Die Methode Wissenschaft, mit der man Wissenschaft verhindert – Ignorieren – Hired Guns

Die Wahrheit ist selten rein und nie einfach.

Oscar Wilde

Im Jargon des Wilden Westens war der hired gun ein Revolverheld, den man mieten konnte. Die schlimmste Art unter denen war der Auftragskiller. So schlimm sind die hier angeführten Herrschaften nicht. Sie haben sich nur vor den Karren nicht honoriger Interessen spannen lassen. Bei einem habe ich sogar den Lohn erfahren: 250.000 $. Bei anderen müsste man spekulieren.

Ich kannte aber auch einen, den man für einen solchen hielt. Er nahm den Auftrag an, führte ihn auftragsgemäß aus. Als dem Auftraggeber das Ergebnis nicht schmeckte, geschah Unglaubliches. Man verbot ihm, über das Projekt zu reden. Es wurde eine Presseerklärung herausgegeben, das Projekt hätte das gewünschte Ergebnis erbracht. Ganz hinterhältig war die Veröffentlichung des Forschungsberichts mit seinem Inhalt, aber einem Executive Summary mit der Meinung des Auftraggebers. Man wusste, dass die meisten es dabei belassen, die Zusammenfassung zu lesen.

Die beiden ausgesuchten Fälle weisen mehrere Gemeinsamkeiten auf. Die Auftraggeber kamen aus der Computerindustrie. Die hired guns waren Professoren der Lichttechnik. Es ging um eine Regel, die beide in ihren Publikationen mehrfach hochgehalten hatten. Deswegen konnten sie nicht versuchen, sie zu falsifizieren. Ergo wählten sie den scheinbar sicheren Weg, die Regel für irrelevant zu erklären.

Dieses betraf den dunklen Bildschirm im hellen Raum. Den Computerherstellern ging es darum, aufzeigen zu lassen, dass dieser kein Problem für die Augen darstellt. Aber bereits die Vorfahren der damaligen Lichttechniker hatten festgestellt, dass zu große Helligkeitsunterschiede zwischen Teilen des Gesichtsfeldes Blendung bedeuten. Was ist aber zu groß?

Nach den Studien des Lehrers des einen Professors, des Herrn Bodmann, wäre ein Verhältnis von 1 : 10 gleichbedeutend mit einer Erscheinung von Schwarz für den dunkleren Teil. Dieses kann man aus der Dynamik des Auges ableiten. Dieses Organ kann sich zwar auf Leuchtdichten in einem Umfang von 10 hoch 11 anpassen. In Worten: Der Unterschied zwischen der untersten Leuchtdichte und der obersten, an die sich das Auge anpassen kann, liegt bei einem Faktor von 100 Milliarden. Wenn es dies häufig tun muss, reagiert es mit diversen Erscheinungen wie Augenbrennen, Tränenfluss oder gar mit Kopfschmerzen. Daher wurde die relative Gleichmäßigkeit der Helligkeiten zu einem wichtigen Gütemass einer Beleuchtung erklärt. Wenn der Bereich der Sehaufgabe eine Leuchtdichte von 10 hat, soll deren Umgebung bei mehr als 3 liegen. Ergo, ein Verhältnis von maximal 3:1 wäre nicht zu unterschiedlich in diesem Sinne.

Genau auf dieser Vorstellung basierte z.B. das Konzept der Allgemeinbeleuchtung, das seit den 1920ern empfohlen wurde und spätestens 1972 schriftlich in DIN 5035 festgelegt. Auch aus diesem Grunde erklärte man die Schreibtischleuchten für unzulässig. Von den moderneren Arbeitsplätzen mit Bildschirmen wurden diese in einer Sicherheitsregel der Berufsgenossenschaften 1980 sogar verbannt: „Einzelplatzbeleuchtung (Verwendung von Tischleuchten) an Bildschirm-Arbeitsplätzen ist im allgemeinen zu vermeiden.“ (aus ZH1/618 Sicherheitsregeln für Bildschirmarbeitsplätze, 1980)

