren Katznelson und Howels, in dem gezeigt wird, dass der Streit um die Art des Stroms, den vornehmlich Edison ausgeführt hat, seine Position geschwächt und infolge der Versuche der Umgebung technische Entwicklungen gefördert hat.11Ron D Katznelson, John Howells, Exclusive Rights Stimulate Design Around: How Circumventing Edison’s Lamp Patent Promoted Competition and New Technology Development, Journal of Competition Law & Economics, nhab010, https://doi.org/10.1093/joclec/nhab010, 09 August 2021

Das allerdings war nicht die Position von Edison und auch nicht die Absicht, seine Macht zu verlieren. Ganz im Gegenteil! Er hat versucht, den Gleichstrom als harmlos darzustellen, weil er mit einer geringen Spannung arbeitete. Und prophezeite, dass das System von Westinghouse bald zu einem Toten führen würde.12Just as certain as death Westinghouse will kill a customer within six months after he puts in a system of any size, He has got a new thing and it will require a great deal of experimenting to get it working practically.” (Edison in einem Brief an Edward Johnson, dem Präsidenten der Edison Electric aus Maury Klein: The Power Makers: Steam, Electricity, and the Men Who Invented Modern America. Bloomsbury Publishing USA, 2008, S. 257. Bild Wikipedia @ The Museum of the City of New York Er hatte die Sorge, dass die Elektrizität in der Folge eines Unfalls in Verruf geraten könnte.

Damals im 19. Jahrhundert wurde die Elektrizität keineswegs nur als Segen angesehen. Die Gefährlichkeit von Wechselspannung wurde in der Politik und in den „Medien“, damals nur Zeitungen, diskutiert. Auf allgemeines Interesse stieß, wie nicht anders zu erwarten, die Sicherheit bzw. Unsicherheit der Elektrizität gegenüber der Brandgefahr durch Gas. Edison sah sein Geschäftsmodell "Elektrizität" durch etwaige Unfälle und dadurch möglicherweise ausgelöste Akzeptanzprobleme gefährdet. Dies aus heutiger Sicht verstehen zu wollen, würde eher zu einer Bagatellisierung führen, weil unsere gesamte Umwelt von elektrischen Geräten und Anschlüssen nur so strotzt. Man kann die Sache eher verstehen, wenn man sie mit unserer Angst vor der Strahlung vergleicht. Wenn man sich den damaligen Umgang mit den Leitungen anschaut, versteht man die Sorge von Edison sehr wohl. Das nach einem Blizzard aufgenommene Foto hebt den Umfang der Leitungen, die man für Strom, Telegraphie und Telefonie gezogen hatte, besonders hervor.  Es ist übrigens keineswegs so, dass diese Leitungen in den USA mittlerweile vollkommen verschwunden wären. Während man in den meisten Ländern Leitungen seit Jahrzehnten vergräbt, hängt der Himmel in den USA oder auch in Japan voller Leitungen, die heute auch noch durch größere Geräte ergänzt werden, die an den Masten hängen.

Bis heute in Erinnerung geblieben sind „Tierexperimente“ mit Strom, bei denen man Tiere vor Publikum mit langsam ansteigender Spannung zu Tode kommen ließ. Ein Experiment New York beschreibt der Spiegel im Wissenschaftsteil so: „Es ist ein grausames Experiment, zu dem es am 30. Juli 1888 im New Yorker Columbia College kommt - und eine makabre Episode in einem erbitterten Wirtschaftskrieg um die weltweite Elektrifizierung: zwischen Thomas Alva Edison, dem Erfinder aus New Jersey, und George Westinghouse, einem Industriellen aus Pittsburgh.“13Spiegel Wissenschaft 01.05.2008 @ Es geht um einen schwarzen Neufundländer, der mit Strom behandelt wird: „Den schwarzen Neufundländer müssen mehrere Männer festhalten, damit die Elektroden an seinen Vorder- und Hinterläufen angebracht werden können. Das Publikum im Hörsaal blickt in den Käfig, in dem der verkabelte Hund steckt. Dann startet ein Techniker den Stromgenerator.“

Dieser und weitere „Experimente“, die von Edison bezahlte Ingenieure vorführen, sollen die Gefährlichkeit des Wechselstroms beweisen. Als besonders perfide wird bezeichnet, dass Edison den Wechselstrom für die neue Hinrichtungsmethode der USA, den elektrischen Stuhl, einsetzt. Die soll auch noch „to westinghouse“ genannt werden. Edison lässt Nachrichten über Unfälle mit Wechselstrom sammeln und bedrängt Politiker. Sie sollen ein Gesetz erlassen, das die zulässige Spannung in Stromleitungen auf 300 V beschränkt. Das wäre das Ende der Technik von Westinghouse gewesen, dessen Vorteil nur durch hohe Spannungen zu erreichen war und auch ist.

