Genesis 2.0 – Schöpfung der elektrischen Sonne

Keine Technologie hat das Leben auf dem Planeten tiefgreifender beeinflusst und den Übergang von der Agrar- zur Informationsgesellschaft gemeistert als die Kunst des Lichtmachens. Künstliches Licht war der Schrittmacher der gesellschaftlichen Entwicklung von der Industriellen Revolution bis heute. Als der Hauptautor der Industriegeschichte, hat es aber auch Sozialgeschichte geschrieben, indem es die Gesellschaft geschaffen hat, die nie schläft. Es ist somit der Schöpfer der 24/7 Gesellschaft. Selbst die disruptivste Technologie des Smartphones wäre ohne elektrisches Licht nicht entstanden, sein Display bliebe dunkel und ohne Inhalt, weil auch die Glasfasernetze mit Licht arbeiten, die die Information transportieren.

Das Buch Genesis 2.0 beleuchtet die sozialen Verflechtungen und Wirkungen der einstigen Göttergabe in dem Jahrhundert seit der Veröffentlichung der Kurve der menschlichen Lichtwahrnehmung, der eine Verwissenschaftlichung der Lichtforschung folgte. Dabei wurde allerdings nicht nur mit wissenschaftlichen Methoden vorgegangen. Man nutzte geschickt die Vorarbeit von Städteplanern und Sozialreformern aus, die die Finsternis der Großstädte vertreiben wollten, die sich seit der Industriellen Revolution über sie ausgebreitet hatte. Deren Ziel, die Sonne wieder zurück in die Häuserschluchten von Manhattan oder in die Mietskasernen von Berlin zu holen, und den Rauch und Ruß aus den Städten zu vertreiben, nutzten die Protagonisten des künstlichen Lichts, um die Sonne elektrisch nachzubauen. (hier) Verdanken wir den Sozialreformern die Gartenstädte um die Welt, große lichte Flächen in unseren Städten nach dem Vorbild der antiken Städte, sollte die elektrische Sonne nicht nur dem natürlichen Vorbild ebenbürtig sein, sondern diese in der Qualität weit übertreffen. Und ständig auf Knopfdruck verfügbar sein. Statt der Wolkenkratzer oder Gartenstädte, sahen viele die Zukunft in unterirdischen Siedlungen, künstlich beleuchtet und belüftet. Dazu gehörten auch Architekten. Die Befreiung vom Gang der Sonne wurde zelebriert.

Genesis 2.0 dokumentiert die vier Epochen des Lichtmachens, die älter sind als die geschriebene Geschichte (hier). Die letzten 100 Jahre davon wurden Zeuge einer unglaublichen technischen Entwicklung. Dieser stehen aber häufig keine neuen Konzepte gegenüber. So versprach die Lichttechnik in den 1920ern, Licht mit Gesundheit zu verbinden, was sie auch in den 2020ern tut (hier). Der Unterschied besteht nur in den Hormonen, die beeinflusst werden sollen. War es um 1920 Vitamin D, um Rachitis und TBC vorzubeugen, ist es heute Melatonin. Es soll die unsere Lebensrhythmen wieder in Gang setzen, die der ewige milde Sommertag hat ermüden lassen, die Klimaanlagen und künstliche Beleuchtungen geschaffen haben. Es lässt sich demonstrieren, dass heutige Lichtkonzepte schwer an dem Nachlass der 1920er Jahre zu tragen haben. Dem Nutzer wird Gesundheit versprochen, dem Arbeitgeber mehr Leistung durch mehr Licht. Nachweis?

Einer imponierenden technischen Entwicklung vom Feuer bis LED steht eine mäßige Bilanz gegenüber, was das Lichtdesign und die Interessen der arbeitenden Bevölkerung angeht. Zudem füllte Licht, nur für den Menschen definiert, die Natur bis in die letzten Ecken. Es wurde somit zu einer Gefahr für Pflanze und Tier. Edison, der Zauberer vom Menlo Park, hat sein Ziel geschafft, eine Lampe zu erfinden, so dass nur noch Reiche sich eine Kerze leisten wollen. Sein weiteres Ziel, dass das Licht nicht blenden soll, harrt noch seiner Realisierung. Noch nie haben Autos so geblendet wie heute. Und um die flimmerfreie Beleuchtung wird in höchsten politischen Kreisen in Brüssel gerungen. Mediziner empfehlen künstliches Licht nur zur Tageszeit – ein Paradoxon ohnegleichen. Soll die elektrische Sonne nur dann leuchten, wenn  die natürliche es auch tut?

Die Nacht, laut Genesis Teil des Tages, scheint verloren und muss wiedergewonnen werden. Es reichten wenige Erfinder, den Geist aus der Flasche zu befreien. Ihn wieder zurückzuführen, müssen wir ohne die Hilfe der Götter und Zauberer schaffen.

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