Die Wahrheit ist selten rein und nie einfach.
Oscar Wilde
Ob Thomas Edison der größte Erfinder war, weiß ich nicht. Er war aber der größte Dokumentator. In seinem Notizbuch hat er fein säuberlich dokumentiert, wie viele tausend Glühfäden er ausprobieren musste, bis er den geeigneten fand. Heute ist so etwas kein Wunder; die Qualitätssicherung dokumentiert in der gleichen Weise mit allen Nachweisen für das Versagen. Aber Edisons Notizbuch enthielt etwas, was ihn als den Besten auszeichnet. Er schrieb, warum er etwas erfinden wollte. Vor den Experimenten mit seinen 9000 Versuchen mit Glühfäden hatte er ins Büchlein geschrieben: „Ich werde ein Licht erfinden, das so billig ist, dass sich nur Reiche Kerzenlicht leisten. Und es wird nicht blenden.“
Es ist erreicht. Kerzenlicht benutzt man nur noch, wenn man blenden will, so etwa wie der Pastor die Gemeinde oder der Profi-Dater die Angebetete beim Candlelight-Dinner. Über das Blenden durch die alltägliche Beleuchtung im Büro wissen wir vermutlich weniger als vor 100 Jahren, als man glaubte, der Blendung durch Forschen näher gekommen zu sein.
Man teilte das Phänomen in zwei Teile auf. Den einen nannte man die physiologische Blendung, weil man sie an den Augen toter Rinder ermitteln konnte. Da blieb aber was übrig, worauf man keinen Reim machen konnte, weil alle Versuche, diese mit der Wirkung des Lichts zu verknüpfen, kläglich scheiterten. So nannte man sie die „psychologische“ Blendung. Ingenieure nennen alles, was sie nicht deuten können, psychologisch bedingt. So auch die Blendung. Die Angelsachsen nennen sie „discomfort“ glare, was ein Problem für sich ist. Denn es soll das Gegenteil von comfort bedeuten und wird deswegen ins Deutsche als Komfort übersetzt. Ein typischer falscher Freund. Komfort bedeutet Bequemlichkeit, Annehmlichkeit oder Behaglichkeit. Deswegen wird er von deutschen Arbeitgebern ungern benutzt.
Aber auch britische oder amerikanische Kollegen hatten ihre liebe Not damit. Denn die psychologische Blendung haben keine Psychologen untersucht, sondern meist nur Ingenieure, so wie ich auch. Ich hatte die Ehre, die auch heute in erster Linie genannten Forschenden persönlich kennenzulernen. So etwa
- Dr. S.K. Guth Schöpfer der Guth-Formel (VCP Methode Visual Comfort Probability, heute eine Basis der UGR-Methode, die weltweit angewandt wird
- Prof. R.G. Hopkinson Schöpfer der Hopkinson Glare Formula (British Glare Index (BGI), IES Glare Index), eine weitere Basis der UGR-Methode
- Dr. G. Söllner Schöpfer der Söllner-Kurven, die in Deutschland bis zur Einführung der UGR-Methode benutzt wurden
- Professor J.B. de Boer Schöpfer der de Boer-Skala zur Messung der psychologischen Blendung
Hopkinsons Arbeitsstätte (Building Research Station (BRS), später Building Research Establishment (BRE), gegründet 1921) war der Ursprung der modernen Blendungsmetriken. Sie war staatlich finanziert. Alle anderen Herren waren bei der lichttechnischen Industrie angestellt.
Hätte ich auf Guths Rat gehört, hätte ich meine Doktorarbeit über alles Mögliche geschrieben, nur nicht über die psychologische Blendung. Er hatte mir nämlich gesagt: „Du bist noch am Anfang. Lass das lieber sein. Ich habe 25 Jahre meines Lebens damit vergeudet." Ich hatte Rabatt, bei mir dauerte es nur drei Jahre.
In diesen drei Jahren habe ich festgestellt, dass alle, auch die hier aufgezählten Koryphäen, mit dem gleichen Wasser kochten. Bezeichnend für deren Arbeit ist eine Skala wie diese, die von de Boer zurückgeht. Er hatte es andersherum aufgestellt. Aber die Mitte war gleich und hieß BCD-Kriterium, border between comfort and discomfort. Eben dies war der Knackpunkt. Die Forschenden wollten nicht etwa feststellen, wie komfortabel eine Beleuchtung war, sondern nur, wann eine Blendung von „comfort“ zu „discomfort“ wird. Bereits der erste Psychologe, dem ich diese Skala zeigte, riet davon ab, sie zu benutzen. Sie wäre falsch konstruiert nach dem Postulat, dass Blendung etwas Negatives sei. Wer soll dies bestimmt haben? Thomas Edison. Er wollte den negativen Effekt vermeiden. War das alles?
