Die Dämmerung

Die Dämmerung

Als die Lichter glänzen lernten

Ein Teil jener Kraft
Die stets das Helle will,
und stets Dunkelheit schafft.
Frei nach J.W:Goethe

Mit der Patentierung einer technisch brauchbaren elektrischen Lampe war es Thomas Edison gelungen, den ersten Schritt in eine Zukunft zu gehen, in der das elektrische Licht das gesamte Leben auf dem Planeten dominieren sollte. Diese Zukunft musste aber erst aufgebaut werden. Von allein kam sie nicht, obwohl die Erzeugung künstlichen Lichts zu den ersten Technologien gehört, die Menschen entwickelt haben. Edisons Lampe sollte eigentlich einen Ersatz für das Gaslicht bieten. Um dieses nunmehr „alte“ Licht zu betreiben, waren einst die Gasanstalten aufgebaut worden, die später ganze Stadtteile mit „Leuchtgas“ versorgen sollten. Dass sich der elektrische Strom noch besser transportieren ließe als das Gas, wusste man seinerzeit nicht. Wäre es nach den anfänglichen Vorstellungen von Edison gegangen, wären elektrische Netze vielleicht sogar kleiner als die Gasnetze geblieben (s. Der Stromkrieg – Kampf der Giganten, bevor sie welche wurden). Wie man aber gelernt hat, können nicht einmal geniale Erfinder den Gang einer Technik aufhalten, den sie selbst angestoßen haben.

Die Tatsache, dass Edison schlechthin als der Erfinder der Glühlampe gilt, obwohl der Gegenbeweis schon lange vorliegt, beruht nicht auf dieser Erfindung selbst, sondern auf dessen Fähigkeit, die Stabilität der Stromversorgung besser gelöst zu haben als z.B. J. W. Swan, der eine Kohlefadenlampe sogar ein Jahr vor Edison zum Patent angemeldet hatte.1American History, Lamp Inventors 1880-1940: Carbon Filament Incandescent, @ abgerufen 22.02.2022 Die Website American History führt eine Reihe von Erfindern der Kohlefadenlampe über die Jahre von 1880 bis 1940 auf. Die Länge dieser Zeitspanne von 60 Jahren selbst ist sehr bemerkenswert, weil sich die Kohlefadenlampe bereits frühzeitig relativ ungeeignet gegenüber der Metallfadenlampe erwiesen hatte, die bereits in 1898 patentiert worden war. Schon am 10. März 1906 meldete Carl Auer von Welsbach das Warenzeichen OSRAM für die Waren Elektrische Glühlampen und Bogenlichtlampen beim damaligen Kaiserlichen Patentamt in Berlin an.2Carl Auer von Welsbach war Erfinder des Glühstrumpfs für Gaslampen sowie der Glühfäden aus Osmium um Wolfram. Die Marke OSRAM ist ein Akronym aus den Namen der beiden Metalle. @ abgerufen 22.02.2022

Dass die Ehre, die Glühlampe erfunden zu haben, Edison zugeschrieben wird, beruht also auf der Entwicklung des Gesamtsystems von der Erzeugung von Strom und ihrer Leitung zum Verbraucher, an dessen Ort Licht erzeugt wurde. Der Anspruch lag nach wie vor beim Ersatz des Gaslichts für Beleuchtung. Man mag sich bei dieser Feststellung fragen, wozu man denn Licht sonst braucht.3Dass man Licht für die Beleuchtung braucht, weiß man schon seit der Eiszeit, als die ersten Öllampen erfunden wurden. Das allerdings führt in die Irre, weil man seit Ewigkeiten Licht auch als Signal benutzt, so etwa beim Pharos von Alexandria. Eine Lichtquelle erfüllt damit immer zwei Funktionen, Leuchten und/oder Beleuchten. Wie die Geschichte der Städte während der Industriellen Revolution zeigt, dient Licht zu viel mehr als nur der Beleuchtung. Allerdings handelte es sich in den Augen der Sozialreformer um das Licht der Sonne, dem man nicht nur vielfältige Heilwirkungen für den Menschen zuerkannte. Genaugenommen geht es sich um eine Wiederbelebung früherer Erkenntnisse, vor denen wiederum ein Sonnenkult geherrscht hatte. Neu war indes, dass die keimtötende Wirkung des Sonnenlichts auf alle gesellschaftlichen Übel ausgedehnt wurde. Das reichte nicht nur bis hin zu Unmoral und Kriminalität, sondern auch zu einer Kleiderreform. Von hygienischen Bestrebungen bis zu lebensreformerischen Bewegungen allgemeiner Art – alles hing buchstäblich am Licht. Religiös anmutender Kult, lebensreformerische Ideen, Kampf der Unmoral und Kriminalität – nicht gerade bescheidene Ansätze für eine „neue“ Erfindung, die sich über ein Jahrhundert hinzieht. (siehe Es geschah um 1801 …)

Wenn eine neue Technik systematisch aufgebaut und in die Gesellschaft integriert wird, geht dies selten gut ohne eine angemessene Berücksichtigung ihrer Vorgänger. Selbst die äußerst disruptive Innovation, das Smartphone, baute auf den Errungenschaften ihrer Vorgänger auf, dem Festnetztelefon und dem Mobiltelefon.4Das Smartphone geht, wie der Name besagt, auf das Telefon zurück, dem man bestimmte „intelligente“ Funktionen zupackte. Die ersten zivilen Mobilfunkgeräte waren schnurlose Telefone. Im Laufe der Zeit wurden dem Gerät Fähigkeiten zu Datenspeicherung bzw. -verarbeitung hinzugefügt. Der disruptive Vorgang erfolgte 2007 mit der Markteinführung des iPhone. Dieses Produkt fegte den Weltmarktführer in wenigen Jahren von der Bildfläche, änderte die Relation zum Festnetz, das über ein Jahrhundert lang gewachsen war. Es machte aus einem Nischenhersteller von Computern zu dem wertvollsten Unternehmen der Welt. Dass es immer noch die Endung -phone im Namen trägt, hat nur noch eine historische Bedeutung. Sie trägt daher die Endung „-phone“ im Namen, obwohl die Übertragung von Ton bzw. Sprache nur noch eine der vielen Funktionen bildet, die das Gerät bietet. Man kann dies am besten an der Form des konventionellen Telefonhörers erkennen, das recht genau an die Form des menschlichen Gesichts angepasst ist. Der Hörer liegt auf dem Ohr auf, und das Mikrofon ist vor dem Mund platziert. Hingegen hat ein Smartphone keine Form, die etwas mit der Physiologie des Hörens zu tun hat. Die Form ist ein Rechteck und entspricht so einem Display für das Auge.

Das elektrische Licht übernahm sogar seine bis heute wichtigste internationale Organisation von seinem Vorgänger Gaslicht. Die CIE, in der alle lichttechnischen Gesellschaften der Welt organisiert sind, ist der Nachfolger von Commission Internationale de Photomẻtrie, die im Jahre 1900 auf der Pariser International Gas Congress gegründet wurde. Die Absicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand darin, das (Gas)Licht messbar zu machen, damit der Handel mit Licht und verwandten Produkten auf eine monetäre Basis gestellt werden konnte.

Wie unter den Geburtsjahren der elektrischen Sonne dargestellt (siehe Es geschah um 1801…), hatte die Französische Revolution eine womöglich weitaus mächtigere ausgelöst, indem sie die Maße, die über Jahrtausende, meist lokalen Interessen folgend, wild gewuchert waren, in ein System gezwungen hat. Hierdurch wurde der globale Handel kräftig gefördert. Der CIE sollte im Jahr 1924 mit der sog. „V(λ)-Kurve“ die Quantifizierung von Licht gelingen. Diese besteht seit 1924 unverändert und erlaubt es, die Leistung einer Lichtquelle zu messen, den Lichtstrom. (s. Zum Begriff Standardisierung). Diese Größe, der Lichtstrom, und nicht etwa die Candela, eine der sieben Basisgrößen der SI-Einheitensytems, bildet den Grundpfeiler des Gebäudes, das die Lichttechnik trägt. Messen und Quantifizieren – das waren die Ziele der neuen Technik, nicht das Beschreiben von Empfindungen, die das Licht bewirkt. Eine Parallelentwicklung, die Farbenlehre samt Farbmesstechnik, die ebenfalls von der CIE stark angenommen wird, beschäftigt sich ebenso wenig mit den Empfindungen, die die Farben auslösen. In deren Büchern wird man vergeblich nach der Psychologie oder Symbolik von Farben suchen. Diese Domäne besetzen andere5Heller, Eva: Wie Farben wirken: Farbpsychologie - Farbsymbolik - Kreative Farbgestaltung, 2004, Ro Ro Ro, die sich mit der Psychologie oder Soziologie beschäftigen.

Man definierte danach fleißig neue Größen wie die Beleuchtungsstärke oder Leuchtdichte, um die Wirkungen des Lichts umschreiben zu können. Diese blieben aber bis heute rein technische Größen bzw. sie unterscheiden sich von der jeweils entsprechenden physikalischen Größe nur dadurch, dass sie die Strahlung nicht energetisch (also in Watt) bewerten, sondern mit der V(λ)-Kurve multipliziert. Daher können viele Menschen, selbst Wissenschaftler verwandter Disziplinen wie die der Physik, mit lichttechnischen Größen kaum was anfangen. Ähnliche Umstände herrschen im Prinzip bei allen Disziplinen, die ihre Begriffe und Größen finden müssen. Allerdings sind diese nicht in dem gleichen Maße mit dem Alltag verknüpft wie Licht.6Disziplinen wie z.B. die Chemie entwickeln ihre Sprache, die sich von der Alltagssprache unterscheidet. Das verläuft problemlos, bis ein Sachverhalt mit einer bestimmten Bezeichnung im Alltag erscheint. So war z.B. die Formel CO2 (Kohlenstoffdioxid) in der Chemie lange bekannt und bezeichnete ein Gas. Im Alltag wurde sie in Wasser gelöst bekannter und wird daher Kohlensäure genannt. In der Form einer Limonade ist es unproblematisch, ob man es Gas oder Säure nennt, aber nicht in ihrer Rolle als Treibhausgas. Diese beherrscht mittlerweile die öffentliche Diskussion so weit, dass Menschen denken, die Klimadebatte sei eine CO2-Debatte. Dass CO2 ein Problem in Arbeitsumgebungen sein kann, kommt nur wenigen Menschen in den Sinn. Daher sehen z.B. Arbeitsorganisatoren kein Problem darin, Menschen auf 1 m2 Fläche dicht beieinander zu beschäftigen.

