Wenn ein Lieferant nicht liefert, was er verspricht

 Ein Lügner weiß, dass er ein Lügner ist,
aber wer nur Teile der Wahrheit ausspricht,
um zu täuschen, ist ein
Handwerker der Zerstörung.

Criss Jami

Am 25.09.2025 habe ich zwei „Standards“ kommentiert und erklärt, warum sie krank machen. Diese waren entstanden, ohne dass irgendjemand sie wollte. Ein Teil davon war durch Licht bedingt. Wäre dieser Umstand alternativlos, wäre es müßig, darüber zu reden. So als wenn man sich vor einem Hochofen über Hitze beklagt.

Dem ist es aber nicht so. Denn die „gute“ Lösung, die ich nach 1 ½ Jahrzehnten Forschung gefunden habe, die Indirektbeleuchtung, war schon in den 1920ern bekannt. (s. Erbschaft der 1920er Jahre – Wo Sie heutiges Wissen bestimmt ) Zugegebenermaßen auch ihr Manko, die Kosten. Die stattdessen normierte Lösung, war aber für die Unternehmen unvergleichlich teurer, wenn man alle Kosten berechnet. Denn die über viele Jahrzehnte gepriesene Lösung, die Allgemeinbeleuchtung, war erstens gar keine. Sie sollte überall die gleiche Lichtqualität erzeugen. Tat dies aber nicht, wie man es bereits aus den Abbildungen in den Normen sehen konnte. „Lichtqualität“, so es die überhaupt gab, gab es nur an bestimmten Stellen in den Räumen, ausgewiesen durch die Normen, die Allgemeinbeleuchtung predigten.

Und zweitens könnte deswegen nur mit einem immensen Aufwand an Bürofläche genutzt werden. Da sich niemand den Aufwand leisten wollte oder konnte, litten die Beschäftigten darunter. Sie wurden ständig gestört und haben versucht, Abhilfe zu schaffen. Und das ging so:

Wie kann es dazu kommen, dass ein Lieferant, die lichttechnische Industrie, anstatt versprochener Problemlösungen Probleme frei Haus liefert? Ein Grund liegt darin, dass die Industrie glaubt, sie darf den Betrieben vorgeben, wie diese ihre Arbeitsplätze aufstellen. Am deutlichsten konnte man dies an der Norm DIN 5035-7 „Beleuchtung mit künstlichem Licht — Teil 7: Visuelle Gestaltung von Räumen mit Bildschirmarbeit" sehen, die im Jahr 2015 erneuert werden sollte, nachdem wir sie zuvor abgeschossen hatten. Dort stand zu lesen: „6. Anordnung der Arbeitsplätze und der Arbeitsmittel: „Die grundlegenden Anforderungen an die Beleuchtung bilden die Basis für die Anordnung der Arbeitsplätze im Raum.“ Für einen Betrieb ist die Basis für die Anordnung der Arbeitsplätze im Raum der Arbeitsablauf sowie die elementaren Bedürfnisse der Mitarbeiter (Bewegung, Verkehr, Lärmvermeidung u.ä.). Die Lichttechnik schert sich nicht um die Interessen der Betriebe und derer Mitarbeiter.

Selbstverständlich kann ein Hersteller angeben, unter welchen Bedingungen sein Produkt funktioniert. Ich denke, er muss dies sogar immer spezifizieren, wenn es sich nicht um eine Selbstverständlichkeit handelt. Was er nicht darf, ist die Nutzung in seinem Sinne hintenrum durch Arbeitsschutzgesetze und -regeln zu erzwingen.

War das alles? Kaum zu glauben, aber seit der Erfindung der Glühlampe bis etwa Ende des 20. Jahrhunderts wurden die Normen für Beleuchtung nicht mit denen der Architektur koordiniert. Sie existierten nebeneinanderher, obwohl es praktisch keine Bauten ohne künstliche Beleuchtung gibt. Schlimmer noch, die Normen für die Beleuchtung wurden für Tageslicht und Kunstlicht immer getrennt entwickelt und behandelt. Wenn es denn bei den Normen allein geblieben wäre! Für das Tageslicht waren die Länder zuständig, weil die Bauordnung Ländersache ist, während für die künstliche Beleuchtung die Berufsgenossenschaften und der Bundesminister für Arbeit zuständig waren.

Wer denkt, das sei wohl etwas übertrieben dargestellt, sollte sich die allerneueste „globale“ Beleuchtungsnorm ISO/CIE 8995-1 angucken: Sie empfiehlt 8 verschiedene Eigenschaften für alle Arbeitsplätze. Die neunte Empfehlung kommt zusätzlich dazu, wenn es sich um einen Bildschirmarbeitsplatz handelt (mehr hier). Das gilt selbst für CAD-Arbeitsplätze, die schon in den 1960ern computerisiert waren. Deswegen heißen die so, Computer Aided Design. Es ist eine unglaubliche Leistung, die Entwicklung und die Auswirkungen einer der wichtigsten Technologien der Menschheitsgeschichte zu verschlafen.

