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muss die Dunkelheit vorhanden sein.
Francis Bacon
Sozialer Jetlag - Wichtiges
Zum Begriff Sozialer Jetlag
Sozialer Jetlag bezeichnet eine Malaise, unter der viele Menschen leiden, ohne sie bewusst zu erleben. Sie ist eine Zivilisationskrankheit, deren Wurzeln in der Technik liegen, präzise gesagt, in der Eisenbahntechnik. Diese zwang die Aufgabe der örtlichen Zeitbestimmung, wonach an jedem Ort die Sonne um 12 Uhr mittags immer den höchsten Stand erreichte. Die Eisenbahn führte dazu, dass jedes Land eine Zeit bekam, um später zu Zeitzonen zusammenzuwachsen. So reicht MEZ, sprich Mitteleuropäische Zeitzone, von Bulgarien bis zum Westen von Spanien. Die MEZ (UTC+1) orientiert sich am 15. Längengrad Ost. Dieser verläuft fast exakt durch die Stadt Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze. Spanien liegt geografisch weit im Westen (Vigo liegt auf 8,6º West), in Galicien (Westspanien) steht die Sonne im Winter erst gegen 13:40 Uhr am höchsten. Während der Sommerzeit (MESZ) verschiebt sich das Ganze sogar auf ca. 14:40 Uhr. Gehen alle Kinder von Bulgarien bis Spanien um 9:00 Uhr in die Schule, die die soziale Zeit für sie und ihre Eltern um diesen Betrag verschoben.
In China liegt die Sache schlimmer. Das Land müsste, von seiner Ausdehnung her gesehen, fünf Zeitzonen haben. Aber politisch wurde eine festgelegt. Das ist die Peking-Zeit. Im äußersten Westen Chinas, in Kashgar, geht die Sonne im Winter erst gegen 11:00 Uhr vormittags auf. Deswegen behelfen sich die Menschen mit einer Verschiebung des Schulbeginns.
Der Begriff sozialer Jetlag ist ein Kunstwort, das auf dem Begriff Jetlag aufbaut. Dieser entsteht, wenn ein Mensch schnell mehrere Zeitzonen überfliegt. Der Soziale Jetlag beschreibt die Diskrepanz zwischen dem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus eines Menschen (der inneren biologischen Uhr bzw. dem Chronotyp) und den sozialen Zeitvorgaben (der sozialen Uhr) des Alltags, wie zum Beispiel Arbeitsbeginn, Schulzeiten oder Verabredungen.
Zum Begriff Chronotyp und zu Folgewirkungen des Chronotypen
Der Begriff Chronotyp (von griechisch chronos = Zeit) beschreibt die genetisch festgelegte Ausrichtung der inneren biologischen Uhr eines Menschen. Er bestimmt, zu welchen Tageszeiten ein Mensch sein körperliches und geistiges Leistungsmaximum hat und wann er natürlicherweise müde wird. Vereinfacht gesagt: Der Chronotyp legt fest, ob jemand ein Frühaufsteher oder ein Langschläfer ist.
Das Wort Chronotype (aus dem Griechischen chronos = Zeit und typos = Prägung/Form) tauchte erstmals Mitte der 1970er Jahre in der Fachliteratur auf. In Deutschland und international wurde der Begriff vor allem durch Till Roenneberg: populär gemacht. Der Professor für Chronobiologie an der LMU München hat das Feld in den letzten Jahrzehnten entscheidend geprägt. Er entwickelte den Munich ChronoType Questionnaire (MCTQ), der das Schlafverhalten an Arbeits- und Freitagen exakt berechnet. Roenneberg war es auch, der den Begriff des sozialen Jetlags prägte.
Rhythmus der Ausschüttung von Schlaf-Wach-Hormonen
Gesteuert wird dieser Rhythmus durch den suprachiasmatischen Nukleus (SCN), ein winziges Areal im Gehirn (Hypothalamus). Dieser steuert die Ausschüttung von Hormonen wie:
- Melatonin: Das Hormon, das uns müde macht.
- Cortisol: Das "Stresshormon", das uns morgens wach macht und Energie bereitstellt.
Bei verschiedenen Chronotypen werden diese Hormone zu unterschiedlichen Zeiten ausgeschüttet.
