Die Wahrheit ist selten rein und nie einfach.
Oscar Wilde
Man liest sehr häufig in allen möglichen Publikationen, auch in wissenschaftlichen, etwas von natürlichen Farben. Gibt es die? Vielleicht!
Wenn es natürliche Farben gibt, muss es die zumindest in der Natur geben. Leider ist die Natur nachts grau bis schwarz, egal, wie die Tiere und Pflanzen aussehen. Erst wenn das Sonnenlicht auf diese fällt, entfalten sie Farben. Aber alles sieht morgens früh ganz anders aus als mittags, bei Regen anders als bei Sonnenschein.
Farben gibt es eigentlich gar nicht, außer im Farbeimer, auf dem z.B. geschrieben steht RAL 7000 (Fehgrau). Das ist die Farbe, die man sieht, wenn ein U-Boot der Bundesmarine tagsüber vor einem auftaucht. Aber abends bei einem Fest auf der Marinebasis wird das Boot garantiert nicht so aussehen wie mittags auf dem Wasser. Wir sehen trotzdem (fast) immer dasselbe Grau.
Schuld sind dafür zwei Standards, von denen nur einer geschrieben steht. Der geschriebene Standard heißt D65, wobei D für Tageslicht steht (Daylight) und 65 ein Kürzel von 6500 wie 6504 K. Das ist die sog. Farbtemperatur. Mit vollem Namen heißt das Objekt Normlichtart D65. Wenn der Farbeimer eine Substanz erhält, die auf einem U-Boot wie RAL 7000 ausschaut, dann wird das U-Boot mit D65 angestrahlt.
Den ungeschriebenen Standard tragen wir oben im Kopf. Dieser nennt sich Konstanzphänomen. Ein roter Apfel erscheint uns auch unter gelblichem Glühlampenlicht oder im Schatten rot. (Eine Kamera macht aber echt zwei unterschiedlich aussehende Äpfel daraus.)
Die physikalisch nicht existierende Farbe eines Gegenstandes entsteht in unserem Gehirn unter dem Licht, das ihn beleuchtet. Also müsste es in der Natur „natürliches“ Licht geben. Dummerweise gibt es dieses auch nicht. Als Bewunderer der Farbe Blau habe ich an vielen Stellen der Erde versucht, blau zu sehen. Jedes Meer hat sein Blau, jeder Ozean auch. Das wussten wohl bereits die Griechen in der Antike, die zwar blau liebten, aber keinen Namen dafür hatten. Anstelle dessen wurden blaue Objekte genannt. Die Wahrnehmung und Benennung von Blau in den Sprachen erfolgten historisch sehr spät im Vergleich zu Farben wie Schwarz, Weiß und Rot. Homer beschrieb das Meer in der Odyssee zum Beispiel als "weinrot". (Blau bekam seit 2001 eine besondere Bedeutung, die man in dem Kapitel Geheimnisse in Blau lesen kann.)
Bevor man Homer Farbenblindheit bescheinigt, sollte man sich fragen, warum das Rote Meer so heißt oder das Schwarze. Beide sind nämlich blau. Ach, ja, die Türken nennen das Mittelmeer Weiss, obwohl dessen Blau viel tiefer ist als das vom Schwarzen Meer. Hoffentlich hört Homer da nicht zu.
Niemand kann absolute Farben sehen. Das Licht mit der Farbe D65 gibt es übrigens in kaum einem Bürogebäude, weil es scheußlich kalt wirkt. Es ist auch nicht Tageslicht, es heißt nur so. D65 ist etwa die Farbtemperatur des Himmels an einem lauen Sommertag über Wien abzüglich der Sonne. Man kann zwar so etwas nie in der Natur erleben, aber Normlichtarten sind halt mathematische Modelle. Da kann man die Sonne aus dem heiteren Himmel extrahieren, ohne rot zu werden.
