Die Legende vom gesunden Licht reloaded

Die Legende vom gesunden Licht reloaded

Licht und Gesundheit – zum Dritten …

Das grandiose Versagen der Bemühungen um Licht und Gesundheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat in der Lichttechnik vermutlich eine kollektive Amnesie bewirkt. So hatte der US-amerikanische Protagonist für gesundes Licht, John Naish Ott, 50 Jahre später in 1973 sein Buch zum Thema Gesundheit und Licht tituliert, ohne einen Bezug auf Luckiesh und Zeitgenossen zu nennen. Mir waren 1973 beide kein Begriff, weil sich die deutsche Lichttechnik ziemlich entfernt von der US-amerikanischen entwickelt hatte. Uns standen die Briten und Niederländer als Lichttechniker näher als die aus den USA. Als ich im Jahr 1990 einen Titel für meine Studie über die Auswirkungen der Beleuchtung auf den Menschen suchte, fiel meine Wahl auf „Licht und Gesundheit“, weil ich Licht untersucht hatte und dabei auf Gesundheit gestoßen war.

Obwohl diese Studie einen großen Werbeeffekt für das Licht als solches versprach, blieb das Interesse der Industrie gering, um nicht zu sagen, sie reagierte feindselig. Denn die Quintessenz dieser langjährigen Studie bestand darin, dass Menschen bei der Arbeit das Tageslicht als förderlich für die Gesundheit ansahen, während die künstliche Beleuchtung eher als eine Gesundheitsstörung erlebt wurde. Mein Ziel aber war nicht gewesen zu ermitteln, wie Menschen Licht erleben, sondern festzustellen, wie man Licht zu einem positiven Erlebnis macht. Denn zum Ende des 20. Jahrhunderts festzustellen, dass Menschen lieber Tageslicht als elektrisches Licht haben wollen, konnte keine Ingenieursaufgabe sein. Dass etwas unangenehm oder gar gefährlich ist, hat Menschen nie davon abgehalten, es zu benutzen, wenn sie es brauchten. Ich erinnere an die Eingangskapitel dieses Buches mit der Beschreibung des Kienspans, den der Bergmann bei der Arbeit in seinen Zähnen hielt. Auch etwas Schlechtes kann man verbessern. Zum Beispiel einen Halter für den Kienspan entwickeln, wie man an der Fackel sieht.

Für einen begeisterten Lichttechniker wie mich hatte die Feststellung einer negativen Wirkung des Lichts ohnehin eine Enttäuschung bedeutet. So hatte ich bereits zu Beginn geplant, eine bessere künstliche Beleuchtung zu realisieren und deren Wirkung zu dokumentieren. Aber auch ein solches Ziel gefiel der Industrie nur bedingt. Denn zum einen zeigte sich in der Studie, dass nicht die Technik, sondern eher die Psychologie die erste Geige spielte. So genügte die Existenz einer Tischlampe mit fragwürdiger Qualität, dass eine ebenfalls fragwürdige Beleuchtung besser beurteilt wurde. Eine Paarung von zwei für sich nicht gerade begeisternden technischen Objekten soll eine deutliche Verbesserung bedeuten?

Da eine Tischlampe allein als vernünftige Raumbeleuchtung nicht funktionieren kann, musste ein guter Kompagnon her. Und dies war eine Indirektbeleuchtung. Ein weiteres rotes Tuch für die Industrie. War man doch schon seit dem 1930er Jahren fest davon überzeugt, diese bedeute Energieverschwendung und gestalte den Raum eintönig. Zu akzeptieren, die eigene Technik spiele die zweite Geige weit hinter der Sonne, und eine wirksame Verbesserung wäre nicht mit hochwertigen Optiken in den Leuchten zu erzielen, sondern mit Mitteln, die bereits die Großväter kannten, gestaltete sich wirklich schwierig. Selbst ein mir wohlgesonnener Fachmann, der frühere Professor für Lichttechnik in Ilmenau, Dietrich Gall, drückte es so aus: „Soll ich jetzt glauben, Alles was ich gelernt und gelehrt habe, sei hinfällig?“

Nicht einmal ein fulminanter Erfolg für die Beleuchtung mit Leuchtstofflampen, die uralte Vorurteile wirklich alt aussehen ließ, sollte überzeugend genug werden.1Die heute von einer großen Firma als „mildes“ Licht vermarktete Leuchtenart wurde zu einem Produkt, nachdem wir ein entsprechendes Konzept in den Büros des Deutschen Bundestages erfolgreich erprobt hatten. Die Leuchte bestand aus einem Produkt der Firma Siemens, dessen Raster entfernt und durch ein engmaschiges Gitter ersetzt wurde. Dieses vergrößert die leuchtende Fläche bei gleichzeitiger Minderung der Leuchtdichte. Daher die spätere Bezeichnung „mildes“ Licht. Die Herstellung des verspiegelten Rasters ist so teuer, dass sich der Preis für die endgültige Leuchte fast halbierte. Ausschlaggebend war die hohe Akzeptanz der Beleuchtung, die über jeglicher Erwartung lag.

Die Idee für diesen Versuch kam von einer Leuchte der Firma Trilux, die dafür konstruiert war, die Reflexblendung unter der Leuchte zu mindern. Sie trug die Bezeichnung „PAZ“ und wurde als Nischenprodukt gehandelt. Für den besagten Versuch war die Leuchte nicht geeignet, weil sie die Wirkung mit einer aufwändigen Optik im Raster erzielen sollte und deswegen zu hoch in den Raum ragte. Bei diesem Fall haben wir eine existierende Glühlampenbeleuchtung ausgerechnet in Büros der Abgeordneten der Grünen durch Leuchtstofflampen ersetzt und eine sehr hohe Akzeptanz erzielt. Am Ende des Versuchs entstand sogar ein verkaufsfähiges Konzept, das sich mittlerweile fast 40 Jahre behauptet.

Und dann war es plötzlich so weit

Veröffentlichungen der Mediziner Brainard und Kollegen und Thapan und Kollegen, beide vom 2001, brachten die Zeitenwende.2Brainard, G.C., Hanifin, J.P., Greeson, J.M., Byrne, B., Glickman, G., Gerner, E. and Rollag, M.D. (2001) Action spectrum for melatonin regulation in humans: Evidence for a novel circadian photoreceptor, J. Neurosci., 21, 6405–6412

Kavita Thapan, Josephine Arendt and Debra J. Skene (2001): An action spectrum for melatonin suppression: evidence for a novel non-rod, non-cone photoreceptor system in humans. Journal of Physiology 535.1: 261-267. Sie hatten einen bis dato unbekannten Sensor im Auge entdeckt und dessen Empfindlichkeitskurve ermittelt. Zwar war bereits viel früher bekannt, dass Licht zu hormonellen Wirkungen beim Menschen führt, die eng mit dem Hormon Melatonin zusammen hängen. Mit einer solchen Weisheit konnte man in der Beleuchtungstechnik aber kaum etwas anfangen. Die Photobiologie kannte vielfältige physiologische Wirkungen von Licht und Strahlung fast ein Jahrhundert. Ein Augenmediziner, Prof. Hollwich, hatte bereits kurz nach dem Krieg nachgewiesen, dass Licht die Lebensvorgänge steuert und nicht etwa nur zum Sehen dient. Nicht zuletzt die in 2001 plötzlich in das Scheinwerferlicht gerückte Chronobiologie hatte in den 1950ern das Licht als den wichtigsten Zeitgeber für die Körperfunktionen des Menschen erkannt. Die Unterdrückung der natürlichen Melatoninproduktion bei Menschen war 1980 bekannt.3Lewy, A.J., Wehr, T.A., Goodwin, F.K., Newsome, D.A., & Markey, S.P. (1980). Light suppresses melatonin secretion in humans. Science, 210(4475), 1267-9 Das Thema wurde aber erst brennend interessant durch die Raumfahrt und ständig besetzte Raumstationen. Die ISS umkreist die Erde in nur 90 Minuten. Man musste erforschen, wie der menschliche Körper mit seinen Rhythmen von 24 Stunden darauf reagiert.

