Standards, die niemand setzen wollte

Das Aussortieren des Unwesentlichen ist der
Kern aller Lebensweisheit.

Laozi

Viele Leute hadern mit Normen und Standards, weil sie sich dadurch eingeengt fühlen. Das hatten Zeitungen übrigens am 22. Dezember 1917 befürchtet. An diesem Tag wurde DIN gegründet, damals noch Normenausschuß der deutschen Industrie genannt. Es wurde gesagt, Normung würde die Kreativität töten. Wenn das stimmt, ist die Kreativität längst mausetot, denn wir haben mittlerweile 35,000 Normen allein von DIN.

Während jeder einzelne Mensch auf dem Planeten das Recht hat, gegen DIN-Normen vorzugehen oder ggf. eine zu beantragen, ertragen wir „Standards“ geduldig, die nie geplant waren. Sie sind aber nicht einfach so da, also So-Da-Standards, sie haben eine Historie. Zwei davon haben es mir angetan, weil Millionen darunter leiden, ohne dass dagegen vorgegangen wird. Gegen diese habe ich Lösungen gefunden, die auch praktisch funktionieren. Dumm nur, dass sie nicht so verbreitet sind, wie ich es mir wünsche.

Mein erster Liebling hat nicht viel mit Licht zu tun. Er ist zwischen 1868 und 1984 entstanden. Die Rede ist von der Tastatur der Computer, die am 23. Juni 1868 als QWERTY-keyboard von Christopher Latham Sholes patentiert wurde. Die seltsame Verteilung der Buchstaben war dem Bemühen geschuldet, die Typenhebel der Maschine davon abzuhalten, einen Typenhebel-Salat zu produzieren. Erfolgreich nur für die englische Sprache. 

Die Idee wurde trotzdem weltweit mit kleinen Änderungen akzeptiert. Sie wurde erst mit dem Patent von IBM überflüssig, das für die IBM-Selectric erteilt wurde. Diese wurde am 21. Juli 1959 unter der US-Patentschrift Nr. 2.895.584 patentiert. Die Maschine hatte keine Typen mehr, sondern nur noch einen Kugelkopf. Eine Änderung des Tastaturlayouts indes unterblieb.

Es folgten Maschinen mit Tastaturen, die nichts mehr druckten. Sie waren Bildschirmterminals. Sholes‘ Tastatur war immer noch dabei. Sie wurde nur nach rechts verlängert, weil man neue Tasten brauchte. So kamen als erste Cursor-Tasten dazu. Weiter rechts davon wurde die Tastatur des Kalkulators angebaut. Die Terminals konnten auch rechnen. 

Fast präzise 100 Jahre nach Sholes‘ Maschine wurde die Maus von Douglas C. Engelbart am 9. Dezember 1968 erfunden: Engelbart stellte seine Erfindung im Rahmen einer Live-Präsentation in San Francisco der Öffentlichkeit vor, die später als "Mutter aller Demos" bekannt wurde. Sie blieb bis zum 24. Januar 1984 den Eingeweihten vorbehalten. An diesem Tag wurde der Apple Macintosh der Welt präsentiert. Seitdem gibt es praktisch keinen modernen Computer ohne Maus.

Am 6. April 1992 war es endlich so weit. An diesem Tag wurde Windows 3.1 vorgestellt, der einen Triumphzug auf den Bürotischen einleitete. Seitdem ist diese Anordnung „Standard“ weltweit.

Sie belastet alle Benutzer mehr oder weniger stark. Manche merken nichts, andere fühlen sich an der rechten Schulter unwohl. Viele können die Maus nicht mehr vernünftig halten und müssen daher sie links bedienen. Im schlimmsten Fall hilft nur eine Operation, RSI heißt die Malaise. Ein Standard, der krank macht. Niemand hat dies je beabsichtigt. Er war 1992 So-Da!

Meinen zweiten Liebling erleben Millionen Menschen im Büro täglich, er hat so viele Vorteile, dass er vermutlich mit 60% aller Büroarbeitsplätze ausmacht. Dumm nur, dass er hinderlich für die Beleuchtung ist. Wer darunter leidet, ahnt häufig nichts über die Ursache. Er macht einfach das Licht aus.

Anders als bei Maus und Tastatur lassen sich die Ereignisse, die zu dem Umstand geführt haben, nicht genau lokalisieren und datieren. Gemeint ist die Entstehung des rechteckigen Zellenbüros für zwei Personen. Sie lässt sich auch für weitere Gruppen mehrfach aneinanderreihen. Nennt sich Modulsystem. Seit Jahrzehnten werden die Bürogebäude nach einem festen Achsmaß gebaut. Es ist der kleinste Teiler der Fassade. Meist 1,25 m. Beträgt er 1,20 m, nennt man ihn Beamtenachse, weil er dem einfachen Beamten seine ihm zustehende Bürofläche beschert, 12 qm. Der übliche Angestellte bekommt eine Achse mit zwei Leuchten über seinem Kopf. Sollen drei statt zwei in einem Raum sitzen, kommt noch eine Scheibe dazu, + 6 qm.

Der Grundriss in diesem Bild ergibt sich vermutlich aus DIN 277 gemeinsam mit dem Bemühen, Grundstücke mit möglichst viel Büronutzfläche zu bebauen. Die Norm gibt es seit dem Jahr 1934 (sic!). Wie der Name sagt, „Grundflächen und Rauminhalte von Hochbauten“, beschreibt sie wichtige Daten der Gebäude.

Dass daraus rechteckige Räume entstanden sind, muss nicht der Norm angelastet werden. Diese Räume sind auch noch flach. Waren einst Büroräume bis 6 m oder gar darüber hoch, müssen diese in Deutschland mindestens 2,50 m hoch sein. Mit Ausnahme von Bayern, wo 2,40 m reichen sollen. Das gibt eine schlechtere Luft und auch eine schlechtere Lichtverteilung. Wenn einer gar im Stehen arbeitet, hängt die Beleuchtung kurz über seinem Kopf.

Beides, die Höhen von 6 m oder 2,50 m sind durch Licht bedingt. Frühe Bürohäuser waren auf Tageslicht angewiesen, während man später glaubte, mit künstlichem Licht dieses ersetzen zu können, daher die Höhe von 2,50 m. Wäre es nach dem Franzosen Le Corbusier gegangen, würden 2,20 m reichen. Der große Baumeister war bis zu seinem Tode dem deutschen Beamten gram, der ihn daran gehindert hat.

Übrigens, es war auch der deutsche Beamte, der die Architekten daran gehindert hat, das besagte Rechteck ohne Fenster zu bauen. Die Arbeitsstättenverordnung von 1975 schrieb senkrechte Fenster in Augenhöhe vor. Die Arbeitsmedizin hatte aber „nachgewiesen“, dass der Arbeitnehmer kein Tageslicht bräuchte, um gesund zu arbeiten. Der deutsche Beamte pfiff auf die Arbeitsmedizin -  und das war gut so.

Was brauchte man oder frau denn für ein Licht? Die „finale“ Antwort hieß: 500 lx. Wie man dazu gekommen sein will, kann man hier lesen: Basis der Festlegung von  Beleuchtungsstärkewerten in Beleuchtungsnormen. Praktischerweise bedeutete das, dass man nach unten offene Leuchten einsetzte, die eine gemeine Eigenschaft haben: Sie blenden durch ihre Reflexe auf dem Tisch und allem, was darauf steht. Zwar wurden dazu Raster zur Entblendung eingesetzt. Die helfen aber nicht gegen Reflexblendung.

So musste man die „optimale“ Anordnung erfinden, die man auch heute überall vorfindet. Man baut eine Leuchtenreihe fast direkt am Fenster, die zweite weiter im Raum. Dumm nur, dass das Licht dann vornehmlich die Ränder des Tisches beleuchtet.

Nicht schlimm für den findigen Lichttechniker. Man baut schräg-strahlende Leuchten. Nennt sich Batwing-Verteilung. Wenn das die armen Viecher wüssten. Form von nachtaktiven Tieren für die Beleuchtung von Tischen für tagaktive Menschen?

Ob das gut gegangen wäre, konnte man leider nicht erleben. Kaum war das Konzept ausgedacht, gab es schon Computer. Und deren Bildschirme glänzten gemeinerweise. So war es aus mit Batwing! Abgedunkelt war in. Auch wenn hochgestellte Persönlichkeiten die Charakteristik von tiefstrahlenden Leuchten breitstrahlend nannten, wollte sich das Licht nicht verbiegen lassen. Es flog mit Freuden dorthin, wo sie nicht viel Nutzen entfalten konnte. Egal, wo das Licht entlang flog, die Tastaturen wollten das Glänzen nicht aufgeben.

Es gab nur zwei mehr oder weniger schlechte Lösungen. Man richtet seine Zelte, sprich Bildschirm und Akte, in der Mitte zwischen den Leuchtenreihen an, wo es am dunkelsten ist. Da die Bildschirme viel Platz brauchten, bot die Büromöbelindustrie die geniale Lösung an, die sie einst nur den Sekretärinnen angeboten hatte: die Eckkombination.

