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ToggleWer das Ziel nicht kennt,
wird den Weg nicht finden!
Laotse
Zum Umgang mit der Realisierung von undefinierten Zielen
Die Normung der Beleuchtung soll insbesondere diesem Ziel, dem visuellen Komfort, dienen, heißt es im Geltungsbereich von z.B. DIN EN 12464-1. In meinem Blog habe ich dargelegt, dass niemand weiß, was visueller Komfort sein soll, weil der Begriff nicht definiert ist (hier). Dennoch gibt es eine Quelle, die beschreibt, wie man eine Beleuchtung plant, die dem visuellen Komfort dient.
Wie geht so etwas, einem undefinierten Ziel dienen? Bedeutet es, dass man auf eine Reise geht, deren Ziel man nicht kennt? So schlimm ist es nicht, wenn man es fachmännisch betreibt, denn es ist eigentlich nichts Neues. Die Architektur macht es seit über 2000 Jahren. Ihr besonderes Merkmal gegenüber Ingenieurswissenschaften beruht auf einem Prinzip von Vitruv, Venustas, das in direkter Übersetzung Schönheit bedeutet. Man übersetzt es auch als Schönheit und Anmut.
Dieses Prinzip steht allerdings nicht allein da, sondern zusammen mit den Prinzipien Firmitas (Festigkeit/Stabilität) und Utilitas (Nützlichkeit/ Zweckmäßigkeit) bildet das sog. Vitruvianische Trias. Die letzten beiden gelten auch für ein Ingenieurwerk, das allerdings vollendet wäre, auch ohne Schönheit. Kein Ingenieur muss nach Schönheit streben. Der Architekt muss aber mehr liefern als nur Festigkeit und Nützlichkeit. Das Besondere an Vitruvs Lehre ist das Gleichgewicht. Ein Gebäude, das zwar schön (Venustas), aber nicht stabil (Firmitas) ist, stürzt ein. Ein Gebäude, das stabil und nützlich, aber hässlich ist, wird von der Gesellschaft oft nicht wertgeschätzt.
Zum Vorgehen des DGNB zur ganzheitlichen Gestaltung von Gebäuden

Die Methode
Die Methode, die ich erläutern will, stammt von der Architektur und vom Bauwesen. Sie wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) gemeinsam mit dem Verein DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) ab 2007 entwickelt. Ihr Ziel: Ein deutsches System zu entwickeln, das "Nachhaltigkeit" ganzheitlich definiert – nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und soziokulturell. DGNB e.V. ist mit über 3.000 Mitgliedern (Stand Ende 2024/Anfang 2025) das größte Netzwerk für nachhaltiges Bauen in Europa.
Im Bauwesen gehört der Umgang mit undefinierten Sachverhalten auch ansonsten seit Jahrhunderten zum alltäglichen Instrumentarium. Der Begriff "Stand der Baukunst" ist ein historischer Rechtsbegriff, dessen Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen.
Der Stand der Baukunst fand bereits im preußischen "Allgemeinen Landrecht" des 18. Jahrhunderts Erwähnung und etablierte sich im Laufe der Zeit als der Maßstab für eine ordnungsgemäße Bauausführung.
Unterschied zur technischen Normung
Die technische Normung, aus der auch die Beleuchtungsnormen stammen, wird von spezialisierten Ausschüssen betrieben, die häufig einem Fachgebiet angehören, z.B. Lichttechnik, Technische Akustik, Materialkunde. Diese haben nicht den Normungsauftrag, einen Sachverhalt von irgendeinem anderen als ihrem vorgegebenen Sachgebiet mitzunormen. So hat der NABau (DIN-Normenausschuss Bauwesen) das Mandat (Arbeitsgebiet) für fast alle baurelevanten Normen in Deutschland. Allerdings ist dieser in 24 Fachbereiche mit 300 Untergremien und Ausschüssen unterteilt. Obwohl es vermutlich kein einziges Bauwerk ohne Beleuchtung gibt, erstellt NABau keine Beleuchtungsnormen. Er hat seine Normen über viele Jahrzehnte auch nicht mit den lichttechnischen Normen koordiniert. Dennoch entstand in diesem Sachgebiet die 11-teilige Norm DIN/X 18599 (Anm.: X steht für V = Vornorm oder TS = Technische Spezifikation) „Energetische Bewertung von Gebäuden - Berechnung des Nutz-, End- und Primärenergiebedarfs für Heizung, Kühlung, Lüftung, Trinkwarmwasser und Beleuchtung – Teil …“. Diese Norm wurde als eine Grundlage für das GEG (besser bekannt als Heizungsgesetz) vom Staat in Auftrag gegeben. Kurz gesagt: 300 Arbeitsausschüsse, die sich mit dem Bau beschäftigen, aber keine Zuständigkeit für Beleuchtung.