Last not least, in 1984 war nachgewiesen worden, dass man mit künstlichem Licht die circadiane Rhythmik des Körpers verschieben konnte.4Rosenthal, N.E.; Sack, D.A.; Gillin, J.C., Levy, M.; Goodwin, F.K.; Davenport, Y.; Mueller, P.S.; Newsome D.A., Wehr, T.A.: Seasonal affective disorder: a description of the syndrome and preliminary findings with light therapy, Arch Gen Psychiatry, 1984 (41), S. 72-80 Während die hier zitierte Arbeit von Rosenthal et al auf die Behandlung der Winterdepression zielte, experimentierte eine ganze Heerschar von Forschenden, um die Nacht- und Schichtarbeit mit viel Licht sicherer zu machen. Denn die Analyse der Havarie des Kernkraftwerkes Three Mile Island (26. März 1979) in den USA im Auftrag von Präsident James Carter hatte offengelegt, was eigentlich allen Beteiligten bekannt war: Die menschliche Leistungsfähigkeit erlebt um etwa 3:00 Uhr morgens einen Tiefpunkt. Die Arbeitsmediziner hatten daraus die Schlussfolgerung gezogen, die Schichten müssten auf sechs Stunden am Tag beschränkt werden. Da eine solche Lösung keine Chance auf eine Umsetzung hatte, suchte man nach Möglichkeiten, kurzerhand die Nacht zu verschieben, zumindest für die Reaktorfahrer. Andere Kandidaten wären nicht schwer zu finden, weil praktisch alle großen Katastrophen des Industriezeitalters nachts ereignet haben.

So wollte der deutsche Volkswagen Konzern die neue Erkenntnis nutzen und führte ein Großprojekt durch, bei dem die Nachtschicht mit 2000 lx beleuchtet wurde, um die Mannschaften wach zu halten. Die Betriebsärztin Angelika Guth war begeistert: „Es gibt Hinweise, dass sich die innere Uhr von Schichtarbeitern mit Licht umstellen lässt.“, berichtete das Hamburger Abendblatt am 3. Januar 2004.5Katrin Käppler-Hanno, Anita Pöhlig: Wie das Licht heilen kann - Innere Uhr: Helligkeit wirkt in vielfältiger Weise auf den Körper. Forscher versuchen, die Ursachen zu ergründen. Hamburger Abendblatt, 03-01-2004 @ abgerufen 23.02.2022 Im Dienste der Wissenschaft ließen sich 100 VW-Arbeiter sogar regelmäßig Blut abnehmen. 50 haben unter üblicher Beleuchtung, 50 unter wesentlich hellerem Licht gearbeitet. Der Bericht endet mit der Feststellung: „… aber schon ist sicher: Helleres Licht hält die Arbeiter besser fit.“ Die Betriebsärztin wird mit folgenden Worten zitiert: „Wenn wir den Einfluss von Licht belegen, wird sich die Schichtarbeit verändern.“

Auch wenn Frau Dr. Guth bereits ein Jahr danach nicht mehr auf diese Studie angesprochen werden wollte, blieb es bei der Motivation des Lichtmarketing bis heute: Schichtarbeit mit viel Licht ändern. Als es später publik wurde, dass Licht in der Nacht die Krebsentstehung fördert, und dies sogar von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, als eine mögliche Ursache von Krebserkrankungen anerkannt wurde, blieb das Ziel immer noch. Man versuchte und versucht, Licht zu erzeugen, das die Melatoninentwicklung in der Nacht nicht stört. (s. PLACAR – Die letzte Plasmalampe“).

Es gibt einen eindeutigen Nachweis dafür, dass die lichttechnische Industrie den Versuch im Volkswagenwerk als Vehikel benutzen wollte, helles Licht allgemein zu propagieren, als Heilmittel, vielleicht sogar als Allheilmittel. Das Projekt wurde der deutschen Öffentlichkeit nicht etwa durch eine Fachzeitschrift für Produktionstechnik präsentiert, sondern durch die Bürozeitschrift Mensch und Büro. Wer nicht gutgläubig alles abnimmt, was ihm vorgesetzt wird, fragt sich, was eine Bürozeitschrift wohl mit Schichtarbeit zu tun hat.

Licht als Allheilmittel? Warum nicht? Die Überzeugung leitet sich von der Erkenntnis ab, dass Licht bei allen Lebensvorgängen eine prominente Rolle spielt. Und diese Ansicht teilen nicht nur Lichttechniker oder Mediziner. Sehr lange bevor die Chronobiologie das Thema für sich entdeckte, hatte der schwedische Physiologe und Psychologe Rikard Küller eine riesige Liste an Forschungsarbeiten analysiert, um sog. „biologische“ Wirkungen des Lichts zu ermitteln.6Küller, R., Küller, M.: The influence of daylight and artificial light on diurnal and seasonal variations in humans - a bibliography, CIE Technical Report, 2001 Eine Reihe dieser Arbeiten hatte er selbst ausgeführt. Um die genannten Wirkungen von anderen zu unterschieden, charakterisierte er sie als „NIF“ wie non-image forming. Die unten angeführte Liste von solchen Wirkungen des Lichts, nachgewiesen durch diverse Studien, habe ich einem jüngsten ISO-Standard entnommen7ISO/TR 9241-610 Part 610: Ergonomics of human-system interaction — Impact of light and lighting on users of interactive systems, 2022-10, weil dieses Dokument von der Fachwelt sehr kritisch geprüft wurde, bevor es akzeptiert wurde.

Licht …

  • regelt Hormonausschüttung – Melatonin eingeschlossen, das seinerseits viele physiologische Prozesse beeinflusst
  • ändert persönliche “Körperzeit” des Individuums über die circadianen Rhythmen
  • bestimmt lebenswichtige Größen wie die Körperkerntemperatur
  • ändert thermisches Wohlbefinden durch die Beeinflussung der Hauttemperatur
  • steuert Gehirnaktivitäten über das Sehen hin us
  • beeinflusst Herzfunktionen
  • ändert Geschmackssinn
  • bestimmt Stimmung und Anregung
  • verursacht oder löst aus längerfristige biologische Wirkungen wie Krebsentwicklung oder Körperwachstum von Kindern.

 

All diese Effekte und noch mehr wurden durch Studien außerhalb des Einflussbereichs der Lichttechnik nachgewiesen. Allerdings waren sie zum größten Teil vor 2001 bekannt. Die Entdeckung des neues Sensors im Auge diente als Auslöser von vielen Aktivitäten, die einerseits eine enorme Zahl von Forschungsarbeiten mit, zu oder über Licht hervorbrachten, und andererseits Aktivitäten für Marketing starteten. Seit etwa 2003 gibt es kaum noch eine lichttechnische Veranstaltung, bei der das Thema nicht eine wichtige Rolle spielt. Es wurden Forschungsprogramme zu Licht und Gesundheit aufgelegt, Professuren dazu eingerichtet.