Nachdem die deutschen Berufsgenossenschaften 1980 eine Sicherheitsregel erlassen hatten (ZH 1/618 - Sicherheitsregel für Bildschirmarbeitsplätze), unter der Erwartung, dass künftig jeder Arbeitsplatz ein Computerarbeitsplatz sein kann, machte sich die lichttechnische Industrie  daran, die „gute“ Beleuchtung dazu zu normen. Netterweise hat sie das Konzept illustriert:

Der Raum auf der rechten Seite fand keinen Zugang in die Norm, weil ich beanstandete, dass es solche Räume in Deutschland nicht gibt. Aber hier kann man schon erkennen, wie viel Raumfläche das Konzept braucht, um zwei winzige Tische hinzustellen. Zu den Tischen ist zudem zu sagen, dass es auch sie nicht so gab. Die damaligen Arbeitstische waren mindestens drei Mal so groß. Nur die Bedientische von Computern mit Fernschreibern darauf waren so klein. Die galten aber nicht als Büroarbeitstisch.

Den Raum links hingegen kann man massenweise finden. Nur nicht so möbliert. Die Normer wollten, dass alle Bildschirmarbeitsplätze im Rauminnern untergebracht werden. Und vor allem mickrig waren. Nicht, dass dies Sinn macht. Wenn andere Tische dort aufgestellt würden, würde es erkennbar sein, dass das Konzept nicht aufgehen kann. Da in realen Betrieben dieser Unsinn nicht berücksichtigt werden konnte, mussten die gestörten Mitarbeiter halt kreativ werden. Das Ergebnis steht in der Tabelle oben.

Ein mittlerweile verblichener Computerhersteller, Nixdorf, tat mir den Gefallen, die genormte Beleuchtung in einen etwas anderen Raum einzuzeichnen.

Wenn man in dem Bild die störende Information entfernt, sieht man deutlich, welcher Unsinn da gezeichnet steht (rechte Seite). Will man die angebliche Allgemeinbeleuchtung nutzen, muss der Arbeitsraum zu etwa 80% bis 90% leer stehen. Abgesehen von den Kosten: Wer will in einem solchen Raum arbeiten? Vor allem: Welcher Betriebsmensch, z.B. Facility Manager oder Büroorganisator, verinnerlicht das Konzept so, dass er die Kosten begründen kann? Dazu muss man wissen, dass die Büromiete nach dem Gehalt den zweitgrößten Posten ausmacht.

Später kam es viel besser. Diesmal wollte ein Ausschuss für Arbeitssicherheit der DGUV eine Sicherheitsregel für die Beleuchtung (BGR 131 „Natürliche und künstliche Beleuchtung von Arbeitsstätten“) erarbeiten. Da auch dieser sein Konzept bebildern wollte, entstand dieses Gebilde.

Auf der rechten Seite bedeuten die Kreuze, wo man Licht messen muss. Man beachte, wie viele der Messpunkte hinter dem Benutzer liegen. (Mehr zu diesem vorschriftsmäßigen Unsinn hier) Ich habe den Flächenbedarf für dieses Gebilde berechnet. Da man die Maße nicht so genau abgreifen kann, komme ich auf 45 m² bis 80 m². Man vergleiche dies mit der Realität eines Call Centers;

Wenn jemand hofft, dass ein solcher Unsinn möglichst schnell aus der Welt geschafft werden kann, dem wird geholfen. Die BGR 131 wurde tatsächlich abgeschafft. Jetzt steht der Unsinn (fast) komplett in ASR A3.4 Beleuchtung. Dies ist nach dem Vorwort Stand der Technik und mehr „Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) geben den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten wieder.“ So hilft der Bundesarbeitsminister den Betrieben mit der Einrichtung von gesunden und sicheren Arbeitsplätzen.

Es scheint, als würden Fachleute für Beleuchtung bzw. von ihnen beeinflusste Gremien immer wieder Anforderungen formulieren, die in der Praxis kaum umsetzbar sind. Oft entstehen dadurch Vorschriften und Regeln, die an der Realität vorbeigehen und von den Betrieben schlicht ignoriert werden müssen. Diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis führt zu Regelwerken, die niemand wirklich erfüllen kann und die letztlich mehr Verwirrung stiften als Nutzen bringen. Wer dies nicht ganz glauben möchte, kann sich hier weiter amüsieren.

Wenn ernsthafte Fachleute ernsthafte Probleme besprechen, sollten sie sich hüten, ihre Lösung zu bebildern. Sonst lernen die einfachen Menschen, die von alledem keine Ahnung haben, dass die Experten noch weniger wissen als sie selbst.

Was machen die nicht-so-einfachen Menschen? Was sie könnten, wenn sie könnten, hat das Management-Netzwerk Linkedin ermittelt. Wenn sich deutsche Führungskräfte einen Arbeitsplatz nach ihrem Wunsch einrichten könnten …

Ich habe als Kommentar zur Lösung nach BGR 131 bzw. ASR A3.4 mit der sicheren Beleuchtung auch ein Bildchen gezeichnet. Bitte ausdrucken, ausschneiden, umbiegen und mit ins Büro nehmen.

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