Ausreißer – Wie die Wissenschaft wertvolle Entdeckungen verschenkt

Damit das Licht so hell scheint,
muss die Dunkelheit vorhanden sein.

Francis Bacon

In jeder Wissenschaft, die mit Zahlen umgeht, gibt es eine methodische Vorgehensweise, die eigentlich gut begründet ist: Weicht eine Beobachtung stark von dem Rest der Beobachtungen ab, lässt man diese unberücksichtigt. Leider führt das zuweilen dazu, dass man eine Entdeckung verschläft. Ich möchte an einem Beispiel dies deutlich machen.

Ein Versuch, durchgeführt von Robert A. Millikan (und Harvey Fletcher) im frühen 20. Jahrhundert, gehört zu einem fundamentalen Experiment der modernen Physik, bei dem man die Elementarladung ermitteln wollte. Dabei wurden immer ganzzahlige Vielfache der Elementarladung festgestellt. Millikan konnte so nachweisen, dass die elektrische Ladung immer als ganzzahliges Vielfaches eines kleinsten Betrags, der Elementarladung, auftritt. Dieses Ergebnis lieferte den entscheidenden Beweis für die Existenz des Elektrons als ein Teilchen mit dieser festen Ladungsmenge und legte eine wichtige Grundlage für das Verständnis der atomaren Struktur.

In Millikans Tagebüchern wurden seltene Sichtungen von einem Drittel dieser Elementarladung notiert. Diese können Quarks gewesen sein. Deren Entdeckung blieb späteren Generationen vorbehalten. So blieb eine fundamentale Erkenntnis unerkannt, weil die Forschenden die Beobachtungen für einen Fehler gehalten hatten.

Im Allgemeinen entfernt man einen Eintrag komplett aus einem Datensatz, wenn dieser fehlerhaft zu sein scheint. Wenn man knapp 1000 Leute für eine repräsentative Studie befragt, sind drei weggelassene statistisch gesehen irrelevant. Was aber, wenn die relevante Information nicht die berücksichtigten 997 gegeben haben, sondern die weggelassenen drei? In einem Experiment von mir war nur ein Einziger weggelassen worden.

Im Jahr 1972 sollte ich die Auffälligkeit der Warnkleidung für Straßenarbeiter untersuchen. Der Auftraggeber hatte uns 10 Jacken geliefert, wovon eine die damals übliche „Öljacke“, auch Ostfriesennerz genannt, war.  Zu meinen 10 Probanden gehörte auch mein Hiwi, der „Rot-Grün-blind“ war. Seine Bewertungen sollten aber unberücksichtigt bleiben.

Am Ende des Experiments zeigte sich, dass die favorisierte Jacke mit dem Feuerwehrrot von allen neun Probanden als am auffälligsten erkannt wurde. Bei allen Durchgängen wählte die Person mit der Rot-Grün-Schwäche die unauffälligste gelbe Jacke. Hingegen war für diese das Feuerwehrrot am unauffälligsten.

Ergebnis: Da ca. 8 % der autofahrenden Männer von dieser Schwäche betroffen sein können, reicht eine einzige Farbe nicht aus, um eine für alle auffällige Kleidung zu erstellen. Seit dieser Zeit sind die Schutzwesten bunter geworden. Hätte ich die eine Person weggelassen, hätte die Erkenntnis noch länger warten müssen.

Der vermutlich tragischste Opfer eines Ausreißers ist Prof. Rüssel Foster von der Universität Oxford geworden. Foster hatte im menschlichen Auge eine relativ kleine Zahl von Zellen mit einem abweichenden Verhalten entdeckt. Da er nicht glaubte, dass nach 200 Jahren Forschung am Auge noch etwas Wichtiges entdeckt werden könnte, überließ er die Entdeckung des Jahrhunderts der photosensitiven retinalen Ganglienzellen (pRGCs), die dritte Klasse von Photorezeptoren in der Netzhaut von Säugetieren (einschließlich des Menschen), die keine Stäbchen oder Zapfen sind. anderen. Nichts hat die Erforschung des Lichts seit einem Jahrhundert so beflügelt wie diese Entdeckung.

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