Der Bildschirm steht vor dem Fenster und unter den Leuchten. Wenn man geradeaus guckt, ist einem die Blendung sicher. Die Leuchten spiegeln sich dazu noch wunderbar unter der Leuchte. Dafür liest man seinen Papierkram an der garantiert dunkelsten Stelle des Tisches. Der Platz nennt sich Schreib-Lesebereich. Der größte Teil des mühsam erzeugten Lichts landet entweder auf dem Teppich (links) oder auf den Bildschirmen, wo es nichts zu suchen hat.

Dieser Standard wurde nur durch den technischen Fortschritt teilweise überflüssig. Die Eckkombinationen sind weg. Aber die Anordnung der Leuchten hat sich in die Zeit gerettet, in der ein völlig neues Leuchtmittel regiert, die LED. Man erzeugt Licht viel wirtschaftlicher und beleuchtet damit vornehmlich die Tischränder oder den Teppich. Die 500 lx bekommt man, wenn man 700 lx am Tischrand mit 300 lx in der Mitte mittelt. Der Norm ist genüge getan.

Obwohl man moderne Leuchten bis 80 m Länge bauen kann (s. hier), aber auch in winzigen Größen in Millimetern, baut die Industrie massenweise immer noch 1,25 m Einheiten, deren Länge einst die „optimale“ Leuchtstofflampe bestimmt hatte, von der jeweils zwei pro Kopf den Bürohimmel über dem Menschen erleuchteten.

Müssen wir mit solchen „Standards“ leben? Ja und nein. Wenn die Beliebtheit der Zellenbüros nicht nachlässt, die vom Massenbüro über Großraumbüro und Kombibüro ein Jahrhundert Revolutionen überlebt hat, werden Architekten weiterhin mit Achsmaßen bauen. Sie werden bestenfalls kleinere oder größere Achsen nehmen. Das unberührbare Maß ist die Fläche pro Kopf. Für die Beamten ist die vorgeschrieben, deren KollegInnen in der Privatwirtschaft geht es auch ohne Vorschrift nicht besser.

Die Misere mit der Tastatur und Maus muss nicht sein. Ich habe dazu die Compact-Tastatur als Konzept erfunden, die 2007 international genormt wurde. Die steht seit Juli 2024 auch in der ASR A6 Bildschirmarbeit. Eigentlich war sie mehr oder weniger gut gemacht seit 1983 Teil eines Laptops. Wir müssen leider noch abwarten, dass alle Käufer die ASR oder solche Artikel wie hier lesen. Denn ausgeliefert werden PCs mit einer Tastatur, die etwa 1984 ohne Maus ausgedacht wurde, obwohl die Maus längst da war.

Und der dumme Standard mit zwei Leuchtenreihen am Himmel? Dass die krank macht, hatte ich schon 1990 mit dem Forschungsbericht „Licht und Gesundheit“ (hier kompletter Bericht) gezeigt. Wie man die Malaise erfolgreich los wird, steht nachgewiesen in der 1998er Ausgabe der Arbeit. Damals war noch die Indirektbeleuchtung die beste Lösung. Seit längerem kann man großflächige LED-Module nehmen, für die die Vorurteile gegenüber der Indirektbeleuchtung nicht gelten.

Ich hoffe, dass diese Ausführungen helfen, solche Räume wie unten Geschichte werden zu lassen. (Anm.: Dieser Raum ist nicht etwa lieblos zusammengewürfelt worden. Man hatte sich viel Mühe gegeben, um einen guten „Standard“ zu realisieren. Die Beleuchtung ist etwa 5 Jahre alt und hat die besten Aussichten, weitere 25 Jahre den Raum zu schmücken. )

HCL scheintot – Richtiges Licht zur rechten Zeit vertagt – Und …?

Das Aussortieren des Unwesentlichen ist der
Kern aller Lebensweisheit.

Laozi

Ich kann es kaum fassen, dass sich die lichttechnische Industrie eine vor 20 Jahren totsicher geglaubte Chance entgehen lässt. Wie im Kapitel Die Legende vom gesunden Licht reloaded dargelegt, wusste man schon vor 2001, dass Licht die wichtigsten Körperfunktionen regelt oder maßgeblich beeinflusst. Mit 2001 ist das Jahr gemeint, in dem der circadiane Lichtempfänger im Auge entdeckt wurde. Die gemeinten Wirkungen waren zu einem erheblichen Teil von Hollwich in den 1940ern und 1950ern beschrieben worden. ( hier) Freilich wollte die Industrie die nicht glauben. Stattdessen wurde Hollwich verteufelt. Dass man später anders dachte, kann man in Die Legende vom gesunden Licht reloaded lesen.

Zunächst zu den Wirkungen, die verschiedene Forschergruppen dargelegt haben. Die Aufzählung stammt vom internationalen Standard ISO 9241-610 Ergonomics of human-system interaction. Impact of light and lighting on users of interactive systems. Da dieser von der CIE jahrelang penibel geprüft worden ist, kann man davon ausgehen, dass alles stimmt.

Licht …

  • regelt Hormonausschüttung – Melatonin eingeschlossen, das seinerseits viele physiologische Prozesse beeinflusst
  • ändert persönliche “Körperzeit” des Individuums über die circadianen Rhythmen
  • bestimmt lebenswichtige Größen wie die Körperkerntemperatur
  • ändert thermisches Wohlbefinden durch die Beeinflussung der Hauttemperatur
  • steuert Gehirnaktivitäten über das Sehen hin us
  • beeinflusst Herzfunktionen
  • ändert Geschmackssinn
  • bestimmt Stimmung und Anregung
  • verursacht oder löst aus längerfristige biologische Wirkungen wie Krebsentwicklung oder Körperwachstum von Kindern.

All diese Effekte und noch mehr wurden durch Studien außerhalb des Einflussbereichs der Lichttechnik nachgewiesen. D.h., “wohlwollende” Interpretationen von Lichttechnikern sind ausgeschlossen. Warum lässt sich die lichttechnische Industrie die Chance entgehen, diesbezügliche Erkenntnisse umzusetzen? Meine Erklärung begründe ich nachfolgend.

Wie man in Genesis 2.0 Schöpfung der elektrischen Sonne lesen kann, hat mein Institut mit dem Forschungsbericht Licht und Gesundheit – Eine Untersuchung zum Stand der Beleuchtungstechnik in deutschen Büros von 1990 die Sichtweise auf die Wirkungen von Licht erheblich beeinflusst. Das Ziel dieser Studie war aber nicht allein, Lichtwirkungen zu ermitteln, sondern die schon zuvor bekannten Probleme mit besseren Beleuchtungssystemen zu beseitigen.

Der Forschungsbericht „Licht und Gesundheit“ erschien zuerst 1990 mit Ergebnissen an 2000 Arbeitsplätzen und einer repräsentativen Befragung von 1000 weiteren Personen. Die dritte Auflage von 1998 enthält die Ergebnisse der Erprobung von erfolgversprechenden Beleuchtungssystemen an weiteren 1.500 Arbeitsplätzen, die aufgrund der Studien vor 1990 entwickelt worden waren. Dieses Werk zeigt, dass man tatsächlich die subjektive Gesundheit des Menschen erheblich mit Licht fördern kann.

Es dürfte kaum eine Studie geben, deren Ergebnisse besser beschrieben und, vor allem, validiert worden sind. Was die Industrie davon hielt, kann man am besten mit den Worten einer Führungskraft einer führenden Herstellerfirma ausdrücken, für die ich 1991 arbeitete. Der Mann hatte die Studie gerade gelesen und sagte: „Hätten wir diese Arbeit vorher gesehen, hätten wir Ihnen nie einen Auftrag gegeben.“ Wie denn das?

Die Antwort ist relativ einfach. Das Ergebnis der Forschungsarbeit lässt sich kurz so wiedergeben: „Die Studie zeigt, dass man tatsächlich die subjektive Gesundheit des Menschen erheblich mit Licht fördern kann. Das erfolgt weitgehend durch Tageslicht am Arbeitsplatz und eine flexible künstliche Beleuchtung.“ Damals war nach dem deutschen Arbeitsrecht Tageslicht keine Beleuchtung für Arbeitsplätze. Und eine flexible Beleuchtung war für Leute, die mit einer einzigen Norm sämtlichen deutschen Betrieben und für alle Arbeitsplätze die Aufstellung und Anordnung vorgaben, eher ein Schimpfwort.

Was der besagte Herr auch nicht anerkennen wollte, war die Tatsache, dass die beste Leuchte an der Decke aus Sicht der Nutzer halb so viel kostete wie die von der Industrie bevorzugte. Zudem sollte jede Tischlampe, egal welcher Qualität, eine Verbesserung bedeuten. Das war zu viel des Guten. Funfact: Das Konzept der besagten Deckenleuchte (Indirekt-Direkt bzw. 2K) stammte nicht von mir, sondern von dem besagten Herrn.