Etwas schlimmer sieht es aus mit der Klimatisierung. Da mischt ein Verein, der gar keine Normen machen darf, kräftig mit, der VDI (Verein Deutsche Ingenieure). Dessen Normen heißen Regeln und werden ggf. von DIN übernommen, so z.B. DIN 1946 Raumlufttechnik, die aus VDI-Lüftungsregeln hervorgegangen ist. Manche gelten auch als VDI-Regel als eine Art Norm (so z.B. VDI 6022 Hygieneanforderungen). Diese gilt als Bibel für Anlagenbetreiber. Sie gibt vor, wie Anlagen geplant und gewartet werden müssen, damit sie nicht zu „Keimschleudern“ werden (z. B. Legionellenprüfung). Bei Gebäudeakustik ist der Anteil von VDI sogar noch wichtiger.
Kurz gesagt: Wer sich für den visuellen Komfort bei einer Arbeitsstätte interessiert, findet in den lichttechnischen Normen nichts, außer dass er als Ziel genannt wird. Er kann diesen aber nicht isoliert angehen, weil visueller Komfort nicht nur von der Beleuchtung bestimmt wird, und zudem in der Praxis ganz sicher mit dem akustischen Komfort kollidiert. Und nicht nur damit. Ergo braucht es ein Konzept von Komfort mit allen Facetten und nicht nur visuellen Komfort.
Ganzheitliche Sicht auf den visuellen Komfort
Just das wurde in dem DGNB -System realisiert. Das System bewertet die Qualität eines Gebäudes gleichwertig nach drei Hauptdimensionen:
- Ökologische Qualität: Umweltschonung, Ressourceneinsatz und Ökobilanz des Gebäudes (z. B. CO₂-Ausstoß über den gesamten Lebenszyklus).
- Ökonomische Qualität: Langfristige Wirtschaftlichkeit, insbesondere die Lebenszykluskosten (Bau + Betrieb + Rückbau) und die Wertstabilität.
- Soziokulturelle & funktionale Qualität: Der Mensch im Mittelpunkt – Komfort, Gesundheit, Barrierefreiheit und Sicherheit (z. B. Raumluftqualität und Akustik).
In keiner Dimension und keinem Kriterium muss ein Gebäude feste Vorgaben erfüllen. Es wird nach einem umfangreichen Kriterienkatalog bewertet, bei dem es ab 80% aller Wertungen mit Platin ausgezeichnet wird. Aber auch 35% sind möglich. Wer sich dennoch für einen bestimmten Aspekt, eben visuellen Komfort, interessiert, kann hier eine hohe Wertung anstreben.
Worin liegt der Unterschied zu der Anwendung einer technischen Norm? Dieser muss zuerst den relevanten Begriff definieren, wie man immer zu Beginn einer Norm tun muss. Bei diesem Beispiel: Visueller Komfort ist … Er wird erreicht durch eine Beleuchtungsstärke von 500 lx an einem Büroarbeitsplatz. (Sinngemäß laufen die Normen auf solche Feststellungen hinaus.)
Was für ein Unterschied besteht, wenn man solche Festlegungen vermeidet? Im Allgemeinen besteht dieser an der Flexibilität. Wenn eine technische Norm besagt, visueller Komfort sei als … definiert, und darauf basierend 500 lx für den Arbeitsplatz einer Sekretärin festlegt, bleibt dies erhalten, bis die Norm geändert wird. Eine Revision einer Norm ist zwar alle fünf Jahre möglich, aber die Erfahrung zeigt, dass es sehr lange dauern kann, bis es geändert wird. So waren die 500 lx bereits in den 1920ern im Gespräch, in DIN 5035 von 1972 standen sie in der Norm, in 1990 wiederholte DIN 5035-2 sie, in 2001 wurde sie in EN 12464-1 übernommen, 2011 blieben sie uns erhalten, um in 2025 in ISO/CEN 8995-1 zu stehen. Hingegen kann ein Stand der Baukunst ständig neu ausgelegt werden, wenn es sich nicht gerade um fundamentale Gestaltung geht wie, dass das Dach eines Hauses oben sein muss und der Keller unten.