In Deutschland wurde das Thema sehr ernst genommen, weil hierfür ein Normungsgremium gegründet wurde. Dieses ist seit 2006/2007 aktiv und wollte das Wissen über eine DIN-Norm umsetzen. Es hat den dornigsten Weg zu einer Normung gewählt und versuchte, das Projekt über eine Veranstaltungsreihe mit namhaften Wissenschaftlern als Referenten und möglichen Stakeholdern als Publikum zu entwickeln.8Stakeholder sind Personen bzw. Instanzen, für die es aufgrund ihrer Interessenlage von Belang ist, wie eine bestimmte Organisation sich verhält (z. B. Aktionär, Mitarbeiter, Kunde, Lieferant, Administration, Gesetzgeber). Im Fall der Beleuchtung für Arbeitsräume kommen Arbeitgeber, Belegschaftsvertreter, Betriebsärzte, Arbeitsschützer etc. in Frage.

In Deutschland ist die Sachlage komplizierter als sonst, weil Normungsprojekte, die Menschen berühren können, von einer Kommission geprüft werden, die vom Staat finanziert und durch beide Sozialpartner paritätisch betrieben wird, KAN = Kommission Arbeitsschutz und Normung. Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN): Die KAN setzt sich zusammen aus Vertretern von:

  • Arbeitgebern
  • Arbeitnehmern
  • Staat (Bund und Länder)
  • Verein zur Förderung der Arbeitssicherheit in Europa e. V. (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung)
  • DIN Deutsches Institut für Normung e.V.
  • Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten, Gartenbau (SVLFG) (Gast)

 

D.h., Projekte mit Bezug auf die Sicherheit und Gesundheit des arbeitenden Menschen werden kritisch und systematisch auf ihre Auswirkungen geprüft. Aber auch ohne die Arbeit der Kommission werden deutsche Arbeitgeber keine Maßnahmen treffen, die in Verdacht stehen, gesundheitliche Auswirkungen erzielen zu wollen.

Man könnte sich fragen, was denn so kritisch geprüft wird, wenn man von positiven Wirkungen spricht, die die Beleuchtung nur verbessern sollen. Leider ist die Sachlage so einfach nicht. Denn manche Wirkungen der Beleuchtung am Arbeitsplatz treten möglicherweise nicht während der Arbeitszeit auf, sondern danach. Umgekehrt wirkt sich die Beleuchtung in der Freizeit erst während der Arbeitszeit aus. In beiden Fällen fühlt sich nicht jeder Arbeitgeber dazu aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen. Er hat zudem keine Handhabe, die Beleuchtungsverhältnisse im Privatbereich irgendwie zu beeinflussen.

Allerdings hat die Kommission keine Einwände dagegen, wenn Normen zur Verständigung über Sachverhalte erstellt werden, so zum Beispiel zum Verständnis der zu erzielenden Wirkung bzw. deren Messung. Genau dies ist geschehen. So hat die CIE eine (globale) Norm erstellt, die die physiologische Wirkung des Lichts9Licht erzeugt viele physiologische Wirkungen. Diese sind z.T. mit dem Sehvorgang verbunden. Die CIE behandelt die durch das Auge vermittelten Wirkungen, die nicht das Sehen betreffen. berechnen hilft. Auf dieser Basis haben führende Chronobiologen eine Empfehlung zur Gestaltung der Beleuchtung geschrieben.

Von welchen Wirkungen sprechen wir?

Wenn der Berg lange kreißt, muss er nicht immer eine Maus gebären. Manchmal muss man sich freuen, dass es überhaupt ein Mäuschen geworden ist. So hat die Lichtwelt bereits vor 20 Jahren ein internationales Event veranstaltet, bei dem auch davon gesprochen wurde, man müsse eine neue Lichttechnik schaffen.10CIE PROCEEDINGS of the CIE Symposium '04 Light and Health: non-visual effects, Wien, Österreich Das Symposium trug den Titel „Licht and Health – Non-visual effects”. Man wollte also “nicht-visuelle” Wirkungen des Lichts angehen und wie diese mit der menschlichen Gesundheit zusammen hängen. Beim Wunsch blieb es dann auch. Bis zum Jahr 2016 hörte man erst einmal nicht viel, bis ein Forschungsplan erschien, bei dem ein internationales Expertengremium die Lücken im Wissen über Licht und Gesundheit darlegte und Forschungsbedarf anmeldete.11CIE Technical Report 218:2016 Research Roadmap for Healthful Interior Lighting Applications Das Papier gab vor, den Marschplan darzulegen, der zu gesundheitsfördernden Beleuchtungsanlagen im Innenraum führen sollte. Aber auch die methodische Seite kam nicht kurz und fasste das Problem gleich an der Wurzel, Validität (s. Validieren – das leidige Problem). Wenn es Lichtforschung an etwas mangelt, dann an Validierung ihrer Erkenntnisse. Die Autoren des Forschungsplans machten bereits die Definition von Licht als eine teilweise Verfehlung vom Ziel aus. Diese war 1924 festgelegt worden und im Jahr 2011 still und heimlich begraben. Allein die Tatsache, dass eine Technik eine physikalische Realität definieren durfte, spricht Bände.12In zahllosen Veröffentlichungen jeglicher Art, die etwas mit Licht zu tun haben, findet man einen Satz, der so anfängt: „Licht ist definiert als …“ Kaum jemand kommt auf die Idee nachzufragen, wieso sich bestimmte Leute dazu berufen fühlen, etwas allseits Bekanntes zu definieren. Dabei war diese in 1924 festgelegte Definition fehlerhaft und führte zu zahllosen Irrtümern.

Licht ist definiert als der Teil der optischen Strahlung, der eine Sehempfindung hervorruft. Folgerichtig ist das Tageslicht derjenige Teil der Sonnenstrahlung, der eine Sehempfindung hervorruft. Genau dieses Tageslicht hat aber noch nie ein Mensch oder eine Pflanze zu sehen bekommen. Weder die Physik noch die Medizin kennt eine solche Definition. Die Lichttechnik bleibt aber dabei und will nur solche Wirkungen behandeln, die von dem von ihr definierten Licht erzeugt werden.

Leider gilt diese Definition nicht einmal für Tiere, die dem Menschen physiologisch sonst so nah stehen, dass man Teile von ihnen in den menschlichen Körper einbauen kann, Schweine. Für Pflanzen gilt sie erst recht nicht. Dabei sind gerade die Strahlungsarten, die man nicht als Licht anerkennt, physiologisch so wichtig, dass viele Therapien auf ihnen aufbauen. Wer etwas Großes und Ganzes aus einer beschränkten Sicht betrachtet, kann leicht Irrtümer statt Erkenntnisse produzieren. Die Beschränkung der Lichttechnik auf das Sehen ist nicht Ergebnis höherer Eingebung, sondern eine weise Entscheidung gewesen, die eine Fokussierung auf Sehvorgänge ermöglichte. Daraus ein physikalische Realität zu definieren, war hingegen töricht. Das haben übrigens nicht alle lichttechnischen Gesellschaften mitgetragen.13Die Phrase „Licht ist definiert als …“ findet sich im Regelwerk der US-amerikanischen lichttechnischen Gesellschaft IES nicht. Dort las man spätestens 1947, dass Licht „für Betrachtungen i.S. der Lichttechnik gilt als Licht …“ Als IES Experten die nicht-visuellen Wirkungen von Licht diskutierten, hoben sie hervor, dass man für die Betrachtung von Sehvorgängen Licht auf den Sehbereich des Spektrums beschränkt berücksichtigen kann (Figueiro, M. G., Brainard, G. C., Lockley, S. W., Revell, V. L., & White, R. (2008). IES TM-18-08 Light and Human Health: An Overview of the Impact of Optical Radiation on Visual, Circadian, Neuroendocrine, and Neurobehavioral Responses. Illuminating Engineering Society of America). Für physiologische Vorgänge allgemein sei eine Betrachtung der optischen Strahlung erforderlich. Diese Ansicht wurde 10 Jahre danach noch einmal bekräftigt (Brainard, G., Figueiro, M., Hanifin, J., Lockley, S., Mercier, K., O’Hagan, J., Revell, V., Veitch, J. & White, R. (2018). IES TM-18-18 Light and Human Health: An Overview of the Impact of Optical Radiation on Visual, Circadian, Neuroendocrine, and Neurobehavioral Responses. Illuminating Engineering Society of America). Dennoch hält man bei der CIE und ihren Gremien an der Ansicht fest, dass man nicht-visuelle Wirkungen des Licht unter Verzicht auf Infrarot und Ultraviolett betrachten darf.