Bei der Beleuchtung verwechseln die Menschen dann mal die Beleuchtungsstärke mit der Helligkeit und mal die Leuchtdichte. Dabei werden sie sogar durch Fachartikel unterstützt, die krampft versuchen, Empfindungen mit lichttechnischen Größen zu verbinden. Erst im 21 Jahrhundert sollte es gelingen, eine Basisgröße zu definieren, die sich an der Physiologie des Menschen orientieren sollte. Diese bezieht sich – zum ersten Mal in der Technik – auf das Licht der Sonne. Das aber später.7Im Jahr 2018 erließ die CIE einen Internationalen Standard mit dem Titel „CIE System for Metrology of Optical Radiation for ipRGC-Influenced Responses to Light“ (CIE S 026), der die Wirkung des Lichts auf die circadiane Rhythmik quantifiziert. Diese Größe misst das Licht, das ins Auge Eintritt. Bei einer üblichen Messung würde das Ergebnis in Lux an einem Messgerät zu lesen sein. Die neue Größe ist anders als die Beleuchtungsstärke abhängig vom Spektrum. Ihre Referenz ist das Tageslicht mit einer Farbtemperatur von 6504 K, daher als D65 bezeichnet. Es bedeutet praktisch, dass das Licht der Glühlampe, nach dieser Vorstellung bewertet, nicht einmal halb so wirksam ist wie das einer blauen LED. Zudem wird das Alter des Beobachters einberechnet, weil das blaue Licht, das circadian wirksam ist, schlechter in alte Augen eintritt. Bezogen wird die Größe auf ein Alter von 32 Jahren. Jüngere Menschen sind empfindlicher, ältere weniger empfindlich. Einzig das Geschlecht des Beobachters bleibt unberücksichtigt, obwohl man viele Beweise finden kann, dass Frauen Farben anders sehen. Die so entstandene Größe hört auf einen sperrigen Namen: melanopisch äquivalente Tageslicht-Beleuchtungsstärke (MEDI, en: melanopic equivalent daylight illuminance). Um die Größe anzugeben, muss man die Formelfunktion von Word bemühen, was sehr mühsam ist und nicht von der Kopierfunktion von Word beherrscht wird. Zudem muss man bei allen „classic“ lichttechnischen Größen jetzt ein „v“ dahinter hängen, damit jeder weiß, dass es sich um „visuelle“ Wirkungen handelt. Die Fachwelt muss sich erst einmal daran gewöhnen, dass man Licht nicht mit einem Gerät misst und das Gemessene unreflektiert bewertet.

Die Besetzung des Fachgebiets und die Aufstellung neuer Größen verliefen zwar geradlinig, aber nicht ohne systembedingte Opfer, die sich bis heute auswirken. So hat die Lichttechnik den allen Menschen bekannten Begriff Licht in ihrem Sinne besetzt und versucht seit einem Jahrhundert, die eigene Vorstellung sogar gegen ihre „Mutterwissenschaft“ Physik durchzusetzen. Seit 1924 ist „Licht“ im Sinne der Beleuchtungstechnik der Anteil der Strahlung, der zum Sehen dient. Folgerichtig ist auch das Tageslicht „Anteil der Sonnenstrahlung, der zum Sehen dient“. Dummerweise wird man keinen Menschen oder kein Tier finden, das dem so definierten Tageslicht jemals begegnet sein kann. Dennoch behauptet das im Jahr 2021 völlig überarbeitete Wörterbuch der Beleuchtungstechnik, der Gebrauch des Wortes i.S. seiner physikalischen Definition, sei ein Missbrauch.8ILV (International Lighting Vocabulary) enthält seit 2021 folgende Definition: “Begriff Nummer 17-21-013 light. noun - radiation within the spectral range of visible radiation. Note 1 to entry: Sometimes, the term "light" is also used in physics as a synonym of optical radiation, covering the spectral range from 100 nm to 1 mm and sometimes even covering the X‑ray spectral range. This misuse of the term "light" should be avoided.” Für Pflanzen kann sich das so definierte Licht gar tödlich auswirken, weil diese unter „Licht“ etwas völlig anderes verstehen. Wer wissen will, warum das so ist, kann sich bei Herstellern für Lampen für Pflanzen informieren.9Die V(λ)-Kurve besitzt ihr Maximum im gelb-grünen Bereich und endet bei blau und rot an beiden Enden des Spektrums, um in Ultraviolett und Infrarot überzugehen. Hingegen sehen fast alle Blätter von Pflanzen grün aus, weil diese Grün reflektieren. Die Pflanzen besitzen die größte Lichtempfindlichkeit exakt dort, wo das menschliche Auge am unempfindlichsten ist bzw. gar nichts sieht. Deswegen sehen Lampen, die Pflanzwachstum bewirken sollen, lila bis violett aus. Die umfangreichste Arbeit zum Wachstum von Pflanzen stammt von Keith J. McCree. Deswegen heißen die Kurven, die das optimale Spektrum für Pflanzen beschreiben, McCree-Kurven. Mehr hier und da (dieser Link zeigt, wie man Verticalfarming betreiben kann) Es genügt allerdings, nur im Internet nach Pflanzenbeleuchtung zu gucken. Auch Tiere sehen Licht anders als Menschen. Da Menschen ihre Lebensräume mit Tieren und Pflanzen zu teilen pflegen, muss man hinterfragen, ob es überhaupt statthaft ist, allgemein bekannte physikalische Gegebenheiten überhaupt zu definieren. Das Vorgehen stellt sich irritierend dar, nicht nur für Laien, sondern gerade auch für Fachleute. Das Opfer, das man der Messbarkeit bringt, ist zu hoch.

Den Ingenieuren genügte es nicht, dass die Lichter glänzten, vielmehr musste messbar gemacht werden, wie sie glänzten. Wäre die Lichttechnik eine Wissenschaft, die nur in Laboren betrieben wird und deren Wissen nur unter den Angehörigen der gleichen Wissenschaft geteilt, hätte man vermutlich nur wenige Probleme damit. Doch sie ist es nicht. Die künstliche Beleuchtung hat am Ende der hier behandelten Dämmerung die Jahrtausende alte Kunst der Architektur umgestoßen, insbesondere den Bau von Arbeitsstätten mächtig verändert. Und vor allem, sie hat aus der Arbeitswelt, die einst auf das Tageslicht angewiesen war, einen 24/7-Betrieb gemacht. Kann eine Definition, die in einem Wörterbuch mit kleiner Auflage versteckt existiert, gemeint ist die von Licht bzw. Tageslicht, lebenswichtige, ja sogar bedrohliche Wirkungen auslösen?

Dieses Kapitel handelt davon, dass die Deutungshoheit über den Begriff Licht sogar die allgemeine Gesundheit bedrohen kann. Denn die Macher des Lichts haben sich keineswegs auf einen Ersatz von Gaslicht durch elektrisches beschränkt. Sie wollten nichts Geringeres als die Sonne ersetzen und ein autarkes Leben unter einem künstlichen Himmel ermöglichen. Werbesprüche wie „Hell wie der lichte Tag“ oder „Kann man die Tageszeiten überlisten? Mit Philips A, ja.“ sind keine Erfindung von Propagandisten, sondern ein Echo der Ansprüche der Ingenieure, die später als Werbesprech kursierten.

Auftritt Matthew Luckiesh#Luckiesh – Von der Überlegenheit der elektrischen Sonne

Die 1920er Jahre hießen Roaring Twenties u.a. auch deswegen, weil das neue künstliche Licht mit Glühlampen eine Beleuchtung ermöglichte für Leute, die die Nacht zum Tage machten. Theater, die einst Personal zur Überwachung der Kerzen beschäftigen mussten, den Komödien-Lichtputzer, brauchten nur noch jemanden, der an dem Lichtschalter drehte. Zwar sollte es noch lange dauern, bis die Arbeit des Bühnenbeleuchters zu einer wahren Kunst perfektioniert wurde. Aber man musste nicht mehr Sorge um die Schäden an der Dekoration haben, die die die Beiprodukte des Lichts, wie Feinstaub oder Gase, verursachten. Dass man mit Licht eine andere Art Verschmutzung ins Haus holte, die sich im Laufe eines Jahrhunderts zu einer Plage entwickeln würde, war noch keinem bewusst. Man freute sich an den schönen Seiten des Lichts. Aber auch die heutige Lichtverschmutzung wird nicht von allen negativ gesehen. Viele finden das nächtliche Leuchten der Städte wunderschön. Sie freuen sich über die nächtliche Beleuchtung, ohne sich Gedanken zum Verlust der Dunkelheit zu machen.

Allein in Museen muss man dem neuen Licht Halt gebieten. Es kann geeignet sein, Kunstwerke, die Jahrtausende überstanden haben, recht schnell zu bleichen. Wer weiß, wie viele Kunstwerke sich leise verabschiedet haben, bis man die zerstörerische Wirkung von Licht auf diese entdeckte. Dummerweise braucht man aber Licht, um die Exponate zu bewundern. Man musste lernen, Teile aus dem Spektrum wegzufiltern, damit die zerstörerische Wirkung begrenzt wird. Dann hat man aber ein anderes Licht. Solche Fragen wurden in den 1920ern nicht gestellt. Man empfand das Leuchten der Städte als eine Befreiung von dem ewigen Rhythmus von Tag und Nacht. Luckiesh befeuerte die Vorstellung von einer Befreiung des menschlichen Lebens vom natürlichen Rhythmus, den die Sonne vorgab. Endlich frei!