Man unterteilt die Menschen meist in die Metaphern aus der Vogelwelt:
1. Die Lerchen (Frühtypen): Sie wachen von selbst früh auf und sind sofort leistungsfähig. Sie werden am frühen Abend müde. Und sie haben ihr Leistungshoch am Vormittag.
2. Die Eulen (Spättypen): Sie kommen morgens schwer aus dem Bett ("Morgenmuffel"). Sie werden erst spät abends müde. Sie haben ihr Leistungshoch am späten Nachmittag oder Abend.
3. Die Tauben (Normaltypen): Diese bilden die Mehrheit der Bevölkerung (ca. 60–70 %). Sie liegen dazwischen und können sich meist gut an die üblichen Arbeitszeiten von 08:00 bis 17:00 Uhr anpassen. Es ist daher kein Wunder, dass auch bei einer 24/7 Arbeitsgesellschaft der “normale” Arbeitstag “9to5” heißt, mit einer “Gleitzeit” von ± 1 Stunde an beiden Enden nach persönliche Präferenz.
Der Chronotyp ist zu etwa 50 % genetisch bedingt. Man kann ihn nicht durch "Willenskraft" dauerhaft ändern. Eine Eule wird durch Disziplin zwar früher aufstehen können, aber biologisch im Inneren eine Eule bleiben (und unter Schlafmangel leiden).
Der Chronotyp verändert sich im Laufe des Lebens.
- Kleinkinder sind fast immer Lerchen.
- Jugendliche werden in der Pubertät extrem zu Eulen (biologisch bedingt!).
- Ältere Menschen wandeln sich meist wieder zu Lerchen.
Der "Soziale Jetlag" entsteht genau hier: Wenn der genetische Chronotyp (z.B. Eule) nicht zu dem sozialen Zeitplan (z.B. Arbeitsbeginn 07:00 Uhr) passt.
Was tun mit dem Wissen zum Chronotypen und sozialem Jetlag?
Jede Person kann den möglichen persönlichen Einfluss des sozialen Jetlags durch die sozialen Faktoren abschätzen, die auf sie einwirken. Gehe ich spät ins Bett? Wache ich früher auf, dass ich noch verschlafen zur Arbeit gehe? Durch diese Abschätzung kann man den störenden Wirkungen entgegen arbeiten. Nicht immer sehr erfolgreich, aber immerhin.
Man kann den eigenen Chronotypen selbst mit wissenschaftlichen Methoden ermitteln oder mit einer Selbstanalyse:
Die wissenschaftlichen Goldstandards (Online-Tests)
Es gibt zwei international anerkannte Fragebögen, die man kostenlos im Internet findet:
- MCTQ (Munich ChronoType Questionnaire): Entwickelt von Prof. Till Roenneberg. Er ist der präziseste Test, da er den Unterschied zwischen den persönlichen Schlafzeiten an Arbeitstagen und an freien Tagen berechnet. Er ermittelt den sogenannten „Midpoint of Sleep“ (die Mitte des Schlafs).
- MEQ (Morningness-Eveningness Questionnaire): Dies ist der klassische Test von Horne und Östberg. Er fragt eher nach den persönlichen Vorlieben (Wann würdest du aufstehen, wenn du völlig frei entscheiden könntest?).
Die „Urlaubs-Methode“ (Selbstanalyse)
Wenn man keinen Test machen möchte, kann man den eigenen Typ in der zweiten Woche eines Urlaubs bestimmen (wenn der „Schlafschuld-Druck“ der Arbeitswoche abgebaut ist):
1. Kein Wecker: Erst ins Bett gehen, wenn man wirklich müde ist.
2. Kein künstliches Licht: Verzicht abends auf helles Licht und Bildschirme.
3. Beobachtung: Nach einigen Tagen wird sich ein Muster einstellen. Notieren, wann man natürlich einschläft und wann man von selbst (erholt) aufwacht.
Die Berechnung (Midpoint of Sleep): Addieren der Stunden des Schlafs und durch zwei teilen. Beispiel: Man schläft von 00:00 bis 08:00 Uhr. Die Schlafmitte ist 04:00 Uhr.
• Vor 03:00 Uhr: Du bist eher eine Lerche.
• Zwischen 03:00 und 05:00 Uhr: Du bist ein Normaltyp (Taube).
• Nach 05:00 Uhr: Du bist eine Eule.
