Die Methode Wissenschaft, mit der man Wissenschaft verhindert – Ignorieren – Der Architekt

Die Wahrheit ist selten rein und nie einfach.

Oscar Wilde

Der vermutlich wichtigste Ignorant des lichttechnischen Wissens ist der Architekt. Dieser ist etwa seit dem Ende der Eiszeit Gesamtverantwortlicher für den umbauten Raum. Später auch für den öffentlichen Raum wie z.B. Hippodamos von Milet. Er war zwar Staatstheoretiker, wurde aber auch als Architekt und Baumeister bezeichnet. Er ist bekannt dafür, dass er Licht in die Stadt gebracht hat.

In Genesis 2.0 - Schöpfung der elektrischen Sonne beschreibe ich, dass die Geschichte des künstlichen Lichts sich auch etwa in die Eiszeit zurückreicht. Da müsste der Architekt doch gemerkt haben, dass das Licht die Architektur formt. Den Spruch „Licht schafft den Raum“ kann man doch ohne Gewissensbisse unterschreiben.

Doch die Realität ist nicht so. Man kann bereits im Sprachgebrauch einen Unterschied zwischen dem Architekten und dem Techniker feststellen: Der Techniker spricht von Beleuchtung, der Architekt von Belichtung. Wer unterschiedlich über dasselbe spricht, könnte auch Unterschiedliches meinen. Dem ist tatsächlich so. Ein gut belichteter Raum ist auch in der Nacht gut belichtet, auch wenn dunkel, weil sich das Wort auf die Raumeigenschaften insgesamt bezieht. Ein gut beleuchteter Raum ist aber sofort dunkel, wenn man das Licht ausschaltet. Der Architekt ist auch heute derjenige, der für die Belichtung verantwortlich zeichnet. Ob er auch so über die Beleuchtung denkt?

Damit sich Architekten und Lichttechniker gut verständigen können, hatte bereits Albert Speer versucht, diese in eine kooperative Beziehung zu bringen. Denn es war bereits 1935 sonnenklar, dass künftig die künstliche Beleuchtung eine größere Rolle spielen würde. Mit der Kooperation hat es nicht geklappt. Selbst die Normung ging getrennte Wege. Die Tagesbeleuchtung (oder Belichtung?) und die künstliche Beleuchtung werden seit 1935 in getrennten Normen geregelt (DIN 5034 und DIN 5035). Bei der Normung des Tageslichts waren Architekten nicht nur stärker beteiligt, sie hatten über die Gesetzgebung (Bauordnungen) einen entscheidenden Einfluss. Hingegen entwickelten hauptsächlich Techniker die Normen für Kunstlicht, bis zum Ende des Jahrhunderts sogar unkoordiniert miteinander.

Gegen Ende der 1960er Jahre gab es ein versöhnendes Konzept, die Tageslichtergänzungsbeleuchtung. Es (oft abgekürzt als TGE) ist ein Beleuchtungskonzept, bei dem künstliches Licht (Kunstlicht) gezielt eingesetzt wird, um das natürlich einfallende Tageslicht in Innenräumen zu ergänzen und zu optimieren. Das nach dem Konzept benannte Forschungsprojekt wurde von der Lichtindustrie totgeschlagen, weil sie nicht die zweite Geige spielen wollte. Kurz danach kam die Industrie mit DIN 5035 (1972), womit sich die künstliche Beleuchtung als autarke Größe etablieren wollte. Ganz folgenlos blieb das Projekt indes nicht. Die Vorschrift der Verordnung für Arbeitsstätten von 1975, dass alle Arbeitsräume eine Sichtverbindung nach außen haben müssen, und die genaue Beschreibung der Eigenschaften in der ASR 7.1 sind eine direkte Folge davon.

Die getrennten Wege des Lichts in Arbeitsräume, hier über Fenster via Bauordnung, dort künstliches Licht von der Decke via technische Normung, führte 1975 zu der kuriosen Situation, dass für die Arbeitsstätten in Deutschland Tageslicht nicht als Beleuchtung zählte. Dumm nur, dass praktisch alle Arbeitsstätten Bauten sind und den Landesbauordnungen unterliegen. Da die Tageslichtsituation von der jeweiligen Bauordnung geregelt war, verzichtete der Bund darauf, Tageslicht in der Verordnung für Arbeitsstätten zu regeln: “Da eine gleichmäßige und stets gleichbleibende Beleuchtung der Arbeitsplätze, Arbeitsbereiche und Verkehrswege über den gesamten Tag nur durch künstliche Beleuchtung zu erreichen ist, wird in der Arbeitsstättenverordnung die allgemeine Forderung des § 120 a Abs. 2 GewO nach genügendem Licht nur für die Beleuchtung mit künstlichem Licht im einzelnen präzisiert.” (Opfermann, R.; Streit, W.: Arbeitsstätten - Arbeitsstättenverordnung und Arbeitsstätten- Richtlinien mit ausführlicher Kommentierung, Loseblattsammlung, Forkel Verlag, 1999)