Die Sache hat mich indes überhaupt nicht überrascht. Ich hatte fast dasselbe zwei Jahrzehnte zuvor mit der Büromöbelindustrie erlebt. Sie war damals auf dem Trip, den guten Bildschirmarbeitsplatz zu finden. Was sie fand, sah grauenhaft für jeden Büromenschen aus, weil alles nach schwerem Maschinenbau roch. Auch Wissenschaftler taten sich nicht durch anmutigere Konzepte hervor. Meine Schlussfolgerung war wie bei der Beleuchtung: Flexibel. Ein Arbeitsplatz besteht aus einer Platte, die groß genug ist, alle Arbeitsmittel aufzunehmen, Bildschirm, Tastatur, Maus, Papier, Kaffeetasse …. Der Benutzer muss in der Lage sein, diese nach seiner Vorstellung anzuordnen und ggf. schnell umzuordnen. Das war das Konzept einer Norm, die ich schrieb. (Bildquelle hier)

Das Konzept wurde von der Industrie für Büromöbel mit Gelächter aufgenommen. Sie beschwerte sich beim zuständigen Obmann und behauptete, ich hätte keine Ahnung. Der Obmann legte mir den Brief vor und fragte, was ich dazu denke. Ich sagte: „Es stimmt. Ich habe keine Ahnung. Aber ich will auch keine haben. Was die Industrie will, ist, dass wir uralte Tische in die Neuzeit retten.“

Die Computerindustrie hat nicht lachen können. Sie musste ihre Tastaturen so flach wie möglich machen und ihre Bildschirme flexibel aufstellbar und spiegelfrei.

Wenn man das damalige Konzept heute jemandem erklärt, sagt dieser, das sei doch selbstverständlich. Ist es auch. Mein Ziel war es, eine Norm zu schaffen, die sich irgendwann überflüssig macht. Nicht etwa, weil sie obsolet ist, sondern weil jeder ihr Ziel versteht und auf seine Art einsetzt und ggf. ergänzt. So gab die Norm einst vor, die Tastatur müsse weniger als 30 mm hoch sein. Heute wird man solche Tastaturen nicht mehr finden. Viele liegen bei 10 mm oder etwas darüber.

Aus dieser Erfahrung heraus ist mein Entsetzen zu verstehen, dass wir heute neue Beleuchtungsnormen haben, die kaum jemand mehr versteht, weil man bei der Lektüre irgendwann mal einschläft. Das neueste Werk, ISO/CIE 8995-1 für Arbeitsplätze im Innenraum, ist 113 Seiten lang, enthält 62 Tabellen auf ebenso vielen Seiten im Haupttext, dazu 20 Tabellen in den Anlagen. Wenn man sich ernsthaft überlegt, die Norm anzuwenden, muss man ISO 9241-307 durchackern, die Anforderungen für Bildschirmarbeitsplätze enthalten soll. Diese enthält 187 Tabellen im Hauptteil, 4 in den Anhängen. Dazu müsste man  52 Normen + 14 Literaturstellen (ISO/CIE 8995-1)  und 49 Literaturstellen, davon 37 Normen diverser Organisationen (ISO 9241-307) mitberücksichtigen.

Die 62 Tabellen enthalten zu jeder der angegebenen Arbeitsplätze 8 Anforderungen, zu denen welche hinzu kommen, die man sich selbst ableiten soll, wenn als 9. Anforderung ein Hinweis auf einen Bildschirmarbeitsplatz folgt, indem man sich durch 187 Tabellen durcharbeitet.

Wenn das alles wäre. Die biologischen Wirkungen des Lichts werden als wichtig erklärt und in einem Anhang beschrieben. Wie man diese mit den Anforderungen der Norm gemeinsam berücksichtigt, ist Sache einer anderen Norm (z.B. DIN/TS 67600).

Ach, ja. Die Norm erzählt, man solle die ambiente Beleuchtungsstärke statt der simplen horizontalen, vertikalen und zylindrischen realisieren. Dazu soll man an jeder Wand die Beleuchtungsstärken darauf mitteln, dazu die mittlere Beleuchtungsstärke an der Decke ermitteln und das Ganze durch 5 teilen. Sehr praktisch, wenn man die Werte z.B. an einer Abflughalle misst.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass tatsächlich irgendwo ein Bildschirmarbeitsplatz beleuchtet werden soll, wird der Lichtplaner garantiert nichts in den 187 Tabellen der Norm ISO 9241-307 finden, weil der zuständige Ausschuss die hierzu erforderliche Information vergessen hat. Dies ist etwa seit offiziell 2008 bekannt und wurde der ISO mehrfach gemeldet. Weil alles nicht fruchten wollte, haben deutsche Prüfstellen von meinem Ausschuss verlangt, eine Reparaturnorm zu erstellen, was 2013 erfolgte. Diese wurde viele Jahre später als ISO 9241-311 sogar ISO-Standard. ISO hat die nachweislich nicht anwendbare Norm bislang nicht zurückgezogen. Der Ausschuss, der ISO/CIE 8995-1 geschrieben hat, hat die nicht anwendbare Norm trotz meiner Warnung zitiert.

Auf diese Weise ist aus einer simplen Tabelle für Beleuchtungsstärken aus dem Jahr 1927 (Leffingwell, W.H.: Office Management Principles and Practice, A.W. Shaw Company, Chicago New York, 1927) ein Regelungetüm geworden. Dabei hat der zitierte Herr im Jahre 1927 (oder vielleicht früher?) alles Wissenswerte über Beleuchtung sehr gut zusammengefasst. Diese habe ich unter „Wie alt ist unser Wissen zu Beleuchtung?“ und „Alt ist nicht alt”  erklärt.

Wer statt simplizistisch einfacher Konzepte ein paar hundert Seiten Regelwerk für eine überschaubare technische Aufgabe produziert, muss entweder ein sehr komplexes Produkt haben, dessen Anwendung sich nicht einfacher beschreiben lässt. Oder er hat kein Konzept. Dann muss man es anderen Leuten überlassen, ein Konzept zu finden.

Ich will es nicht unbedingt der lichttechnischen Industrie vorhersagen, aber zu Bedenken geben, was mit den Machern (angeblich) komplizierter Produkte passieren kann. Von den o.g. zwei Industrien (Computerindustrie, Büromöbelindustrie) hat die erste fast komplett das Feld geräumt. Heute existiert von den einstigen Top 10 des Jahres 1975 nur noch IBM, und auch diese musste sich häuten. Die Computerindustrie blüht und gedeiht trotzdem, aber ohne die einstigen Größen wie DEC (Nummer II der Welt). Ebenso existiert von unserer einstigen Büromöbelindustrie nur noch der Schatten von einst. Den größten Teil haben amerikanische Firmen gekauft. Nicht einmal deren Normenausschuss, der Fachnormenausschuss Bürowesen FNBü, existiert mehr.

 

Aufstieg Dank Digitalisierung oder Quantität schlägt Qualität

Eine schwitzende Stirn ist nicht das Kriterium für die 
Qualität einer neuen Idee
Pavel Kosorin

Dieses Buch dokumentiert u.a. einen beispiellosen Aufstieg der elektrischen Sonne seit 1924. Künstliches Licht wurde zwar schon immer gebraucht (s. Epochen der Kunst der Lichtmacher), aber wie kam es, dass seine Bedeutung plötzlich so steil aufstieg? Erfunden wurde die Glühlampe schon mehrere Jahrzehnte früher. Wie ich in dem Kapitel “Erbe der 1920er Jahre“ darstelle, stammt viel Wissen in der heutigen Lichttechnik aus den 1920ern, wobei die Techniken dazu in den Jahrzehnten zuvor entwickelt worden waren. Was Besonderes hat sich 1924 ereignet?

Wie die CIE letztes Jahr feierte, hat sie im Jahre 1924 die sog. V(λ)-Kurve geschaffen. Diese bildet die Empfindlichkeitsfunktion des menschlichen Auges für Licht ab. Damit war zum ersten Mal möglich geworden, Licht zu “wiegen“. Und was man wog, setzte man dem Licht gleich. Man misst die Menge des Lichts, den Lichtstrom, den eine Lampe abgibt, in Lumen. Auf Lateinisch heißt Lumen schlicht Licht. So wurde der Lichtstrom = Licht gesetzt. Quantität wie Qualität.

So weiß man seit 1924, was man bekommt, wenn man 5 Thaler für eine Lampe bezahlt. Sie erzeuge sagen wir Mal 300 Lumen Licht (bitte um Nachsicht wegen der Tautologie). Man weiß auch, wie effizient die Lampe mit Energie umgeht. Ist sie eine alte kleine Glühlampe, macht sie 5 Lumen aus einem Watt, das man hinein steckt. So muss man für die 300 Lumen  60 W Energie in die Lampe stecken. Auch moderne kleine Glühlampen schaffen kaum mehr. Ist sie eine LED der Effizienzklasse A, dann erzeugt sie 210 Lumen daraus. Sie ist also 42 x effizienter als die gute alte Lampe. So muss man für die 300 Lumen nur noch 1,42 W aufwenden.

Effizienter ist die Lichtquelle – aber in was? Diese Frage beschäftigt viele Leute nicht nur seit 1924. Eindeutig ist die Sache nur, wenn man die Lampe zur Messung des Lichtstroms in die geeignete Einrichtung steckt, in eine Ulbrichtsche Kugel. Dort kann man bei der LED Klasse A an jedem Ort 42-mal mehr Beleuchtung messen als bei der kleinen alten Glühlampe. Mit der LED könnte nur noch eine Natriumdampflampe konkurrieren, die nur 40-mal so viel Licht produziert.