Man will die Betrachtung sogar noch weiter einschränken auf Wirkungen, die über das Auge vermittelt werden. Diese werden mit Verweis auf die Wirkung auf die Melatoninproduktion des Körpers melanopisch genannt. Früher hießen sie biologische Wirkungen. Jetzt werden melanopische Wirkungen als Synonym für nicht-visuelle Wirkungen postuliert.14Licht, Strahlung und Farbe beeinflussen den Menschen auf vielfältige Weise. Wenn man von allen Wirkungen nur die „biologischen“ betrachtet, lässt man außer Betracht, was die „Seele“ betrifft. Beschränkt man sich auf Wirkungen, die nur durch Licht verursacht werden, entgehen einem vielfältige Wirkungen, die biologisch hoch interessant sind. Versucht man, die Lichtwirkungen, die das Sehen betreffen von anderen, verliert man den Bezug zwischen Sehen und Befinden. Wenn man von dem Rest nur die melanopischen betrachtet, bleibt einem nur ein winziges Fenster offen, um die Gesamtheit der Segnungen des Lichts zu studieren.   Am Ende beschränkt man sich noch weiter auf Einflüsse des Lichts auf das circadiane System, also auf hormonelle Vorgänge mit einem Rhythmus von etwa 24 Stunden. Diese sind zweifelsohne sehr wichtige Lebensprozesse. Sie sind aber auch von der Jahreszeit abhängig. Diese will man aber nicht betrachten, obwohl man seit langem von Pflanzen und Tieren kennt, dass sich deren Leben im Rhythmus der Jahreszeiten ändert. Dasselbe kennt man auch von Menschen, die in New York oder London, also nicht allzu naturnahe leben. Das Vorgehen ist gelinde gesagt unwissenschaftlich. Man kann zwar bestimmte Faktoren nach der Gewinnung einer Erkenntnis außer Acht lassen, aber erst wenn man gezeigt hat, dass sie weniger wichtig sind. Wenn man sie aber im Voraus als unwichtig postuliert, kann man sein blaues Wunder erleben.15Was passieren kann, wenn man einen Faktor außer Acht lässt, zeigte sich beispielsweise  am Schicksal der Forschung über die Bruchanfälligkeit von Hühnereiern. Es wurde postuliert, dass das Futter bei der Käfighaltung anders sei als bei Hühnern, die frei laufen. Dies wäre der wesentliche Einflussfaktor. Langjährige Versuche mit Futterrezepten zeigten aber keine Wirkung. Nach etwa 15 Jahren stellte man fest, dass der wichtigste Faktor die Länge der Beine der Hühner war. Diese kommt in der Freilandhaltung gar nicht zur Wirkung, weil die Hühner die Eier beim Liegen legen. Im Käfig halten sie sich anders und das Ei fällt je nach Beinlänge eine unterschiedlich hohe Strecke.

Welche Bedeutung hat das Licht für das circadiane System des Menschen? Dass diese groß ist, musste nicht erst im 21. Jahrhundert erforscht werden. Bereits die Höhlenexperimente der 1950er Jahre hatten es gezeigt. Schon damals hieß es „Licht ist der wichtigste Zeitgeber für das menschliche circadiane System.“ Aber damals wie heute gilt, es ist nicht das einzige. Über Licht hinaus gibt es soziale und physikalische Zeitgeber. Die sozialen sind z.B. Ereignisse wie Feierabend oder Tagesschau. Auch das Treffen am Stammtisch kann ein Zeitgeber sein. Physikalische Zeitgeber sind z.B. Wärme bzw. Kälte oder Geräusche. Die Nahrungsaufnahme ist ein solch wirksamer Zeitgeber, dass dessen Einfluss sogar den physiologischer Körperfunktionen überragen kann.16Der Rhythmus der Nahrungsaufnahme beim Menschen verursacht bei Menschen mit einer bestimmten Sozialisierung das sog. Mittagstief, also eine zwischenzeitliche Abnahme der Aufmerksamkeit. Dies erfolgt eher aus sozialen Gründen denn aus physiologischen. Der stabilste circadiane Verlauf einer physiologischen Größe, der Körperkerntemperatur, zeigt kein Mittagstief.

Die Wirkungen, die man i.S. einer gesunden Beleuchtung betrachten möchte, sind also solche, die Licht über die Beeinflussung des Melatoninspiegels im Blut direkt oder mittelbar beeinflussen kann.

Integrative Lighting -oder was das auch sein will

Der Titel dieses Abschnitts beginnt aus Not in Englisch. Denn „integrative“ Lighting ist eine neue Wortschöpfung, für die eine deutsche Übersetzung nur Missverständnisse hervorrufen kann. Denn im Deutschen existiert der Begriff „integrierte Beleuchtungsplanung“, der so viel bedeutet wie, dass für Arbeitsräume Tageslicht und Kunstlicht gemeinsam geplant werden sollen. So wie man es bis 1972 auch getan hat, bis die Techniker meinten, die elektrische Sonne allein schiene so hell, dass sie die Beleuchtung ganz übernehmen könne. Mit ihr würde man sogar das Tageslicht besser nachbilden. Integrative Lighting bedeutet eine Betrachtung von visuellen und nicht -visuellen Wirkungen zusammen. Auch wenn hier und dort angeführt wird, dass die Beleuchtung sowohl von elektrischen Quellen stammen kann als auch von der Sonne, handelt es sich nur um Lippenbekenntnisse, denn Grundsatzpapiere wie ISO/TR 21783 verraten bereits in ihrem Geltungsbereich, worum es sich wirklich handelt: lighting applications, also Beleuchtungsanlagen. Dass es sich bei der Sonne und dem Himmel um eine Beleuchtungsanlage handelt, wird vermutlich keiner glauben.17ISO/TR 21783 Light and lighting — Integrative lighting — Non-visual effects, Scope: “This document provides an analysis and evaluation of the current state of the art with regard to the nonvisual effects of light in the indoor environment, in the context of identified topics to be considered for beneficial and safe use in lighting applications.

Der Vorläufer des Begriffs integrative hieß noch HCL wie human centric lighting. Dieses Wort ist eine Schöpfung eines Marketingberaters, der einen leicht fassbaren Begriff statt „biologische“ bzw. „nicht-visuelle“ Wirkungen kreieren wollte. Die lichttechnische Industrie möge ihre Werbeaktivitäten bündeln und auf „unwiderlegbare“ Fakten verweisen. Diese soll man relativ einfach auf einen Nenner bringen können:

  • Mehr Licht = mehr Leistung
  • Mit Licht kann man Kinder beruhigen.
  • Blaues Licht am Morgen erhöht Aktivierung.
  • Richtiges Licht zur richtigen Zeit.