Wenn man den eigenen Typ kennt, kann man das persönliche „Zeitfenster der optimalen Leistung“ finden. Eulen sollten schwierige Aufgaben niemals vor 10:00 Uhr morgens planen, Lerchen sollten solche besser nicht abends erledigen wollen.
Zum Verständnis der Faktoren, die Jetlag verursachen
Zunächst zu den Faktoren, die den Jetlag verursachen. Der wichtigste hiervon ist selbst nicht beeinflussbar, weil er durch die hohe Politik entsteht. Diese hat im 19. Jahrhundert de örtliche Zeit abgeschafft, wonach an jedem Ort es mittags um Zwölf war, wenn die Sonne am höchsten über dem Horizont stand. Da der Verlauf des Sonnentages die körperlichen Hormone bestimmt, folgt der natürliche Schlaf-Wach-Rhythmus eines Menschen weitgehend diesem. Wie man seit vielen Jahren weiß, bestimmt der Sonnentag den Ausstoss von Melatonin im Blut. Dieses wird auch „Schlafhormon“ genannt und existiert als Molekül seit über zwei Milliarden Jahren. Selbst Tiere in der Tiefsee folgen dem Tagesrhythmus, obwohl sie kaum Licht sehen. Die innere Uhr der Lebewesen arbeitet an sich autonom mit einer Periode von etwa 24 Stunden. In einer gesunden Umgebung zwingt das Sonnenlicht diese auf exakt 24 h. Deswegen nennt man das Licht einen Zeitgeber. Es ist allerdings nur der Hauptzeitgeber. Die einzelnen Organe, Magen, Leber, Darm, haben eigene Zeitgeber.
Das soziale Leben enthält Faktoren, die mit dem Hauptzeitgeber in Konflikt stehen. So z.B. Nacht- und Schichtarbeit, Nahrungsaufnahme, soziale Aktivitäten wie Fernsehen.
Physikalische Zeitgeber (Die Stärksten)
Diese sind die primären und wirksamsten Faktoren, die direkt auf den Nucleus suprachiasmaticus (SCN) im Gehirn einwirken, die zentrale Schaltstelle der inneren Uhr.
• Licht und Dunkelheit (Der Wichtigste):
- Helles Licht (insbesondere blaues Licht) am Morgen ist der stärkste Zeitgeber. Es unterdrückt die Produktion des Schlafhormons Melatonin und signalisiert dem Körper "Tag" und "Wachsein".
- Dunkelheit (am Abend und in der Nacht) signalisiert dem Körper "Nacht" und fördert die Melatonin-Ausschüttung.
Temperatur:
- Die Umgebungstemperatur kann ebenfalls eine Rolle spielen, ist aber weniger dominant als Licht.
Magnetfeld/Geophysikalische Signale:
- Für viele Tiere sind auch subtilere Umweltfaktoren relevant, für den Menschen spielen sie in der Regel keine große Rolle.
Diese Faktoren wirken indirekt, oft über das Verhalten und die Hormonzyklen, auf die Synchronisation der inneren Uhr ein. Sie sind besonders wichtig, wenn der Licht-Zeitgeber fehlt oder schwach ist (z. B. bei Schichtarbeit).
Essenszeiten: Die erste Kalorienaufnahme des Tages setzt die peripheren Uhren in den Organen (wie Leber, Magen, Bauchspeicheldrüse) zurück. Eine regelmäßige Mahlzeitenroutine ist daher ein wichtiger Zeitgeber für den Stoffwechsel.
Soziale Interaktionen: Feste Termine, wie Arbeitsbeginn, Schulzeiten, Treffen oder der Wecker, stellen eine soziale Verpflichtung dar, die den Schlaf-Wach-Rhythmus synchronisiert (dies führt bei einer Diskrepanz zum sogenannten Sozialen Jetlag).
Körperliche Aktivität: Regelmäßige Bewegung zu einer festen Tageszeit kann die innere Uhr beeinflussen und als Zeitgeber dienen.
Wecker: Der Wecker ist ein künstlicher, sozialer Zeitgeber, der den Schlaf-Wach-Rhythmus erzwingt, oft entgegen dem natürlichen Rhythmus.