Die letztere Lampe wird allerdings kaum noch jemand kennen. Sie zierte und ziert belgische Autobahnen wie manche deutsche Landstraßen, war aber in keiner Wohnstube zu finden. Als ein Philips-Direktor vorschlug, dass man sie, die Natriumdampflampe, auch in Büros zulassen sollte, drohte mein Doktorvater damit, die erste Installation bei der Sekretärin des besagten Herrn vorzunehmen. Wir Studenten wollten mit ihr den Berliner Straßenstrich beleuchten, um den Freiern die Lust am käuflichen Sex zu vermiesen. Denn der Lampe fehlte an Wichtigem. Ihre Farbwidergabe war unterirdisch. Die Schönen der Nacht würden sich unter ihrem Licht in gruselige Hexen verwandeln.

Womit wir beim Thema Qualität wären. Diesen Begriff hatten die Alten Griechen vor etwa 2500 Jahren geprägt. Er ist vielen immer noch kein Begriff und musste im 20. Jahrhundert von Leuten wie Walter A. Shewhart (1920er/30er Jahre) oder W. Edwards Deming (Mitte des 20. Jahrhunderts) neu “erfunden" werden. Auch wenn diese Herren zu den Pionieren des technischen Fortschritts gehören, war ihr Begriff einseitig. Ihre Qualität ist sogar international genormt (ISO 9000ff). Aber der normale Mensch begreift etwas anderes darunter. Fatalerweise gibt es diese Dualität seit der Antike. Qualität ist die Eignung einer Sache für den vorgesehenen Zweck. Der gesunde Menschenverstand versteht darunter aber einfach “gut“ oder eine hohe Qualität.

Die Lichttechnik tat sich mit dem Qualitätsverständnis besonders schwer. Lichtqualität kam erst 2021 in das seit 1938 existierende Internationale Wörterbuch der Lichttechnik (hier). Die heutige Präsidentin der CIE ist stolz darauf, dies bewerkstelligt zu haben. Zuvor hatte sich ein Ausschuss der LiTG (heute Deutsche Gesellschaft für LichtTechnik + LichtGestaltung) vergeblich um die Qualität des Lichts bemüht, was man an der internen Bezeichnung der zuständigen Kommission (Qual-Ausschuss) erkennen kann. Da mir das Ganze hat die Hutschnur hochgehen lassen, habe ich  versucht, die Lichtqualität mithilfe eines bekannten Begriffs zu erklären, mit Gebrauchstauglichkeit alias Usability. Das Konzept habe ich hier erklärt.

Dabei benutzte ich als Beispiel für eine praktische Vorgehensweise ein Bild von IESNA, der lichttechnischen Gesellschaft von Nordamerika.  IESNA sah damals im Jahr 2000 in diesem Konzept einen neuen Meilenstein in der Geschichte der Beleuchtungstechnik. Ein Jahrzehnt später gab es kein IESNA mehr und das Zukunftskonzept verschwand wieder. Und die Deutsche Gesellschaft für LichtTechnik + LichtGestaltung, damals noch Deutsche Lichttechnische  Gesellschaft, hatte vergessen, dass sie einst ein Qualitätskonzept hatte. Im Jahre 1935 in der Norm DIN 5035.

Nach vielen Jahren des Mühens war dann in Deutschland ein vollständiges Konzept erschienen, dessen Beschreibung  immerhin 116 Seiten umfasste (hier). Mich erschütterte insbesondere der Titel: „Lichtqualität – ein Prozess statt einer Kennzahl“. Nicht etwa weil der Titel falsch war, sondern weil er voll zutraf. Die Publikation habe ich ausführlich dokumentiert und kommentiert (hier und da und dort und so weiter fort)-

Warum füllen die Autoren einer Broschüre 114 Seiten, um einen 2500 Jahre alten Begriff zu erklären? Und warum musste ich fast ebenso lange Kommentare dazu schreiben? Das liegt im Begriff selbst – Qualität. Während man Quantität mit einem Zollstock oder mit einer Waage messen kann und in einer einzigen Zahl ausdrückt, muss man bei der Bestimmung der Qualität erst einmal begründen und festlegen, warum man sie woran misst. Beispielsweise gibt es den Hammer seit der Urzeit, aber den Hammer gibt es immer noch nicht. Es gibt aber einen Schlosserhammer, Latthammer, Fäustel, Vorschlaghammer und sogar Schonhammer, der das Gegenteil vom Vorschlaghammer bewirkt, die Einschlagstelle zu zertrümmern.

Ähnlich ist es mit der Lichtqualität. Weiß man, was man mit dem Licht will, gibt es äußerst präzise definiertes Licht. So jagen Laserdioden und Lichtdioden, im Grunde beides dasselbe, unvorstellbare Mengen Daten über 5 Milliarden Kilometer Glasfaserkabel sicher um die Welt. Weiß man hingegen nicht, wofür sich eine Lichtquelle eignet, z.B. Lampen und Leuchten, dann sollte man nicht von Lichtqualität reden, sondern schlicht und einfach das technische Produkt beschreiben, auf dass jemand eine Verwendung dafür findet. So schaffen Lichtplaner, Lichtdesigner oder Angehörige ähnlicher Berufe die Beleuchtungsqualität, die die Anwender brauchen. In den Beschreibungen der Hersteller findet man nüchterne Daten, die ihre Produkte beschreiben.

Dumm nur, dass es in unseren Ausschüssen, die Beleuchtung normen, der letzte Lichtdesigner zuletzt vor vielen Jahren gesichtet worden ist. Auch sonst waren sie in der Minderheit und fanden selten Gehör. Selbst in dem Ausschuss, der die biologischen Wirkungen des Lichts auf den Menschen normt, gibt es seit Jahren keinen Lichtdesigner oder Planer. So bestimmt ein Gremium, das zu 70% aus Herstellern besteht, was an Lichtqualität verordnet wird. Diese wissen, was Quantität ist, und verwechseln dies häufig mit Qualität.

Der natürliche Partner des Architekten, was das künstliche Licht angeht, wäre der Lichtdesigner. Bei namhaften Projekten ist er das auch. Etwa 95% der Bauprojekte, die ich gekannt habe, wurden aber ohne Beteiligung von Lichtdesignern abgewickelt, was etwa dem Anteil von Leuchten entspricht, der über die Ladentheke beim Elektrogroßhandel geht. Die Planenden waren meist Elektroplaner. Und die Normen zur Beleuchtung werden so geschrieben, dass der möglichst nichts anderes machen kann, als die Hersteller wollen. Bei kleineren Bauprojekten trifft man eher ein Einhorn den einen Lichtdesigner.

Noch ein Seitenhieb auf die Auftraggeber. Man findet sie bei der Aufzählung der Ersteller der Normen nicht. Das war nicht immer so. Beleuchtung wurde einst in den 1930ern als übergeordnete Aufgabe verstanden, bei deren Normung alle betroffenen Kreise mitwirken sollten. Das Prinzip gilt unverändert bis heute. Es wird bei jeder Sitzung eines Normenausschusses geprüft, ob und wie die interessierten Kreise vertreten sind. Wer seine Interessen nicht vertritt, muss sich damit begnügen, was eben die wirklich interessierten Kreise ihm geben.

Lichtverschmutzung den Giftzahn gezogen

In diesem Buch habe ich mehrere Gründe dafür erläutert, warum die elektrische Sonne ihren Zenit als Lichtquelle überschritten hat, obwohl sie kaum zu glaubende technische Innovationen hervorgebracht hat. (hier) Das liegt vor allem daran, dass Licht, einmal erzeugt, seinen Weg sucht - bis ins Weltall. Nirgendwo liegen positive und negative Seiten der gleichen Medaille so eng beieinander.  Das entsprechende Kapitel trägt deswegen den schönen Titel "Lichtverschmutzung – Die andere Hausnummer". Lesen sollte man aber alles zusammen, weil man weder das eine tun noch das andere lassen soll. Vielmehr soll man bewusst handel.

Die International Dark-Sky Association IDA hat in 2021 folgende Empfehlungen zur Anwendung von Richtlinien bei der Außenbeleuchtung erlassen, die auf fünf Prinzipien aufbauen. Wer nachts Licht erzeugt, soll dies sehr bewusst tun. Hier sind die fünf Prinzipien im Detail:

  • Zweckmäßig:
    Beleuchtung sollte nur dort eingesetzt werden, wo sie tatsächlich gebraucht wird. Es ist wichtig, den Zweck der Beleuchtung zu hinterfragen und unnötige Beleuchtung zu vermeiden.
    Zielgerichtet:
    Licht sollte nur auf den Bereich gerichtet sein, der beleuchtet werden muss. Vermeidung von Streulicht und Blendung ist entscheidend, um Lichtverschmutzung zu reduzieren.
    Geringe Lichtstärke:
    Die Beleuchtung sollte nicht heller sein als nötig. Niedrigere Lichtstärken reduzieren den Energieverbrauch und minimieren die Auswirkungen auf die Umwelt.
    Gesteuert:
    Beleuchtung sollte nur dann eingeschaltet sein, wenn sie benötigt wird. Der Einsatz von Bewegungsmeldern und Zeitschaltuhren kann dazu beitragen, die Beleuchtungsdauer zu reduzieren.
    Farbe:
    Die Verwendung von warmen Lichtfarben (weniger Blauanteil) ist empfehlenswert, da blaues Licht stärker zur Streuung in der Atmosphäre beiträgt und die Sichtbarkeit des Nachthimmels beeinträchtigt.
     