Wie die technologische Entwicklung weltweit bei einer solchen Begrenzung weiter gegangen wäre, wäre eine Überlegung wert. Denn es gibt immer noch viele technische Elemente, die dazu dienen sollten, die Gefahren des Stroms zu mindern und zu beherrschen. Warum man aber als US-Amerikaner anders geschützt werden muss als Deutscher oder Franzose, wäre eine Überlegung wert. (Das Bild zeigt einen Teil der Steckerleiste, die die Computer einer internationalen Sitzung versorgt. Es gibt mehrere Dutzend unterschiedliche Stecker, die alle jemanden schützen wollen. Vermutlich schützen sie aber die jeweiligen Hersteller in dem Land, in dem sie zugelassen sind.)

Bei dem Stromkrieg müssen Hunde, Katzen und ein Pferd ihr Leben lassen. Sogar der Elefant Topsy, der ursprünglich durch Hängen hingerichtet werden sollte. Topsy hatte einen Menschen getötet, und Tiere konnten einst in den USA wegen solcher Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Die öffentliche Hinrichtung des Elefanten wird durch eine „The New York Edison Company“ vorgenommen. Und eine Edison Manufacturing Company filmt den Vorgang, der es so in die heutige Zeit geschafft hat.14Topsy (Elefant) @

Der Stromkrieg endete, wie vorhersehbar, mit dem Sieg des Wechselstroms. Zu den heute nicht mehr vorstellbaren Folgen dieses Krieges zählen getrennte Stromleitungen für die unterschiedlichen Unternehmen. Diese zogen kreuz und quer durch New York. Dort hingen Oberleitungen für Telefon-, Telegrafen-, Gleich- und Wechselstromleitungen bis zu 6000 V.15Maury Klein: The Power Makers: Steam, Electricity, and the Men Who Invented Modern America. Bloomsbury Publishing USA, 2008, S. 263 Edison hat die Lieferung von Gleichstrom im Jahre 1928 eingestellt. Die letzten Verbraucher von Gleichstrom, für die diese erzeugt wurde, waren die Aufzüge in vielen New Yorker Hochhäusern. Hier und dort in den USA werden aber immer wieder vergessene Netze mit Gleichstrom entdeckt.

Ende des Stromkriegs – eine neue Epoche bricht an

Eine Auseinandersetzung über die beiden Stromsysteme im 21. Jahrhundert ist wieder unterwegs. Diesmal aber eher mit technischen Überlegungen. Wissenschaftliches Denken sowie technisch-wissenschaftliches Handeln bildet den Hintergrund des neuen Kriegs, der gar keiner mehr ist. Der einst von Tesla erfundene Wechselstrom, dessen Siegeszug, sogar auch über einen genialen Erfinder, der Fähigkeit zu verdanken war, Energie über große Strecken verlustarm zu befördern, muss ein Jahrhundert später seinen Platz dem Gleichstrom räumen, und zwar genau aus dem selben Grund. Allerdings nicht immer und nicht überall.

Den Anfang machten die HGÜ-Netze16HGÜ = Hochspannungsgleichstromübertragung. Die Einsatzentfernungen fallen unterschiedlich aus, je nachdem, ob die Leitungen frei in der Luft hängen oder in der Erde vergraben liegen. Maßgeblich ist der erzielbare Nutzen gemessen an den (hohen) Kosten., Gleichstromnetze für die Fernübertragung. Diese werden für große Entfernungen geplant und gebaut. Auch der Wunsch bzw. der Zwang, Erdkabel statt Oberleitungen zu nutzen, kann ausschlaggebend dafür sein, zu Gleichstrom zu greifen.17Wechselstromfreileitungen können nur bei ausreichendem Abstand der Leiter voneinander und von der Erde funktionieren. Ist man gezwungen, die Leiter enger zu packen, wie es bei See- oder Erdkabeln der Fall ist, sinkt die Entfernung, in der eine wirtschaftliche Übertragung möglich ist, drastisch. @ So wird der Windstrom aus der Nordsee die bayrischen Verbraucher im Süden Deutschlands über eine 800 km lange Gleichstromleitung erreichen. Diese Art der Übertragung ist mit geringeren Leitungsverlusten behaftet als die Wechselstromübertragung. Wenn man gar die Nutzung der Geothermie auf Island zur Stromerzeugung forciert und den Strom nach dem Kontinent exportiert, wird Gleichstrom erste Wahl sein. Oder gar unverzichtbar. Bereits heute existieren HGÜ-Netze zwischen Norwegen und Deutschland, über die Ostsee zwischen diversen Ländern.