Andere wiederum dachten bei Licht nicht an Beleuchtung sondern an Therapie. Daraus entwickelte sich ein Zweig der Lichtanwendung, die sich Photobiologie nannte. Ihr Name hat sich bis heute erhalten, jedoch hat sie sich zu einem riesigen Forschungsgebiet entwickelt. Die Photobiologie ist heute ein interdisziplinäres Teilgebiet der Biologie und Chemie. Sie befasst sich mit der Erforschung der Interaktion zwischen Licht und Organismen. Das Forschungsfeld der Photobiologie umfasst neben dem Sehsinn die Phänomene der Photosynthese, Photomorphogenese, circadiane Rhythmen, Biolumineszenz sowie durch Laser und Ultraviolettstrahlung hervorgerufenen Schädigungen. Auf der biologischen Seite sind somit vor allem die Eigenschaften natürlicher Pigmente interessant, da diese im Wesentlichen die Absorptionseigenschaften der organischen Materie bestimmen. Im physiologischen Bereich spielen dabei die Fähigkeit der Pigmente zur Energie- oder Signaltransduktion eine herausragende Rolle. Wie diese Aufzählung zeigt, stellt die Photobiologie eine der wichtigsten Zukunftswissenschaften dar, von der die Zukunft unserer Ernährung abhängt. Nicht nur die Zukunft … Dafür dass Legehennen den größten Teil des Jahres Eier legen, sorgt künstliches Licht, das denen den Langtag simuliert.10Hühner legen ihre Eier in Abhängigkeit von der Länge des Tages, an der sie die Jahreszeit feststellen. Bei einem natürlich länger werdenden Lichttag, beispielsweise im Frühjahr, würde eine Junghenne starten, Eier zu legen. Nimmt der natürliche Lichttag im Herbst/Winter ab, reduziert sich die Legeleistung und das Tier wird in Verbindung mit einer Mauser eine Legepause im Kurztag einlegen, bevor eine zweite Legeperiode beginnt. Durch Lichtprogramme manipuliert man den Hormonhaushalt der Tiere und simuliert mit dem künstlichen Lichttag, der gleichbleibend lang ist, dass der Sommer/Langtag nie endet.

Der Tag der elektrischen Sonne, der Luckiesh vorschwebte, war ein Sommertag. Er hat nicht dessen Länge beachtet. Er hätte es auch nicht gekonnt, weil sich die USA von Alaska bis Hawaii erstrecken. Point Barrow in Alaska befindet sich auf 71° 23′ 20″ N. Dort dauert der Sommertag ca. 2 ½ Monate, entsprechend lange die längste Nacht. Die Insel Hawaii – Big Island – liegt auf 19° 53' 48.358" N. Somit ist sie ein tropisches Land mit etwa gleicher Länge von Tag und Nacht das ganze Jahr über. Im 21. Jahrhundert will die Lichttechnik wieder einen Sommertag für das ganze Jahr zugrunde legen, damit man circadiane Rhythmen mit künstlichem Licht unterstützen kann. Diesmal gar weltweit.

Langtag und Kurztag sind enorm bedeutende Begriffe insbesondere für die Pflanzenwelt. Manche Pflanzen bilden bei kurzer Tageslänge ihre Blüten aus, während andere Pflanzen dafür eine lange Tageslänge benötigen. Photoperiodismus bezeichnet die Abhängigkeit von Wachstum, Entwicklung und Verhalten bei Pflanzen von der Tageslänge (Photoperiode). Hierbei kann sogar bereits das Vollmondlicht wirksam sein. Mehr unter Photoperiosimus @

Ein gewisser Matthew Luckiesh, Leiter des Forschungslabors Baltimore von General Electric, wollte in den 1920ern zwar nicht so weit gehen, dass er in Licht das Elixir des Lebens gefunden hätte. Allzu bescheidener fiel sein Ansatz aber nicht aus. Er veröffentlichte im Jahr 1926 das Buch „Light and Health“11Luckiesh, M und Pacini, A., 1926. Light and Health, Williams & Wilkins Co., Baltimore, das das Rennen um eine gesunde künstliche Beleuchtung aufnahm. Luckiesh und sein Co-Autor Pacini hatten die Kunst vollbracht, ein komplexes Thema ohne viele Fachwörter für ein interessiertes Publikum aufzubereiten. Das entsprach auch ihrem Ziel, möglichst viele Unterstützer für ihre Vorstellung von der Lichtanwendung zu gewinnen. Luckiesh führte aber an und kommentierte so ziemlich alles, was damals unter Photobiologie auch als Mittel zur Therapie eingesetzt wurde bzw. dazu geeignet schien. Grenzen zwischen gesunder Beleuchtung und Therapie mit Licht gestalteten sich fließend. Die elektrische Sonne hatte in Luckiesh einen überzeugten Helfer für ihren Aufstieg gefunden.

Das Buch „Light and Health” von Luckiesh spricht von einer Verwandlung der traurig halbdunkel beleuchteten Nacht in einen künstlichen Tag. Die wundervollen Entwicklungen angefangen vom Glühstrumpf bis hin zu den mittlerweile reichlich vorhandenen Quecksilberdampflampen (Anm.: gemeint sind Hochdrucklampen, die Leuchtstofflampe harrte noch ihrer Erfindung) hätten wesentlich zur Leistungsfähigkeit, Sicherheit, Gesundheit und Glückseligkeit der Menschheit beigetragen. Nunmehr würde sich der Mensch nicht mehr damit begnügen, Licht zu haben. Er verlange künstliches Tageslicht, postulierte Luckiesh.12Luckiesh schreibt: “Man now desires lights of various colors for their expressive effects. He is no longer satisfied with mere light in adequate quantities; he desires certain qualities. Furthermore, he no longer finds it sufficient to be independent of daylight merely in quantity of light. In fact, he has demanded artificial daylight. (Luckiesh, Matthew. The Complete Works of Matthew Luckiesh, S. 5927) Dementsprechend müsse das künstliche Licht modifiziert werden. Beim Sehen sei es nicht nur wichtig, dass man Objekte sehe, man müsse auch Farben sehen, z.B. um beim Obstkauf die richtigen Früchte auszusuchen. Da sich das menschliche Sehen unter dem Licht der Sonne entwickelt habe, könne ein Mensch ohne Tageslicht Farben nicht korrekt unterscheiden. So leitete Luckiesh einen Bedarf für sein künstliches Tageslicht ab, für ihn Qualität und nicht mehr nur Quantität.

Ob man das Gesuchte künstliches Tageslicht nennen muss, kann man diskutieren. Was sich nicht diskutieren lässt, ist der Anspruch, den Luckiesh erhebt. Er hebt auf das Farbensehen ab und verlangt die Qualität „Tageslicht“ eben aus diesem Grunde. Rund ein Jahrhundert danach haben es seine Nachfolger immer noch nicht geschafft, diesem Anspruch zu genügen. Man arbeitet immer noch mit einem von Anbeginn ungeeigneten und mittlerweile vollkommen veralteten Konzept der Farbwiedergabe (allgemeiner Farbwiedergabeindex Ra) und verschreibt den Planern der Beleuchtung ungenügende Qualitäten.13Die Farbwiedergabe ist die Fähigkeit einer Beleuchtung, Farben von Objekten sichtbar zu machen, die unter ihrem Licht stehen. Leider ist diese Aufgabe nicht so leicht, wie sie scheint. Denn ein physikalisches Objekt hat keine Farbe, sondern nur Reflexionseigenschaften. Und ein Mensch sieht, wie man aus diversen beliebten „Sehtäuschungen“ kennt, Farben nicht absolut, sondern relativ.

Der Farbwiedergabeindex gibt nur die Fähigkeit einer Lampe bzw. eines Leuchtmittels – und nicht einer Beleuchtung – an, bestimmte Farbmuster in Vergleich zu ihrem Erscheinen unter einem Referenzlicht wiederzugeben. Da diese eigentlich nirgendwo tatsächlich vorhanden ist, bezieht sich der Vergleich auf die Glühlampe – mittlerweile in der EU verboten – und auf „Tageslicht“. Da das Tageslicht bekanntlich morgens, mittags und abends unterschiedlich ist, benutzt man unterschiedliche „Tageslichter“. Egal wie, ein Index von 100 = höchster Wert, bedeutet nicht etwa, dass alle Farben wunderschön wiedergegeben werden. Nur 8 Pastellfarben werden berücksichtigt und keine gesättigten.

Da auch die beste Lampe nicht dem Tageslicht entspricht, bleibt in der Realität eine ziemlich traurige Farbwiedergabe übrig. Und die bestmögliche wird in keiner Norm für Beleuchtung vorgegeben, gefordert wird eine recht dürftige Farbwiedergabe, die nach Meinung der Lichttechniker reicht. Zu allerletzt sei erwähnt, dass eine unserem Empfinden entsprechend „natürliche“ Farbwiedergabe mit keiner Lampe erreichbar ist, die nur in dem Bereich strahlt, die als „Licht“ zählt. Viele Objekte, Stoffe, Papier, Wandfarben, Geräteoberflächen, Wäsche u.ä. bekommen ihre Erscheinung durch ultraviolettes Licht, weil sie sog. Weißmacher oder Aufheller enthalten.

Beleuchtungsnormen geben i.a. keine Lichtfarbe vor und empfehlen meist einen Wert von 80 für den Index. Wie dieser bestimmt wird, wird in keinem Buch oder Artikel beschrieben.