    Auf der Grundlage dieser Voraussetzungen und als Orientierungsrahmen in Bezug auf die Empfehlungen und technischen Leitlinien für die Umsetzung der fünf Prinzipien einigt sich der Vorstand der IDA auf folgende Empfehlungen:

    1) Eine nachhaltige Außenbeleuchtung muss alle fünf Prinzipien bei der Planung und Installation berücksichtigen. Nur durch die Beachtung aller fünf Prinzipien kann die Lichtverschmutzung auf ein sinnvolles Maß reduziert werden.

    2) Wo vorhandene Leuchten ersetzt werden, ist dabei so vorzugehen, dass die Lichtverschmutzung reduziert oder zumindest nicht verstärkt wird.

    3) Bei der Planung von Neuinstallationen oder Umrüstungen von Beleuchtungsanlagen sind diese einem Bewertungsverfahren zu unterziehen, um zu überprüfen, ob Art und Ausmaß der Beleuchtung notwendig und nachhaltig sind.

    4) Horizontal und oberhalb der Horizontalen ausgestrahltes Licht kann erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Um eine weitere Aufhellung des Nachthimmels, Blendung, Streulicht und Überbeleuchtung zu vermeiden bzw. zu reduzieren, sind die Lichtemissionen bei der Innen- und Außenbeleuchtung daher so gering wie möglich zu halten und an Untergrenzen auszurichten.

    5) Um Überbeleuchtungen zu vermeiden, sollten die tatsächlichen Beleuchtungsstärken der jeweiligen Beleuchtungsaufgabe und Umgebung angepasst sein und sich möglichst im unteren Bereich der von anerkannten Fachverbänden (wie IES und CIE) empfohlenen Richtwerte bewegen. Die IDA wird mit den Berufsverbänden zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die empfohlenen Beleuchtungsrichtwerte wissenschaftlich fundiert sind.

    6) Neue Installationen sollten über automatische Steuerungen verfügen, um die Beleuchtungsstärke bedarfsentsprechend zu verringern oder die Beleuchtung je nach Tages- und Nachtzeit oder Nutzungsfrequenz ganz abzuschalten. Obwohl solche Steuerungen in der Lage sind, die Lichtverschmutzung erheblich zu reduzieren und Energie einzusparen, werden sie derzeit in der Außenbeleuchtung noch zu wenig genutzt. Auch die Richtlinien zur Energieeinsparung verlangen zunehmend nach automatischen Steuerungen.

    7) Der Spektralgehalt, bzw. die Farbe, des Lichts sollte dem jeweiligen Beleuchtungszweck angepasst sein. Wegen der unverhältnismäßigen Auswirkung von kurzwelligem Licht oder Licht mit hohen Blauanteilen auf die nächtliche Umgebung ist besonderes Augenmerk darauf zu legen, die Gesamtemissionen in diesem Wellenlängenbereich zu reduzieren (für die Zwecke dieser Beschlussfassung definiert als ein Bereich zwischen 380 nm und 520 nm). Die Umsetzung ist durch ein entsprechendes Bewertungsverfahren zu gewährleisten.

    Mehr hier und vor allem da  und dort.

Genesis 2.0 – Schöpfung der elektrischen Sonne

Keine Technologie hat das Leben auf dem Planeten tiefgreifender beeinflusst und den Übergang von der Agrar- zur Informationsgesellschaft gemeistert als die Kunst des Lichtmachens. Künstliches Licht war der Schrittmacher der gesellschaftlichen Entwicklung von der Industriellen Revolution bis heute. Als der Hauptautor der Industriegeschichte, hat es aber auch Sozialgeschichte geschrieben, indem es die Gesellschaft geschaffen hat, die nie schläft. Es ist somit der Schöpfer der 24/7 Gesellschaft. Selbst die disruptivste Technologie des Smartphones wäre ohne elektrisches Licht nicht entstanden, sein Display bliebe dunkel und ohne Inhalt, weil auch die Glasfasernetze mit Licht arbeiten, die die Information transportieren.

Das Buch Genesis 2.0 beleuchtet die sozialen Verflechtungen und Wirkungen der einstigen Göttergabe in dem Jahrhundert seit der Veröffentlichung der Kurve der menschlichen Lichtwahrnehmung, der eine Verwissenschaftlichung der Lichtforschung folgte. Dabei wurde allerdings nicht nur mit wissenschaftlichen Methoden vorgegangen. Man nutzte geschickt die Vorarbeit von Städteplanern und Sozialreformern aus, die die Finsternis der Großstädte vertreiben wollten, die sich seit der Industriellen Revolution über sie ausgebreitet hatte. Deren Ziel, die Sonne wieder zurück in die Häuserschluchten von Manhattan oder in die Mietskasernen von Berlin zu holen, und den Rauch und Ruß aus den Städten zu vertreiben, nutzten die Protagonisten des künstlichen Lichts, um die Sonne elektrisch nachzubauen. (hier) Verdanken wir den Sozialreformern die Gartenstädte um die Welt, große lichte Flächen in unseren Städten nach dem Vorbild der antiken Städte, sollte die elektrische Sonne nicht nur dem natürlichen Vorbild ebenbürtig sein, sondern diese in der Qualität weit übertreffen. Und ständig auf Knopfdruck verfügbar sein. Statt der Wolkenkratzer oder Gartenstädte, sahen viele die Zukunft in unterirdischen Siedlungen, künstlich beleuchtet und belüftet. Dazu gehörten auch Architekten. Die Befreiung vom Gang der Sonne wurde zelebriert.

Genesis 2.0 dokumentiert die vier Epochen des Lichtmachens, die älter sind als die geschriebene Geschichte (hier). Die letzten 100 Jahre davon wurden Zeuge einer unglaublichen technischen Entwicklung. Dieser stehen aber häufig keine neuen Konzepte gegenüber. So versprach die Lichttechnik in den 1920ern, Licht mit Gesundheit zu verbinden, was sie auch in den 2020ern tut (hier). Der Unterschied besteht nur in den Hormonen, die beeinflusst werden sollen. War es um 1920 Vitamin D, um Rachitis und TBC vorzubeugen, ist es heute Melatonin. Es soll die unsere Lebensrhythmen wieder in Gang setzen, die der ewige milde Sommertag hat ermüden lassen, die Klimaanlagen und künstliche Beleuchtungen geschaffen haben. Es lässt sich demonstrieren, dass heutige Lichtkonzepte schwer an dem Nachlass der 1920er Jahre zu tragen haben. Dem Nutzer wird Gesundheit versprochen, dem Arbeitgeber mehr Leistung durch mehr Licht. Nachweis?

Einer imponierenden technischen Entwicklung vom Feuer bis LED steht eine mäßige Bilanz gegenüber, was das Lichtdesign und die Interessen der arbeitenden Bevölkerung angeht. Zudem füllte Licht, nur für den Menschen definiert, die Natur bis in die letzten Ecken. Es wurde somit zu einer Gefahr für Pflanze und Tier. Edison, der Zauberer vom Menlo Park, hat sein Ziel geschafft, eine Lampe zu erfinden, so dass nur noch Reiche sich eine Kerze leisten wollen. Sein weiteres Ziel, dass das Licht nicht blenden soll, harrt noch seiner Realisierung. Noch nie haben Autos so geblendet wie heute. Und um die flimmerfreie Beleuchtung wird in höchsten politischen Kreisen in Brüssel gerungen. Mediziner empfehlen künstliches Licht nur zur Tageszeit – ein Paradoxon ohnegleichen. Soll die elektrische Sonne nur dann leuchten, wenn  die natürliche es auch tut?

Die Nacht, laut Genesis Teil des Tages, scheint verloren und muss wiedergewonnen werden. Es reichten wenige Erfinder, den Geist aus der Flasche zu befreien. Ihn wieder zurückzuführen, müssen wir ohne die Hilfe der Götter und Zauberer schaffen.

Wie sieht es um die deutsche Lichtforschung aus?

Als mir die Autoren-“GEMA”, VG Wort (Verwertungsgesellschaft Wort) für meine letzten Artikel in “Licht” keine Tantiemen mehr zahlen wollte, war ich ziemlich überrascht. Zählten die Artikel nicht als Wissenschaft? Dabei ist Licht das Organ der LiTG, der einzigen Gesellschaft Deutschlands für Licht.

So machte ich mich auf die Suche nach Zeitschriftenartikeln in Deutsch zum Thema „Lichttechnik“. Überraschung! Erster Beitrag in Scholar heißt „Physiologische und psychologische Optik“ Autor A Brückner, in Ophthalmologica, 1940! Nach fünf Artikeln in Deutsch folgen welche fast nur in Englisch. Bei manchen erkenne ich die deutschen Autoren. Nach der fünften Seite habe ich die Suche aufgegeben. Es war kein Artikel aus Licht darunter.

Ich suche weiter mit dem Begriff „Beleuchtung“. Es erscheinen 1.120 Artikel. Der erste ist „Beleuchtung des Athanasius von Görres: eine Rezension“ Autor P Marheineke, Jahr 1838. Der zweite Fund ist von 2022 „Beleuchtung wirkt auf Stoffwechsel ein“ von K Müssig, aber nicht in Licht. Die sechste Quelle ist mir wohl bekannt: Cyberlux. Den Artikel „Zum Stand der Innenraumbeleuchtung-Ein Überblick unter besonderer Beachtung der Beleuchtung von Bildschirmarbeitsplätzen“ hat Peter Dehoff im Jahr 2001 für uns geschrieben.