Eleganter kann man eine Flexibilität auch in einer Norm mit Kategorien erreichen. Diese bedeuten für die Realisierung einer wichtigen Eigenschaft eine Einführung von Stufen. So kann man die Beleuchtungsstärke, um bei dem Beispiel zu bleiben, in vier Stufen realisieren – so etwa 125 lx – 250 lx – 500 lx – 1000 lx. Die Norm besagt zunächst, dass die Beleuchtungsstärke eine zu beachtende Größe ist. Danach führt sie die Kategorien ein und erklärt, wann welche zu wählen ist. Weiterhin kann die Norm andere wichtige Eigenschaften hierzu in Relation setzen, damit ein Planer einen Handlungsspielraum hat.
Ein solches Stufenkonzept war in der Lichttechnik bereits in den 1930ern üblich. Auch der bis zu seiner Aushöhlung einzige ISO-Standard zur Beleuchtung ISO 8995 „Principles of visual ergonomics — The lighting of indoor work systems ("Grundlagen der visuellen Ergonomie und Beleuchtung von Arbeitssystemen in Innenräumen“) . Diese hatte für jeden Arbeitsraum drei Stufen für die Beleuchtungsstärke. Die Norm wurde von dem deutschen Normenausschuss genau deswegen abgelehnt. Man wollte keine Wahlmöglichkeit für den Planer, sondern „knackige“ Zahlen, an die sich jeder halten muss.
Im Jahr 2001 wurde die Norm „überarbeitet“, wobei von dem ursprünglichen Inhalt nichts mehr übriggeblieben ist. Selbst der Titel wurde geändert und hieß nunmehr: Beleuchtung von Arbeitsplätzen - Teil 1: Innenräumen. Nunmehr standen fast die gleichen Werte wie einst in DIN 5035-2 in einer ISO-Norm, die nunmehr weltweit gelten sollte. Dafür waren alle Inhalte, die die visuelle Ergonomie behandelten, einfach weggestrichen worden. Etwa ein Vierteljahrhundert später, kehrten die Stufen wieder zurück. Sie haben seit 2025 eine andere Begründung. Man muss – bzw. kann die Beleuchtungsstärke um eine oder zwei Astufen erhöhen, wenn bestimmte Kontextmodifikatoren vorliegen, z.B. wenn die Sehaufgabe sehr lange dauert oder ein Fehler zu großen Schäden führen kann.
Warum sind technische Normen anders?
Was keine Beleuchtungsnorm behandelt oder überhaupt berücksichtigt, ist der „Komfort“, den ein Gebäude bietet, also akustisch, thermisch, visuell, lüftungstechnisch .., und die Wertigkeit des visuellen Komforts gegenüber den anderen. Warum ist das so wichtig?
Der einfache, aber nicht so einfach zu erkennende Grund liegt in der Erstellung der Normen. Sie werden von Fachleuten erstellt, also von Menschen, die einem Fachgebiet angehören. So etwas scheint logisch, ist es aber nicht. Denn Lichtfachleute denken an Licht, Akustiker an Akustik, Klimatechniker an Klima. Unsere Normen werden nicht durch Fachleute für eine menschengerechte Architektur erarbeitet, sondern von Ingenieuren für Licht, Akustik, Klimatechnik etc. So stellen Akustiker Büros voller Schallschirme, die die lichttechnische Planung auf den Kopf stellen. Wenn diese falsch stehen, kann auch die Klimatechnik nicht funktionieren. Ein Raum mit reichlich großen Fenstern verwandelt sich plötzlich in einen grauen Raum mit wenige Tageslicht, wenn die Schallschirme senkrecht zu den Fenstern stehen.