Das künstliche Tageslicht, das Luckiesh fortan in seinem Buch diskutiert, erinnert an die Filter, mit denen man im Labor einst das von der CIE definierte „Tageslicht“ künstlich erzeugte.14Das Tageslicht, das die CIE einst definierte, Normlichtart C, wurde mit Hilfe einer Flüssigkeit und farbigen Gläsern erzeugt. Es diente nicht etwa Beleuchtungszwecken, sondern nur der Messung. Man musste enorme Energien aufwenden, um genügend Licht mit einer Glühlampe zu erzeugen, weil die Filter sehr viel Licht schluckten. Neuere Normlichtarten für Tageslicht (D50, D55, D65, D75 = D für Daylight, XX für die ersten zwei Ziffern der Farbtemperatur) kann man leichter erzeugen. Aber auch diese dienen nicht der Beleuchtung. Lampen, die die Bezeichnung Daylight bzw. Tageslicht tragen, ähneln nicht etwa dem Tageslicht. Der Bezeichnung kann man entnehmen, dass sie dem Glühlampenlicht unähnlich sind. Nur in der Fotografie wird eine Lampe so bezeichnet, wenn sie eine Farbtemperatur über 5000 Kelvin aufweist. In der allgemeinen Beleuchtungstechnik werden Leuchtstofflampen als Tageslicht- oder Vollspektrumlampen bezeichnet, deren Farbspektren dem natürlichen Tageslicht nachempfunden sein sollen. Ihre Farbtemperatur liegt etwa bei 5300 Kelvin und 6500 Kelvin. Hingegen kann das Licht, das man am Tage erlebt, Farbtemperaturen von 3000 K (untergehende Sonne) bis 12.000 K (blauer Nordhimmel ohne Wolken) oder gar 27.000 K (nördliches blaues Himmelslicht) erreichen. Die Zahlen geben aber das Erlebnis nicht hinreichend wieder, weil sich die Intensität des Lichts sowie sein Wärmegehalt mitändern. Er führt diverse Gasentladungsröhren an, die farbiges Licht erzeugen, erwähnt Gläser (d.h. Filter), die das Licht „modifizieren“, bis das verbliebene Licht etwa Tageslicht entspricht. Aber auch die Qualität von diesem Tageslicht wird diskutiert, weil es schon damals offensichtlich war, dass sich das Licht des Nordhimmels mit und ohne Wolken stark unterscheidet, aber erst recht vom Sonnenlicht am Mittag. Die Quintessenz des Ganzen klang damals sehr verheißungsvoll: Während sich das Tageslicht in Qualität und Quantität ändert, bietet das künstliche Tageslicht den Vorteil, nicht nur konstant in Qualität und Quantität zu bleiben, sondern immer die richtige Qualität zu bieten.15Luckiesh schreibt “ Thus it is seen that daylight not only varies in quantity but also in quality, and an artificial daylight, which is based upon an extensive analysis, has the advantage of being constant in quantity and quality as well as correct in quality. Modern artificial-daylight units which have been scientifically developed not only make mankind independent of daylight in the discrimination of colors but they are superior to daylight.” S. 5988 Somit sei das künstliche Tageslicht dem natürlichen überlegen. Und werde ständig verbessert. Auf die Idee, dass das Wechselhafte des natürlichen Sonnenlichts ein Qualitätsmerkmal sein könnte, vielleicht sogar das entscheidende, kam für viele Jahrzehnte weder Luckiesh noch irgend ein Ingenieur. Nur der Augenmediziner Weston hat in einem der wichtigsten Artikel der Lichttechnikgeschichte darauf hingewiesen.16Weston war ein britischer Ophthalmologe, von dem die heftigste Kritik an der ewig gleichbleibenden und überall gleichen Beleuchtung stammt: „„Befürworter des in Mode gekommenen Helligkeits-Engineering haben empfohlen, dass ideale visuelle Bedingungen dann herrschen, wenn eine gleichförmige Helligkeit im Gesichtsfeld hergestellt wird. Es gibt nichts in der Physiologie, was diese Vorstellung unterstützt. (...) Es gibt eine inhärente Eigenschaft der modernen künstlichen Beleuchtung, die nicht anstrebenswert ist. Das ist ihre Konstanz – eine vielgelobte Eigenschaft, von der behauptet wird, sie begründe die Überlegenheit der künstlichen Beleuchtung gegenüber der wechselhaften natürlichen Beleuchtung. Jedoch, auch wenn Konstanthaltung von Bedingungen für einige kritische Sehaufgaben anstrebenswert ist, Konstanz ist eine nervtötende und abstumpfende Eigenschaft der künstlichen Beleuchtung.“ (Weston, 1954, Weston, H.C.: Visual Fatigue, Illuminating Engineering, Vol 49(2), S. 63-76) Das könnte man auch als eine späte Abrechnung mit Luckiesh‘ Theorien verstehen: „Jedoch, auch wenn Konstanthaltung von Bedingungen für einige kritische Sehaufgaben anstrebenswert ist, Konstanz ist eine nervtötende und abstumpfende Eigenschaft der künstlichen Beleuchtung.“ Viele Jahrzehnte später sollte die Firma Philips mit „dynamischer“ Beleuchtung ein Konzept anbieten, das allerdings es nicht zum Durchbruch geschafft hat.

Mit diesen Vorstellungen von Luckiesh begann der Aufstieg der elektrischen Sonne. Nicht etwa als bescheidener Notbehelf für das natürliche Licht, sondern als eine überlegene Alternative, besser gesagt als Dauerersatz. Dass und warum die Veränderlichkeit des natürlichen Lichts über den Tag schon im Alten Testament im ersten Kapitel steht, in der Schöpfungsgeschichte, interessierte die Gläubigen der neuen Technik nicht.

Licht und Gesundheit – Untrennbar aber diskutierbar …

Luckiesh und sein Co-Autor Pacini zeigten sich bereits in der Einführung ihres Buches „Light and Health“ als große Anhänger des Lichts, dem sie nicht nur eine große Rolle beim Wohlbefinden des Menschen zuschrieben, sondern die Sonnenstrahlung als mächtigen Antreiber der Evolution anpriesen. Wenn dies anerkannt werde, müsse man akzeptieren, dass eine Welt ohne sie, also ohne die Sonnenstrahlung, unvorstellbar sei. „Anzunehmen, dass sie nicht mehr für die Gesundheit der Menschenrassen bedeutsam sei, wäre ebenso wahr als wenn man annähme, dass der Sauerstoff nicht mehr für den Prozess der Atmung wichtig sei.17Der Ausdruck „Menschenrassen“ ist kein Übersetzungsfehler. Luckiesh führt an anderer Stelle in dem Buch „primitive Wesen“ aus den Tropen an, die ihre Wunden in der Sonne heilen würden. Eine sehr bemerkenswerte Aussage für zwei führende Angestellte eines Lichtkonzerns! Hätten sie es dabei belassen und sich in die Schar der Sonnenanbeter und Lichtheiler eingeordnet, wären die Herren vermutlich längst vergessen. Doch sie wollten ihr Vorbild übertrumpfen. Der Titel ihres Buches hieß nicht zufällig „Licht und Gesundheit – Eine Diskussion von Licht und anderer Strahlungen in Bezug auf Leben und Gesundheit“.18Der volle Titel des Buches lautet „Light and Health: A Discussion of Light and Other Radiations in Relationship to Life and to Health”. Weder der Titel noch das Buch beschränken sich auf die Wirkungen von Licht auf den Menschen. Es beschreibt alle zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannten Heilwirkungen der Sonnenstrahlung von der Röntgenstrahlung bis hin zu Radiowellen und führt dazu auch Kenntnisse und Mythen aus fernen Ländern an.

Die auf diesem Wege abgeleitete Argumentationskette lässt sich etwa so abkürzen: Tageslicht stand am Anfang der Evolution → die Evolution hat bestimmte Bedürfnisse in die Knochen, Körper und Augen der Menschen geschrieben → natürliches Licht entspricht diesen Bedürfnissen, ist aber nicht ständig in gleicher Qualität vorhanden → künstliches Tageslicht ist dem natürlichen überlegen → Und es wird ständig verbessert. Punkt. Man darf sogar um Mitternacht sagen, es werde Licht. Und es wird Licht. D.h. der künstliche Tag kann jederzeit beginnen. Enden muss er nicht. Der Mensch ist endlich frei und muss sich nicht mehr dem Rhythmus des Tags und der Nacht unterordnen, schon gar nicht den Jahreszeiten.

Luckiesh beließ es nicht bei theoretischen Überlegungen, wie viele Wissenschaftler es zu tun pflegen. Als Leiter einer Lampenfabrik stellte er Gedanken zu ultraviolettem Licht an, über die Gesundheit im Allgemeinen und zur erforderlichen Qualität des Tageslichts für die Sehaufgaben im Besonderen. Seine späteren Nachfolger legten dann die Sache mit dem ultraviolettem „Licht“ beiseite 19Ultraviolett kann eigentlich kein Licht sein, weil die Wellenlänge kürzer ist als die der Strahlung, die dem Sehen dient. So jedenfalls nach der Definition des Lichts gemäß CIE. In der Physik ist es allerdings Licht, in der Medizin auch. UV wird in der Beleuchtung allgemein als Störung und Gefährdung behandelt. Nur wenige Experten, Anhänger der sog. Vollspektrumbeleuchtung fordern UV-Anteile im Licht auch im Innenraum. Die CIE beschäftigt sich erst seit 1999 mit UV. Auf ihrer Website liest man: “From 1999 onwards also the optical, visual and metrological aspects of the communication, processing and reproduction of images, using all types of analogous and digital imaging devices, storage media and imaging media are covered by CIE.“ und machten sich daran, die Qualität des für die Arbeit erforderlichen Lichts zu definieren. Allerdings alles zu ihren Konditionen. Denn der Begriff Qualität tauchte in dem „Internationalen Wörterbuch der Lichttechnik“, genormt und gepflegt seit 1938 von der heute noch mächtigsten Normenorganisation der Welt, IEC20IEC = International Electrotechnical Commission wurde in 1906 gegründet. Die IEC war wesentlich daran beteiligt, Normen für Maßeinheiten zu vereinheitlichen, insbesondere Gauß, Hertz und Weber. Die IEC-Satzung schließt die gesamte Elektrotechnik ein, einschließlich Wandlung und Verteilung von Energie, Elektronik, Magnetismus und Elektromagnetismus, Elektroakustik, Multimedia, Telekommunikation und Medizintechnik als auch allgemeine Disziplinen wie Fachwortschatz und Symbole, elektromagnetische Verträglichkeit, Messtechnik und Betriebsverhalten, Zuverlässigkeit, Design und Entwicklung, Sicherheit und Umwelt. Allein die mit der ISO gemeinsam betriebene Normung (JTC 1 Joint Technical Committee for Information Technology) ergab bislang fast 3000 Standards vom Kaliber MPEG (Multimedia, Methoden der Datenkompression) oder UCS (Universal Coded Character Set) alias Unicode, das alle bekannten 145.000 Schriftzeichen aus 159 lebenden und toten Sprachen.