Auf Seite 3 finde ich äußerst Bemerkenswertes: „Bericht über die deutsche ophthalmologische Literatur. Untersuchungsmethoden: I. und II. Semester 1910“ von F. Dimmer, Fundort Ophthalmologica, 1911. Auf S. 5 noch bemerkenswerter: „Ueber Simulation von Blindheit und Schwachsichtigkeit und über deren Entlarvung (Part 2 of 2) Eine kritische Zusammenstellung“ V Kamocki, Ophthalmologica, 1900.

Diesmal gehen die Artikel in Deutsch mindestens bis Seite 10. Nichts aus Licht, aber meistens so etwas: „Bericht über die skandinavische ophthalmologische Literatur: II. Semester 1907, I. und II. Semester 1908“ von E. Forsmark , Opthalmologica, 1909.

VG Wort scheint recht zu haben. Ob die sich doch nicht geirrt haben? Ich suche bei einem, der es wissen muss. Peter Boyce, umtriebiger Professor in Licht und Beleuchtung, langjähriger Chefredakteur von Lighting Research and Technology. In seinem Buch Human Factors in Lighting führt er jede Menge relevante Literatur an. Aus 42 Jahren Licht (bzw. Vorgängerin) zitiert Boyce 1 (in Worten: einen) Artikel aus Licht.

Spaßeshalber frage ich Gemini, seit wann es die Zeitschrift Licht nun gäbe. Hier ist die Antwort:
„Die Fachzeitschrift LICHT ist eine sehr traditionsreiche Publikation und existiert bereits seit 1857.

Sie gehört damit zu den ältesten Fachzeitschriften im Bereich Lichttechnik und Lichtplanung in Deutschland.”

Nun, ja. Sie hieß einst Lichttechnik und enthielt so ziemlich alles, was zum Thema Licht passte. Etwa 1970 wollte man zwei Pubikationen daraus entwickeln. Die eine sollte Licht heißen. Es gibt sie auch heute als Organ der LiTG. Die andere sollte sich mit “ernster” Lichtwissenschaft beschäftigen und bekam mit Prof. Stolzenberg als Chefredakteur einen der wenigen Professoren für Lichttechnik zum Chef. Dazu sagt Gemini: “Es gibt keine mir bekannte wissenschaftliche Fachzeitschrift, die den Namen "Lichtforschung" trägt und von der man ein Gründungsdatum angeben könnte.”

Schade!

Zurück in die Höhle Dank iPhone reloaded

Der heutige Tagesspiegel hat einen langen Artikel zu dem Thema veröffentlicht: “Digitale Medien nicht das Hauptproblem : Immer mehr Kinder sind kurzsichtig

Die wichtigste Quintessenz steht wohl in der erste Zeile: “Weltweit wird bei Kindern immer häufiger Kurzsichtigkeit diagnostiziert, warnen Augenärzte. Der wirksamste Schutz ist einfach und kostet nichts.” Der heißt Tageslicht.

Eigentlich kostet dieses was, wenn man es in Säcke oder Tuben packt, um es in Innenräume zu bringen. Aber fast immer ist es kostenlos, das Tageslicht. Dazu schreibt der Artikel: Auch eine aktuelle Untersuchung der unabhängigen Cochrane-Initiative, in der fünf Studien an etwas mehr 10.000 Kindern ausgewertet wurden, legt nahe, dass mehr Tageslicht einer Kurzsichtigkeit vorbeugt.
https://www.cochrane.de/news/hilft-mehr-zeit-im-freien-um-kurzsichtigkeit-bei-kindern-zu-verhindern

Die Untersuchung der Cochrane-Initiative stammt aus 27. Juni 2024 und ist eine Meta-Studie, im Original als Review bezeichnet. Die Forschenden durchsuchten mehrere Datenbanken nach randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die Kinder unter 18 Jahren mit oder ohne anfänglicher Kurzsichtigkeit untersuchten. Sie identifizierten fünf Studien mit 10.733 Kindern, die alle in Asien durchgeführt wurden. Vier der Studien untersuchten schulbasierte Interventionen. Diese umfassten regelmäßige Unterrichtsstunden und Pausen im Freien, aber auch limitierte Bildschirmzeit und Anreize nach Draußen zu gehen.

Mehr zu der Studie hier . Die vollständige Arbeit (leider nur in Englisch) findet sich hier. Bereits der Titel verrät, was Ärzte empfehlen “Interventions to increase time spent outdoors for preventing incidence and progression of myopia in children” (Maßnahmen zur Verlängerung der Zeit im Freien zur Vorbeugung des Auftretens und Fortschreitens von Kurzsichtigkeit bei Kindern).

Dazu sollte man das Statement des Autorin im Kasten lesen: “Je früher die Kurzsichtigkeit beginnt, desto mehr Zeit hat sie, sich zu verschlimmern.” Die nötige Brille ist nicht das Hauptproblem an der massenhaften Fehlsichtigkeit. Bedenklich sind vor allem die damit verbundenen Risiken für die Augen. Kurzsichtige erleiden eher eine Netzhautablösung oder einen grauen Star. Sie können im schlimmsten Fall erblinden.

Aber bevor sie erblinden stehen ihnen keine guten Zeiten bevor. Denn das Auge des Menschen ist kein Nahsinn, sondern entwickelt sich beim Altern langsam aber sicher zu einem Fernsinn, der Mensch in der Natur wird im Alter weitsichtiger. Unter meinen vielen tausend Probanden, deren Sehkraft ich gemessen habe, gab es nur eine Stichprobe, die zu etwa 50% kurzsichtig war. Sie bestand aus jungen Studenten. Hingegen sind heute Mitarbeiter am Bildschirm mit über 50 Jahren bis zu 70% weitsichtig. Das bedeutet schlicht und einfach, dass eine Selektion unter Arbeitnehmern stattfindet, die die Kurzsichtigen benachteiligt.

Die Entwicklung der Kurzsichtigkeit bei Kindern und Heranwachsenden unter dem Einfluss des Lichts ist nicht klar. Draußen ist es wesentlich heller als in jedem Innenraum. Je mehr Licht auf die Netzhaut trifft, desto mehr Dopamin schütten die Neuronen aus. Man vermutet, dass der Botenstoff das Längenwachstum des Auges steuert.

Was unumstritten ist, ist die Wirkung des Nahsehens auf das junge Auge. Studien zeigen, dass der ununterbrochene und pausenlose Fokus auf sehr nahe Objekte wie das Smartphone eine Kurzsichtigkeit befördert. Hat sich diese einmal ausgebildet, gibt es keine Heilung.

Hier zeigt sich noch einmal, wie verhängnisvoll das Irrtum gewesen ist, man könne den Tag im Innenraum abbilden und sogar die UV-Strahlung erzeugen. Somit fehlte nur noch eine Klimatisierung, um sich von der Natur zu verabschieden. Unter diesem Licht gesehen lesen sich insbesondere die Kapitel “Geburtsjahre der elektrischen Sonne” und “Die Dämmerung” völlig anders. Die Irrungen und Wirrungen der 1920er waren in den 1960ern nicht überwunden. Es war noch viel schlimmer geworden. Architekten forderten Schulen ohne Tageslicht, gar in Bunkern (s. Kap. Licht 3.0 Licht aus Plasma, C.T. Larsons Bericht The effect of windowless classrooms on elementary school children, University of Michigan, Ann Arbor: University of Michigan, Architectural Research Laboratory, 1965). Und ein Kongress der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin zum Thema “Der fensterlose Arbeitsraum” postulierte im Jahr 1965: „Menschen in fensterlosen Fabrikationsräumen haben - sofern diese in arbeitshygienischer Sicht optimal gestaltet sind - keine gesundheitsschädigenden Einflüsse zu befürchten.“

Das Votum der Arbeitsmedizin erfreute insbesondere die Lichttechniker derart, dass sie dem Thema gleich eine Sondertagung widmeten (Auge-Licht-Arbeit, Karlsruhe, 1971). Dort ging der spätere Vorsitzende des Normenausschusses Beleuchtung, H.-J. Hentschel, sogar noch weiter: „Hohe Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, können nicht befriedigt werden.“

Als ich das Buch Genesis 2.0 Schöpfung der elektrischen Sonne schrieb, wollte ich eigentlich eine historische Betrachtung zu Papier bringen. Dass der Inhalt im Jahre 2025 tagesaktuell sein würde, hätte ich selbst nicht denken können.

Blau macht schlau …

… hieß es vor nicht allzulanger Zeit. Gemeint waren die wundersamen Wirkungen des Lichts, die ein Hamburger Professor für Kinderpsychiatrie im Auftrag von Philips ermittelt haben wollte. (hier und da oder dort) Nach eigenem Bekunden hat Philips ihm keinen Auftrag erteilt, sondern einen Assistenten gestellt. Und dessen Doktorarbeit passte ganz zufällig in die Zeit, als Frau Merkel die deutsche Wirtschaft mit staatlichen Mitteln stützen musste. So etwa 1.000 Grundschulräume sollten mit blauem Licht gefüllt werden, das die Schüler ruhig stellt. Schülerinnen auch. Und wenn Leistung gefragt ist, sprudelt aus den doofen Bälgern plötzlich Intelligenz. Dank Personal Light! Zwar hatten sich Forscher der Uni Hamburg etwas vornehmer ausgedrückt. Aber sinngemäß stimmt die Aussage.