 

Gesagt, getan. Zwar lässt sich das Ermitteln von unwiderlegbaren Fakten noch sehr zu wünschen übrig, wie ich mit dem Versuch bei VW in der Autoproduktion beschrieb (s. Und dann war es plötzlich so weit). Das Beruhigen von Kindern mit geeignetem Licht schaffte es sogar in wissenschaftliche Publikationen, obwohl das entsprechende Projekt eher in das Hall of Shame der Wissenschaft gehören würde. Das Aktivieren mit blauem Licht am Morgen brachte es in die Tagespresse „Blau macht schlau“, und der Gruner + Jahr Verlag frohlockte: „In den meisten Innenräumen brennen Lampen mit zu geringem Blaulichtanteil. Wie die Zeitschrift P.M. MAGAZIN (Ausgabe 1/2013, ab heute im Handel) berichtet, dämpft das die intellektuelle Leistungsfähigkeit und die Stimmung. Studien belegen, dass intelligentes Kunstlicht Kranke schneller genesen lässt. Sogar den Verlauf von Altersdemenz kann das richtige Licht möglicherweise abbremsen.” 18P.M. Magazin Lichtdoping: Blau macht schlau (Presseportal) @ Intellektuelle Leistungsfähigkeit steigern und noch dazu die altersbedingte Verblödung verlangsamen! Von Bescheidenheit strotzt man nicht gerade.

Richtiges Licht zur richtigen Zeit“ ist ein CIE-Slogan aus 2015, nach dem man heute noch verfährt, nachdem das Marketinginstrument HCL nicht verfangen wollte. Man kann den Spruch auf ein sehr altes Konzept, dynamisches Licht, beziehen, aber auch auf das ultimative Ziel, Störungen der circadianen Rhythmen durch konstantes Licht zu beseitigen. Das künstliche Licht soll nach dieser Vorstellung die circadianen Rhythmen stabilisieren. Diese wären zwar von selbst stabil, wenn sich Menschen mehr draußen bewegen würden. Das tun sie aber einer Statistik nach nicht, der man sofort glaubte: Der Mensch in Industriegesellschaften verbringt 90% seiner Zeit in Innenräumen. Also muss er seinen gesamten Lichtbedarf dort gedeckt bekommen.

So berechneten Chronobiologen 2021, dass Menschen in Innenräumen zu wenig Licht am Tage bekämen.19Timothy M. Brown , George C. Brainard , Christian Cajochen , Charles A. Czeisler , John P. Hanifin , Steven W. Lockley , Robert J. Lucas , Mirjam Münch , John B. O’Hagan , Stuart N. Peirson , Luke L. A. Price , Till Roenneberg, Luc J.M. Schlangen, Debra J. Skene, Manuel Spitschan, Céline Vetter, Phyllis C. Zee, Kenneth P. Wright Jr. :Recommendations for healthy daytime, evening, and night-time indoor light exposure, Dieses müsste erhöht werden. Dafür gäbe es in der „Nacht“ zu viel Licht, das man drastisch herabsetzen müsse. Im Prinzip wurde dieselbe Aussage im Jahr 2011 in einer Studie getroffen, das mein Institut gemeinsam mit der Universität Ilmenau für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erstellt hatte.20Çakir, A., Çakir, G., Kramer, H., Schierz, C., Wunsch, A. (2011). Der Stand von Wissenschaft und Technik bei neuen Beleuchtungstechnologien am Arbeitsplatz und ihre Auswirkungen. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund Das Licht in Arbeitsräumen beträgt nämlich nur einen Bruchteil dessen, was der Morgen draußen bietet. Das gilt auch für Arbeitsräume, die als zu hell erlebt werden.21Viele Arbeitsräume werden als zu hell erlebt. Dass dies nichts mit der Helligkeit zu tun hat, kann man leicht verstehen. So scheinen 500 lx in Innenräumen vielen Menschen als zu hell, während fast alle 5000 lx an einem Sommertag als düster bezeichnen würden. Dieser Wert herrscht kurz vor einem Sommergewitter. Der wahre Grund ist Blendung. Vermeidet man Blendung erfolgreich, wird man auch 2000 lx nicht für zu hell empfunden. Dafür werden die Räume in den Abendstunden übermäßig beleuchtet, weil niemand zum Sehen so viel Licht benötigt. Wer abends noch arbeiten möchte, fühlt sich im Schein einer Tischlampe recht wohl.

Die Chronobiologie will dies quantifizieren. Ihre Vorstellung über die Realisierung zeigt das obere Bild: Der Tag besteht nach dieser Vorstellung aus drei Teilen. Die Wachzeit geht von 06:00 Uhr bis 19:00 Uhr. Ab 19:00 bereitet sich der Mensch auf den Schlaf vor. Um 22:00 beginnt die Nacht. In der Wachzeit muss die Beleuchtungsstärke am Auge möglichst weit über 250 lx (mel-EDI = Tageslichtäquivalent) betragen.22Das Tageslichtäquivalent zur Beleuchtungsstärke (mel-EDI = melanopisches Tageslichtäquivalent) errechnet sich aus der physikalischen Beleuchtungsstärke am Auge, die durch das Spektrum korrigiert wird. Der Korrekturfaktor wird in CIE S 026 angegeben. Er beträgt für warmweiße Leuchtstofflampen (3000 K) 0,404, für neutralweiß 0,562. Der Korrekturfaktor wird noch einmal korrigiert für das Alter, weil das alternde Auge immer weniger blaues Licht durchlässt. Für die Stunden vor dem Schlaf darf die Beleuchtungsstärke 10 lx nicht überschreiten. Nachts muss es dann dunkel sein (unter 1 lx).

Die Sache hat allerdings gleich vier fundamentale Schönheitsfehler (Ausführliches dazu s. Geheimnisse in Blau):

  • Der vorgegebene Tag existiert in unseren Breitengraden bestenfalls paar Mal im Frühling und im Herbst
  • Ein erheblicher Teil der Arbeitskräfte leistet Nacht- und Schichtarbeit, ein noch größerer Teil verbringt den Abend vor dem Fernseher, im Theater, bei Freunden oder in Lokalen.
  • In Deutschland bereiten sich allenfalls Kleinkinder ab 19:00 Uhr auf den Schlaf vor.
  • Die Bildschirme, die man gerne abends benutzt (Fernseher, Computer, Tablets), produzieren fast genauso viel Licht wie die Beleuchtung am Tage.

 

Ende 2022 stand das Konzept etwa wie folgt, auch wenn nur auf wackeligen Beinen:

  • International wurde ein Standard veröffentlicht, der die spektralen Empfindlichkeitsfunktionen aller Lichtempfänger im Auge normiert, die über die melanopsinhaltigen Zellen eine Wirkung hervorrufen.23CIE S 026/E:2018 : CIE System for Metrology of Optical Radiation for ipRGC-Influenced Responses to Light (CIE-System für die Metrologie optischer Strahlung für ipRGC-beeinflußte Antworten auf Licht): „This International Standard defines spectral sensitivity functions, quantities and metrics to describe the ability of optical radiation to stimulate each of the five photoreceptor types that can contribute, via the melanopsin-containing intrinsically-photosensitive retinal ganglion cells (ipRGCs), to retina-mediated non-visual effects of light in humans.“Der Vorläufer dieser Norm wurde von der CEN unter dem Titel „CEN/TR 16791 "Quantifying irradiance for eye-mediated non-image-forming effects of light in humans” im Jahr 2017 veröffentlicht. Damit können Lichtquellen hinsichtlich eines Teils der nichtvisuellen Funktionen bewertet werden.
  • In Deutschland wurde in 2009 ein Verständigungsdokument (Vornorm DIN V 5031-100) erstellt, das die spektrale Bewertung der optischen Strahlung im sichtbaren Bereich zur Beurteilung melanopischer Lichtwirkungen festlegte. Dieses Dokument wurde 2015 als DIN SPEC 5031-100 neu aufgelegt. Ihre letzte Fassung als DIN/TS 5031-100 erfolgte in 2021.24Die Bezeichnungen DIN V (V = Vornorm), DIN SPEC (SPEC = von Englisch Specification) und DIN/TS (TS = Technical Specification) bedeuten, dass die betreffenden Dokumente nicht als Norm erschienen sind. Dabei dienen Vornormen zu einer Veröffentlichung eines Papieres ohne Konsens. Das muss nicht heißen, sie seien fehlerhaft. DIN SPEC hatte eine ähnliche Bedeutung. Hingegen ist eine DIN/TS zwar auch ein Papier, für das ein nationaler Konsens fehlt. Aber es ist Kandidat für eine Norm. Beispielsweise kann die Praxis nach einer Weile der Anwendung zu der Überzeugung kommen, der Inhalt sei für eine Norm geeignet.
  • Ein für Planungen relevantes Dokument existiert nur in Deutschland, DIN XXX Es erschien als DIN SPEC 67600 „Biologisch wirksame Beleuchtung – Planungsempfehlungen" im Jahre 2013. Unter DIN/TS 67600 besagt der neue Titel „Ergänzende Kriterien für die Lichtplanung und Lichtanwendung in Hinblick auf nichtvisuelle Wirkungen von Licht“, dass grundsätzlich die Gesichtspunkte für eine Planung nach visuellen Gesichtspunkten gelten. Diese werden nur ergänzt durch die Berücksichtigung biologischer Effekte, die aber nicht mehr so heißen.

