Die Methode Wissenschaft, mit der man Wissenschaft verhindert – zum Dritten: SHARKing

Die Wahrheit ist selten rein und nie einfach.

Oscar Wilde

Die Meister des HARKing sind aber solche, die sich ebenso in SHARKing auskennen. Das ist das Entfernen einer Hypothese, nachdem man weiß, dass kein positives Ergebnis (also nach p-hacking) herausgekommen ist. Die Hypothese verschwindet ganz leise. Und niemand merkt es, weil niemand ihr nachweint.

SHARKing steht im allgemeinen Sprachgebrauch für aggressives, unfaires Verhalten und stammt aus dem Pool-Billard. Das Wort wird auch bei sexuellen Missbrauchsfällen angewendet. Bei wissenschaftlichen Studien wird die Methode häufig angewendet, um das Bekanntwerden peinlicher Resultate zu vermeiden. Eigentlich gibt es in der Methodenlehre keine peinlichen Resultate. Wenn eine Studie methodisch richtig angelegt und durchgeführt wird, ist das Ergebnis gleichgültig. Peinlich ist nur das Unterdrücken davon, denn von nichts lernt die Wissenschaft besser als von Fehlern. Dass eine Studie verschwindet, kommt einer Fälschung gleich. Leider sind auch Forschende Menschen und wollen nicht ständig erfolglos geforscht haben. Deswegen dürfte SHARKING viel weiter verbreitet sein, als man wahrnehmen will.

In der Lichttechnik soll sogar ein komplettes Projekt so verschwunden sein. Es hieß PLACAR und sollte dazu dienen, Lampen zu entwickeln, die die melanopische Wirkung von Licht unterstützen täten. Das Projekt wurde von den Größten der Branche initiiert, vom Forschungsminister finanziert und ist… unauffindbar! Es sollte einem Dilemma nicht nur der Lichttechnik abhelfen: der (behaupteten) kanzerogenen Wirkung der nächtlichen Beleuchtung.

Wie in der Literatur seit etwa Mitte 1985 belegt, steht Licht in einer nachweisbaren Beziehung zur Entstehung und Fortentwicklung von Krebserkrankungen. Wer mehr wissen will, kann unter dem Suchwort ALAN (artificial light at night) oder LAN (light at night) viele Quellen finden (hier). Frühere Studien haben gezeigt, dass die Häufung von Krebserkrankungen nördlich wie südlich des Äquators ähnlich zunehmen.

Die Beziehung der Krebsentwicklung zur Beleuchtung wurde für die Lichttechnik relevant, als die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, Nachtarbeit im Jahr 2007 als „wahrscheinlich karzinogen“ einstufte. Eine Begründung dafür beruht auf der Wirkung des nächtlichen Lichtes auf die Entwicklung des Melatonin im Blut, die durch die Beleuchtung gehemmt wird. Da der Stoff als Krebszellenfänger gilt, liegt es nahe, dass sein Fehlen im Blut die Entstehung von Krebserkrankungen fördert. Tatsächlich gibt es Studien, die dies belegen (Al-Naggar, R. A., & Anil, S. (2016). Artificial Light at Night and Cancer: Global Study. Asian Pacific Journal of Cancer Prevention: APJCP) (Weiteres wird in dem internationalen Standard ISO/TR 9241-610 - Impact of light and lighting on users of interactive systems ausführlich dargelegt). Eine komplette Dokumentation zur Nachtarbeit bietet die WHO hier an.

In der Lichttechnik war das Entsetzen aus zwei Gründen groß: Zum einen hatte man versucht, mit viel Licht in der Nacht die Leistung von Arbeitern zu erhöhen. Dazu gab es eine großangelegte Studie in einem VW-Werk, nach deren Ergebnissen man die Arbeit in der Nacht mit 2000 lx sicherer machen würde. Zum anderen aber möchte kein Unternehmer Produkte verkaufen, die der Gesundheit schaden. Gerade die Lichttechnik fühlte sich betroffen, weil sie immer behauptete, Beleuchtung diene der Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Und nun das!

Da man weder die Nachtarbeit verbieten kann noch auf die Beleuchtung verzichten, wurde nach einer Lösung gesucht, bei der die Beleuchtung das Sehen fördert, aber keine anderen physiologischen Wirkungen entfaltet, also das Melatonin im Blut nicht beeinflusst.