Jedes Gewerk denkt an sich. Wer sagt aber, was in einer bestimmten Arbeitssituation wichtig ist? Und welche Wertigkeit es gegenüber anderen Faktoren hat, die man vernachlässigen muss? Ist ein Faktor in allen Gebäuden gleichermaßen relevant? Im Auftrag für eine Norm steht nicht, dass die Autoren sich solche Fragen stellen müssen. Wenn sie es denn tun, sorgen Dutzende andere Kollegen dafür, dass man es nicht wieder wagt.
Konflikt der technischen Normen mit den Prinzipien der Normung
Im Prinzip widerspricht das Vorgehen sogar den Prinzipien der Normung, die einen Konsens unter allen Betroffenen vorsehen. Was ist, wenn der Akustiker von der Existenz einer lichttechnischen Norm erst dann erfährt, wenn er Probleme beim Kunden bekommt?
So exotisch, wie sie sich anhört, ist die Sache nicht. So wirkt sich z.B. die Beleuchtung auf die Bildschirme aus. Dies kannte der zuständige Ausschuss für die Normung von Bildschirmen. So legte seinen Normen die Stufen der Beleuchtung zugrunde, die ihm bekannt waren. Allerdings als Maximalwerte. In der entsprechenden Beleuchtungsnorm stand dieselbe Zahl, aber als Minimalwert. Als ich den Normern für Bildschirme diese Diskrepanz erklärte, wollten diese die Norm sehen, die ich heranzog. Sie wurde ihnen nicht zur Verfügung gestellt, auch nicht auf Anfrage. Ich musste zwischen den beiden Ausschüssen die Kommunikation herstellen (Liaison-officer), durfte aber meine Exemplare der Normen nicht weitergeben. So gibt es heute eine Norm für Bildschirme (ISO 9241-307), die auf Stufen der Beleuchtungsstärke im Einsatzraum beruht, die aber falsch berücksichtigt worden ist. Diese Norm wird in der neuesten Beleuchtungsnorm (ISO/CIE 8995-1) zitiert, damit man die Eigenschaften der Bildschirme berücksichtigen kann. Dort steht aber nichts, was der Lichtplaner nutzen kann.
Zum Konzept des DGNB
Der Kriterienkatalog
Die Themenfelder sind in 6 Teile gegliedert, die alle Aspekte umfassen, die für ein Gebäude relevant sind.
| Themenfeld | Fokus / Beispiel-Kriterien |
| Ökologische Qualität |
Ökobilanz des Gebäudes, Risiken für die lokale Umwelt, verantwortungsbewusste Ressourcengewinnung. |
| Ökonomische Qualität |
Lebenszykluskosten (LCC), Wertstabilität, Umnutzungsfähigkeit. |
| Soziokulturelle & funktionale Qualität |
Thermischer, visueller und akustischer Komfort, Barrierefreiheit, Sicherheit. |
| Technische Qualität |
Schallschutz, Brandschutz, Reinigungsfreundlichkeit der Gebäudehülle. |
| Prozessqualität |
Qualität der Projektvorbereitung, Dokumentation, Bauqualitätssicherung. |
| Standortqualität | Verkehrsanbindung, Umfeldmerkmale (nur bei Quartieren stark gewichtet). |
Der visuelle Komfort als Teil von “Soziokulturelle & funktionale Qualität”
Dieser Bereich bewertet, wie gut das Gebäude die Bedürfnisse der Menschen nach Wohlbefinden erfüllt.
- Thermischer Komfort: Ist es im Winter warm genug und im Sommer angenehm kühl?
- Innenraumluftqualität: Ist die Luft schadstoffarm und frisch (CO₂-Konzentration)?
- Akustischer Komfort: Sind die Räume gegen Lärm geschützt und haben sie eine gute Raumakustik?
- Visueller Komfort: Gibt es genug Tageslicht und einen guten Blick nach draußen?
- Einflussnahme des Nutzers: Können Nutzer Fenster öffnen oder Licht und Temperatur selbst regeln? (Dies steigert nachweislich die Zufriedenheit).
Im aktuellen DGNB-System für Neubauten wird die soziokulturelle und funktionale Qualität in der Regel mit 22,5 % bis 25 % am Gesamtergebnis gewichtet – sie ist also genauso wichtig wie die ökologische oder ökonomische Qualität.