Rolle des künstlichen Lichts
Das künstliche Licht wurde in seiner langen Geschichte immer für zwei Zwecke benutzt (mehr hier):
- Sehen in der Zeit, in der kein natürliches Licht zur Verfügung steht
- Sehen in Umgebungen, in die kein natürliches Licht kommen kann.
Die erste Anwendung heißt auch, die Nacht zum Tage machen. So ermöglichte das wirtschaftlich verfügbare künstliche Licht die 24/7 Arbeitsgesellschaft. So können z.B. die Belegschaften einer globalen Firma an allen Stellen der Welt gleichzeitig arbeiten, wenn nötig. Wenn die Arbeitenden gezwungen sind, zu jeder Tageszeit ähnliche Leistungen zu erbringen, führt dies ebenso zum Sozialen Jetlag.
Während gleichzeitiges Arbeiten rund um die Welt bei vielen Firmen nicht nötig ist, tagen internationale Gremien tatsächlich zur gleichen Zeit um die Welt via Internet. Dieselbe Technologie nutzen aber Firmen wie die Lufthansa, um dieselbe Dienstleistung 24/7 anzubieten, wobei die Arbeitenden immer zur Tageszeit tätig sind.
Die zweite Anwendung ermöglicht ausreichendes Licht, um die Sehaufgaben zu erfüllen, die verschiedene Arbeitsaufgaben bedingen. Da aber Licht nicht nur zum Sehen dient, sondern auch die Körperfunktionen steuert, kommt es zum Sozialen Jetlag, wenn z.B. der Arbeitsraum bei Tage vom Tageslicht abgeschnitten ist bzw. wenn die Arbeit nachts erfolgt.
Symptome bei sozialem Jetlag
Die Betroffenen leiden unter folgenden Symptomen
- Chronische Müdigkeit unter der Woche
- Stimmungsschwankungen und erhöhte Reizbarkeit
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Langfristig höheres Risiko für Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Betroffene Chronotypen
Nicht alle Menschen sind gleichermaßen betroffen. Vom sogenannten sozialen Jetlag sind vor allem Menschen betroffen, deren innerer biologischer Rhythmus nicht mit den gesellschaftlichen Erwartungen (Schule, Arbeit, soziale Verpflichtungen) übereinstimmt. Am stärksten trifft es den Chronotypen der "Eulen". Das ist die Bezeichnung für Spättypen. Eulen werden abends erst spät müde und erreichen ihre volle Leistungsfähigkeit oft erst in den späten Abendstunden. Da sie spät ins Bett gehen, müssten sie eigentlich länger schlafen, um ihr Schlafbedürfnis zu decken. Der Wecker klingelt für die Arbeit oder Schule oft zu einer Zeit, in der sich die Eule biologisch gesehen noch in der tiefsten Nacht befindet.
Unter der Woche sammeln Eulen ein massives Schlafdefizit an. Am Wochenende schlafen sie dann oft bis mittags, um dies nachzuholen. Diese starke Verschiebung der Schlafenszeiten zwischen Werktagen und freien Tagen ist etwa die Definition des sozialen Jetlags.
Jugendliche aller Chronotypen sind sog. temporäre Eulen. Während der Pubertät verschiebt sich der Chronotyp bei fast allen Jugendlichen nach hinten. Sie werden biologisch gesehen fast alle zu "Eulen". Da der Schulbeginn (oft 08:00 Uhr) darauf keine Rücksicht nimmt, leben fast alle Teenager in einem permanenten sozialen Jetlag. Forscher vergleichen einen Schulbeginn um 08:00 Uhr für einen Teenager oft mit einem Arbeitsbeginn um 04:00 Uhr morgens für einen Erwachsenen.
Viel weniger betroffen sind Frühtypen, sog. Lerchen. Lerchen werden früh müde und sind morgens sofort wach. Da unsere Gesellschaft (die "08:15-Struktur") auf Frühaufsteher zugeschnitten ist, deckt sich ihr natürlicher Rhythmus fast perfekt mit den sozialen Anforderungen. Sie gehen früh ins Bett und stehen früh auf – sowohl unter der Woche als auch am Wochenende. Ihr Schlafrhythmus bleibt stabil.