 

Nach einem Quantensprung oder gar Neuanfang in der Lichttechnik hört sich das Ganze nicht an. Manche Regelungsgegenstände werden vermutlich nie auf allgemeines Interesse stoßen, so z.B. der Unterschied der Reflexionsgrade von „Beton fein“ oder „Backstein gelb“ für visuell wichtige Vorgänge (ρvis) und „melanopische“ (kmel,refl) unter verschiedenen Beleuchtungsarten. Bevor sich jemand für den melanopischen Reflexionsgrad interessiert, müsste man ein Verständnis dafür entwickeln, was melanopisch überhaupt bedeutet. Eigentlich schade, denn manche Information, die da unter der Aufmerksamkeitsschwelle durchschlüpft, verrät enorm Wichtiges, so z.B. warum man sich in thermisch „sanierten“ Räumen unwohl fühlt. Die Verglasung (3-Scheiben SSV) kann beim visuellen 58% des Lichts wegnehmen, was sich um weitere 3% beim „melanopischen“ erhöht. Wenn man dazu rechnet, dass die Fensterrahmen auch breiter sind als bei früheren Verglasungen, weiß man mit welchem Wasser die Sanierer kochen.

Wenn da nicht die Physik wäre

Das postulierte  melanopisch wirksame Licht muss in die Realität umgesetzt werden. Diese sieht aber nicht allzu freundlich aus. Denn die ersehnten Wirkungen sollen durch das Licht entstehen, das ins Auge tritt. Dazu wäre die ideale Position der Lichtquellen etwa in der Augenhöhe in der Blickrichtung. Bilder wie dieses zeigen deutlich, warum die Chronobiologen auf der Vertikalbeleuchtungsstärke abheben. Diese existiert aber nur theoretisch, da in Arbeitsstätten alles künstliche Licht von der Decke kommt. Seit es eine Lichtplanung gibt, steht in allen Katalogen für Anforderungen fast immer die Beleuchtungsstärke in der Horizontalen. Und diese entfaltet – vermeintlich – die beste visuelle Wirkung, dafür keine melanopische. Die Vertikalbeleuchtungsstärke entsteht als eine rechnerische Größe und liegt bei etwa einem Drittel des Planungswertes.

Das ist aber nicht einmal das Wichtigste. Jede Beleuchtungsstärke hat eine Richtung. Wenn man in einem Raum die Vertikalbeleuchtungsstärke misst, die von der Decke beleuchtet wird, stellt man große Unterschiede von Punkt zu Punkt fest, weil sie davon abhängt, wo die Leuchten angebracht sind. Zudem muss man sie in Blickrichtung messen. Diese kennt man aber nicht, da sich Menschen in Arbeitsräumen an verschiedenen Stellen aufhalten und in verschiedene Richtungen gucken. So gibt es für die Horizontalbeleuchtungsstärke nur eine Messebene, für die Vertikalbeleuchtungsstärke unendlich viele. Dies ist in der Lichttechnik schon lange bekannt, und es gibt deswegen eine – scheinbare – Lösung: Man betrachtet in einem bestimmten Punkt das Licht, das aus allen Richtungen einfällt. Diese nennt sich die „zylindrische“ Beleuchtungsstärke und tauchte in lichttechnischen Regelwerken vor etwa 20 Jahren auf. Wer heute normgerecht eine Beleuchtung plant, müsste auch diese planen, weil hier für DIN EN 12464-1 Mindestwerte vorgibt.

Bevor man etwas einplant, muss man dies aber verstanden haben. Dass die Fachwelt nicht verstanden hat, was eine „zylindrische“ Beleuchtungsstärke ist, lässt sich einfach nachweisen. Diese Größe wurde in einer Vorschrift der Berufsgenossenschaften benutzt, die eine Anforderung dazu stellten.25

BGR 131-2 - Natürliche und künstliche Beleuchtung von Arbeitsstätten - Teil 2: Leitfaden zur Planung und zum Betrieb der Beleuchtung - Berufsgenossenschaftliche Regeln für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (BGR): „Zylindrische Beleuchtungsstärke -  Die mittlere zylindrische Beleuchtungsstärke Ez sollte in einer Höhe von 1,20 m über dem Fußboden mindestens das 0,33fache der horizontalen Beleuchtungsstärke Eh des jeweiligen Bereiches betragen.

Die mittlere zylindrische Beleuchtungsstärke wird als Bewertungsgröße für das Beleuchtungsniveau vertikaler oder nahezu vertikaler Flächen zur Erkennung räumlicher Gegenstände (Körperwiedergabe) verwendet. Sie ist auch ein Maß für den Helligkeitseindruck im Raum und für die Helligkeit von Gesichtern. Eine ausreichende mittlere zylindrische Beleuchtungsstärke ist Voraussetzung für eine gute visuelle Kommunikation. Dabei sollte der niedrigste Wert der vier vertikalen Beleuchtungsstärken, aus denen die mittlere zylindrische Beleuchtungsstärke gebildet wird, mindestens das 0,33fache des höchsten Wertes betragen. Diese Vorschrift ging in der ASR A3.4 Beleuchtung26ASR A3.4 Beleuchtung - Technische Regel für Arbeitsstätten - Ausgabe: April 2011 (GMBl 2011, S. 303; zuletzt geändert GMBl 2022, S. 248) auf, wobei die „zylindrische“ Beleuchtungsstärke durch die vertikale ersetzt wurde. Für die letztere braucht man aber eine Messebene, während die „zylindrische“ Beleuchtungsstärke eindeutig gemessen werden kann. Somit lässt sich eine Anforderung des Gesetzgebers zur Beleuchtung von Arbeitsstätten nicht messen. Da dieser Mangel seit 2011 besteht, kann man davon ausgehen, dass wahrscheinlich niemand diese Größe misst.

Das Problem ist aber nicht nur formaler Art, sondern rein physikalischer. Die zylindrische Beleuchtungsstärke ist der Mittelwert aller Lichteinfälle an einem Punkt. Wenn ein vorgegebener Wert erhöht werden soll, kann man den Lichteinfall aus einer beliebigen anderen Richtung erhöhen. Wenn man mit Licht Wasser kochen will, ist das auch in Ordnung, aber nicht wenn  man das Sehen verbessern will. Wenn das Licht entgegen der Blickrichtung erhöht wird, sieht man schlechter und nicht etwa besser. Die Anforderung ist daher für Arbeitsräume schlicht Unsinn.