Der visuelle Komfort - Steckbrief SOC1.4
Zu Unterschieden in der Systematik
Das DGNB-System legt großen Wert auf das Wohlbefinden der Nutzer. Der visuelle Komfort ist dabei ein zentraler Bestandteil des Kriteriums „Soziokulturelle und funktionale Qualität“ (Steckbrief SOC1.4). Ziel ist es, eine Umgebung zu schaffen, die durch ausreichend Tageslicht, gute Sichtverbindungen nach außen und eine blendfreie Kunstlichtplanung die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Menschen fördert.
Bereits dieses Ziel unterscheidet das DGNB-System fundamental von der technischen Normung. Diese wurde in Deutschland seit 1935 getrennt nach Tageslicht (DIN 5034) und Kunstlicht (DIN 5035) betrieben. Auch im Jahre 2025 hat sich wenige daran gehindert, wenn man davon absieht, dass die in DIN EN 12464-1 (Nachfolger von DIN 5035) geforderten Beleuchtungsstärken allein von Kunstlicht oder natürlichem Licht oder von beiden erbracht werden dürfen. Wie man das anstellen soll, ist allerdings niemandem klar. Auch denen nicht, die diese Phrase in die Norm geschrieben haben.
Das DGNB-System kennt eine solche Unterscheidung nicht. Sie war auch nie sinnvoll gewesen, wenn man die Natur des Lichts in deutschen Arbeits- und Wohnräumen vor die Augen hält. Natürliches Licht kann in diesen Räumen im Winter nur wenige Stunden am Tag vorhanden sein, also wird man immer eine künstliche Beleuchtung vorsehen müssen. Auch 1935 war dies nicht anders. Es war nur teurer, eine ausreichende künstliche Beleuchtung zu realisieren. Das künstliche Licht allein gab es in Wohnräumen wohl sehr selten. Für die Wohnräume gelten die Landesbauordnungen, die allesamt eine Tageslichtversorgung spezifizieren. In Arbeitsräumen darf es, von berechtigten Ausnahmen abgesehen, spätestens seit 1975 nicht mehr sein, weil die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) eine Sichtverbindung nach außen für alle Arbeitsräume vorschreibt.
Kakophonie statt sinnvolle Regelung
Der Umgang mit Licht in der deutschen Gesetzgebungslandschaft und in den sonstigen Regelwerken ist derart kompliziert, dass selbst Leute, die sich jahrzehntelang in der Normung bemüht haben, keinen Durchblick mehr haben. Einen Teil der Kakophonie habe ich in Genesis 2.0 - Schöpfung der elektrischen Sonne (hier) versucht zu erklären. Die ganze Geschichte zieht sich aber über mehrere deutsche Staaten hinweg. Sie hatte zunächst was mit dem Lichthunger der Menschen zu tun gehabt. Die entsprechenden Regelungen findet man bei den Städtebauern oder bei den Landesbauordnungen. Die letzteren regeln Licht in Gebäuden meist in Bezug auf Tageslicht.
Die ersten Normen zu Beleuchtung entstanden 1934 und 1935 - sinnigerweise getrennt für Tageslicht und Kunstlicht. Dann kam der Staat und manipulierte sogar die Lichttechnische Gesellschaft. Als der das zeitliche gesegnet hatte, übernahmen die Arbeitsschützer seine Rolle. Jede Berufsgenossenschaft, die auf sich hielt, hatte eine Sicherheitsregel zur Beleuchtung, meist abgeschrieben bei Fördergemeinschaft Gutes Licht (FGL), einer Lobbyorganisation der elektrotechnischen Industrie. Leider komplett für Kunstlicht, weil Tageslicht für deutsche Arbeitsschützer keine Beleuchtung war. Auch der Arbeitsminister machte mit seiner ArbStättV in Licht, aber nur für Kunstlicht. Dessen zuständige Referent hatte etwas zu oft in die Broschüren der Gütegemeinschaft geguckt, wie die Gewerkschaften übrigens, die sogar ein Buch dazu schrieben. Später wollte ein Ergonomieausschuss auch noch eine Norm zu Beleuchtung produzieren (DIN 66234-7). Das tat sie, aber weil es so schön war, hat die lichttechnische Industrie eine Parallelnorm veröffentlicht (DIN 5035-7). Das ließ den Berufsgenossen keine Ruhe, sie produzierten eine BGR 131, zu der anfangs die Industrie nichts sagen durfte. Am Ende schrieb sie kräftig mit. Da dies so schön gelaufen war, machte der Arbeitsminister eine ASR 3.4 daraus, eine Arbeitsstättenrichtlinie.