Die Lichttechnik bildete einst den Nukleus, aus dem sich die Elektrotechnik entwickelt hat. Daher waren früher die Normen der IEC praktisch lichttechnische Normen. Bald überflügelten aber Normen der Elektrotechnik die anderen Bereiche, und die Informationstechnik kam hinzu. Die Wege von IEC und CIE trennten sich in 1992, müssen aber ihre Aktivitäten teilweise koordinieren, z.B. weil praktisch alle Leuchtmittel heute elektrische Geräte sind. So sagt das Memorandum – Scheidungspapier – u.a. folgendes aus: 2.2) IEC entwickelt und publiziert Normen für den gesamten Bereich der Elektrotechnik 2.3) CIE entwickelt und publiziert Normen für den Bereich Licht und Beleuchtung 2.4) iEC und CIE haben gemeinsame Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Beleuchtungstechnischen Wörterbuchs … 2.6) In bestimmten Bereichen überlappen sich die Aktivitäten von IEC und CIE. Klar wie Kloßbrühe ist der passende Ausdruck für eine Abgrenzung zweier Organisationen nach etwa 70 Jahren. Lichttechnische Produkte kommen ohne Strom und elektrische Komponenten nicht aus. Elektrotechnische Produkte funktionieren teilweise auch ohne Licht, aber man muss sie unter Licht herstellen und installieren., erst im Jahre 2021 auf. Wer dort nach einer erforderlichen Lichtqualität sucht, findet allerdings nur die Umschreibung der Definition von Qualität gemäß ISO 9000 mit einem Hintertürchen für das eigentliche Vorgehen der Lichttechnik, die etwa mit Luckiesh und Pacini beginnend formuliert wurde: Techniker definieren biologische oder physiologische Bedürfnisse des Menschen und schreiben in Normen, wie sie erfüllt werden.21Der Begriff Qualität ist doppeldeutig und bedeutet in der Umgangsprache etwa „hohe Qualität“ oder „ausgezeichnete Beschaffenheit“. Wer ein Qualitätsprodukt kauft, erwartet eine hochwertige Beschaffenheit. Hingegen bedeutet Qualität i.S. der Qualitätswissenschaft die Erfüllung von Anforderungen. Wenn die Anforderung an ein Rad darin besteht, dass es rund sein muss, ist jedes runde Rad ein Qualitätsrad. Die Anforderungen können explizit (ausgeschrieben) oder implizit sein. So wird jeder Käufer eines schnellen Autos annehmen, dass es verkehrssicher bei der Höchstgeschwindigkeit ist. Und alle Räder rund.

Die oben erklärte Doppeldeutigkeit des Begriffs besteht seit der Antike und ist nicht mehr wegdiskutierbar. Deswegen muss jeder, der über die Qualität eines Produktes nachdenkt, sich über explizite Anforderungen als Basis der genormten Qualität informieren wie auch die impliziten Anforderungen berücksichtigen. So lautet die Definition der Lichtqualität: „Grad der Exzellenz zu welchem die Gesamtheit der Eigenschaften der Beleuchtung die Bedürfnisse und Erwartungen der Nutzer oder andere anwendbare Anforderungen erfüllt.“22Begriff Nummer 17-29-029: degree of excellence to which the totality of lighting characteristics fulfils user needs and expectations or other applicable requirements (CIE Wörterbuch e-ilv), @ abgerufen 22.02.2022 Wer wohl kann diese anderen Anforderungen in ihre Normen geschrieben haben?

Außer dass die Einsicht etwa 100 Jahre zu spät kommt, sagt sie nichts darüber aus, was nun die Bedürfnisse des Menschen wären, an denen man die Beschaffenheit einer Beleuchtung beurteilen soll. Das Hintertürchen steht in „andere anwendbare Anforderungen“. Und die stehen auch im Jahre 2021 in zahllosen Normen zur Beleuchtung, die in jedem Land von anderen Leuten gemacht werden. Nicht ganz zufällig sind dies fast alles Lichtingenieure. Warum nicht andere Menschen?23Die Frage, warum sich nicht andere Menschen allzu sehr mit der Beleuchtung beschäftigen als nur Lichtingenieure scheint berechtigt. Man könnte annehmen, dass andere daran gehindert würden, sich Gedanken um die Beleuchtung zu machen, weil es naheliegend scheint. Das ist allerdings keineswegs richtig. Besonders auffällig ist, dass sich die Ergonomen, d.h. Leute, die sich mit der Arbeit und ihrer Gestaltung in allen Details beschäftigen, ausgerechnet von der Beleuchtung fern halten. Es gibt ergonomische Handbücher mit 2.000 Seiten, in denen Beleuchtung nicht vorkommt. Es gibt aber nur wenige Arbeitsplätze, die ohne Beleuchtung auskommen.

Das ist eine lange Geschichte, die der Dämmerung der elektrischen Sonne folgte und deren Ende noch nicht absehbar scheint. Jedenfalls verdankt sie den Aufstieg nicht etwa den Gitarrenklängen des Samba de Orfeu, gespielt von einem Jungen aus Rio de Janeiro.24Gemeint ist die Schlussszene des Films Orfeu Negro von Marcel Camus. Orfeu, der himmlisch Gitarre spielen kann, tötet seine Geliebte Euridice bei dem Versuch, Licht anzumachen. Der kleine Junge Benedito lässt mit der Gitarre Orfeus die Sonne aufgehen. Und die Geschichte von Orpheus und Eurydike nimmt einen neuen Anfang. Vielmehr verhalf eine jahrzehntelange Arbeit in der Form der technischen Weiterentwicklung des Lichts und der Stromnetze der elektrischen Sonne in ungeahnte Höhen. Begleitet wurde der Aufstieg durch die Unterstützung der Wirtschaft, der man mehr Leistung versprach (siehe Das geistige Umfeld der Hawthorne Experimente). Und man suchte die Nähe der Mächtigen. Viele Länder, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, haben gesetzliche Bestimmungen zur Beleuchtung, freilich ohne dass eine wissenschaftliche Basis dafür gibt. Im Dritten Reich wurde sogar ein Amt für Schönheit der Arbeit gegründet und betrieben, dessen Hauptziel die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Arbeiter durch besseres Licht war.

Ein Jahrhundert nach Luckiesh gab man sogar das Ziel der Beleuchtung auf und widmete sich dessen ursprünglichen Vorstellungen, der Gesundheit. Seit dem Jahr 2018 dient die Beleuchtung nicht mehr dazu, Dinge und Umgebungen sichtbar zu machen.25Das CIE-Wörterbuch definierte seit seinem Bestehen die Beleuchtung als Anwendung von Licht, um Sehobjekte und Umgebungen des Menschen sichtbar zu machen. Seit 2018 ist Beleuchtung nur noch Anwendung von Licht. Die Zielvorgabe, die auch bereits in der Eiszeit bestanden hatte, als die erste Öllampe gebaut wurde, scheint nicht mehr wichtig. Sie ist nur noch die Anwendung von Licht. Der Grund für die Abwendung vom Sehen besteht in dem Bestreben, mit dem künstlichen Licht die Lebensvorgänge im Menschen zu beeinflussen. Die Lichttechnik hat die circadiane Rhythmik des Menschen für sich entdeckt. Zu dumm nur, dass die Meister der Lehre von der circadianen Rhythmik, die führenden Chronobiologen, in einem Memorandum das Licht für gesundheitlich schädlich erklärt haben, das man zu der Zeit erzeugt, wo es Sinn macht, abends und nachts.26Im Jahre 2021 erklärten die führenden Chronobiologen der Welt, dass das Licht am Abend und in der Nacht die körperlichen Rhythmen des Menschen störe, während die Menschen in geschlossenen Räumen insgesamt zu wenig Licht erhielten. So soll in Innenräumen die Lichtmenge tagsüber erhöht werden. Die empfohlene Menge entspricht etwa dem Vierfachen der heute üblichen Beleuchtungen. Ab 19 Uhr soll diese Lichtmenge auf etwa 4% des Tageswertes abgesenkt werden. Ab 22 Uhr soll so wenig Licht wie möglich herrschen. Weiter zu lesen in Timothy M. Brown, George C. Brainard, Christian Cajochen, Charles A. Czeisler, John P. Hanifin, Steven W. Lockley, Robert J. Lucas, Mirjam Münch, John B. O’Hagan, Stuart N. Peirson, Luke L. A. Price, Till Roenneberg, Luc J.M. Schlangen, Debra J. Skene, Manuel Spitschan, Céline Vetter, Phyllis C. Zee, Kenneth P. Wright Jr.: Recommendations for healthy daytime, evening, and night-time indoor light exposure.