Das war im Jahr 2009. Eineinhalb Jahrzehnte später sind die deutschen Kinder doof oder intelligent wie schon immer. Nur die deutschen Lehrer sind wohl klüger geworden und verlangen nicht mehr nach einer Schaltung, die Kinder per Knopfdruck intelligenter oder ruhiger macht.

Wie ist der Professor aus Hamburg eigentlich auf die Idee gekommen mit dem blauen Licht? Moses musste auf den Berg Sinai, um Erleuchtung zu bekommen, Mohammed flog mit dem Pferd al-Buraq von Jerusalem in den Himmel … Bei dem Herrn Professor ging es vermutlich weniger aufwendig, er muss ein Buch von John Ott (hier) gelesen haben, dem die Erleuchtung mit dem Licht beim Betrachten eines Kürbisses gekommen war.

Der Kürbis war kein üblicher Kürbis, in den man Augen und Mund schneidet, wenn es Halloween ist. Ott war Fotograf und wollte Kürbisse ziehen für den Film Cinderella, die bekanntlich in einer von Mäusen gezogenen Kutsche zum Königspalast fährt, um dort den Prinzen zu treffen. So ein filmreifer Kürbis wächst betreut auf. Beim Kürbisziehen merkte Ott, dass das Licht je nach Lichtspektrum die Früchte anders gross werden ließ.

John Ott gab nach dieser Erleuchtung seinen Job als Bänker auf und widmete sich dem Licht. Ob ein späterer Erfinder bei Ott gelesen hatte oder ganz allein auf die Idee kam, kann ich nicht ermitteln. Der erfand eine blaue Lampe, die auch Wunder bewirkte (hier): “Der Test zeigt, dass der Einsatz der XXX Lampen, eine Konzentration fördernde Wirkung auf einen Großteil der Probanden hat.” Da der wissenschaftliche Befund sicherlich reproduzierbar ist, kann man sich über die Wirkung vergewissern, indem man die Lampe für exakt den gleichen Zweck benutzt: "… andere Probanden nutzen die Lampe als Arbeitsleuchte bzw. als Näh- und Strickleuchte." Noch ein Riesen-Schritt in der Geschichte des Lichtmachens. Die Strickleuchte.

John Ott hatte seine erste Untersuchung mit dem blauen Licht 1973 durchgeführt. In seinem Buch wurde noch die Unruhe der amerikanischen Jugend in den 1960ern behandelt, die das flimmernde Licht der damaligen Fernseher bewirkt haben soll. Ott wollte wohl nichts vom Vietnam-Krieg hören. Seine Worte zu dem Versuch  mit der blauen Lampe: “Bei konventioneller Beleuchtung zeigten die Schüler deutlich mehr Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Hyperaktivität) während die Kinder in der experimentellen Lichtsituation Lernschwierigkeiten allmählich verloren, konzentrierter wurden und ihre Schulleistungen signifikant steigerten.” Etwa dasselbe hätte man auch bei dem Hamburger Professor lesen können.

Etwa älter als Otts Idee war die Behandlung von Babies mit blauem Licht. Da die neugeborenen Menschen kurz nach Erblicken des Tages nicht perfekt funktionieren, leidet jedes dritte Baby an Gelbsucht (Neugeborenen-Gelbsucht (Hyperbilirubinämie)). Der englische Arzt Richard Cremer hat in 1958 zufällig entdeckt, dass blaues Licht den Bilirubinspiegel bei Neugeborenen senken kann. Seine Ergebnisse zur Phototherapie erschienen in der Zeitschrift "The Lancet". Mitte der 1970er Jahre wurde die Phototherapie dann zum Standardverfahren in der Behandlung von Neugeborenen-Gelbsucht. Damals durfte ich Messgeräte bauen, die die Wirksamkeit von Lampen zum Abbau von Bilirubin maßen.

Doch auch das Jahr 1958 war nicht das erste Jahr, in dem eine Geschichte mit blauem Licht erzählt wurde. Der Herr, der eine besondere Wirkung vom blauen Licht ermittelt hatte, kann kaum mit einem der genannten verglichen werden, Robert Koch. Er hatte gezeigt, dass nicht Gase und Miasmen Krankheiten auslösen, sondern bestimmte Erreger bestimmte Erkrankungen. Zwei britische Mediziner, Arthur Downes und T.P. Blunt, wiesen dazu nach, dass Licht Bakterien tötet. Und zwar mit seinem blauen Anteil, nicht mit UV. So kam es dazu, dass in deutschen Normen eine Besonnung jeder Wohnung vorgeschrieben wurde. Mindestens in NRW war eine ausreichende Besonnung sogar Bauvorschrift. (mehr hier)

Doch der erste, der Blau eine mysteriöse Kraft zuschrieb und damit einen Wahn auslöste, war ein General. Ein gewisser A. J. Pleasonton, vom Beruf General, eine Theorie aufgestellt, wonach blauem Licht eine Heilwirkung zukam. Er argumentierte, dass Farbe enorme biologische Wirkungen entfalte und dem blauen Licht elektromagnetische Kräfte innewohnten, die in der Lage wären, den Körper zu heilen und Widerstandskräfte gegen Krankheiten aufzubauen. Der General erklärte in einem Buch die Wirkungen vom blauen Licht mit seinen Erfahrungen mit einem Gewächshaus mit blauen Gläsern. Er hatte festgestellt, dass die Pflanzen im Frühjahr zu sprießen begannen, weil der Himmel über ihnen blauer wurde. So ließ er Gewächshäuser mit blauen Scheiben patentieren, die nach seiner Behauptung besonders ertragreiche Weinstöcke hervorbringen sollten. Später machte er mit Schweinen und Kühen weiter. Seine Gläser wurden von den Farmern massenweise gekauft. Leute haben blaues Glas in ihre Brillen eingebaut. Sogar Babys wurden in blaue Brutgehäuse einquartiert. So abwegig war das nicht, wie man 1958 die Sache mit den Babies entdeckte.

So hatte Blue-glass Craze seinen Lauf genommen. Zwar gibt es heute keine Gewächshäuser mit blauen Gläsern mehr, aber welche mit bläulichem Licht. General Pleasontons Ideen brachte die Chromotherapie (Farbtherapie) hervor.

Mehr zu den Geheimnissen in Blau hier.

Lichtqualität im semantischen Dreieck

Wasser tut’s freilich
höher jedoch steht die Luft,
am höchsten das Licht!

Arnold Rikli

Die Lichtqualität, die man im Wirken der Organisationen wie die CIE (Internationale Beleuchtungskommission) ganz oben in der Agenda wähnt, hat es im 99. Jahr vor dem Jubiläum der V(λ)-Kurve in das Internationale Wörterbuch der Lichttechnik geschafft, das seit immerhin 1938 schriftlich vorliegt und gepflegt wird.

Bis dato definierte nämlich diese Kurve, was Lichtqualität bedeutet – Helligkeit.

Was hat das mit dem semantischen Dreieck zu tun? Viel. Es ist ein faszinierendes Konzept, das uns erklärt, wie wir Dinge verstehen oder begreifen. Oder wie wir uns einen Begriff von Dingen machen wie z.B. von der Qualität.

Das Dreieck besagt, dass zum Begreifen von etwas dieses Etwas existieren muss. So z.B. ein Fisch. Es muss relativ klar umrissen sein wie z.B. ein Garten oder ein Baum. Wird diese Voraussetzung nicht erfüllt, verstehen wir selbst täglich benutzte Dinge nicht. Dazu gehört der Computer, den manche Leute hassen. Sie schreiben diesbezügliche Ideen zuweilen auf ihrem Handy und übermitteln diese anderen auch damit. Dass ein Handy ein Computer ist und kein Telefon, wissen zwar viele.  Sie verstehen es aber nicht.

Zum Verstehen von Etwas gehört nämlich ein Name, besser gesagt, eine genaue Bezeichnung. Wenn es gelingt, diese Bezeichnung präzise zu fassen, verstehen wir das Etwas besser. So ist ein bestimmter Computer, der Autoschlüssel, jedem ein Begriff. Während man unter einem PC viele Dinge vorstellen kann. Für die meisten von heute ist ein PC ein Laptop mit Display und Tastatur, in dem man Programme und Daten speichern und sich wiederholen kann. Genau die gleichen Kisten stehen aber auch bei Angestellten im Büro, sie funktionieren etwa gleich, sie sind aber etwas anderes. Sie speichern keine Daten, ihre Programme stehen auf Servern oder in der Cloud, wie manchmal die Daten auch.

Damit kommen wir zu der dritten Ecke des Dreiecks: Um das Etwas zu begreifen, benötigen wir die persönliche Begegnung damit. Ein gut geschulter Angestellter an einem Firmen-PC wird den besser verstehen als einer, der die Kiste im Schaufenster sieht. Wer gar nur das Wort PC hört, denkt an sein Gerät, so er eins gehabt hat.