Die Industrie war auch fleißig und schaffte, dass aus einer deutschen Norm eine europäische (EN 12464) und eine globale (ISO/CIE 8995) wurde. Da die EU sich nicht verstecken wollte, schrieb ihre ArbStättV Tageslicht vor (Richtlinie 89/654/EWG). Und DIN 5034 für Tageslicht hat mittlerweile einen europäischen Nachfolger. Aber nicht ganz. Es gibt immer irgendwelche Reste, die man nicht zurückziehen kann.
Zu den fünf Hauptsäulen des DGNB-Konzepts für visuellen Komfort
Verfügbarkeit von Tageslicht
Tageslicht ist der wichtigste Faktor für den circadianen Rhythmus (Biorhythmus). Die DGNB bewertet hierbei:
- Tageslichtquotient: Wie viel Licht gelangt im Verhältnis zum Außenlicht in den Raum?
- Dauer der Belichtung: Wie viele Stunden am Tag ist eine ausreichende Beleuchtungsstärke (z. B. 300 Lux) allein durch Tageslicht vorhanden?
Sichtverbindung nach außen
Menschen benötigen den visuellen Kontakt zur Umwelt, um sich räumlich und zeitlich (Wetter, Tageszeit) zu orientieren.
- Bewertet wird die Qualität des Ausblicks (Breite und Höhe der Fensterflächen).
- Ein hoher Anteil an Arbeitsplätzen mit direktem Blickkontakt nach draußen erzielt mehr Punkte.
Blendfreiheit (Tages- und Kunstlicht)
Licht darf nicht blenden, da dies zu Ermüdung und Kopfschmerzen führt.
- Sonnenschutz: Effektive Systeme, die direkte Sonneneinstrahlung abschirmen, aber dennoch Licht hereinlassen (z. B. Lamellen mit Lichtlenkfunktion).
- Leuchtenqualität: Vermeidung von Direktblendung durch Lampen oder Reflexionen auf Bildschirmen.
Lichtverteilung und Farbwiedergabe
Die Qualität des künstlichen Lichts muss das Tageslicht sinnvoll ergänzen. Dazu gehören u.a. der Farbwiedergabeindex (derzeit Ra) und Gleichmäßigkeit über den Raum. Große Helligkeitsunterschiede im Raum sollten vermieden werden, um die Augen zu entlasten.
Einflussnahme des Nutzers
Ein wesentlicher Aspekt der DGNB-Philosophie ist die individuelle Einflussnahme. • Nutzer sollten den Sonnenschutz und die Beleuchtung an ihrem Platz individuell regeln können (z. B. Dimmen oder manuelles Hochfahren der Jalousie).
Zur Einflussnahme des Nutzers
Dieser Aspekt weist auf einen fundamentalen Unterschied in der Denke hin. Während die Normung jegliche Flexibilität der Beleuchtung fürchtete, wie der Teufel das Weihwasser, und die Behörden (Arbeitsschutz, Berufsgenossenschaften), die auf deren Basis arbeiteten, sogar die Inbetriebnahme von Tischleuchten verhindern wollten, hat unsere Studie „Licht und Gesundheit“ nachgewiesen, dass selbst eine Tischleuchte fragwürdiger Qualität zusätzlich zu einer Allgemeinbeleuchtung die Akzeptanz erheblich erhöht, statt Gesundheitsbeschwerden zu verursachen, wie postuliert. (download hier)
Die Einflussnahme des Nutzers habe ich in die internationale Norm DIN EN ISO 9241-6 Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten - Teil 6: Leitsätze für die Arbeitsumgebung als Grundsatz eingearbeitet: “Umweltdesign sollte eine angemessene Kontrolle der Menschen über ihre Umweltbedingungen beinhalten.” Dieses folgt der Erkenntnis der Arbeitspsychologie, dass der Mensch eine gewisse effektive Kontrolle über seine Arbeitsumgebung benötigt. Sie gilt für alle Umweltfaktoren. Unterschiedlich sind allerdings die Chancen, das Prinzip technisch zu realisieren.