Wie die Anforderungen technisch realisiert werden sollen, wurde nicht erläutert. Das müssen Wissenschaftler, die eine Anforderung formulieren auch nicht. Was sie aber sagen müssen, ist was realisiert werden soll. Denn die Beleuchtungsstärke ist ein Momentanwert und muss immer vorhanden sein, wenn man etwas sehen soll. Die Wirkung von Licht auf die Körperrhythmen hängt aber von der Zeit einerseits und von der Dosis andererseits ab. Man kann also „Licht tanken“ und eine Wirkung verspüren, wenn es nicht mehr da ist. Die Sache ist im Jahr 2024 der CIE aufgefallen. Soll die elektrische Sonne nur tagsüber scheinen, wenn die natürliche auch da ist, aber nicht überall hinreichend Licht abgibt?

Man kann durchaus von einer Zeitenwende sprechen, wenn Licht nach einem Jahrhundert außerhalb der Tageszeiten, in denen es auch in der Natur vorhanden ist, für schädlich erklärt wird. Und das nicht etwa von Kritikern von Licht. Die diesbezügliche Politik hat die CIE auf ihre Fahnen geschrieben, die für die globale Politik der Lichtmacher zuständig ist.27Siehe CIE Position Statement on Non-Visual Effects of Light - RECOMMENDING PROPER LIGHT AT THE PROPER TIME, 3. Oktober 2019. Richtiges Licht zur richtigen Zeit wird in dieser Erklärung der CIE verlangt. Man kann es auch so lesen, dass richtiges Licht zur falschen Zeit schädlich sein kann. Da lichttechnische Normen für Arbeitsplätze für jede Tageszeit die gleiche Beleuchtung verlangen, können sie, auch wenn sie bestimmungsgemäß ausgeführt worden sind, negative Wirkungen auslösen. Das Licht ist nicht mehr ein physikalisches Problem, dessen Bedeutung überall und immer die gleiche ist und bleibt. Sind einst 500 lx in Alaska an einem Wintertag gleich 500 lx in Rio an einem Sommertag gewesen, und immer hinreichend gut für die Beleuchtung, müssen wir künftig von zeitabhängigen Wirkungen ausgehen. Und das Licht ist nur gut, wenn es zur passenden Zeit wirkt. Ganz so leicht zu verstehen ist das nicht.

Der künstliche Sonnentag wird realisiert

Luckiesh musste eigentlich nicht viel mehr tun als auf den Zug zu springen, den die Sozialreformer, Sonnenanbeter und Naturphilosophen in Fahrt gebracht hatten. Die Sozialreformer wollten ja schon immer die Sonne in die Mietkasernen holen. War etwas dagegen einzuwenden, wenn jemand eine Dienstleistung anbietet, die eben dieses auf Knopfdruck ermöglichte? Eigentlich ist das Wort Knopfdruck an dieser Stelle falsch. Man musste damals noch den Schalter umdrehen, wie es bei der Öllampe üblich war. Und schon hatte man das wunderbare künstliche Tageslicht, und dies zu jeder Tages und Nachtzeit, wie es einem gerade einfiel.

In Natura sah das Ganze damals noch nicht so perfekt aus. Die wunderbare Lampe, die die Natur nachbauen wollte, musste erst einmal aus zwei verschiedenen Teilen zusammengesetzt werden. Denn man wusste zwar, dass man ultraviolettes Licht brauchte, dies aber mit einer Glühlampe kaum herstellen konnte. Zu der Glühlampe musste noch eine Entladungslampe hinzugefügt werden, um Licht sowohl für das Sehen als auch für die Gesundheit zu schaffen. Fertig war das „Dual-purpose-Light“. Davon wurden mindestens zwei Modelle von General Electric gebaut, S-1 und S-2 Lampen. Der Werbespruch lautete übersetzt etwa „So nahe bei der Natur wie es geht …“.

Im Jahre 1926 war zwar schon bekannt, was Paracelsus schon Jahrhunderte davor gesagt hatte, nämlich das Gift nicht die Substanz sondern die Dosis sei. Die Menschen hatten allerdings noch nicht begriffen, was Paracelsus gemeint hatte. Wenn die ultraviolette Strahlung der Sonne den Menschen Gesundheit bringt beziehungsweise deren Abwesenheit Krankheit bedeutet, warum sollte man sie nicht in Innenräumen erzeugen?

Die Ursache des Missverständnisses ist unschwer zu finden. Wenn die Lichttechnik von Tageslicht im Sinne der künstlichen Beleuchtung spricht, meint sie nicht deren Quantität oder Einfallsrichtung, sondern nur das Spektrum. Auch heute heißt z.B. „Tageslichtäquivalent“ nicht etwa eine Lampe, die sowohl das Spektrum des Tageslichts nachbildet als auch dessen Quantität. Die „Quantität“ lieferten nach wie vor die schon reichlich vorhandenen UV-Lampen alias „Höhensonne“28“Höhensonne“ ist seit 1941 eine Marke des Unternehmens Heraeus Noblelight., die schon 1904 patentiert wurde. Diese waren schon lange für Therapiezwecke eingesetzt worden, bis GE sie für Beleuchtungszwecke entdeckte.

Das Problem war nun da. Vor den Therapielampen saß der Mensch nur kurze Zeit und setzte sich einer recht heftigen Strahlung aus, die damals noch nicht ein gefürchteter Begriff war. Ganz im Gegenteil, man steckte sogar Kinderfüße in Röntgengeräte, um den Sitz von Schuhen zu prüfen. Sie trugen lustige Namen wie „Foot-O-Scope“ oder „Pedoskop“. Die Geräte standen bis in die 1960er Jahre in den Schuhgeschäften, obwohl man seit 1945 recht genau wusste, dass Strahlung etwas Tödliches bedeuten kann.291945 wurde zum ersten Mal Masse in Strahlung der Einsteinschen Formel e = m • c2 umgesetzt. Dabei wurden aus 0,9 g Masse das Äquivalent von 20.000 Tonnen TNT erzeugt. Binnen Sekunden starben 140.000 Menschen, im Laufe der Jahre viele mehr. Wie man die Strahlung durch ganze Räume verteilen wollte, damit sie Teil der Beleuchtung wurde, mussten die „Fachleute“ lange Jahre diskutieren. Allzu erfolgreich fiel das Ergebnis nicht aus, weil man nicht genau wusste, wie sich denn die Strahlung im Raum ausbreitet.

Man kopierte zunächst die Therapielampen, die wiederum das natürliche Sonnenbad kopierten.30Quelle National Museum of American History, Smithsonian Institution Libraries. Da muss man sich keine Gedanken darum machen, wie sich die Strahlen fortpflanzen. An der Tafel des Raums steht zu lesen, was man gerade simuliert, Sonne und Ozean. In dem Ozean sitzt der kleine Junge. Und die Sonne ist in einem ähnlichen Maßstab verkleinert.

Als dieses Bild entstand, waren die Menschen derart stolz auf das Erreichte, dass sie keinen Gedanken daran verschwenden wollten, in welch lächerlichem Maßstab sie die Schöpfung nachbildeten. Die Sonne sieht man als kleinen Kreis an der Tafel und der Ozean wird von einem kleinen Bottich repräsentiert. Dass aber die winzigen Energien, die erzeugt wurden, unter Umständen auch eine Gefahr für den Menschen darstellten, sollten sie erst viel später begreifen. Technikskepsis war noch kein Thema. Bis es so weit war, hat die Menschheit noch viele Enttäuschungen über sich ergehen lassen müssen.

Diese Therapiesitzung in einer Vorschule aus dem Jahr 1940 mit der elektrischen Sonne zeugt davon, dass bereits zu Beginn der Kriegsjahre die natürliche Sonne entbehrlich schien.31Quelle: Science Service Collection, Division of Medicine and Science, National Museum of American History, Smithsonian Institution Kein Mensch kam auf die Idee, dass die Bewegung der Sonne etwas bedeuten könnte, die die feststehende Lampe nicht bieten kann. Und dass die UV-Strahlung der Natur nicht von einem Punkt ausgeht, sondern verteilt ist.

Die Schulkinder sitzen glücklich im Lichte einer „Sonnenlampe“ der Firma General Electric und trinken dazu mit Vitamin D angereicherte Milch. Da sie ziemlich normal gekleidet sind, wäre eine Einwirkung der UV-Strahlung recht dürftig, zumal sie z.T. sogar mit dem Rücken zu der Lampe sitzen. Wie man deutlich sieht, trifft die Strahlung hauptsächlich ihre Köpfe. Und: Kinderaugen sind besonders empfindlich gegenüber UV-Strahlung.

Ob die Kinder bei den regelmäßigen Sitzungen unter der Sonnenlampe starke Knochen und gesunde Zähne entwickelten oder eher schlechte Augen, ist nicht überliefert. Man war sich aber sicher, dass nur die positiven Wirkungen der elektrischen Sonne zur Wirkung kamen. Negative sollte es ohnehin nicht geben. Diese Denke entspricht der optimistischen Vorstellung vom technischen Fortschritt, der damals besonders ausgeprägt war. Man gibt sich ein Ziel für die Entwicklung und betrachtet die nicht eingeplanten oder unerwünschten Wirkungen als vorübergehend und auf Dauer vernachlässigbar ein. Dass das gesetzte Ziel selbst eine Gefahr oder einen Schaden bedeuten kann, kommt in dieser Denkweise nicht vor.