Sinn machen tut eine Betrachtung der „Hälfte“ dieser Größe, die „halb-zylindrische“ Beleuchtungsstärke, die auch Fotografen wie Kameraleute genau zu diesem Zweck vor einer Aufnahme messen.

Man hantiert nicht nur mit Größen, die weder die Fachleute verstehen noch die Laien. Es kommt noch viel schlimmer. Wie bereits gesagt, braucht die vertikale Beleuchtungsstärke eine Messebene. Wenn man eine Anforderung stellt, muss man diese angeben. Das wissen übrigens auch Laien, die sich in einer bestimmten Richtung aufstellen oder hinsetzen, wenn sie Strahlung optimal empfangen wollen. So z.B. am Badestrand oder vor der Höhensonne.

In einem Arbeitsraum werden die meisten aber weder für Tageslicht noch für das künstliche Licht optimal aufstellen wollen oder können. Denn Tageslichteinfall ist nicht etwa ein sehnsüchtig erwarteter Segen, sondern häufig eine Blendung. Deswegen sitzt praktisch niemand mit dem Gesicht zum Fenster.

Das Bild zeigt eine übliche Bürobelegung. Die in früheren Zeiten übliche Anordnung eines dritten Tisches mit ständigem Blick zum Fenster wurde schon längst abgeschafft. Eine solche Blickrichtung ist weder an konventionellen Arbeitsplätzen noch an solchen mit Bildschirmen sinnvoll. Da man auch die Leuchten für die künstliche Beleuchtung möglichst gut gegen den Einblick schützt, spricht die Physik des Büroraums insgesamt gegen eine optimale melanopische Wirkung der Beleuchtung. In den abgebildeten Räumen liegt die Beleuchtungsstärke des Tageslichts in Türrichtung vom Fenster aus gesehen mindestens drei Mal so hoch wie in der Querrichtung.

Selbst bei einer ständigen optimalen Ausrichtung des Menschen zum Lichteinfall müssten die heute existierenden Beleuchtungen um den Faktor 3 aufgerüstet werden, um die Anforderung von ≥ 250 mel-EDI zu erfüllen. Da sich Arbeitnehmer bei der Arbeit nicht gerade nach einer optimalen Belichtung sehnen, müsste die Beleuchtung noch einmal etwa um den Faktor 2 aufgerüstet werden. Allzu realistisch fallen solche Vorstellungen nicht aus.

Selbstverdienter Niedergang der elektrischen Sonne

Ich hoffe, dass dieses Buch verstehen hilft, warum das künstliche Licht, das wir zum Leben brauchen wie noch nie seit der Erfindung der ersten Öllampe in der Eiszeit, ihren Zenit im Ansehen weit überschritten hat. Die Ursache liegt ganz sicher nicht an den Fähigkeiten der Technologie des Lichtmachens, die man heute besser beherrscht als je zuvor. In der Ära Licht 4.0 hat man technologisch die früheren Epochen erfolgreich zurückgelassen. Wir können seit einiger Zeit nicht nur Hochhausfassaden als Kinoleinwand benutzen, und das nicht nur in abgedunkelten Räumen, in denen die Namensgeber standen, sondern am helllichten Tag in der Wüste von Nevada. Dort stehen nicht nur viele Gebäude, deren Fassaden Filmbühnen geworden sind. Am Ende des berühmten Strips hat die Stadt eine ganze Straße überdacht und die Decke zur Filmleinwand umfunktioniert. Die LED-Technologie, die solche Mega-„Lampen“ erstellen hilft, kann auch klein. Duschköpfe, die die Temperatur des Wassers anzeigen, benutzen winzige LED, deren Stromversorgung das durchfließende Wasser übernimmt. Nicht zuletzt sei die Weihnachtsbeleuchtung genannt. Diese lässt sich derart fantasiereich gestalten, dass selbst eingefleischte Nostalgiker nicht mehr behaupten, früher sei alles besser gewesen.

Wer erst recht staunen will, was mit der LED alles möglich ist, möge sich einen OLED-Fernseher27

OLED = Organic Light Emitting Diode, organische Leuchtdiode  ist ein leuchtendes Dünnschichtbauelement aus organischen halbleitenden Materialien, das sich von den anorganischen Leuchtdioden (LED) dadurch unterscheidet, dass die elektrische Stromdichte und Leuchtdichte geringer und keine einkristallinen Materialien erforderlich sind.

Bei OLED leuchtet das Display selbst, während LCD-Displays eine Hintergrundbeleuchtung benötigen. Die OLED-Technik wird für Bildschirme in Smartphones, Tablet-Computern wie auch in großflächigen Fernsehern und Computermonitoren eingesetzt. Die Displays sind flexibel, sie können auch zusammen gerollt werden. Man kann sie auch als eine großflächige Beleuchtung einsetzen. angucken. Ein Gerät zum Bestücken des Heimkinos mit einem Display über einen Quadratmeter, dessen Bild alles übertrifft, was man gefilmt, gedruckt oder gemalt gesehen hat, lässt sich vom Ersparten eines Studenten kaufen. Und man kann es tatsächlich an die Wand nageln, wie man vor 50 Jahren geträumt hatte.

Der vermutlich wichtigste Grund für den Niedergang der elektrischen Sonne liegt paradoxerweise genau in dem Erfolg der elektronischen Displays. Anders als das Medium Papier, das sie bei Büchern, auf Bürotischen oder in der heimischen Arbeitsecke ersetzt haben, brauchen sie kein Licht zum Lesen. Vielmehr verliert ihre Information durch Fremdlicht an Strahlkraft. Feinste Kunstdrucke, deren Betrachtung einst eine besondere Beleuchtung brauchte, weil man hochwertigen Vier-Farben-Druck nur auf gestrichenem Hochglanzpapier erstellen kann, werden heute von Displays übertroffen, die nicht mehr Geld kosten als ein Buch mit solchem Druck. Diese können aber sekündlich neue Inhalte präsentieren oder das Lieblingsbild zeigen, bis man ein anderes liebt.

Solche Inhalte bekommt der Mensch heute meist über sein Smartphone oder auf sein Tablet geschickt. Die Zahl der Mobilanschlüsse hat bereits vor Jahren die Zahl der lebenden Menschen übertroffen. Dass deren Kommunikation über das Licht von LED erfolgt, die ungeheure Datenmengen über eine halbe Million Kilometer Kabel um die Welt schicken, weiß kaum jemand. Die Glasfaserkabel haben die einst alles beherrschende Satellitentechnik abgelöst, und zwar mit Hilfe der LED-Technik. Eine imponierende Technik mit Raketen, Satelliten und riesigen Abhörantennen ersetzt durch Schläuche, die man in die Erde versenkt. Das dies keine Bewunderung hervorruft, wundert niemanden. Man ärgert sich höchstens, wenn der Bürgersteig vor dem Haus aufgerissen wird, um die Kabel zu verlegen. Von den Menschen, die in solchen Kabelkanälen werkeln, merkt man genauso wenig wie von anderen Kanalarbeitern, ohne die unser Leben nicht funktionieren würde. Eine wunderbare Technologie, die man nicht bewusst wahrnimmt, weil sie alltäglich bzw. unterirdisch geworden ist.