Anders als das semantische Dreieck scheint das Wort Qualität jedem ein Begriff zu sein. Es ist immerhin etwa 2500 Jahre alt. Leider ist dem nicht so. Deswegen musste sogar eine Qualitätswissenschaft gegründet werden. Diese ist aber erstaunlich jung. Nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere in Japan, trugen Persönlichkeiten wie W. Edwards Deming (hier) und Joseph M. Juran maßgeblich zur Entwicklung des modernen Qualitätsmanagements bei. Deming entwickelte Prinzipien der ständigen Verbesserung (PDCA-Zyklus) und 14 Managementprinzipien.

Im Westen kamen diese Ideen dadurch an, dass Japan große Erfolge damit feierte, also erst in den 1970ern. 50 Jahre gegenüber 2500? Ist Qualität so schwer zu verstehen? Die Antwort ist ja. Und daran sind die Alten schuld. Qualität ist nämlich nicht ein Begriff, sie war von Anfang an zwei Begriffe. Und auch nach der internationalen Normung in den 1980ern (ISO 9000 Reihe) blieb das Wort Qualität zweideutig.

Die eine Bedeutung der Qualität ist eine (hohe bzw. hochwertige) Beschaffenheit. Wer ein Qualitätsprodukt kauft, will eine hohe Qualität. Und die ist, was er sich darunter vorstellt. So stellt ein Porsche für viele ein Qualitätsauto dar.

Die genormte Bedeutung der Qualität ist „Erfüllen der Anforderungen“. Sie ist, was das Ingenieurswesen ausmacht, dessen Produkte weder gut noch schlecht sind, sondern für ihren Zweck geeignet oder nicht. Wer als Familienvater einen Kinderwagen für Zwillinge transportieren muss, für den ist ein Porsche bestimmt kein Qualitätsauto. Vielleicht war er es gewesen, als der Fahrer der Mutter der Zwillinge imponieren wollte.

Jeder Ingenieur, der etwas schafft, handelt i.S. der zweiten Definition der Qualität. Sein Produkt muss die Anforderungen erfüllen, die daran gestellt werden. Wer diese stellt? Das ist die große Kunst. Vor einer Entwicklung muss man sich ein Bild davon machen, was der Benutzer von dem Produkt erwartet. Die professionelle Kunst hört auf den Namen Requirements Management.

Was tut man aber, wenn die Leute nicht wissen, was sie fordern sollen? Man erfindet z.B. ein disruptives Objekt wie das Smartphone. Es hat nicht nur eine hundertjährige Branche umgeschmissen. Die Telekommunikation ist nach 2007 eine völlig andere geworden. Es hat den Weltmarkt umgeworfen. Der Marktführer für Mobiltelefone Nokia mit 38% Weltanteil war fünf Jahre danach nicht mehr existent. Und es hat Kulturen umgeworfen. Selbst Analphabeten können mit dem Smartphone Bankgeschäfte u.ä. erledigen. In Afrika läuft das Bankgeschäft für Arme über Handys. In Indien ist ein Gesundheitssystem entstanden, das darauf aufbaut.

Wie war es, als Edison die Glühlampe perfektionierte? Hat Licht als Begriff existiert? Eigentlich, ja. Man wusste vom natürlichen Licht vermutlich seit der Schöpfung der Menschheit. Das künstliche Licht war etwa 17,000 Jahre alt. Es war nur nicht perfekt (siehe Epochen der Kunst der Lichtmacher). Das Licht hatte also einen Namen. Das erste Eck vom semantischen Dreieck war also besetzt.

Hatte der Begriff Licht klare Umrisse? Hier kommt ein klares Nein. Selbst die Physik wusste nicht gerade viel über Licht. Menschen wie Einstein oder Max Planck waren zwar schon geboren, sie hatten ihr großes Werk noch nicht abgeliefert. Man hing noch der Äther-Theorie nach. Diese, die Äthertheorie, besagte, dass der gesamte Raum – auch der scheinbar leere Weltraum – von einem unsichtbaren, masselosen und allgegenwärtigen Medium, dem sogenannten "Äther", erfüllt sei. Der Äther hatte praktisch keine Masse, ließ alle Planeten ungehindert wandern, war elastischer als der härteste Stahl. Also ein Gebilde, das es hat nicht geben können. Aber große Geister wie  René Descartes, Vater des kartesischen Systems, oder Isaac Newton, der Vater der modernen Physik, und auch James Clerk Maxwell, dem die Vereinheitlichung von Elektrizität, Magnetismus und Licht in einer einzigen, kohärenten Theorie gelungen war, glaubten an den Äther.

Wenn das das einzige Problem wär! Man wusste nicht einmal genau, woraus Licht bestand und welche Anteile welche Wirkungen auf den Menschen ausübten. Auch als Matthew Luckiesh sein Buch „Light and Health“ im Jahre 1926 veröffentlichte, hatten weder die Mediziner noch die Lichttechniker viel Ahnung von den Dingen, von denen sie sprachen. Daher der Versuch der CIE, mit der V(λ)-Kurve Licht zu definieren und vor allem, messbar zu machen.

Diese Kurve war so erfolgreich, dass die Präsidentin der CIE alle ihre Experten einlud, zur Jahrhundertfeier ein Gedicht zu schreiben oder wenigstens ein Kunstwerk zu erstellen. Zu erfolgreich. Denn das so definierte Licht umfasst nur einen Teil dessen, was Licht für den Menschen ausmacht. Für fast alle Pflanzen ist die Kurve sogar falsch. Und auch die meisten Tiere sehen Licht anders.

Dem so definierten Licht ist in der Natur noch nie ein Mensch begegnet. Es ist ein rein künstliches Gebilde, das einen Teil der Sehvorgänge beim Menschen erklärt, so er nicht ganz jung oder älter ist.

Wir haben trotz des Jahrhunderts des Lichts keine Chance gehabt, es zu begreifen. Es hakt an allen Ecken des semantischen Dreiecks. Daher die ganzen Irrungen und Wirrungen, von denen das Buch Genesis 2.0 – Schöpfung der elektrischen Sonne handelt.

Licht und Ergonomie

Manche Dinge finden sich nicht zueinander, obwohl man sie fast immer im gleichen Kontext vermuten darf. Überraschenderweise gilt dies für Beleuchtung und Architektur, allerdings erst seit etwa 1925. Da half nicht einmal, dass der Staat im Dritten Reich Lichttechniker und Architekten zur Zusammenarbeit zwingen wollte. Er hatte nämlich vor, die Leistung des deutschen Arbeiters mit Hilfe der Beleuchtung zu steigern (s. hier). Dazu gründete der Staat eine Behörde, die auf den seltenen Namen “Schönheit der Arbeit” hörte. Deren Chef, der später Kriegsminister werden würde, Albert Speer, wusste als Architekt von der Bedeutung des Lichts. Er ließ sogar einen Spielfilm dazu drehen, das einfach “Licht” hieß. Ein sehenswerter Film.

Jahrzehnte später, Speer war schon 10 Jahre tot, saß ich zufällig  mit einem Architekturprofessor und dem Geschäftsführer des DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau) an einem Kindergeburtstag und erzählte ihnen, dass die Normen für Lichttechnik und für das Bauwesen unkoordiniert miteinander entstünden. Beide Herren erschraken und wollten dagegen sprechen, taten es aber lieber nicht. Dem war so.

Dass es dem so war, hatte ich beim Studium im Fachgebiet Umwelttechnik der TU Berlin gelernt. Zur Zeit ihrer Gründung gehörten Lichttechnik und Akustik, die ich studierte, neben der Instituten für Architektur dazu. Uns war es damals nicht gelungen, unsere Vorlesungen und Laborübungen Architekturstudenten schmackhaft zu machen. Deswegen war ich später zu Arbeitswissenschaft und Ergonomie migriert, weil mein Doktorvater glaubte, dort bessere Forschungsbedingungen zu Wirkungen des Licht auf die Arbeit vorzufinden. Klarer Fall von Denkste!

So freute ich mich 1981 wahnsinnig über das Buch Human Factors in Lighting von Peter Boyce. Human Factors ist das amerikanische Synonym für Ergonomie. Nach langer Suche fand ich in dem Buch aber nichts zur Ergonomie. Auch die dritte Ausgabe des Buches (2014) ließ Ergonomie missen. Unter dem Akronym IEA (eigentlich International Ergonomics Association) führt Boyce International Energy Agency an.

Insbesondere was das Tageslicht anging, glänzten alle besagten “Wissenschaften” durch Nichtwissen. So hatte das Standardwerk IESNA LIGHTING HANDBOOK (2006) der US-amerikanischen Lighting Engineering Society für Tageslicht und Human Factors gerade mal eine halbe Seite (von 1002) übrig.

Ich habe versucht, die Lücke zu füllen, angefangen bei den Begriffen (hier, (Begriffe(1) ERGONOMIE und LICHT). Im Rahmen eines Projektes Tageslicht (Tageslicht nutzen – Bedeutung von Dachlichtöffnungen für Ergonomie, Architektur und Technik), bei dem ein hervorragender Architekt und ein Institut für Bauwesen beteiligt waren, habe ich mit meiner Frau zusammen die Ergonomie des Lichts behandelt, dessen Bericht hier (Lichtergo1) zum Download steht. Die beiden anderen Teilberichte sind in dem Buch enthalten (hier)