Nicht alle waren überzeugt, dass das „dual-purpose“ Beleuchtung sinnvoll wäre. Zu den Skeptikern gehörte auch AMA (American Medical Association). Sie ist eine der mächtigsten Organisationen der USA und vereint derzeit über 190 staatliche und private medizinische Vereinigungen. Sie verfolgt seit ihrer Gründung in 1847 das Ziel, die Heilkunst und medizinische Forschung, und damit die allgemeine Gesundheit, zu fördern. Diese AMA meinte nun, eine Beleuchtung mit doppeltem Ziel, Sehen und Gesundheit dienen, wäre in den meisten Fällen nicht möglich. Lampen, die ultraviolettes Licht spenden würden, müssten in der Nähe der damit beschienenen Personen installiert und betrieben werden, was als Raumbeleuchtung wiederum unsinnig wäre. Technische Objekte, die nur etwa 75 bis 85 cm von den Menschen entfernt und über ihren Köpfen angebracht werden müssten, könnten kaum Sinn machen. Diese aber entsprachen den technischen Vorstellungen.32A. B. Oday and L. C. Porter, “The Use of Ultraviolet Sources for the General Illumination of Interiors,” Illuminating Engineering Society Transactions 28 (1933): 121–52. General Electric, “The General Electric Sunlight (Type S-1) Lamp,” Hygeia 8 (1930): 886 Die Mediziner meinten, die technischen Vorgaben seien falsch. Und die Techniker meinten …? Die Mediziner hätten keine Ahnung.

Derlei Diskussionen erlebt man immer wieder. Diejenigen, die „Fortschritt“ bewirken wollen, plädieren im Sinne der neuen Technik oder gerade gewonnener Erkenntnisse. Hingegen weisen Wissenschaftler immer wieder auf die Gefahren hin oder verweisen darauf, dass nicht alle Wirkungen erforscht seien. Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte. Denn die Möglichkeiten der Wissenschaft sind begrenzt. Zudem enden wissenschaftliche Arbeiten, die eine Frage klären sollen, mindestens mit zwei Fragen.

Wenn es etwas gibt, was Techniker mit neuen Ideen hassen, sind Bedenken, die nicht klar belegt sind. Während sie  darauf brennen, ihre Ideen zu realisieren, kommen die Skeptiker mit halbgaren Fragestellungen. Im Falle der elektrischen Sonne war es den Technikern sonnenklar, dass es sich um einen Fortschritt handelte. Und dies wollte man mit der Gesundheit einerseits und der Arbeitsleistung andererseits unter Beweis stellen. (siehe Leistung, Leistung über Alles! Eine kleine Geschichte aus Hawthorne Works)

Aufgang der elektrischen Sonne

Übrigens, die Vorstellung von „dual-purpose“ light feiert in 2022 fröhliche Urständ, auch wenn unter anderem Namen. Die heißt jetzt integrierte Beleuchtungsplanung (integrative lighting) und bedeutet, dass man bei der Planung der (künstlichen) Beleuchtung neben ihrer Wirkung zum Sehen auch die gesundheitlichen Folgen berücksichtigen muss.33Integrative lighting ist gemäß CIE so definiert: „integrative lighting - lighting integrating both visual and non-visual effects, and producing physiological and/or psychological benefits upon humans“, also eine Beleuchtung, die das Sehen und die Gesundheit berücksichtigt und physiologische und psychologische Vorteile für den Menschen erzeugt. Dass diese Definition bereits eine positive Bewertung der Wirkung bedeutet, und daher eigentlich nicht zulässig ist, wurde von der CIE nicht akzeptiert. Sie antwortete so: „The term "human centric lighting" is used with a similar meaning.“ Allerdings ist human centric lighting kein Fachbegriff, sondern nur eine Erfindung von Lichtmarketing. Heute versucht man die fehlende Qualifikation von Lichtplanern hinsichtlich der Gesundheit mit „Vorschriften“ wie die nachfolgende zu überdecken: „Wichtig: Die positiven Wirkungen der integrativen Beleuchtung können nur erreicht werden, wenn sie von qualifizierten Planern entworfen und sachgerecht betrieben werden. Ebenso wichtig ist die korrekte Bedienung des Beleuchtungssystems durch die Beteiligten.“34ISO/TR 21783 Light and lighting — Integrative lighting — Non-visual effects Zu diesem Zwecke wäre es ideal, wenn der Lichtplaner in einem multidisziplinären Team mitwirken würde, in dem Experten für Sicherheit und Gesundheit, Psychologen und andere mitwirken würden. Wer wohl andere wären? Egal. Eine in diesem Zusammenhang berechtigte Frage wäre, woher man so viele Experten für den Gesundheitsschutz, Psychologie und andere her nehmen soll, um die Arbeitsplätze der 45 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland zu beleuchten.35Saison- und kalenderbereinigte Anzahl der Erwerbstätigen mit Wohnsitz in Deutschland (Inländerkonzept) von Juni 2021 bis Juni 2022 (in Millionen), Statista @ abgerufen 3. August 2022

In den 1930ern versuchte die AMA, das Ganze durch eine Zertifizierung von Lampen und Beleuchtungen zu entschärfen. Alternativ wurde eine Abgrenzung zu medizinischen Anwendungen angestrebt. So gab und gibt es Heilmethoden, die man auch ohne Mediziner betreiben kann, z.B. bei Schnupfen. Dafür gehören andere ausschließlich in die Hände von Medizinern. Wo sollte die Grenze bei Sonnenlicht gezogen werden?

Für viele, die an die heilsamen Wirkungen des Sonnenlichts glaubten, machte es wenig Sinn, auf die unzuverlässige Sonne zu warten oder gar in die Berge zu reisen, um gesunde Strahlung zu empfangen. Die Ideen von Luckiesh, den Sonnentag elektrisch nachzubilden, wurde bei manchen Medizinern gar zum Ziel. Man wollte aus dem Tageslicht die Strahlen mit Heilwirkung isolieren, diese künstlich erzeugen und den Patienten verabreichen, wie man es mit Medikamenten auch tut. Bereits in den 1920ern war die Erzeugung von UV-Licht als Ziel identifiziert worden. So hatte GE bei den praktischen Medizinern überzeugte Verbündete gefunden. Deren Ziel war allerdings nicht Beleuchtung sondern Therapie. Und die Vorstellung, das Künstliche wäre besser als das Original wurde ebenfalls aus einer Therapiemethode abgeleitet.36Manual of Standardized Operative Technic for Users of the Victor Ultraviolet Lamps, General Electric Corporation, Victor X-Ray Corporation, 1929 National Museum of American History, Smithsonian Institution Libraries. (Das Buch ist in einer einzigen Bibliothek der Welt vorhanden) Das tat aber dem Glauben keinen Abbruch. Warum auf das Scheinen der Sonne warten, wenn man ihre heilsamsten Strahlen jederzeit erzeugen und an die Körperstellen lenken kann, die sie brauchen, sogar rektal und vaginal. Die Lampen konnten immer und zuverlässig das allerschönste Wetter am Meer, wie an einem Mittag im Hochsommer in einem Land mittleren Breitengrades erzeugen.

Manche Publikationen der AMA, so in der Hygeia, einer populärwissenschaftlichen Publikation, wirkten sehr hilfreich, in dem sie sogar von himmlischer Medizin („The Great Sky Medicine“) sprachen. Eine Geschichte, die das Dahinsiechen eines kleinen Mädchens und ihre Rettung durch eine Krähe erzählt, die ein Loch in den Himmel pickt37Jenkings, Elizabeth B. (1929) Stories of Health and Happiness, Charles E. Merrill, New York, würde heute wahrscheinlich als Schulaufsatz kaum angenommen werden. Das kleine Mädchen hieß Wildblume (Original Wildflower) und war ein Indianermädchen, die damalige Bezeichnung von Indigenen. Das heilende Licht des Himmels verhindert das Welken der Wildblume. Der Spruch von Elisabeth Jenkins zum Abschluss der Geschichte liest sich beinah herzzerreißend: „Jedes kleine Mädchen, das dahinsiecht und verblasst, wie es die Wildblume tat, kann gesund und glücklich gemacht werden durch die Große Himmlische Medizin, die große, warme und wundervolle Sonne.“38Jenkings, Elizabeth B., (1927) The Great Sky Medicine, Hygeia 5, S. 204

Rund ein Jahrzehnt später erschien in der Hygeia die Geschichte eines kleinen, kränklichen und blassen Jungen Egglebert, den seine Freunde mit einem gestohlenen Flugzeug zu einer Sonnenbäckerei schaffen, wo er schön braun gebacken und stark und gesund wird. Die Dame, der die Bäckerei gehört, heißt auch noch Violet Ray.39McCarty, Sara S. (1936) The Unfortunate Egglebert Ploot, Hygeia 14, S. 168 Die Message der Story liest sich nur scheinbar gleich wie bei Wildflower – die Sonne heilt. In Wirklichkeit sagt sie uns nunmehr, die Natur heilt, aber die Technik kann es besser. Man glaubte, die Mysterien der Sonne aufgeklärt zu haben und jetzt zielgerecht mit Technik vorgehen zu dürfen.

Zumindest für die Amerikaner hatte die Sonne der Natur ausgedient. Als der Zweite Weltkrieg aufzog, war die elektrische Sonne für sie aufgegangen. Der neue Kreuzzug des Lichts fand jetzt fast unter Ausschluss der Natur statt. Während sich Architekten anschickten, Häuserfassaden für Licht zu öffnen oder gar ganze Häuser aus Glas zu bauen, baute General Electric am südlichen Central Park eine Lichtanlage, die sogar der Sonne im Freien Konkurrenz bereiten wollte. Ein Hinterhof wurde weiß angestrichen und mit 1.000 Watt-Lampen vom neunten Stock herunter mit elektrischem Sonnenlicht beschienen. Begeisterte Journalisten bestaunten die Zeit gesteuerte Anlage als ein steuerbares Wunder, obwohl bei dieser Anlage das UV-Licht fehlte. Die elektrische Sonne würde auf- und untergehen wie die natürliche, aber immer zuverlässig. Die Menschheit könnte aufhören, himmelwärts zu bauen, ja sogar in die Höhlenwelt zurückkehren, naturgemäß mit vollem Komfort von Klimaanlagen und rund um die Uhr verfügbarem elektrischen Sonnenlicht.