In Ländern oder Regionen, die ihrer Sonnenzeit "voraus" sind (wie Westspanien oder der Westen Chinas), verstärkt sich der soziale Jetlag für Eulen extrem. Wenn die Sonne erst um 09:30 Uhr aufgeht, der Körper aber um 07:00 Uhr für die Arbeit geweckt wird, fehlt das morgendliche Blaulicht der Sonne, das den Körper wach macht und den Rhythmus synchronisiert. Eulen leiden in diesen Regionen also noch stärker, da ihr Körper "denkt", es sei noch tiefste Nacht.
Rolle des Chronotyps bei der Berufswahl
Die "Lerchen" (Frühtypen) leiden unter Nachtarbeit gesundheitlich am stärksten. Sie haben eine innere Uhr, die sehr starr auf den Tag fixiert ist. Die Leiden der Lerchen kann man wie folgt zusammenfassen:
- Schlafprobleme am Tag: Wenn eine Lerche nach der Nachtschicht morgens nach Hause kommt, schaltet ihr Körper pünktlich zum Sonnenaufgang auf "Wachmodus". Lerchen können den Schlaf am Tag kaum nachholen; sie schlafen oft nur 2 bis 4 Stunden und wachen dann völlig erschöpft auf, weil ihr biologischer Rhythmus sie dazu zwingt.
- Herz-Kreislauf-Belastung: Da sie gegen ihren extrem starken inneren Rhythmus anarbeiten, ist der Stresspegel (Cortisol) deutlich höher als bei anderen Typen.
- Geringere Flexibilität: Die Forschung zeigt, dass die innere Uhr von Lerchen am wenigsten "verstellbar" ist.
Die "Eulen" (Spättypen) vertragen Nachtarbeit paradoxerweise besser, aber gesund ist sie auch für sie nicht. Ihre Vorteile liegen:
- Besserer Tagschlaf: Da Eulen ohnehin dazu neigen, lange auszuschlafen, fällt es ihrem Körper leichter, nach einer Nachtschicht am Vormittag tief und ausreichend lang zu schlafen.
- Leistungsfähigkeit: Ihr biologisches Hoch liegt ohnehin am späten Abend, was die Konzentration während der Schicht stabilisiert.
- Aber: Wenn Eulen von der Nachtschicht wieder in den Tagdienst wechseln müssen, leiden sie massiv unter dem oben beschriebenen sozialen Jetlag.
Eulen sollten bestimmte Berufsgruppen vermeiden, so etwa:
Klassisches Handwerk und Baugewerbe: In vielen Handwerksbetrieben ist ein Arbeitsbeginn zwischen 06:00 und 07:00 Uhr Standard. ulen befinden sich zu dieser Zeit oft noch in ihrer tiefsten Schlafphase.
Bildungswesen (Schule und Kita): Der deutsche Schulalltag ist extrem auf „Lerchen“ (Frühaufsteher) zugeschnitten. Lehrer müssen oft schon vor 08:00 Uhr hochkonzentriert vor einer Klasse stehen. Auch in Kitas beginnt der Dienst für die Frühschicht oft sehr zeitig.
Logistik und Lieferdienste: Viele Prozesse in der Logistik sind so getaktet, dass Waren am frühen Morgen ausgeliefert werden. Wer im Nahverkehr Pakete oder Lebensmittel zustellt, muss meist sehr früh beladen und losfahren.
Medizinische Berufe (Frühschicht-Zwang): Zwar gibt es hier Nachtschichten (die Eulen liegen), aber der klassische Schichtdienst ist oft brutal. Der Wechsel von der Nacht- in die Frühschicht (Beginn oft 06:00 Uhr) zerstört den Schlafrhythmus einer Eule komplett. Die Fehlerrate steigt, was in der Medizin gefährlich sein kann.
Eulen blühen in Berufen auf, die Gleitzeit, Ergebnisorientierung statt Präsenzpflicht oder Spätschichten bieten.
Lerchen sollten bestimmte Berufsgruppen vermeiden, so etwa:
Klassisches Nacht- und Spätleben: Berufe, die erst dann richtig beginnen, wenn die Lerche müde wird (meist ab 21:00 Uhr), sind physisch und psychisch belastend, so auch Barkeeper, Servicekräfte in Abendrestaurants oder Club-Personal, Musiker oder Bühnentechniker, Nachtportiers oder Mitarbeiter im Nacht-Zimmerservice
Dauerhafte Spätschichten: Viele Industrie- oder Logistikbetriebe bieten feste Spätschichten an (z. B. von 14:00 bis 22:00 Uhr oder 16:00 bis 00:00 Uhr).