Bei der besagten Regel geht es leicht erkennbar um das Konzept der Beleuchtung gemeinhin. Dieses besagt, dass ein hohes Leuchtdichteniveau für eine bessere Sehleistung sorge. In Abrede gestellt hat dies noch niemand. Würde das Auge aber gleichzeitig zwei Niveaus ausgesetzt werden, zwischen denen es wechseln muss, leide die Sehleistung. Auch dieses stellt niemand in Frage. Dennoch wäre es möglich, dass das Konzept insgesamt falsch wäre. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich eine Wissenschaft irrt.

Ob sich die Berufsgenossenschaft auch vertan hat? Folgendes Video zeigt das Gegenteil. Hier wurde ein Auge in einem hellen Raum gefilmt, in dem es zwischen einem dunklen Bildschirm und einem helleren Blatt Papier wechselt. Den Leuchtdichteunterschied habe ich auf 1 : 3 gestellt, also noch annehmbar gering.

Wie man klar erkennt, reagiert die Pupille heftig bereits auf akzeptierte Unterschiede. Die Pupille ist der primäre Schutz des Auges gegen Helligkeitsschwankungen und reagiert am schnellsten. Danach folgt mit etwas Verspätung die neuronale Adaptation, die Veränderung der Empfindlichkeit der Netzhaut. Ganz am Ende folgt die photochemische Reaktion. Das ist die Regeneration bzw. Ausbleichung der Sehfarbstoffe (Rhodopsin in den Stäbchen und Iodopsin in den Zapfen).

Im normalen Leben macht dies nichts aus, für das Auge ist es sogar angenehm, Unterschiede in der Umgebung wahrzunehmen. Nur nicht, wenn dies erzwungen mit einem Takt bis zu 0,8 Sekunden passiert und bis 33.000 Mal am Tag. Dieses haben meine Mitarbeiter aus 40 Stunden Filmmaterial ausgearbeitet, in dem der Wechsel des Blicks und der Leuchtdichte am Arbeitsplatz gemessen wurde. Als Konsequenz zog die Berufsgenossenschaft den Schluss, dass unsere Empfehlung, dass die Bildschirme etwa so hell sein müssten wie die Arbeitsumgebung, befolgt werden müsse: Die Lösung hieß: Positivdarstellung, also helle Bildschirme mit dunkler Schrift. Heutige Menschen kennen praktisch nur noch solche.

Begründet wird die Vorschrift mit diversen Vorteilen der Positivdarstellung:

  • weniger Störungen durch Reflexionen
  • Angleichung der Leuchtdichten der Informationsträger und des Bildschirms
  • weniger Belastung durch den ständigen Wechsel der Helligkeiten (weniger Adaptation)
  • bessere Lesbarkeit der Zeichen durch die höhere Leuchtdichte des Untergrundes

Wie sah die Realität aus? Die Bildschirme hatten etwa 1/20 der Umgebungsleuchtdichte und waren dann laut Bodmann schwarz. Da die Designer auch die Gehäuse farblich ähnlich machen wollten, waren diese ebenso dunkel, die Tastatur eingeschlossen. Deswegen glänzten diese besonders schlimm. Auch auf schwarzen Bildschirmen sieht man die Umgebung wunderbar gespiegelt. Also eine Lose-lose-Situation. Insbesondere die schwarzen Tastaturen führten zu starken Augenbeschwerden. Die Lösung dafür musste nicht erst gefunden werden, sie gab es in alten Werken der  Lichttechnik.

Das Computerunternehmen mit den dunkelsten Bildschirmen beauftragte Prof. X mit einer „Lösung“. Da dieser aber an der 3 :1-Regel hing, musste die Lösung etwas anders lauten. Er ließ die Arbeitsleistung bei einem Test (d2-Test von Brickenkamp) untersuchen und stellte fest, erst bei einem Leuchtdichteunterschied von 100: 1 leide die Leistung. Welche? Danach fragte aber keiner.