Hätte ein Architekt jemals für eine „gleichmäßige und stets gleichbleibende Beleuchtung der Arbeitsplätze, Arbeitsbereiche und Verkehrswege“ plädiert? Ich denke, nein. Hier ist ein Statement, allerdings von einem der besten Architekten von Deutschland, über die Experten der künstlichen Beleuchtung: „Für sie [Licht-Ingenieure, zumeist Elektrotechniker] gab und gibt es überwiegend nur zwei Kriterien: die Ausbeute der Lichtmenge gemessen in Lichtstärke und den Aufwand im Verbrauch gemessen in elektrischer Energie. Wir hatten sehr schnell gelernt, dass die Beschränkung auf diese beiden Parameter für die Gestaltung der Architektur und die Erzeugung von Raumstimmung die kurzsichtigsten, um nicht zu sagen unsinnigsten Messgrößen darstellen.  (Meinhard von Gerkan: „Die Gestaltkraft des Lichts in der Architektur“, in: Flagge, I. (Hrsg.): Jahrbuch Licht und Architektur 2000, Müller, Köln, 2000)

Meinhard von Gerkan war kein Ignorant, sondern einer, der die Kooperation gesucht hatte. Andere, die sich nicht äußerten, stimmen mit den Füßen. Wenn über künstliches Licht diskutiert wird, wird man kaum einen Architekten sehen oder hören. Erst in jüngerer Zeit hört und liest man von „integrierter“ Planung, also einer Planung der Lichtsituation unter Berücksichtigung von Tageslicht und Kunstlicht (mehr hier)

Und die „lichttechnische“ Gesellschaft von Deutschland hat im November 2023 beschlossen, ihren Namen zu ändern. Sie heißt nicht mehr „Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e. V.“, sondern „Deutsche Gesellschaft für LichtTechnik + LichtGestaltung.“  Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, mehr Architekten in den Bereich Licht anzulocken. In anderen Ländern brauchte man diesen Schritt nicht. So hieß und heißt die entsprechende Gesellschaft von Norwegen Lyskultur wie Lichtkultur. In ganz Skandinavien spielt das Licht (oder der Mangel daran) aufgrund der geografischen Lage eine existenzielle Rolle in der Architektur. In diesen Ländern hat sich oft eine Design- und Planungskultur entwickelt, in der Lichtgestaltung als integraler Bestandteil des architektonischen Entwurfs betrachtet wird. In anderen Ländern mit starker Design-Tradition (z. B. Niederlande, Italien) wird Licht oft als "Baumaterial" und zentrales Gestaltungselement verstanden, was den Einfluss von Architekten und Lichtdesignern auf die tatsächliche Anwendung von Konzepten der Beleuchtung – auch jenseits der reinen Normerfüllung – sehr hoch macht. In der Türkei bestimmen eher die Architekten die Beleuchtung.

In Deutschland kann man bestimmte Traditionen nicht einfach abschaffen. So ist zwar die Kunst des Ingenieurs auch älter als unsere Zeitrechnung, aber die Grundsätze der Architektur nach Vitruv, geschrieben 70 v.Chr. für Architektur, mit Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit, Usability) und Venustas (Schönheit), gehen über die Konzepte der Ingenieurskunst hinaus. Venustas wie Schönheit ist nicht messbar. Hingegen will man in der Lichttechnik alles auf das Messbare reduzieren, daher das Statement von von Gerkan. Wer Schönheit messen will, sollte den Rat des Bundeskanzlers Schmidt annehmen und einen Arzt aufsuchen. Allerdings hatten die Autoren der ersten Norm für die künstliche Beleuchtung als (ein) Ziel hierfür tatsächlich Schönheit angegeben.

Ob man mit Messbarem oder dem Gegenteil davon umgeht, lässt sich die Physik nicht verleugnen. So entstehen Gebäude unter Ignorieren bestimmter lichttechnischer Erkenntnisse, unter denen die Arbeitenden mächtig leiden. Beispielsweise weigerten sich z.B. Architekten lange Jahre lang, Außenjalousien einzubauen. Ich lernte Lichttechnik in einem solchen Gebäude, wo wir am Nachmittag bis 33 °C hatten, zuweilen auch im Winter. Der Architekt des Gebäudes war ein Freund des Planers, unseres Professors. Nach dem Bezug des Gebäudes nicht mehr. Deutschen Abgeordneten, deren Arbeitsplätze ich im Langen Eugen eingerichtet habe, ging es noch schlechter. Bei denen kam zu der Sonne noch die Computertechnik, so dass die Temperatur bis 40° ansteigen konnte. Die Angestellten des Bundestages verließen dann die Arbeitsräume, die Politiker und deren politischen Mitarbeiter mühten sich weiter ab. Änderungen an der Fassade wurden lange durch den Urheberschutz des Architekten verhindert. Erst die „beherzte“ Sanierung des Gebäudes (2002–2006) für den UN-Campus wurde behutsam und in Abstimmung mit den Denkmalschutzauflagen durchgeführt, um die Gesamtkonzeption Eiermanns zu erhalten.