Wertigkeit der Faktoren
Um eine ausreichende und störungsfreie Versorgung mit Tages- und Kunstlicht sicherzustellen, wird der visuelle Komfort nutzungsspezifisch anhand von sieben Indikatoren bewertet. Die Tageslichtverfügbarkeit im Gesamtgebäude und an den ständigen Arbeitsplätzen wird über Indikator 1 und 2 beurteilt. Vorhandene direkte Sichtbeziehungen nach außen werden über Indikator 3 honoriert. Indikator 4 bewertet das vorliegende Sonnen-/ Blendschutzsystem. Die Kunstlichtbedingungen, der Farbwiedergabeindex des Tageslichts sowie die Dauer der Besonnung werden in den Indikatoren 5 bis 7 beurteilt. Im Kriterium können 100 Punkte erreicht werden.
Die Gesamtpunktzahl von 100 Punkten setzt sich aus verschiedenen Indikatoren zusammen. Die genaue Punkteverteilung variiert je nach Gebäudetyp (z. B. Büro vs. Logistik), folgt aber meist diesem Schema:
Die Gesamtpunktzahl von 100 Punkten setzt sich aus verschiedenen Indikatoren zusammen. Die genaue Punkteverteilung variiert je nach Gebäudetyp (z. B. Büro vs. Logistik), folgt aber meist diesem Schema:
| Nr. | Indikator | Beschreibung | Punkte (ca.) |
| 1 | Tageslichtverfügbarkeit | Tageslichtquotient (DF) im Gesamtgebäude (Simulation oder Berechnung). | bis zu 30 BP |
| 2 | Sichtverbindung nach außen | Qualität und Vorhandensein des Ausblicks in die Umgebung. | bis zu 20 BP |
| 3 | Blendfreiheit (Tageslicht) | Schutz vor Blendung bei gleichzeitigem Erhalt des Tageslichts. | bis zu 20 BP |
| 4 | Kunstlicht | Qualität der Beleuchtungsstärke, Farbwiedergabe (Ra > 80/90). | bis zu 15 BP |
| 5 | Tageslichtautonomie | Dauer der Besonnung (nach DIN EN 17037). | bis zu 15 BP |
| 6 | Farbechtheit | Natürlichkeit der Farbwiedergabe durch Verglasung. | (Zusatz/Bonus) |
Zusammenfassende Bewertung
Das DGNB-System bewertet den visuellen Komfort als wichtigen Faktor für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Nutzer in Gebäuden. Ziel ist es, durch Tageslicht, Sichtverbindungen und blendfreie natürliche und künstliche Beleuchtung eine leistungsfördernde Umgebung zu schaffen.
- Tageslichtverfügbarkeit: Tageslicht beeinflusst den circadianen Rhythmus. Bewertet werden Tageslichtquotient und die Dauer der ausreichenden Belichtung durch Tageslicht, z. B. mindestens 300 Lux.
- Sichtverbindung nach außen: Visueller Kontakt zur Umwelt ist wichtig für Orientierung. Die Qualität des Ausblicks wird anhand der Fenstergröße und dem Anteil der Arbeitsplätze mit Außenblick bewertet.
- Blendfreiheit: Blendung durch Tages- und Kunstlicht wird vermieden, um Ermüdung und Kopfschmerzen vorzubeugen. Dazu zählen effektive Sonnenschutzsysteme und blendfreie Leuchten.
- Lichtqualität und Nutzersteuerung: Künstliches Licht soll Tageslicht ergänzen mit hohem Farbwiedergabeindex und gleichmäßiger Verteilung. Nutzer können Sonnenschutz und Beleuchtung individuell steuern, z. B. dimmen oder Jalousien bedienen.
Gebäude mit hohem visuellen Komfort zeigen zufriedene Nutzer, geringere Krankheitsraten und niedrigeren Energieverbrauch durch reduzierte Kunstlichtnutzung. Bewertet wird dies in Qualitätsstufen von Basis bis Exzellent. Die Bewertung ist eine Gesamtbewertung aller Faktoren eingebettet, so dass ein Planer eine Präferenz bestimmter faktoren anderen gegenüber vorsehen kann.
Man kann die Methode sowohl für die Bewertung von vorhandenen Gebäuden als auch für Neuplanungen einsetzen.