Das ist so verwunderlich nicht, denn der Test ist validiert und ist robust gegen Umgebungseinflüsse. Gemessen wurde die Leistung im Test. Aber der Ersteller des Tests hatte dafür gesorgt, dass diese nur von persönlichen Merkmalen des Probanden abhängt.  Der sogenannte d2-Test ist ein standardisierter, neuropsychologischer Leistungstest zur Erfassung der Aufmerksamkeit und Konzentration unter Zeitdruck. Der d2-Test wurde ursprünglich entwickelt zur Eignungsauslese von Kraftfahrern. Somit war es unwahrscheinlich, dass der Test etwas anderes erbringen konnte als das gewünschte Ergebnis, nämlich dass der Bildschirm des Auftraggebers nicht zu dunkel sei. Allerdings wird man bei allen Lesetests stets dasselbe feststellen, weil Menschen in Versuchssituationen gleich gut lesen, wenn die Schrift nicht gerade auf Unleserlichkeit getrimmt ist.

Prof. Y hatte einen Auftraggeber, dem die vorgeschriebenen Farben für Gehäuse und Tastaturen Sorgen machten. Er musste für Deutschland graue Gehäuse anbieten (computerschmuddelgrau), während seine Designer schwarz liebten. Ein logistisches Problem eigentlich, man musste das gleiche Modell in zwei Farben vorhalten.  Das kostet! So kam der Auftrag zustande. Prof. Y hatte die besagte Regel auch in diversen Publikationen besungen. So zog er vor, den Einfluss der Gehäusefarbe des Bildschirms auf die Sehschärfe der Probanden zu studieren.

Die Sehschärfe ist ebenso robust gegen Umgebungseinflüsse. Dass der Test keinen Unterschied zwischen unterschiedlichen Gehäusefarben feststellen würde, hätte man gleich sagen können. Denn der Test von Prof. Y zeitigte auch keinen Unterschied beim Lesen von 6p-Schriften und 12p-Schriften, die so aussehen wie hier

Hier sind die Originaltexte der Studie von Prof. Y, dessen Test keinen Unterschied zwischen den abgebildeten drei Schriftblöcken feststellen konnte.

Wenn Probanden keinen Verlust an Lesevermögen bei solchen großen Unterschieden des Sehguts erleiden, was vermögen Gehäusefarben wohl ausmachen, die der Benutzer nur begrenzt sieht? Damit stand das Urteil von Prof. Y fest: „Die Leuchtdichte von Gehäusen von Computern spielt keine Rolle."

Lustigerweise musste man dem Herrn nicht einmal widersprechen. Denn er hatte drei Gehäusefarben untersucht, die nach den Regeln der Berufsgenossenschaft zulässig wären. Ihm ist das nicht aufgefallen, den Auftraggebern auch nicht (das Ganze ist hier zu lesen). So lautete das Fazit eines Forschungsprojektes, das sich mit diesem Urteil von Prof. Y beschäftigte: „Der Forschungsbericht bestätigt im Wesentlichen die Vorgaben der Normen, wie sie bereits im Jahre 1981 festgelegt worden waren.“

Das sind zwei Beispiele dafür, dass und wie vernünftiges lichttechnisches Wissen und dessen Anwendung ignoriert werden. Die Folgen können mehr Augenbelastung oder Unannehmlichkeit sein. Es bleibt aber zuweilen nicht bei solchen Auswirkungen.

In einem besonders eklatanten Fall wollte der Auftraggeber eine Absolution für eine Massnahme haben, die die Sicherheit der Republik gefährden könnte. Es ging um die Beleuchtung der Warten von Kernkraftwerken. Man fragte einen Professor für Lichttechnik, ob man im Falle einer Havarie die Beleuchtung auf ein Drittel reduzieren dürfe, weil man die Leistung der Notstromdiesel für andere Zwecke bräuchte. So kam diese Ausnahme in eine KTA-Regel (KTA 3904) .Das ist ein sicherheitstechnischer Standard des Kerntechnischen Ausschusses.  Die wichtigsten Regeln zur Ergonomie in der Warte (Kontrollraum) in kerntechnischen Anlagen finden sich in der KTA-Regel KTA 3904 des Kerntechnischen Ausschusses.