Berufe mit unregelmäßiger Rufbereitschaft in der Nacht: Obwohl Lerchen morgens fit sind, ist ein plötzliches Aufwachen mitten in der Nacht für diesen Typus oft schwieriger zu verkraften als für "Eulen": Administratoren für Notfall-Einsätze bei Serverausfällen in der Nacht, Wachdienste, die spezifisch für die Überwachung in den späten Nachtstunden zuständig sind.
Kreativberufe mit "Nachteulen-Kultur": Werbeagenturen & Design-Studios, Software-Entwicklung: In Teams, die stark auf nächtliches Programmieren setzen, verlieren Lerchen den Anschluss an die Kommunikation.
Funk und Fernsehen: Lerchen in der TV-Branche konfrontiert mit diversen spezifischen Problemen, so z.B. mit der Prime-Time-Kultur. Das Fernsehen ist ein Abendmedium. Viele Sendungen werden live am Abend ausgestrahlt oder erst spät aufgezeichnet, um Gäste und Publikum zu empfangen. Extrem lange Produktionstage stellen ebenfalls ein Problem dar: Drehtage bei Film- und Serienproduktionen dauern oft 12 bis 14 Stunden. Ein weiteres Problem stellen unregelmäßige Schichtwechsel (News & Studio) dar.
Strategien gegen die Auswirkungen des Jetlag
Gegen den sozialen Jetlag zu kämpfen bedeutet im Kern, die Schere zwischen der inneren biologischen Uhr und der äußeren sozialen Zeit (Arbeits- oder Schulbeginn) so weit wie möglich zu schließen.
Hier sind die effektivsten Strategien, unterteilt in biologische und organisatorische Maßnahmen:
Licht als Taktgeber nutzen (Das Wichtigste)
Licht ist das stärkste Signal für das Gehirn, um die innere Uhr zu stellen.
- Morgens: Viel blaues Licht. Wenn man als "Eule" früh raus muss, braucht man sofort helles Licht (am besten Tageslicht oder eine Tageslichtlampe mit mindestens 10.000 Lux). Das stoppt die Melatoninproduktion und hilft dem Körper, den Rhythmus nach vorne zu verschieben.
- Abends: Licht fasten. Man sollte zwei Stunden vor dem Schlafengehen das Licht dimmen, Blaulichtfilter an Handy und PC nutzen (machen die Betriebssysteme). Blaues Licht am Abend täuscht dem Gehirn "Tag" vor und verschiebt die Müdigkeit noch weiter nach hinten. (Anm.: Die Chronobiologen empfehlen abends nur sehr wenig Licht und nach 22:00 Uhr möglichst gar keines. Das Einhalten ist leider sehr schwierig. Was man dennoch machen kann steht hier)
Konstanz am Wochenende (Die größte Falle)
Der soziale Jetlag entsteht vor allem durch den massiven Wechsel der Schlafzeiten zwischen Woche und Wochenende.
- Nicht zu lange ausschlafen: Auch wenn es schwerfällt: Man versuche am Wochenende nicht mehr als 1 bis 1,5 Stunden länger zu schlafen als unter der Woche.
- Mittagsschlaf statt Ausschlafen: Wenn man am Wochenende Schlaf nachholen muss, sollte man lieber einen kurzen Mittagsschlaf (maximal 20–30 Minuten) am frühen Nachmittag halten, anstatt bis mittags im Bett zu liegen. So bleibt der Rhythmus für den Montagabend stabil.
Die Ernährung anpassen
Die Ernährungsgewohnheiten sind sogar in der Lage, natürliche Rhythmen zu übertreffen. So gibt es das sog. Mittagstief, das jeder Büromensch kennt, bei natürlich lebenden Menschen nicht. Auch Menschen in modernen Umgebungen zeigen im Verluf ihrer Körperkerntemperatur keine Spur von einem Mittagstief. So kommt der Anpassung der Ernährung eine große Bedeutung zu.
- Frühstücken bei Tageslicht: Das Essen zu festen Zeiten ist ein sekundärer Taktgeber. Ein proteinreiches Frühstück bei hellem Licht signalisiert dem Körper: "Der Tag hat begonnen".