Leider kann ich die damalige Lage nicht bebildern, aber das folgende Bild sagt viel darüber aus, was aus dem Ignorieren des lichttechnischen Wissens entstehen kann.

Der Raum gehört einem sehr bekannten Bürohaus, das einst als mustergültig fortschrittlich angesehen wurde, weil das gesamte Gebäude mit einem Doppelboden versehen wurde, um dem kommenden Computerzeitalter zu dienen. Zum Zeitpunkt des Baus herrschte in der Architektur der Glaube, dass Schwarz schick und edel sei. Die gesamte Beleuchtung des Raums ist darauf ausgerichtet, dass Licht nur die Sehobjekte treffen soll. So proklamiert durch Designer. Das Ergebnis dieses Raumdesigns ist aber, dass das Tageslicht bereits an einem trüben Novembertag blendet. Die schwarzen Möbel reflektieren nicht nur den Himmel, sondern insbesondere die Downlights. Wer jemals solche Leuchten gemessen hat, weiß, dass höchstens die Hälfte des darin erzeugten Lichts aus ihnen herauskommt. Solche Objekte werden in der Lichttechnik als „Lichttötungsmaschinen“ bezeichnet. Wer ihre Erscheinung als blendend bezeichnet, meint es nicht nett. Die grauen Stellwände sind übrigens neueren Datums.

Dass man einen solchen Raum nicht bauen sollte, hätte man damals aus zwei lichttechnischen Normen ableiten können. Warum guckt aber ein erfolgreicher Architekt nicht in eine DIN-Norm? Die Antwort fällt so aus, dass man sie schwer glauben kann. Normen von Bauwesen und vom Bereich Licht (NABau, Gründung 1947; FNL, Gründung 1941) wurden bis in die 1990er Jahre hinein nicht abgestimmt, obwohl es bestimmt kein Gebäude ohne künstliches Licht gibt. Es gibt keine finanziellen Anreize für einen Architekten, sich tiefer mit der künstlichen Beleuchtung zu beschäftigen. [Die Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen enthält nur wenige Anreize für den Architekten, sich mit der künstlichen Beleuchtung zu beschäftigen. Dafür dürfen Ingenieure gestalterische Arbeiten nicht abrechnen. Sie auch https://www.gesetze-im-internet.de/hoai_2013/] Um den Bauschein (auch Baufreigabeschein genannt) zu erhalten, muss der Architekt nachweisen, dass das geplante Bauvorhaben alle relevanten öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfüllt (z. B. Bebauungsplan, Baurecht, Statik, Brandschutz). Ob die Normen der Lichttechnik dazu gehört haben?

Leute, die Erkenntnisse aus der Lichttechnik ignorieren, führen oft an, ihre Studien seien alt. Und meinen, sie seien obsolet. Wann hätte aber ein Student der Lichttechnik die Chance, einen solchen Raum in einer Diplomarbeit zu untersuchen? In dem Baujahr des Gebäudes (etwa 1976) garantiert nicht, denn da gab es die 10:3:1 Regel so lange, dass keiner mehr darüber nachdenken würde. Diese Regel besagt, dass der Bereich der Sehaufgabe am hellsten sein soll (10). Die nähere Umgebung soll nicht viel dunkler sein (3). Die fernere Umgebung soll auch aufgehellt sein (1). Manche Leute vermuten, dass die Regel in den 1940er Jahren aufgestellt worden sei. Man kann aber nach tiefergehender Suche bereits in dem Buch von Leffingwell aus dem Jahr 1925 das Wissen entdecken, das eine solche Raumgestaltung verboten hätte.

Die besagte Regel bestimmt damit mehr oder weniger stark die technische Kultur der Beleuchtung. Dass sie falsch sei, kann man nicht nachweisen. Wer sie dennoch ignoriert, schafft Räume wie den oben, in denen sich die Menschen später über die Beleuchtung beschweren.

Die Ignorierung des lichttechnischen Wissens durch den Architekten beruht auf sehr tiefen Wurzeln.

(Gesamtheit aller statistischen und methodischen Kniffe hier zu lesen)

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