Diese Regel trägt den Titel "Warte, Notsteuerstelle und örtliche Leitstände in Kernkraftwerken" und befasst sich umfassend mit der Gestaltung dieser Bereiche unter Berücksichtigung ergonomischer Aspekte, darunter auch die Beleuchtung. Da solche Regeln sehr relevant sind, wurden in deren Entwürfen Aussagen von Einzelpersonen festgehalten, weil sie in diesem Stadium nicht vom gesamten Ausschuss verantwortet werden.Dumm nur, dass die Sache bei einer Havarie erfolgen sollte. In dieser Situation geht es darum, Schadenabwehrmaßnahmen zu planen. Dazu holt man stapelweise Schaltpläne mit zum Teil winzigen Details und muss diese in der schlimmsten Krisensituation auswerten, die man sich vorstellen kann. Ein drohender GAU in 20 Minuten. Wie unbedenklich ist die Reduzierung des Lichts auf ein Drittel? Der Experte wusste in anderen Situationen wohl davon zu berichten, dass die Sehleistung von der Beleuchtungsstärke abhängig sei. So hat er bei seiner Abschiedsvorlesung vor geladenen Gästen versucht, den Unterschied zwischen 500 lx und 250 lx für die Sehleistung zu demonstrieren. Derselbe Mann hatte aber für einen Standard für nukleare Sicherheit begründet, dass die Absenkung auf 150 lx in der Schaltwarte nichts ausmache.

Die wahre Situation in einem AKW war sogar schlimmer, als die Regel erlaubte. Die Planer haben nicht die Beleuchtung insgesamt auf ein Drittel herabgesetzt, sondern jeweils ein Drittel der Beleuchtung einer Phase gehängt. D.h., bei einer Havarie wären zwei Drittel der Warte ohne Beleuchtung gewesen.

Als wir diese Situation feststellten, war das Werk schon 17 Jahre in Betrieb, wobei Notübungen alle 3 Monate stattfanden. Dazu werden alle Notstromdiesel angeworfen und die Notfallsituation durchgespielt. Offenbar ohne Zeugen. Irgendwem müsste doch aufgefallen sein, dass zwei Drittel der Warte ohne Beleuchtung waren.

Im einem anderen Fall toppte die Situation der Technik alles Dagewesene. Bei dem Kernkraftwerk Krümmel kam es im Jahr 2007 zu einem bedeutenden Störfall, als nach einem Kurzschluss im externen Netz zwei von vier Notstromdieseln aufgrund mechanischer Probleme nicht richtig funktionierten. Es gab keine Kupplung zwischen der Turbine und dem Generator. Auch das war lange Jahre niemandem aufgefallen. Notstromdiesel sind keine Fahrraddynamos für Leute, die nur bei Tage  fahren. Sie werden für Leistungen für 3 bis 8 MW gebaut und alle 3 Monate geprüft. Offenbar nicht gründlich genug …. In Krümmel ist den Leuten nicht mal ein Licht aufgegangen, als kein Licht angegangen war.

Es mutet sich bizarr an, dass das Ignorieren von harmlos scheinenden Regeln der Lichttechnik, die Studenten im ersten Semester lernen, derartige Folgen nach sich ziehen kann. Die beschriebenen Fälle sind dabei nur wenige aus einer großen Zahl, die mir bekannt sind.

Was kümmert uns die Beleuchtung, wenn man nur den Schalter umdrehen muss, und gleich kommt Licht!

(Gesamtheit aller statistischen und methodischen Kniffe hier zu lesen)

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