Die Lösung hieß PLACAR. PLACAR steht für „Plasma LAmpen für CirCAdiane Rhythmen“. Diese Lampen sollten den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus unterstützen. Zu Beginn sah es sehr gut aus für das Vorhaben: „Ein Fernziel der PLACAR-Forscher ist es unter anderem, die Voraussetzungen zu schaffen, um die derzeitigen Lichtquellen zumindest teilweise durch intelligente Lichtquellen bzw. Beleuchtungssysteme zu ersetzen, die in Abhängigkeit von der Tageszeit unterschiedliche Lichtspektren mit unterschiedlichen Intensitäten aussenden. Bereits zur Halbzeit, dem sogenannten 1. Meilenstein, des dreijährigen Projektes konnten nun sehr gute Ergebnisse präsentiert werden.“[https://www.scinexx.de/news/technik/intelligentes-licht-macht-muede/]. Im Buch wird dem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet, weil Planar die letzte Plasmalampe sein wird, die je entwickelt wurde (hier).

Es existiert nach einem Forschungsprojekt mit einer Laufzeit über mehr als drei Jahre ein dürfter Abschlussbericht von 12 Seiten. Darin wird ausgeführt, man habe eine „Morgenlampe“ entwickeln wollen. Diese sollte eine Hochdrucklampe sein, die bläulicheres „Morgenlicht“ produzieren sollte. Die Lampe ändere aber während der Brenndauer ihr Spektrum und müsse noch daher weiterentwickelt werden. Eine Natriumdampfhochdrucklampe, die Nachtlampe, sollte noch weiterentwickelt werden, um einen Farbwiedergabeindex von 80 statt von 20 zu erreichen. Der Bericht endet mit dem Statement: „Erst bei den letzten, zeitaufwendigen Untersuchungen des Langzeitverhaltens wurden eine deutliche Lichtstromabnahme und eine Farbdrift von Blau zu Gelb bei der „Morgenlampe“ verzeichnet. Um dies noch korrigieren zu können und um mehr Sicherheit bei den Aussagen zum Langzeitverhalten der „Abendlampe“ zu erhalten, wurde die Bearbeitungszeit um 5 Monate verlängert.“ In Klartext: Die Lampe alterte zu schnell. Übrigens keine Seltenheit bei Leuchtmitteln, die Natrium enthalten, einem äußerst aggressiven Element.

Typischer Fall von SHARKing. Die Hypothese, man könne eine Lampe entwickeln, die die biologischen Wirkungen von Licht (zu wenig Licht am Morgen = fehlende Aktivierung + zu viel Licht am Abend = Entstehung von Krebs, schlechter Schlaf) mit einem Schlag ins Positive wenden würde, konnte nicht so einfach begraben werden. Also musste sie verschwinden. Der Ehrlichkeit halber muss ich aber erwähnen, dass dieses Projekt nicht das Größte war, das ganz leise verschwunden ist. Es war das Projekt 5th Generation of Computers von Japan.[hier]

Im Übrigen bedeutet für echte Wissenschaftler ein Fehlschlag der hier erläuterten Art überhaupt kein Problem. Denn Forschen heißt lernen. Und gelernt hat man ja.

Am Ende haben sich die Wissenschaftler, denen wir die Erkenntnisse in der Chronobiologie verdanken, relativ unfair aus der Affäre gezogen. Die führenden Forschenden des Fachs zogen eine Bilanz ihrer Studien hinsichtlich der nicht-visuellen Wirkungen des Lichts (Brown T., Brainard G., Cajochen C., Czeisler C., Hanifin J., Lockley S. et al. (2021). Recommendations for Healthy Daytime, Evening, and Night-Time Indoor Light Exposure) und empfahlen, die nächtliche Beleuchtung ab 19 Uhr drastisch zu reduzieren. Künstliche Beleuchtung am Tage soll hingegen etwa um den Faktor 3 bis 5 erhöht werden, ab 23 Uhr soll aber Dunkelheit herrschen.

Zu guter Letzt liegen die Werte, die abends und nachts gelten unter der Wirkung eines normalen Monitors. Denn nicht nur die Beleuchtung verschiebt circadiane Rhythmen, sondern Bildschirme ebenso.

Empfohleme minimale und maximale Beleuchtung in  MEDI <30 Jahre ∼50 Jahre >75 Jahre
Tag (7 Uhr–19 Uhr) 250 300 ≥ 425
Abend (19 Uhr –23 Uhr) ≤ 10 ≤ 12 ≤ 17
Nachts (23 Uhr–7 Uhr) ≤ 1 ≤ 2

(MEDI bedeutet melanopic equivalent daylight illuminance, was übersetzt „melanopisch äquivalente Tageslichtbeleuchtungsstärke“. MEDI bewertet eine biologische Wirkung des Lichts auf den menschlichen Körper. Dabei wird die Produktion von Melatonin beeinflusst und der menschliche Biorhythmus gesteuert. Die Umrechnung stelle ich hier dar. )

(Gesamtheit aller statistischen Kniffe hier zu lesen)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.