In dem Kapitel Warum sich die Forschung auf der Stelle dreht erkläre ich, warum die Forschung sich im Kreise dreht. Dafür sind folgende Faktoren maßgeblich, die einzeln behandelt werden:
- Konzeptionelle Mängel grundsätzlicher Art;
- Fehlen eines übergeordneten Ziels, weil Vermeiden von Blendung zu wenig bedeutet;
- Vielzahl von Erscheinungen mit demselben Effekt, die unberücksichtigt bleiben;
- Unzureichendes Ziel der Sehleistung, das das Farberkennen ignoriert;
- Gefährden statt nützen, wenn unsinnige Anforderungen gestellt werden;
- Etablieren eines Gütemerkmals, das seinem eigenen Ziel widerspricht.
Symbolisch für alle Erklärungen symbolisch zeige ich den Raum, in der die jüngsten Blendungsbewertungen stattgefunden hatten, und in Vergleich dazu den ältesten. Ob je ein Mensch in der Lage sein wird, in einer solchen Umgebung als Proband so etwas wie „Komfort“ zu ermitteln? Selbst wenn man lauter Probanden finden würde, die das können, bleibt ein entscheidender Faktor übrig, der ausreicht, alle Blendungsuntersuchungen für obsolet zu erklären: Fehlen jeglicher Augenbelastung durch die Arbeit.
Kein Wunder, dass Untersuchungen zur Validität der UGR-Werte ein vernichtendes Urteil ergeben: „Blendungsmodelle wurden nach fehlenden Untersuchungsbedingungen und Inkonsistenzen geprüft. Es wurden Mehrdeutigkeiten gefunden wie die Einbeziehung von kleinen und großen Blendquellen und was überhaupt eine Blendquelle in komplexen Situationen mit mehreren Leuchten ist. … Die Blendungsmodelle wurden umgerechnet, um mit den Vorhersagen von 1949 von Luckiesh und Guth verglichen zu werden. Die Modelle zeigten eine geringe Aussagekraft. Wenn man Blendung in komplexeren Situationen [mehrere Leuchten, d. Autor] bewerten will, müssen die Modelle grundsätzlich neu formuliert werden.“ (Clear, R. D. Discomfort glare: What do we actually know?, Lighting Research and Technology, 2012).
Etwa gleich alt wie diese Aussage ist die Feststellung von Stephan Völker, Professor für Lichttechnik an der TU Berlin (Stephan Völker: Blendung – Ein Rückblick über 100 Jahre Forschung. Licht 2012 Gemeinschaftstagung): „Der vorliegende Beitrag zeigt, dass es möglich scheint, die vorhandenen Blendungsbewertungsmodelle auf ein Modell zurückzuführen. Zurzeit fehlen noch einige Einflussgrößen, welche aber bereits in Kürze vorliegen dürften. Diese müssen anschließend für alle Anwendungsfälle (Innen-, Außen-, Kfz-, Sportstättenbeleuchtung, etc.) validiert werden.“Tröstlich zu hören, dass man nach 100 Jahren hofft, in Kürze einige Einflussgrößen zu finden. Dann wird man, - hoffentlich – die Methode validieren, d.h. den Nachweis führen, dass sie etwas Bedeutsames ermittelt.
Die psychologische Blendung ist eine extrem bedeutsame Eigenschaft der künstlichen Beleuchtung, aber ein schlecht verstandener Begriff. Die in der Praxis eingesetzten Verfahren sind veraltet und nachweislich nicht valide.
Ob man die richtige Methode für die Blendungsbewertung finden wird, um danach sie zu validieren, kann ich nicht positiv beantworten. Um eine eigene Antwort zu finden, empfehle ich das Kapitel Validieren – das leidige Problem durchzuarbeiten. Dieses Problem besteht nicht nur bezüglich der Blendung.
3 Antworten auf „Beim ersten Ziel schon die Zähne ausgebissen“