- Spätes Essen vermeiden: Schwere Mahlzeiten spät am Abend halten die Körperkerntemperatur hoch und verhindern, dass man rechtzeitig in den Tiefschlaf findet.
Bewegung zur richtigen Zeit
- Sport am Vormittag: Körperliche Aktivität im Freien am Morgen hilft, die innere Uhr nach vorne zu stellen.
- Kein Power-Workout am späten Abend: Sport spät am Abend wirkt aufputschend und macht jemanden noch mehr zur "Nachteule".
Organisatorische Anpassungen (Falls möglich)
Da der soziale Jetlag oft ein strukturelles Problem ist, helfen manchmal nur äußere Änderungen:
- Gleitzeit nutzen: Schon 30 bis 60 Minuten späterer Arbeitsbeginn können für eine Eule den sozialen Jetlag massiv reduzieren.
- Homeoffice: Der Wegfall des Arbeitswegs ermöglicht es, länger zu schlafen, was besonders den späten Chronotypen hilft, näher an ihrem biologischen Rhythmus zu bleiben.
"Camping-Effekt" (Reset)
Studien zeigen, dass ein paar Tage ohne künstliches Licht (z. B. beim Camping) die innere Uhr extrem schnell mit dem Sonnenverlauf synchronisieren. Wer unter extremem sozialen Jetlag leidet, kann versuchen, im Urlaub konsequent auf künstliche Lichtquellen nach Sonnenuntergang zu verzichten, um den Rhythmus zu "resetten".
Kurztipp für den Alltag: Wenn man morgens im Dunkeln aufsteht, hilft ein Lichtwecker, der den Sonnenaufgang simuliert. Er bereitet das Gehirn schon vor dem eigentlichen Weckton auf das Wachsein vor und mildert den "Aufwachschock" für Eulen ab.
Warum Nachtarbeit generell ein Gesundheitsrisiko ist
Grundsätzliches
Unabhängig vom Typ kämpft der Körper bei Nachtarbeit gegen fundamentale biologische Prozesse an:
- Melatonin-Störung: Das Schlafhormon Melatonin wird nur bei Dunkelheit ausgeschüttet. Licht während der Nachtschicht unterdrückt die Produktion, was als krebserregend (Kategorie 2A der WHO) eingestuft wird.
- Stoffwechsel-Chaos: Nachts ist die Verdauung auf Sparflamme. Wer nachts isst, riskiert eher Übergewicht und Typ-2-Diabetes, da der Körper Glukose nachts schlechter verarbeitet.
- Soziale Isolation: Da der Mensch ein soziales Wesen ist, führt die Entkopplung vom Rhythmus der Familie und Freunde oft zu psychischen Belastungen.
Die effektivsten Strategien bei der Nacht- und Schichtarbeit
Um die negativen Folgen von Nacht- und Schichtarbeit abzumildern, versuchen Schlafforscher und Arbeitsmediziner, die innere Uhr künstlich zu überlisten. Das Ziel ist es, den Körper so zu täuschen, dass er nachts "denkt", es sei Tag, und tagsüber eine tiefe Ruhephase findet.
Strategisches Licht-Management (Der wichtigste Hebel)
Licht ist der stärkste Taktgeber für unsere innere Uhr.
- Während der Nachtschicht: Nutze sehr helles, blaustichiges Licht (Kaltweiß). Es unterdrückt das Schlafhormon Melatonin und hält einen wach und konzentriert. (Vorsicht: Mangel an Melatonin in der Nacht steht im Verdacht, Krebs zu fördern.)
- Auf dem Heimweg: Das ist der kritische Punkt. Wenn man morgens in das natürliche Sonnenlicht tritt, denkt das Gehirn: "Aufstehen!". Dagegen hilft eine stark getönte Sonnenbrille, um das Blaupause-Licht zu blockieren.
- Zuhause: Das Schlafzimmer absolut verdunkeln (Blackout-Vorhänge). Selbst kleine Lichtstrahlen können die Schlafqualität massiv verschlechtern.
Anm.: Zu diesen Methoden gehören auch bedenkliche Massnahmen. Sie mildern die direkten Folgen der Nachtarbeit. Sie können aber auch Schaden anrichten.
Die Ernährung: "Nahrungs-Jetlag" vermeiden
Nachts fährt die Bauchspeicheldrüse die Insulinproduktion herunter, und der Darm wird träge.