Dafür nerven uns in der Arbeitswelt die nur allzu sichtbaren und auffälligen Artefakte der Lichtmacher. Nicht umsonst habe ich ausführlich die Erscheinung der Blendung behandelt (s. „Blendung – Was ich schon immer wusste und nie nachfragen wollte“). Die Lichttechnik dient sich den Leuten an, die von uns Arbeitsleistung verlangen. Sie behauptet dabei über- oder meist unterschwellig, dass eine höhere Beleuchtungsstärke immer eine größere Leistungsbereitschaft erzeuge, lässt es aber bei den unangenehmen Begleiterscheinungen wie Blendung mit untauglichen Lösungen bewenden. Schlimmer noch, festgestellte Probleme werden ignoriert. Praktisch alle „wissenschaftlichen“ Methoden, mit denen man neue Erkenntnisse verhindern kann, wurden im Laufe der Jahrzehnte bemüht, um Unpassendes zu unterdrücken. Man redet zwar von „psychologischer“ Blendung, kümmert sich aber nicht darum, was Psychologen davon halten. Fairerweise muss man allerdings anführen, dass die Psychologie zu diesem Thema bestimmt keine goldenen Pokale verdient hat.

Viel schlimmer als bei der Blendung geht es beim Flimmern zu. Dieses wurde bei der Leuchtstofflampe mehrere Jahrzehnte lang abgeleugnet, bis eine technische Lösung gefunden wurde. Viele Menschen waren davon latent betroffen, d.h. sie reagierten mit unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen oder Unwohlsein. Nur wenige erlitten ernsthafte Wirkungen wie epileptische Anfälle. Nachdem dies all bekannt war, wurde mit der LED eine Technik eingeführt, die prädestiniert dafür ist, zu flimmern. Denn sie ist eine sehr schnelle Diode. Was bei der Telekommunikation als Alleinstellungsmerkmal gilt, geriet in der Beleuchtungstechnik zum Dilemma. Nicht dass die technische Lösung diesmal unbekannt war. Sie ist vorhanden und lässt sich erfolgreich einsetzen. Dennoch interveniert die der elektrotechnischen Industrie politisch in Brüssel in der Frage, wie stark die LED flimmern darf, statt eine flimmerfreie Technik einzuführen. Diese gibt es nämlich. Hingegen schließt eine Begrenzung des Flimmerns nicht aus, dass Menschen gestört werden. Genauso schlimm wie bei der Blendungsbegrenzung statt Blendung ganz zu vermeiden. Für das letztere gibt es wenigstens manche Begründung. Beim Flimmern gibt es aber kaum eine Rechtfertigung.28Blendung ist ein schillernder Begriff. Deswegen soll „Blendung ganz vermeiden“ in dem Sinne verstanden werden, dass sich möglichst niemand an der Beleuchtung stört. Ein solches Ziel ist durchaus erreichbar. Bei unseren Studien in der Praxis haben wir nicht nur Störungsfreiheit erzielen können, sondern sogar eine Zufriedenheit bis 90%. Mehr hier

Ein eher technisches Detail, die Lebensdauer von Lampen, das eigentlich eine Sache für Spezialisten ist, führte schon vor Jahrzehnten zu einem Vertrauensverlust in der Allgemeinheit. Markierte die Lebensdauerbegrenzung von Glühlampen durch ein Weltkartell die Geburtsstunde einer industriellen Methode, die als wenig verbraucherfreundlich gilt, geplante Obsoleszenz, setzte die Geheimhaltung der wahren Lebensdauer der Leuchtmittel die Krone darauf. Kein einziger Verbraucher, dessen Lampe in der Küche bereits nach wenigen Stunden das Leben aushauchte, hatte jemals eine reelle Chance, einen Nachweis zu führen, dass sie vorzeitig gestorben ist. Und mit der modernsten Methoden des Lichtmachens, der LED-Technologie, kam es viel schlimmer als vorher. Eine ominöse Zahl, 50.000 Stunden, die entweder begeisterte Entwickler oder Marketingleute in die Welt gesetzt haben, erzeugt bei jedem Käufer den Eindruck, dass die Lampe ewig lebt. Man ist verwundert, wenn das „Ding“ nach kurzer Zeit das Leben aushaucht. Gemeint mit „Ding“ kann das Leuchtmittel sein, aber auch die gesamte Leuchte. Denn die von der Zahl 50.000 erzeugte Euphorie führt u.a. dazu, dass man das Leuchtmittel ewig mit der Leuchte verbindet. Wenn das so entstehende Objekt kein Licht mehr von sich gibt, ist es schrottreif.

Wenn es nur dabei bliebe! Ein Vorgang, der bei der Leuchtstofflampe vollkommen problemlos stattfand, der Ersatz eines kaputten Leuchtmittels durch „dasselbe“, also ein Produkt mit der gleichen Bezeichnung, war mit LED kaum möglich, weil Standards fehlten. Man konnte zwar einen Ersatz mit der gleichen Bezeichnung kaufen, ob dieser aber die gleichen Eigenschaften hatte, war nicht gesichert. Eher das Gegenteil war die Regel: man kauft eine Lampe XYZ, deren Vorgängerin man  als Muster mitgebracht hat. Siehe da, die neue ist heller und hat eine andere Farbe. Und selbst wenn es gesichert wäre, konnte man ihn nicht zu den noch funktionierenden Teilen hinzu installieren, denn diese alterten sichtbar. So hat man bei einem Großprojekt, bei dem man in eine Warte eine Lichtdecke mit LED installierte, in einem Nebenraum fast 2000 LED parallel zur Lichtdecke betrieben, damit man einen gleichwertigen Ersatz für die ausgefallenen LED hat.

Der Normalbürger interessiert sich zwar nicht sonderlich für Standards. Wozu auch? Er merkt hingegen deren Fehlen, sobald er Ersatz für einen Gegenstand braucht, der nicht allein funktioniert, wie Schraube und Mutter, Lampe und Fassung. In der Beleuchtungstechnik existieren manche Standards wie die Fassung E27 seit es elektrisches Licht gibt, andere nicht ganz so lange, aber lang genug, dass man ihre Existenz nur wahrnimmt, wenn sie fehlen. Standards zu schaffen, gehört zu einer Technologie wie der Deckel auf den Topf. Diese mussten für die LED-Technologie neu geschaffen werden bis hin zu Messtechniken zu deren Bestimmung.

Da nicht alle Exemplare eines Produktes den Standards gehorchen, muss man sich manchmal etwas einfallen lassen, so auch bei der LED. Wie einst praktisch alle Elektronikprodukte, bei deren Fertigung man nicht immer ins Schwarze trifft, sucht man aus den hergestellten Objekten die passenden aus. Das war bei Transistoren so, bei Prozessoren ebenso. Selbst hochwertige Seidenteppiche werden so ausgewählt. Die Ausbeute, also der Anteil brauchbarer Objekte an der Gesamtheit, ist Betriebsgeheimnis. Das Verfahren nennt sich Binning, von englisch bin = Behälter. Je nach Güte der Fertigung wird ein unterschiedlich großer Teil einer Charge aussortiert. Der Rest wird aber naturgemäß nicht weggeworfen, sondern billiger verkauft. Daher ist die Wahrscheinlichkeit für Otto Normalverbraucher an unbrauchbare LEDs zu geraten, größer als die eines zufriedenstellenden Kaufs. Auch das nagt am Vertrauen an die Technik.

Das künstliche Licht als epochemachend zu bezeichnen, wäre eine arge Untertreibung. Es gehört zu den wichtigsten Autoren der Industriegeschichte. Seine Artefakte präsentieren sich uns sichtbar in allen Lebenslagen im buchstäblichen Sinne. Selbst die hochgepriesene Computertechnik könnte ihre Informationen weder lokal sichtbar machen noch global transformieren ohne Licht. War es einst als Göttergabe auf die Welt herabgestiegen, ist es zum Alltäglichen avanciert, paradoxerweise durch die perfekte Beherrschung des Lichtmachens.