Die Wiederkehr der Gleichstromnetze hat auch etwas mit Licht 4.0 zu tun. Der alleinige Lichterzeuger dieser Epoche, die LED, kann mit Gleichstrom viel besser betrieben werden, weil ein wichtiger Nachteil, das Flimmern, dadurch entfällt. Hingegen war der Betrieb von Leuchtstofflampen mit Gleichstrom eher ein technischer Verzweiflungsakt denn eine stolze Ingenieursleistung. Deren Vorschaltgerät funktionierte üblicherweise mit Wechselspannung.

Aber nicht nur die LED fördert den Wunsch nach Gleichstrom. Heute existieren batterie-betriebene elektrische Verbraucher in unüberschaubaren Mengen, deren Gleichstrom vor Ort durch Transformatoren erzeugt werden muss. Laptops, Smartphones, Bohrmaschinen … Deren Transformatoren verursachen Verluste nicht nur bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, sondern ständig, wenn sie am Netz bleiben. Nicht zu vergessen, das E-Auto. Dessen Antrieb erfolgt über einen in einer Batterie gespeicherten Gleichstrom.

Nicht nur die Vielzahl der Verbraucher zwingen zum Umdenken, sondern auch die Solartechnik. Solarzellen an Wohnhäusern generieren Gleichstrom. Aber auch die großen Serverfarmen der globalen Firmen der IT-Branche wie Google werden mit Solarstrom betrieben.18Google betreibt neue Serverfarmen ausschließlich mit grünem Strom @ abgerufen 27.03.2023 Die Verbraucher, aus denen die Serverfarmen bestehen, funktionieren auch zu einem großen Teil mit Gleichstrom.

Heute werden weder Elefanten noch Hunde geopfert, um bestimmte Vorstellungen über die elektrische Energie durchzusetzen. Die Auseinandersetzungen dürften aber kaum weniger geworden sein, und auch kaum weniger heftig. So wurden die Blockheizkraftwerke, mit denen eine Kraft-Wärme-Kopplung betrieben wird, einst massiv durch die über ein Jahrhundert gewachsenen zentralen Versorgungsstrukturen in der Elektrizitätswirtschaft behindert. Die hierzu vorgebrachten Argumente schienen sogar schlüssig, ohne das aber der Wahrheit entsprach. So beklagte z.B. der frühere staatliche Stromversorger von Berlin, die BEWAG, die hohen Kosten der dezentralen Stromversorgung, wozu sie durch die Berliner Mauer gezwungen wurde. Die Stadt hatte bereits nach der Berliner Blockade 1948 lernen müssen, autonom zu sein, soweit es ging. Daher konnte die BEWAG nicht wie die westdeutschen Versorger große Kraftwerkblöcke bauen. Das größte Kraftwerk durfte nur so groß sein, dass sein eventueller Ausfall verkraftbar war. Und die Gesamtkapazität musste so berechnet werden, dass das Netz nicht zusammen bricht, wenn am ersten Weihnachtstag alle Familien den Gänsebraten in die Röhre schoben. Die Maximallast des Stromnetzes von Berlin hieß die Gänsebratenspitze.

Als die Berliner Mauer fiel und West-Berlin an den europäischen Stromverbund19Das europäische Verbundsystem (EV) ist ein europaweites engmaschiges Stromnetz aus Hoch- und Höchstspannungs-Leitungen zum Verteilen elektrischer Energie. Es hat jedoch keine Speicherfunktion. angeschlossen werden konnte, wäre die BEWAG wirtschaftlich schnell zusammengebrochen. Stattdessen wurde sie nach 1990 in mehreren Schritten an die Firma Vattenfall verkauft und wurde „eine Perle“ in deren Unternehmensverbund. Diese erstaunliche Wendung war indes überhaupt nicht erstaunlich. Die BEWAG konnte die „Abwärme“, d.h. die enormen Verluste der Energieumwandlung, nutzbringend als Heizwärme verkaufen, während die üblichen großen Kraftwerksblöcke diese an die Luft oder an die Gewässer abgeben müssen. Deren Wirkungsgrad liegt deswegen bei 30% bis 45%.

Die höchsten Wirkungsgrade betragen 60%, werden aber nur im Dauerbetrieb erreicht.20RP-Energie-Lexikon @ abgerufen 30.05.2023

Blockheizkraftwerke (BHKW) als kleine verbrauchernahe Einheiten mit geringen Netzverlusten können einen Gesamtwirkungsgrad von 80% bis 90% erreichen. So gesehen können die relativ kleinen Kraftwerke der BEWAG eher mit BHKW als mit den großen Kraftwerkblöcken verglichen werden, die fernab von Siedlungen betrieben werden. (Anm.: Bei allen Zahlenangaben zum Wirkungsgrad sollte man sie genau unter die Lupe nehmen. Denn nicht nur die Lobbyorganisationen großer Versorger „verschönern“ wichtige Zahlenwerte. Auch die Jünger der Gegenseite agieren zwar mit anderen Methoden, aber letztlich in ähnlicher Weise.)