- Keine schweren Mahlzeiten: Zwischen 01:00 und 05:00 Uhr solltest man keine großen, kohlenhydratreichen Mahlzeiten zu sich nehmen. Das führt zu massiven Blutzuckerschwankungen und dem typischen "Loch".
- Eiweißreiche Snacks: Nüsse, Quark oder ein wenig Geflügel halten den Spiegel stabil, ohne den Darm zu überlasten.
- Koffein-Timing: Kaffee trinken eher zu Beginn der Schicht. Mindestens 4 bis 6 Stunden vor Schichtende solltest man kein Koffein mehr nehmen, damit es den anschließenden Tagschlaf nicht stört.
Anm.: Diese Maßnahmen gelten nicht nur für Nachtarbeiter. Auch freiwillige Nachteulen profitieren davon.
Der "Anchor Sleep" (Ankerschlaf)
Um den Körper nicht völlig zu verwirren, hilft Konstanz:
- Man sollte versuchen, auch an freien Tagen ein gewisses Zeitfenster (z. B. von 04:00 bis 08:00 Uhr) immer schlafend zu verbringen. Dieser "Ankerschlaf" hilft der inneren Uhr, einen Bezugspunkt zu behalten.
- Vorschlafen: Ein kurzes Nickerchen (20–30 Min.) unmittelbar vor der ersten Nachtschicht einer Serie kann das Defizit am ersten Morgen deutlich verringern.
Wichtige Wissensquellen zum Sozialen Jetlag
Hier eine Zusammenfassung aus meiner Sicht, dominiert von der Art von Till Roenneberg, den ich gut kenne und zudem auch seine Schule und mehrere “Schülerinnen”. Die wichtigsten Schlüsselquellen und Studien, sortiert nach ihrer Bedeutung:
Die „Geburtsstunde“ des Begriffs Sozialer Jetlag
Wittmann, M., Dinich, J., Merrow, M., & Roenneberg, T. (2006): Social Jetlag: Misalignment of Biological and Social Time. In: Chronobiology International.
o Inhalt: Dies ist das fundamentale Paper, in dem der Begriff offiziell geprägt und das Ausmaß des Problems erstmals in einer großen Stichprobe beschrieben wurde.
Gesundheitliche Auswirkungen & Übergewicht
- Roenneberg, T., Allebrandt, K. V., Merrow, M., & Vetter, C. (2012): Social Jetlag and Obesity. In: Current Biology.: Diese vielzitierte Studie belegt den Zusammenhang zwischen sozialem Jetlag und einem erhöhten Body-Mass-Index (BMI). Sie zeigt, dass das Leben gegen die innere Uhr den Stoffwechsel massiv stört.
- Roenneberg, T. (2023): How can social jetlag affect health? In: Nature Reviews Endocrinology. : Eine aktuelle Übersichtsarbeit, die erklärt, wie die Diskrepanz zwischen lokaler Zeit und circadianer Uhr das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes erhöht.
Der Einfluss des Sonnenlichts
Roenneberg, T., Kumar, C. J., & Merrow, M. (2007): The Human Circadian Clock Entrains to Sun Time. In: Current Biology.: Diese Studie beweist, dass sich unsere innere Uhr trotz künstlichem Licht immer noch stark am Sonnenstand orientiert. Sie erklärt auch, warum der soziale Jetlag im Westen einer Zeitzone stärker ausgeprägt ist als im Osten.
Standardwerk (Buch für Laien und Experten)
Till Roenneberg: Wie wir ticken: Die Bedeutung der Chronobiologie für unser Leben. (DuMont Buchverlag).: Wenn man ein gut lesbares Buch sucht, das die gesamte Forschung (von Chronotypen bis zum sozialen Jetlag) zusammenfasst, ist dies das Standardwerk im deutschsprachigen Raum.
Methodik zur Bestimmung (MCTQ)
Roenneberg, T., Wirz-Justice, A., & Merrow, M. (2003): Life between Clocks: Daily Temporal Patterns of Human Chronotypes. In: Journal of Biological Rhythms.: Einführung des Munich ChronoType Questionnaire (MCTQ), der heute weltweit genutzt wird, um den sozialen Jetlag zu messen.
MCTQ Download z.B. hier;
