Der heutige Tagesspiegel hat einen langen Artikel zu dem Thema veröffentlicht: “Digitale Medien nicht das Hauptproblem : Immer mehr Kinder sind kurzsichtig”
Die wichtigste Quintessenz steht wohl in der erste Zeile: “Weltweit wird bei Kindern immer häufiger Kurzsichtigkeit diagnostiziert, warnen Augenärzte. Der wirksamste Schutz ist einfach und kostet nichts.” Der heißt Tageslicht.
Eigentlich kostet dieses was, wenn man es in Säcke oder Tuben packt, um es in Innenräume zu bringen. Aber fast immer ist es kostenlos, das Tageslicht. Dazu schreibt der Artikel: Auch eine aktuelle Untersuchung der unabhängigen Cochrane-Initiative, in der fünf Studien an etwas mehr 10.000 Kindern ausgewertet wurden, legt nahe, dass mehr Tageslicht einer Kurzsichtigkeit vorbeugt.
https://www.cochrane.de/news/hilft-mehr-zeit-im-freien-um-kurzsichtigkeit-bei-kindern-zu-verhindern
Die Untersuchung der Cochrane-Initiative stammt aus 27. Juni 2024 und ist eine Meta-Studie, im Original als Review bezeichnet. Die Forschenden durchsuchten mehrere Datenbanken nach randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die Kinder unter 18 Jahren mit oder ohne anfänglicher Kurzsichtigkeit untersuchten. Sie identifizierten fünf Studien mit 10.733 Kindern, die alle in Asien durchgeführt wurden. Vier der Studien untersuchten schulbasierte Interventionen. Diese umfassten regelmäßige Unterrichtsstunden und Pausen im Freien, aber auch limitierte Bildschirmzeit und Anreize nach Draußen zu gehen.
Mehr zu der Studie hier . Die vollständige Arbeit (leider nur in Englisch) findet sich hier. Bereits der Titel verrät, was Ärzte empfehlen “Interventions to increase time spent outdoors for preventing incidence and progression of myopia in children” (Maßnahmen zur Verlängerung der Zeit im Freien zur Vorbeugung des Auftretens und Fortschreitens von Kurzsichtigkeit bei Kindern).
Dazu sollte man das Statement des Autorin im Kasten lesen: “Je früher die Kurzsichtigkeit beginnt, desto mehr Zeit hat sie, sich zu verschlimmern.” Die nötige Brille ist nicht das Hauptproblem an der massenhaften Fehlsichtigkeit. Bedenklich sind vor allem die damit verbundenen Risiken für die Augen. Kurzsichtige erleiden eher eine Netzhautablösung oder einen grauen Star. Sie können im schlimmsten Fall erblinden.
Aber bevor sie erblinden stehen ihnen keine guten Zeiten bevor. Denn das Auge des Menschen ist kein Nahsinn, sondern entwickelt sich beim Altern langsam aber sicher zu einem Fernsinn, der Mensch in der Natur wird im Alter weitsichtiger. Unter meinen vielen tausend Probanden, deren Sehkraft ich gemessen habe, gab es nur eine Stichprobe, die zu etwa 50% kurzsichtig war. Sie bestand aus jungen Studenten. Hingegen sind heute Mitarbeiter am Bildschirm mit über 50 Jahren bis zu 70% weitsichtig. Das bedeutet schlicht und einfach, dass eine Selektion unter Arbeitnehmern stattfindet, die die Kurzsichtigen benachteiligt.
Die Entwicklung der Kurzsichtigkeit bei Kindern und Heranwachsenden unter dem Einfluss des Lichts ist nicht klar. Draußen ist es wesentlich heller als in jedem Innenraum. Je mehr Licht auf die Netzhaut trifft, desto mehr Dopamin schütten die Neuronen aus. Man vermutet, dass der Botenstoff das Längenwachstum des Auges steuert.
Was unumstritten ist, ist die Wirkung des Nahsehens auf das junge Auge. Studien zeigen, dass der ununterbrochene und pausenlose Fokus auf sehr nahe Objekte wie das Smartphone eine Kurzsichtigkeit befördert. Hat sich diese einmal ausgebildet, gibt es keine Heilung.
Hier zeigt sich noch einmal, wie verhängnisvoll das Irrtum gewesen ist, man könne den Tag im Innenraum abbilden und sogar die UV-Strahlung erzeugen. Somit fehlte nur noch eine Klimatisierung, um sich von der Natur zu verabschieden. Unter diesem Licht gesehen lesen sich insbesondere die Kapitel “Geburtsjahre der elektrischen Sonne” und “Die Dämmerung” völlig anders. Die Irrungen und Wirrungen der 1920er waren in den 1960ern nicht überwunden. Es war noch viel schlimmer geworden. Architekten forderten Schulen ohne Tageslicht, gar in Bunkern (s. Kap. Licht 3.0 Licht aus Plasma, C.T. Larsons Bericht The effect of windowless classrooms on elementary school children, University of Michigan, Ann Arbor: University of Michigan, Architectural Research Laboratory, 1965). Und ein Kongress der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin zum Thema “Der fensterlose Arbeitsraum” postulierte im Jahr 1965: „Menschen in fensterlosen Fabrikationsräumen haben - sofern diese in arbeitshygienischer Sicht optimal gestaltet sind - keine gesundheitsschädigenden Einflüsse zu befürchten.“
Das Votum der Arbeitsmedizin erfreute insbesondere die Lichttechniker derart, dass sie dem Thema gleich eine Sondertagung widmeten (Auge-Licht-Arbeit, Karlsruhe, 1971). Dort ging der spätere Vorsitzende des Normenausschusses Beleuchtung, H.-J. Hentschel, sogar noch weiter: „Hohe Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, können nicht befriedigt werden.“
Als ich das Buch Genesis 2.0 Schöpfung der elektrischen Sonne schrieb, wollte ich eigentlich eine historische Betrachtung zu Papier bringen. Dass der Inhalt im Jahre 2025 tagesaktuell sein würde, hätte ich selbst nicht denken können.