Es gibt aber andere „Tageslichter“, so z.B. D50. Das benutzen die Fotografen und Drucker. D50 simuliert das Mittagshimmel-Tageslicht und ist der internationale Standard (ISO 3664-2000) für die visuelle Farbabstimmung von Druckvorlagen und Druckerzeugnissen. Dies soll gewährleisten, dass die Farben sowohl am Monitor als auch auf dem gedruckten Material unter standardisierten Bedingungen korrekt erscheinen. So ganz gelingen will es aber nicht.
Ein weiteres „Tageslicht“ D75 wurde früher häufig in den USA als Standard für die Farbabmusterung in Branchen wie Textil, Kunststoff und Papier verwendet. Dieser Standard lebt noch in Nischen.
Die Verkaufsräume können mit diesen grauenhaften Farben nichts anfangen. Deswegen gibt es bei denen TL84 (F11) mit 4100 K als Standard. Das sind allerdings IKEAs oder ähnliche Verkaufsstätten. Wer Lebensmittel verkaufen will, muss tiefer in die Trickkiste greifen, um das nicht mehr so frische Fleisch so natürlich wie frisch von der Schlachtbank scheinen zu lassen. Der deutsche Gesetzgeber wollte dem einen Riegel vorschieben und verbat sich optische Frischmacher (mehr kann man hier lesen: Brühwurst-Index und dessen Entwicklung)
Bei so vielen Interessen fällt es schwer, einen Standard für die Farbwiedergabe der Lichtquellen zu setzen. Der jetzt geltende Standard, auch CRI-Verfahren genannt, bestimmt einen Index Ra, der so komisch gestaltet ist, dass er auch Fachleute in die Irre führt. (s. ISO/TR 9241-610). Wenn ein Licht mit Ra = 100 bezeichnet wird, denken Leute gleich an 100% = alle Farben werden – natürlich – wiedergegeben.
Nichts dergleichen ist wahr. Es werden diese trüben Farbmuster nach Meinung der Prüfer wiedergegeben, von denen niemand weiß, wo sie sitzen. Keine einzige gesättigte Farbe geht in die Prüfung ein. Zu guter Letzt sollen die Originale der gezeigten Farbmuster unauffindbar sein. Wenn Sie also demnächst im Baumarkt eine Lampe kaufen, sollten Sie wissen, was die Angabe CRI bzw. Ra bedeutet bzw. nicht bedeutet.
Noch eine Besonderheit: Ra wird für zwei unterschiedliche Lichtquellen bestimmt, wobei beide mit 100 enden. Die eine Bestimmung erfolgt mit der Glühlampe (Normlichtart A), der man bestimmt keine überragende Farbwiedergabe nachsagen kann. Natürlich wirkt deren Licht nur auf Freunde des Lagerfeuers. Die sind aber offenbar so zahlreich, dass man natürliche Farben nur in dessen Licht erlebt.
Die Skala des Index Ra fängt auch nicht bei 0 an, Ra kann auch negativ werden, so etwa, wenn ein Licht das Erkennen von Farben gelinde gesagt stört. Deswegen ist man seit über 10 Jahren dabei, einen neuen Standard zu schaffen. Da unser neuester Beleuchtungsstandard gerade mal ein Jahr alt ist, wird es mit dem neuen Standard für Farbwiedergabe erst einmal nichts.
Lassen wir die Welt der künstlichen Lichter beiseite. Wie natürlich sind die Farben in einem wunderbar sonnenbelichteten ökologischen Haus mit energie sparenden Fenstern? Da sieht es schön düster aus. Den meisten Architekten ist nicht bekannt, dass die besten Fenstergläser nur die Einscheibengläser sind, die wohl die Urgroßeltern noch kannten. Wer sich ein energetisch optimiertes Haus bauen oder sein altes sanieren lässt, darf sich von Farben nicht viel erhoffen. Verglasungen, die man in unseren Breiten verwendet, schlucken bis zu 70 % (!) des einfallenden Sonnenlichtes und können Ra zwischen 97 und 77 reduzieren. Und sie schlucken alle „gesunden“ Strahlen (Ultraviolett und Infrarot) komplett. Nix mit perfekter Farbwiedergabe bei Tageslicht. Diese gibt es leider nur draußen.
Eine Antwort auf „Natürliche Farben und sonstige Märchen“