Die Los Angeles Times schrieb bereits 1930, dass fensterlose Gebäude nunmehr möglich seien.40Los Angeles Times vom 28. Dezember 1930 „Windowless Building Held to be Practical” Die Zeitungen dieser Jahre waren voller Artikel, die die Überflüssigkeit von Fenstern in Gebäuden darstellten. Diese könnten ihr eigenes Klima erzeugen, lärmfrei sein usw.41New York Times vom 10. August 1930 “Now the Windowless Building with Its Own Climate” Tatsächlich hatte Luckiesh die Bedeutung von Fenstern in Frage gestellt und behauptet, diese würden unnötig Wandfläche besetzen, die man besser nutzen könnte. Als solche Pläne realisierbar wurden bzw. vereinzelt realisiert, stellte ein Forschungsprojekt aus dem Bereich Architektur die Existenzberechtigung von Gebäuden nicht nur in Frage: C.T. Larson bemängelt. dass die „Anhänger von Fenstern“ keine Berechtigung für die Fenster erbringen können. Aber fensterlose Schulen würden 40% der Heizenergie sparen, mit konstantem Licht die Augen schonen, den Lärm 35 dB und mehr reduzieren und Wartungskosten mindern. (1965) Die Anhänger von Fenstern hätten nicht die Fakten auf ihrer Seite, sondern sie argumentierten nur mit hergebrachten Argumenten.42Larson, C. T. (1965) The Effect of Windowless Classrooms on Elementary School Children, Michigan Univ., Ann Arbor. Coll. of Architecture and Design. „At present the pro-window forces still lack behavioral data in support of their case and argue on the basis of metaphor and supposition, but their arguments must be weighed against statistics…from the windowless schools…reported to have 40 percent greater efficiency in heating and cooling, constant light to prevent eye strain…35 decibels or more noise reduction, and reduced maintenance costs. Tatsächlich hatte wohl kaum ein Wissenschaftler oder Architekt jemals Fenster in Frage gestellt. Nur die Völker des hohen Nordens, die Samen und die Inuits bauten ihre Hütten und Igloos ohne Fenster, erzwungenermaßen. Befanden sich die USA in 1965 etwa in einer argen Notsituation?

Keine 10 Jahre später stand der erste Wolkenkratzer, der überhaupt keine Fenster hatte und bis heute hat.4333 Thomas Street (ehemals AT & T Long Lines Building) ist ein 170 m hoher Wolkenkratzer in Tribeca, Lower Manhattan, New York City. Das Gebäude wurde von 1969 bis 1974 nach Plänen des Architekten John Carl Warnecke errichtet und folgt dem Stil des Brutalismus. @ abgerufen 13. August 2022 Dieses Gebäude dient aber nicht einer in Büros üblichen Arbeit. Für übliche Bürogebäude hatte der Aufgang der elektrischen Sonne ganz andere Auswirkungen, auf die man nicht erst bis 1974 warten musste. Da man sich nicht darauf angewiesen fühlte, die Gebäude nach Licht ausrichten zu müssen, wurden sie halt beliebig ausgerichtet, selbst wenn eine sachgemäße Berücksichtigung des Tageslichts nicht nur Energie sparen helfen würde. Man konnte die lichte Höhe der Räume stark reduzieren. Das ging so weit, dass staatliche Vorschriften Mindesthöhen für Aufenthaltsräume vorschreiben mussten. So wurde die minimale Höhe der Arbeitsräume in der deutschen Verordnung für Arbeitsstätten auf 2,50 m (in Bayern 2,40 m) festgelegt.44Arbeitsstättenverordnung vom März 1975 „§ 23 Raumabmessungen, Luftraum (1) Arbeitsräume müssen eine Grundfläche von mindestens 8,00 m2 haben. (2) Räume dürfen als Arbeitsräume nur genutzt werden, wenn die lichte Höhe 1. bei einer Grundfläche von nicht mehr als 50m2 mindestens 2,50 m, 2. bei einer Grundfläche von mehr als 50 m2 mindestens 2,75 m, 3. bei einer Grundfläche von mehr als 100 m2 mindestens 3,00 m, 4. bei einer Grundfläche von mehr als 2 000 m2 mindestens 3,25 m beträgt. Bei Räumen mit Schrägdecken darf die lichte Höhe im Bereich von Arbeitsplätzen und Verkehrswegen an keiner Stelle 2,50 m unterschreiten“. @

So entstanden Flachräume, in die nicht nur das natürliche Licht schlecht eindringen konnte. Auch die Belüftung wurde schlechter. Aber keine Sorge, das lässt sich mit einer Klimaanlage richten! Wenn das doch möglich ist, warum nicht gleich ganz fensterlos? Dann nicht nur für ein Gebäude wie oben abgebildet, dann für alle. Ein gewisser Weber, Autor von "Praktische Erfahrungen bei fensterlosen Arbeitsräumen" aus dem Jahr 1969, stellt die glanzvolle Zukunft so dar: "… richtige Dosierung folgender Reize: Eine Luftbewegung durch die Klimaanlage, akustische Reize durch die Maschinen, stärkere optische Gestaltung durch die Farbgestaltung sowie letztlich durch die Tätigkeit am Arbeitsplatz selbst."

Eine Luftbewegung durch die Klimaanlage, um ein Frühlingslüftchen ins Büro zu holen? Mindestens zwei Generationen von deutschen Büromenschen, die das besondere Los gezogen hatten, in einem Großraumbüro zu arbeiten, würden dem Herrn Weber nichts Gutes wünschen. Er dürfte sich in einem Großraumbüro auch nicht als Autor dieser Weisheiten outen, ohne sich Sorgen um seine Sicherheit zu machen. Nicht nur die Mitarbeiter haben gelitten, sondern insbesondere die Haustechniker, die solche Anlagen in Ordnung halten und betreiben. Kaum etwas stört mehr als Luftbewegungen durch die Klimaanlage. Und die sollen auch noch fühlbar sein, um einen natürlichen Reiz zu simulieren?

Man stelle sich vor, wie viele weitere Artikel noch geschrieben würden, wenn man auch noch „akustische Reize durch Maschinen“ künstlich erzeugen würde, um die fehlenden Geräusche zu simulieren, die durch das Zumauern von Fenstern wegfallen?

Zum Thema „stärkere optische Gestaltung durch die Farbgestaltung“ habe ich keine Frage sondern einen kompletten Forschungsbericht anzubieten, der die Beeinflussung der Menschen in deutschen Büros durch die Beleuchtung untersucht hatte. Dafür wurden 4.500 Personen befragt und 3.500 Arbeitsplätze untersucht. Der Forschungsbericht „Licht und Gesundheit“ erschien zuerst in 1990 mit Ergebnissen an 2000 Arbeitsplätzen und einer repräsentativen Befragung von 1000 weiteren Personen. Die dritte Auflage enthält die Ergebnisse der Erprobung von erfolgversprechenden Beleuchtungssystemen an weiteren 1.500 Arbeitsplätzen.45Çakir, A.; Çakir, G. Licht und Gesundheit – Eine Untersuchung zum Stand der Beleuchtungstechnik in deutschen Büros, dritte Auflage, ERGONOMIC, Berlin 1998 @ Die Studie zeigt, dass man tatsächlich die subjektive Gesundheit des Menschen erheblich mit Licht fördern kann. Das erfolgt weitgehend durch Tageslicht am Arbeitsplatz und eine flexible künstliche Beleuchtung. Aber wie man durch eine stärkere optische Farbgestaltung Wohlbefinden fördern kann? Tatsächlich haben Architekten und Büroplaner in den 1960er und 1970er Jahren versucht, die Bürohäuser durch kräftige Farben aufzupeppen. Die Mühen haben sich nicht gelohnt. Schon die 1980er Jahre erlebten die Einkehr von Grau in Büros. War „Opas“ (besser "Omas"?) Büro der 1950er von der Farbe „Eiche hell“ dominiert, herrschte nunmehr computerschmuddelgrau. Bildschirme, Drucker, Kopierer, Telefone – grau in grau. Dahinter steckte sogar System. Nur die Lichtplaner konnten es nicht wissen. Grau ist die einzige Farbe, die überall auf der Welt gleich (un)beliebt ist. Dass Grau überhaupt eine Farbe ist, wissen nur Farbenfachleute. Für den üblichen Bewohner eines Büros ist Grau gar keine Farbe.

Ein nie dagewesener Begriff in der Architektur hat sich infolge der von Herrn Weber gewünschten Zustands weltweit etabliert: Sick building syndrome, also Gebäude die krank machen. Die meisten Autoren machen die Malaise an der Klimatisierung fest.46SHERWOOD BURGE, ALAN HEDGE, SHEENA WILSON, JON HARRIS BASS, ALASTAIR ROBERTSON, SICK BUILDING SYNDROME: A STUDY OF 4373 OFFICE WORKERS, The Annals of Occupational Hygiene, Volume 31, Issue 4A, 1987, Pages 493–504, https://doi.org/10.1093/annhyg/31.4A.493 oder Wang, Mengmeng, Lili Li, Caixia Hou, Xiaotong Guo, and Hanliang Fu. 2022. "Building and Health: Mapping the Knowledge Development of Sick Building Syndrome" Buildings 12, no. 3: 287. https://doi.org/10.3390/buildings12030287 Ich zitiere hier zwar nur zwei Literaturstellen. Aber allein im Jahr 2022 sind 1290 wissenschaftliche Artikel zum Thema erscheinen, insgesamt seit 1984 sind es 29.300!

Die Rolle der Beleuchtung beim sick building syndrome blieb relativ unbelichtet, obwohl der umtriebigste Forscher des Problems, Professor Alan Hedge, hierzu sogar einen längeren Fernsehfilm produziert hatte: „Das Geheimnis des Norfolk House“. Der Film beschreibt, wie Hedge  dahinter kam, dass das Gesundheit spendende Licht Menschen krank machte. Wie kann es aber passieren, dass etwas, was viele Menschen lieben, schätzen oder gar bewundern, viele krank macht? Um diese Frage zu klären, muss man sich den weiteren Gang der elektrischen Sonne bis zu ihrem Zenit studieren.